Ohr trägt. Die Sonne wird am Abend mit einem grossen Topf zugedeckt, der am Morgen wieder gelüftet wird. Ich lasse die Person, die das besorgt, noch beiseite; sie ist auch höchst gleichgültige Zuthat oder Ergänzung bei dem Anfang der Entwickelung, denn wenn die Sonne ein Federball ist, und dieser Federball eine Zeitlang verschwindet, so ist es eben selbstverständlich, dass Jemand ihn so lange bedeckt, ob nun mit einem Topf, wie die Bakairi behaupten, oder dadurch, dass sie in einen Kürbis gelegt wird, wie die Paressi meinen.
In der Regenzeit, wo die Tage lang sind, wird die Sonne von einer Schnecke (Bulimus), in der Trockenzeit, wo sie kurz sind, von einem Kolibri getragen; be- kanntlich ist der Flügelschlag dieses Vögleins so schnell, dass ihm das Auge nicht zu folgen vermag. Während der Nächte ist der Dienst der Tiere umge- kehrt, in der Regenzeit schleppt das Kolibri und in der Trockenzeit die Schnecke den zugedeckten Sonnenball an den alten Ort zurück. Für die Phasen des Mondes geht der Bakairi vom Vollmond aus, wo wir den Ball ganz sehen. Zuerst kommt eine Eidechse, die wir den Rand entlang bemerken, um ihn mit- zunehmen, am zweiten Tage ein gewöhnliches Gürteltier und dann ein Riesen- gürteltier, dessen dicker Körper uns die gelben Federn bald ganz verbirgt. Es ist zu bemerken, dass die Gürteltiere oder Tatus eine gewölbte Form haben, Nachttiere sind und bei Mondschein gejagt werden.
Die Eklipsen werden ähnlich erklärt. Aber Antonio fasste die Erscheinung keineswegs als gesetzmässige auf und erklärte sie von Fall zu Fall. So hat sich einmal, als er noch klein war, am Paranatinga ein Zauberer in einen Anu, einen blauschwarzen Vogel (Crotophaga), verwandelt und mit den Flügeln die Sonne eine Zeitlang verdeckt. Am 28. Januar 1888 war eine Mondfinsternis, auf die ich Antonio aufmerksam machte. Er kam jedoch, durch meine Vorhersage der Ueberraschung beraubt, mit seiner gewöhnlichen Erklärung aus, dass die Eidechse und die Tatus an der Arbeit waren. Ich liess ihn den Mond durch ein Opern- glas betrachten und wollte Auskunft über die Berge haben. "Es ist ein bischen Schmutz von dem Tatu zurückgeblieben", antwortete er. So kam mit dem Graben und Wühlen ein neuer Umstand hinzu, der die alten Bakairi veranlasste, die gewölbte Form des unbeleuchteten Teils gerade für das Gürteltier anzusehen.
In diesen Erklärungen liegt jedoch ein entschiedener Widerspruch zu den Anschauungen des karaibischen Grundvolks, die uns durch die Wörter für Sonne überliefert wird*), und in gleicher Weise widersprechen die Erklärungen der heutigen Paressi, die auch die Federn und die Gürteltiere haben, den bei dem Grundvolk der Nu-Aruak vorauszusetzenden Anschauungen. Die Wörter für "Feuer" und "Sonne" haben gleiche Wurzeln und sind teilweise nur durch Reduplikation unterschieden oder auch von einem Stamm zum andern sogar identisch. Man muss also bei der Wortbildung von den Eigenschaften der Sonne zuerst Wärme und Licht aufgefasst haben. Auch ist der Topf, mit dem die Bakairi die Sonne
*) Vgl. "Bakairi-Grammatik" die Tabelle für "Feuer, Sonne, Holz, Baum", p. 278 und p. 279 bis 281, sowie "Durch Centralbrasilien", p. 306.
