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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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eine Hängematte, da er ein schönes Geschenk verdient. Hat das vergiftete
Zweiglein den Patienten geritzt, so entdeckt der gute Medizinmann -- und nur er --
die Stelle, wo es eingetreten ist, saugt so lange, bis das Zweiglein oder Woll-
fädchen erscheint, und spukt es aus.

Wir haben also eine Methode, wo etwas vom Leibe vergiftet wird, und
eine, wo das Gift nur in seine Nähe gebracht wird. Es giebt eine dritte, wo
aller Zusammenhang mit ihm fehlt, dafür aber gleichzeitig ein Tier getötet wird.
Sie bezweckt niemals nur Krankheit, sondern immer den Tod. Der zu tötende
Mann wird amapö oder amapö genannt. In diesem Fall bedarf der Hexenmeister
ein Stück Haut vom Mittelfinger einer beliebigen Leiche und eine Uga-Eidechse;
er trocknet die Haut am Feuer, zerreibt sie mit seinem Zaubergift, stopft die
Mischung tief in den Schlund der Eidechse, die um den Hals und den Leib,
damit jene nicht herauskann, fest umschnürt wird, wirft das so präparierte Tier
in einen Topf mit Wasser, verschliesst ihn wohl und hängt ihn über das Feuer:
wenn das Wasser zu kochen beginnt, so erkrankt und, wenn die Eidechse stirbt,
so stirbt der Amapö.

Alle Krankheiten sind durch Hexerei verursacht; "es soll Leute geben, die
den Medizinmännern auftragen, ihre Feinde zu vergiften". Mit seinem Friseur
darf man sich am Schingu nicht verfeinden. So sei es, warf ich Antonio scherzend
ein, eigentlich von mir sehr unvorsichtig gewesen, dass ich mir die Haare von ihm
habe schneiden lassen. "Nein", erwiderte er, "ich bin nicht schlecht, ich bin kein
omeoto (= ome-zoto Giftherr)." "Also alle Krankheiten rühren von den Omeotos
her?" "Alle." "Hast Du jemals einen gesehen?" "Nicht bei den Bakairi, wir
würden so schlechte Menschen verjagen." "Aber bei den Kamayura?" "Pode
ser, kann sein." "Hast Du schon gute Medizinmänner (piaje, französisches j) ge-
sehen?" "Ja, mehrere am Kulisehu. Pakurali war einer. Früher auch am Para-
natinga. Der Auetö-Häuptling Auayato war einer." Es ist sehr charakteristisch,
dass alle schlechten (kkhura-pa = nicht unser) Zauberer in fremden Dörfern wohnen.
Die Ausdrücke omeoto und piaje scheinen übrigens nicht streng geschieden. Jeden-
falls sind die löblichen besseren Medizinmänner von berufsmässigem Schwindel
längst nicht mehr nicht frei, da sie sich nicht gut einbilden können, aus dem
Kranken die vergifteten Baumwollfäden, die sie ausgespucken, herausgesaugt zu
haben. Aber der reinere Ursprung ihrer Kunst im Sinn der einleitenden Aus-
führungen ist noch leicht zu erkennen.

Noch deutlicher als an der Askese des medizinischen Studiums tritt es an
den praktischen Leistungen zu Tage, dass Zaubern nichts ist als Erregung der
Einbildungskraft. Die Schmerzen sagen dem Kranken, dass er von Jemandem
angegriffen wird. Man sieht nicht, dass es Jemand im Dorf thut; hier ist auch
Keiner so schlecht. Also ist der Feind draussen. Wer mit ihm fertig werden
will, muss erstens stärker sein als er und zweitens den Unsichtbaren erreichen
können. Beides wird für den, der nicht anders weiss als dass die im Traum
vollbrachten Wunder Wirklichkeit sind, durch einen Arzt ermöglicht, der sich in

eine Hängematte, da er ein schönes Geschenk verdient. Hat das vergiftete
Zweiglein den Patienten geritzt, so entdeckt der gute Medizinmann — und nur er —
die Stelle, wo es eingetreten ist, saugt so lange, bis das Zweiglein oder Woll-
fädchen erscheint, und spukt es aus.

Wir haben also eine Methode, wo etwas vom Leibe vergiftet wird, und
eine, wo das Gift nur in seine Nähe gebracht wird. Es giebt eine dritte, wo
aller Zusammenhang mit ihm fehlt, dafür aber gleichzeitig ein Tier getötet wird.
Sie bezweckt niemals nur Krankheit, sondern immer den Tod. Der zu tötende
Mann wird åmápö oder amápö genannt. In diesem Fall bedarf der Hexenmeister
ein Stück Haut vom Mittelfinger einer beliebigen Leiche und eine Ugá-Eidechse;
er trocknet die Haut am Feuer, zerreibt sie mit seinem Zaubergift, stopft die
Mischung tief in den Schlund der Eidechse, die um den Hals und den Leib,
damit jene nicht herauskann, fest umschnürt wird, wirft das so präparierte Tier
in einen Topf mit Wasser, verschliesst ihn wohl und hängt ihn über das Feuer:
wenn das Wasser zu kochen beginnt, so erkrankt und, wenn die Eidechse stirbt,
so stirbt der Amápö.

