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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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brachte der weisse Urubu die Sonne, und als Kame fragte: "ist das recht?" ant-
wortete Keri: "jetzt, ja". Dann gab er den roten Urubu frei, der sehr erzürnt war.

"Der Mond bestand damals aus Japu-Federn, die Sonne aus Federn des
Tukan und des roten Arara, die Morgenröte aus Tukan-Federn. So haben es
die Alten gewusst. Wenn es jetzt, wie Ihr sagt, anders sein soll, so weiss ich
davon Nichts und Niemand weiss es. Dann muss man geblasen haben, dass sie
wie Feuer geworden ist."

Keri sann und sann, was er nun mit der Sonne und dem Mond anfangen
sollte. Es war immer hell. Ewaki wusste ihm auch nicht zu raten. Endlich
machte er einen grossen Topf und stülpte ihn darüber. Da war es dunkel. Er
gab den Mond Kame. Sonne und Mond waren beide unter dem Topf. Wenn
der Topf aufgehoben wird, ist es Tag. -- Ueber den Dienst des Kolibri und der
Schnecke, sowie der Eidechse und der Gürteltiere vgl. Seite 358.

Schlaf und Buriti-Hängematte. Ob das Bedürfnis sich mit der lange-
dauernden Helle der noch nicht untergebrachten Sonne einstellte, ich weiss es
nicht, aber Keri und Kame wollten gern schlafen und konnten zu ihrem Leid-
wesen nicht. Sie gingen zu Ewaki und die immer gut unterrichtete Tante sagte
ihnen, wo sie den Schlaf holen sollten. Po, die Eidechse, war im Besitz des
Schlafes. Sie empfing Keri und Kame freundlich und sagte "o, meine Enkel."
Sie blieben in ihrem Hause, legten sich in die Buriti-Hängematte und schliefen.
Als sie erwachten, fühlten sie sich wieder wohl. Am andern Morgen sagten sie
Lebewohl und zogen mit der Hängematte, die ihnen die Eidechse geschenkt hatte,
von dannen.*) Unterwegs, als sie eine Legua gegangen waren, wollten sie nun
das Schlafen versuchen. Sie legten sich in die Hängematte und versuchten, aber
es ging nicht. Sie quälten sich vergebens. Da gingen sie wieder zum Haus der
Eidechse zurück, ergriffen sie und zogen ihr das Augenlid aus. Sie nahmen
sich ein grosses Stück und die Eidechse war sehr böse. Nun hatten sie Augen-
lider und konnten schlafen.

Himmel und Erde vertauscht. Um diese Zeit ist es auch geschehen,
dass Keri den Himmel verliess. "Zuerst war die Erde der Himmel; hier, wo wir
jetzt sind, wurden keine Bakairi geboren. Der Himmel hat einen Boden, auf
dem es gerade so aussieht wie hier auf der Erde. Himmel und Erde waren
ganz nahe beieinander; man konnte auf die Erde hinübergehen." Keri sagte
zum Himmel: "Du sollst nicht hier bleiben. Hier sterben meine Leute. Und
Du willst hier bleiben? Du bist gut! Aber ich will nicht, dass meine Leute
sterben." Der Himmel antwortete: "Ich will hier bleiben." Da sagte Keri:
"Dann tausche ich." Er ging mit allen seinen Leuten auf die Erde und der
Himmel stieg in die Höhe dahin, wo er jetzt ist, und wo man noch heute
sieht, dass alles so geschehen ist, wie es die Bakairi erzählen.


*) Ehe es eine Hängematte gab, wurde ein andermal erzählt, schliefen die Leute im Stehen,
indem sie mit dem Rücken an die Bäume anlehnten. Der Schutz vor Schlangen und Ungeziefer auf
dem Boden ist in der That ein Hauptvorteil der Hängematte.

brachte der weisse Urubú die Sonne, und als Kame fragte: »ist das recht?« ant-
wortete Keri: »jetzt, ja«. Dann gab er den roten Urubú frei, der sehr erzürnt war.

»Der Mond bestand damals aus Japú-Federn, die Sonne aus Federn des
Tukan und des roten Arara, die Morgenröte aus Tukan-Federn. So haben es
die Alten gewusst. Wenn es jetzt, wie Ihr sagt, anders sein soll, so weiss ich
davon Nichts und Niemand weiss es. Dann muss man geblasen haben, dass sie
wie Feuer geworden ist.«

Keri sann und sann, was er nun mit der Sonne und dem Mond anfangen
sollte. Es war immer hell. Ewaki wusste ihm auch nicht zu raten. Endlich
machte er einen grossen Topf und stülpte ihn darüber. Da war es dunkel. Er
gab den Mond Kame. Sonne und Mond waren beide unter dem Topf. Wenn
der Topf aufgehoben wird, ist es Tag. — Ueber den Dienst des Kolibri und der
Schnecke, sowie der Eidechse und der Gürteltiere vgl. Seite 358.

Schlaf und Burití-Hängematte. Ob das Bedürfnis sich mit der lange-
dauernden Helle der noch nicht untergebrachten Sonne einstellte, ich weiss es
nicht, aber Keri und Kame wollten gern schlafen und konnten zu ihrem Leid-
wesen nicht. Sie gingen zu Ewaki und die immer gut unterrichtete Tante sagte
ihnen, wo sie den Schlaf holen sollten. Po, die Eidechse, war im Besitz des
Schlafes. Sie empfing Keri und Kame freundlich und sagte »o, meine Enkel.«
Sie blieben in ihrem Hause, legten sich in die Burití-Hängematte und schliefen.
Als sie erwachten, fühlten sie sich wieder wohl. Am andern Morgen sagten sie
Lebewohl und zogen mit der Hängematte, die ihnen die Eidechse geschenkt hatte,
von dannen.*) Unterwegs, als sie eine Legua gegangen waren, wollten sie nun
das Schlafen versuchen. Sie legten sich in die Hängematte und versuchten, aber
es ging nicht. Sie quälten sich vergebens. Da gingen sie wieder zum Haus der
Eidechse zurück, ergriffen sie und zogen ihr das Augenlid aus. Sie nahmen
sich ein grosses Stück und die Eidechse war sehr böse. Nun hatten sie Augen-
lider und konnten schlafen.