Ohr trägt. Die Sonne wird am Abend mit einem grossen Topf zugedeckt, der am Morgen wieder gelüftet wird. Ich lasse die Person, die das besorgt, noch beiseite; sie ist auch höchst gleichgültige Zuthat oder Ergänzung bei dem Anfang der Entwickelung, denn wenn die Sonne ein Federball ist, und dieser Federball eine Zeitlang verschwindet, so ist es eben selbstverständlich, dass Jemand ihn so lange bedeckt, ob nun mit einem Topf, wie die Bakaïrí behaupten, oder dadurch, dass sie in einen Kürbis gelegt wird, wie die Paressí meinen.
In der Regenzeit, wo die Tage lang sind, wird die Sonne von einer Schnecke (Bulimus), in der Trockenzeit, wo sie kurz sind, von einem Kolibri getragen; be- kanntlich ist der Flügelschlag dieses Vögleins so schnell, dass ihm das Auge nicht zu folgen vermag. Während der Nächte ist der Dienst der Tiere umge- kehrt, in der Regenzeit schleppt das Kolibri und in der Trockenzeit die Schnecke den zugedeckten Sonnenball an den alten Ort zurück. Für die Phasen des Mondes geht der Bakaïrí vom Vollmond aus, wo wir den Ball ganz sehen. Zuerst kommt eine Eidechse, die wir den Rand entlang bemerken, um ihn mit- zunehmen, am zweiten Tage ein gewöhnliches Gürteltier und dann ein Riesen- gürteltier, dessen dicker Körper uns die gelben Federn bald ganz verbirgt. Es ist zu bemerken, dass die Gürteltiere oder Tatús eine gewölbte Form haben, Nachttiere sind und bei Mondschein gejagt werden.
Die Eklipsen werden ähnlich erklärt. Aber Antonio fasste die Erscheinung keineswegs als gesetzmässige auf und erklärte sie von Fall zu Fall. So hat sich einmal, als er noch klein war, am Paranatinga ein Zauberer in einen Anú, einen blauschwarzen Vogel (Crotophaga), verwandelt und mit den Flügeln die Sonne eine Zeitlang verdeckt. Am 28. Januar 1888 war eine Mondfinsternis, auf die ich Antonio aufmerksam machte. Er kam jedoch, durch meine Vorhersage der Ueberraschung beraubt, mit seiner gewöhnlichen Erklärung aus, dass die Eidechse und die Tatús an der Arbeit waren. Ich liess ihn den Mond durch ein Opern- glas betrachten und wollte Auskunft über die Berge haben. »Es ist ein bischen Schmutz von dem Tatú zurückgeblieben«, antwortete er. So kam mit dem Graben und Wühlen ein neuer Umstand hinzu, der die alten Bakaïrí veranlasste, die gewölbte Form des unbeleuchteten Teils gerade für das Gürteltier anzusehen.
In diesen Erklärungen liegt jedoch ein entschiedener Widerspruch zu den Anschauungen des karaibischen Grundvolks, die uns durch die Wörter für Sonne überliefert wird*), und in gleicher Weise widersprechen die Erklärungen der heutigen Paressí, die auch die Federn und die Gürteltiere haben, den bei dem Grundvolk der Nu-Aruak vorauszusetzenden Anschauungen. Die Wörter für »Feuer« und »Sonne« haben gleiche Wurzeln und sind teilweise nur durch Reduplikation unterschieden oder auch von einem Stamm zum andern sogar identisch. Man muss also bei der Wortbildung von den Eigenschaften der Sonne zuerst Wärme und Licht aufgefasst haben. Auch ist der Topf, mit dem die Bakaïrí die Sonne
*) Vgl. »Bakaïrí-Grammatik« die Tabelle für »Feuer, Sonne, Holz, Baum«, p. 278 und p. 279 bis 281, sowie »Durch Centralbrasilien«, p. 306.