Alle Krankheiten sind durch Hexerei verursacht; »es soll Leute geben, die
den Medizinmännern auftragen, ihre Feinde zu vergiften«. Mit seinem Friseur
darf man sich am Schingú nicht verfeinden. So sei es, warf ich Antonio scherzend
ein, eigentlich von mir sehr unvorsichtig gewesen, dass ich mir die Haare von ihm
habe schneiden lassen. »Nein«, erwiderte er, »ich bin nicht schlecht, ich bin kein
omeóto (= ome-zóto Giftherr).« »Also alle Krankheiten rühren von den Omeotos
her?« »Alle.« »Hast Du jemals einen gesehen?« »Nicht bei den Bakaïrí, wir
würden so schlechte Menschen verjagen.« »Aber bei den Kamayurá?« »Pode
ser, kann sein.« »Hast Du schon gute Medizinmänner (piáje, französisches j) ge-
sehen?« »Ja, mehrere am Kulisehu. Pakurali war einer. Früher auch am Para-
natinga. Der Auetö́-Häuptling Auayáto war einer.« Es ist sehr charakteristisch,
dass alle schlechten (kχurá-pa = nicht unser) Zauberer in fremden Dörfern wohnen.
Die Ausdrücke omeóto und piáje scheinen übrigens nicht streng geschieden. Jeden-
falls sind die löblichen besseren Medizinmänner von berufsmässigem Schwindel
längst nicht mehr nicht frei, da sie sich nicht gut einbilden können, aus dem
Kranken die vergifteten Baumwollfäden, die sie ausgespucken, herausgesaugt zu
haben. Aber der reinere Ursprung ihrer Kunst im Sinn der einleitenden Aus-
führungen ist noch leicht zu erkennen.

Noch deutlicher als an der Askese des medizinischen Studiums tritt es an
den praktischen Leistungen zu Tage, dass Zaubern nichts ist als Erregung der
Einbildungskraft. Die Schmerzen sagen dem Kranken, dass er von Jemandem
angegriffen wird. Man sieht nicht, dass es Jemand im Dorf thut; hier ist auch
Keiner so schlecht. Also ist der Feind draussen. Wer mit ihm fertig werden
will, muss erstens stärker sein als er und zweitens den Unsichtbaren erreichen
können. Beides wird für den, der nicht anders weiss als dass die im Traum
vollbrachten Wunder Wirklichkeit sind, durch einen Arzt ermöglicht, der sich in

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[344/0408] eine Hängematte, da er ein schönes Geschenk verdient. Hat das vergiftete Zweiglein den Patienten geritzt, so entdeckt der gute Medizinmann — und nur er — die Stelle, wo es eingetreten ist, saugt so lange, bis das Zweiglein oder Woll- fädchen erscheint, und spukt es aus. Wir haben also eine Methode, wo etwas vom Leibe vergiftet wird, und eine, wo das Gift nur in seine Nähe gebracht wird. Es giebt eine dritte, wo aller Zusammenhang mit ihm fehlt, dafür aber gleichzeitig ein Tier getötet wird. Sie bezweckt niemals nur Krankheit, sondern immer den Tod. Der zu tötende Mann wird åmápö oder amápö genannt. In diesem Fall bedarf der Hexenmeister ein Stück Haut vom Mittelfinger einer beliebigen Leiche und eine Ugá-Eidechse; er trocknet die Haut am Feuer, zerreibt sie mit seinem Zaubergift, stopft die Mischung tief in den Schlund der Eidechse, die um den Hals und den Leib, damit jene nicht herauskann, fest umschnürt wird, wirft das so präparierte Tier in einen Topf mit Wasser, verschliesst ihn wohl und hängt ihn über das Feuer: wenn das Wasser zu kochen beginnt, so erkrankt und, wenn die Eidechse stirbt, so stirbt der Amápö. Alle Krankheiten sind durch Hexerei verursacht; »es soll Leute geben, die den Medizinmännern auftragen, ihre Feinde zu vergiften«. Mit seinem Friseur darf man sich am Schingú nicht verfeinden. So sei es, warf ich Antonio scherzend ein, eigentlich von mir sehr unvorsichtig gewesen, dass ich mir die Haare von ihm habe schneiden lassen. »Nein«, erwiderte er, »ich bin nicht schlecht, ich bin kein omeóto (= ome-zóto Giftherr).« »Also alle Krankheiten rühren von den Omeotos her?« »Alle.« »Hast Du jemals einen gesehen?« »Nicht bei den Bakaïrí, wir würden so schlechte Menschen verjagen.« »Aber bei den Kamayurá?« »Pode ser, kann sein.« »Hast Du schon gute Medizinmänner (piáje, französisches j) ge- sehen?« »Ja, mehrere am Kulisehu. Pakurali war einer. Früher auch am Para- natinga. Der Auetö́-Häuptling Auayáto war einer.« Es ist sehr charakteristisch, dass alle schlechten (kχurá-pa = nicht unser) Zauberer in fremden Dörfern wohnen. Die Ausdrücke omeóto und piáje scheinen übrigens nicht streng geschieden. Jeden- falls sind die löblichen besseren Medizinmänner von berufsmässigem Schwindel längst nicht mehr nicht frei, da sie sich nicht gut einbilden können, aus dem Kranken die vergifteten Baumwollfäden, die sie ausgespucken, herausgesaugt zu haben. Aber der reinere Ursprung ihrer Kunst im Sinn der einleitenden Aus- führungen ist noch leicht zu erkennen. Noch deutlicher als an der Askese des medizinischen Studiums tritt es an den praktischen Leistungen zu Tage, dass Zaubern nichts ist als Erregung der Einbildungskraft. Die Schmerzen sagen dem Kranken, dass er von Jemandem angegriffen wird. Man sieht nicht, dass es Jemand im Dorf thut; hier ist auch Keiner so schlecht. Also ist der Feind draussen. Wer mit ihm fertig werden will, muss erstens stärker sein als er und zweitens den Unsichtbaren erreichen können. Beides wird für den, der nicht anders weiss als dass die im Traum vollbrachten Wunder Wirklichkeit sind, durch einen Arzt ermöglicht, der sich in

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/408>, abgerufen am 25.11.2024.