Himmel und Erde vertauscht. Um diese Zeit ist es auch geschehen,
dass Keri den Himmel verliess. »Zuerst war die Erde der Himmel; hier, wo wir
jetzt sind, wurden keine Bakaïrí geboren. Der Himmel hat einen Boden, auf
dem es gerade so aussieht wie hier auf der Erde. Himmel und Erde waren
ganz nahe beieinander; man konnte auf die Erde hinübergehen.« Keri sagte
zum Himmel: »Du sollst nicht hier bleiben. Hier sterben meine Leute. Und
Du willst hier bleiben? Du bist gut! Aber ich will nicht, dass meine Leute
sterben.« Der Himmel antwortete: »Ich will hier bleiben.« Da sagte Keri:
»Dann tausche ich.« Er ging mit allen seinen Leuten auf die Erde und der
Himmel stieg in die Höhe dahin, wo er jetzt ist, und wo man noch heute
sieht, dass alles so geschehen ist, wie es die Bakaïrí erzählen.


*) Ehe es eine Hängematte gab, wurde ein andermal erzählt, schliefen die Leute im Stehen,
indem sie mit dem Rücken an die Bäume anlehnten. Der Schutz vor Schlangen und Ungeziefer auf
dem Boden ist in der That ein Hauptvorteil der Hängematte.
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[376/0440] brachte der weisse Urubú die Sonne, und als Kame fragte: »ist das recht?« ant- wortete Keri: »jetzt, ja«. Dann gab er den roten Urubú frei, der sehr erzürnt war. »Der Mond bestand damals aus Japú-Federn, die Sonne aus Federn des Tukan und des roten Arara, die Morgenröte aus Tukan-Federn. So haben es die Alten gewusst. Wenn es jetzt, wie Ihr sagt, anders sein soll, so weiss ich davon Nichts und Niemand weiss es. Dann muss man geblasen haben, dass sie wie Feuer geworden ist.« Keri sann und sann, was er nun mit der Sonne und dem Mond anfangen sollte. Es war immer hell. Ewaki wusste ihm auch nicht zu raten. Endlich machte er einen grossen Topf und stülpte ihn darüber. Da war es dunkel. Er gab den Mond Kame. Sonne und Mond waren beide unter dem Topf. Wenn der Topf aufgehoben wird, ist es Tag. — Ueber den Dienst des Kolibri und der Schnecke, sowie der Eidechse und der Gürteltiere vgl. Seite 358. Schlaf und Burití-Hängematte. Ob das Bedürfnis sich mit der lange- dauernden Helle der noch nicht untergebrachten Sonne einstellte, ich weiss es nicht, aber Keri und Kame wollten gern schlafen und konnten zu ihrem Leid- wesen nicht. Sie gingen zu Ewaki und die immer gut unterrichtete Tante sagte ihnen, wo sie den Schlaf holen sollten. Po, die Eidechse, war im Besitz des Schlafes. Sie empfing Keri und Kame freundlich und sagte »o, meine Enkel.« Sie blieben in ihrem Hause, legten sich in die Burití-Hängematte und schliefen. Als sie erwachten, fühlten sie sich wieder wohl. Am andern Morgen sagten sie Lebewohl und zogen mit der Hängematte, die ihnen die Eidechse geschenkt hatte, von dannen. *) Unterwegs, als sie eine Legua gegangen waren, wollten sie nun das Schlafen versuchen. Sie legten sich in die Hängematte und versuchten, aber es ging nicht. Sie quälten sich vergebens. Da gingen sie wieder zum Haus der Eidechse zurück, ergriffen sie und zogen ihr das Augenlid aus. Sie nahmen sich ein grosses Stück und die Eidechse war sehr böse. Nun hatten sie Augen- lider und konnten schlafen. Himmel und Erde vertauscht. Um diese Zeit ist es auch geschehen, dass Keri den Himmel verliess. »Zuerst war die Erde der Himmel; hier, wo wir jetzt sind, wurden keine Bakaïrí geboren. Der Himmel hat einen Boden, auf dem es gerade so aussieht wie hier auf der Erde. Himmel und Erde waren ganz nahe beieinander; man konnte auf die Erde hinübergehen.« Keri sagte zum Himmel: »Du sollst nicht hier bleiben. Hier sterben meine Leute. Und Du willst hier bleiben? Du bist gut! Aber ich will nicht, dass meine Leute sterben.« Der Himmel antwortete: »Ich will hier bleiben.« Da sagte Keri: »Dann tausche ich.« Er ging mit allen seinen Leuten auf die Erde und der Himmel stieg in die Höhe dahin, wo er jetzt ist, und wo man noch heute sieht, dass alles so geschehen ist, wie es die Bakaïrí erzählen. *) Ehe es eine Hängematte gab, wurde ein andermal erzählt, schliefen die Leute im Stehen, indem sie mit dem Rücken an die Bäume anlehnten. Der Schutz vor Schlangen und Ungeziefer auf dem Boden ist in der That ein Hauptvorteil der Hängematte.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/440>, abgerufen am 27.05.2024.