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Ohr trägt. Die Sonne wird am Abend mit einem grossen Topf zugedeckt, der
am Morgen wieder gelüftet wird. Ich lasse die Person, die das besorgt, noch
beiseite; sie ist auch höchst gleichgültige Zuthat oder Ergänzung bei dem Anfang
der Entwickelung, denn wenn die Sonne ein Federball ist, und dieser Federball
eine Zeitlang verschwindet, so ist es eben selbstverständlich, dass Jemand
ihn so lange bedeckt, ob nun mit einem Topf, wie die Bakaïrí behaupten, oder
dadurch, dass sie in einen Kürbis gelegt wird, wie die Paressí meinen.
In der Regenzeit, wo die Tage lang sind, wird die Sonne von einer Schnecke
(Bulimus), in der Trockenzeit, wo sie kurz sind, von einem Kolibri getragen; be-
kanntlich ist der Flügelschlag dieses Vögleins so schnell, dass ihm das Auge
nicht zu folgen vermag. Während der Nächte ist der Dienst der Tiere umge-
kehrt, in der Regenzeit schleppt das Kolibri und in der Trockenzeit die Schnecke
den zugedeckten Sonnenball an den alten Ort zurück. Für die Phasen des
Mondes geht der Bakaïrí vom Vollmond aus, wo wir den Ball ganz sehen.
Zuerst kommt eine Eidechse, die wir den Rand entlang bemerken, um ihn mit-
zunehmen, am zweiten Tage ein gewöhnliches Gürteltier und dann ein Riesen-
gürteltier, dessen dicker Körper uns die gelben Federn bald ganz verbirgt.
Es ist zu bemerken, dass die Gürteltiere oder Tatús eine gewölbte Form haben,
Nachttiere sind und bei Mondschein gejagt werden.
Die Eklipsen werden ähnlich erklärt. Aber Antonio fasste die Erscheinung
keineswegs als gesetzmässige auf und erklärte sie von Fall zu Fall. So hat sich
einmal, als er noch klein war, am Paranatinga ein Zauberer in einen Anú, einen
blauschwarzen Vogel (Crotophaga), verwandelt und mit den Flügeln die Sonne
eine Zeitlang verdeckt. Am 28. Januar 1888 war eine Mondfinsternis, auf die
ich Antonio aufmerksam machte. Er kam jedoch, durch meine Vorhersage der
Ueberraschung beraubt, mit seiner gewöhnlichen Erklärung aus, dass die Eidechse
und die Tatús an der Arbeit waren. Ich liess ihn den Mond durch ein Opern-
glas betrachten und wollte Auskunft über die Berge haben. »Es ist ein bischen
Schmutz von dem Tatú zurückgeblieben«, antwortete er. So kam mit dem Graben
und Wühlen ein neuer Umstand hinzu, der die alten Bakaïrí veranlasste, die
gewölbte Form des unbeleuchteten Teils gerade für das Gürteltier anzusehen.
In diesen Erklärungen liegt jedoch ein entschiedener Widerspruch zu den
Anschauungen des karaibischen Grundvolks, die uns durch die Wörter für Sonne
überliefert wird *), und in gleicher Weise widersprechen die Erklärungen der
heutigen Paressí, die auch die Federn und die Gürteltiere haben, den bei dem
Grundvolk der Nu-Aruak vorauszusetzenden Anschauungen. Die Wörter für »Feuer«
und »Sonne« haben gleiche Wurzeln und sind teilweise nur durch Reduplikation
unterschieden oder auch von einem Stamm zum andern sogar identisch. Man
muss also bei der Wortbildung von den Eigenschaften der Sonne zuerst Wärme
und Licht aufgefasst haben. Auch ist der Topf, mit dem die Bakaïrí die Sonne
*) Vgl. »Bakaïrí-Grammatik« die Tabelle für »Feuer, Sonne, Holz, Baum«, p. 278 und p. 279
bis 281, sowie »Durch Centralbrasilien«, p. 306.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/422>, abgerufen am 25.11.2024.
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