Die Medizinmänner werden als gute und böse unterschieden. Es giebt ihrer nach Antonio "wenig bei den Bakairi und Auetö, mehr bei den Nahuqua, viele bei den Mehinaku und zu viele bei den Kamayura". Am Paranatinga lebte zur Zeit keiner. Jedermann kann es werden, es ist nur sehr schwer. "Man muss sehr viel lernen." Man soll vier Monate hindurch nur Stärkebrühe trinken*), kein Salz geniessen und nichts von Fleisch, Fisch oder Früchten essen, man soll nicht schlafen, sondern sich unaufhörlich mit den Fäusten auf den Schädel trommeln, sodass die geschwollenen Augen am Morgen heftig schmerzen, viel baden, sich Arm und Brust blutig kratzen u. s. w. Antonio wollte gern Medizin studieren, hatte aber Angst vor diesem bösen Semester, Felipe machte in gleichem Bestreben einen guten Anfang, kam aber nicht zurecht, da er keinen Lehrer hatte. Die Hauptkunst des fertigen Hexenmeisters bewährt sich im Gebrauch der Gifte. Mit ihnen tötet er Andere und tötet er auch sich selbst, um sich in andere Gestalt verwandeln zu können. Wir werden da eine Auffassung des Todes kennen lernen, an die man sich erst etwas gewöhnen muss, die aber in unmittelbarster Uebereinstimmung mit dem Leben des Schattens während des Schlafes steht.
Hören wir zunächst, wie Krankheit und Tod in die Welt kommen trotz des guten Medizinmanns des eigenen Dorfes, der den bösen des fremden Dorfes nach Kräften bekämpft. Der böse ist ein schlechter Mensch, den Niemand leiden mag, weil er tötet, statt zu heilen, er mischt Gift von Wespen, von der Tocandyra- Ameise und mehr derartigen Tieren mit Oel und Harz von Alsmesca und Pinda- hyba in einer Kalabasse. Von dem Mann, den er übel will, verschafft er sich entweder Haar, indem er darauf tritt, wenn es geschnitten wird, es auch selbst abschneidet, wenn jener schläft, oder ein bischen Blut, indem er ein Zweiglein mit feiner Spitze von Jatoba, Pindahyba oder Pau de olho nach ihm hinwirft und es dann aufhebt. Dies Haar oder Blut kommt in die Giftkalabasse, die ver- schlossen wird, und sofort erkrankt der ursprüngliche Besitzer. Haar wird an- geblich genommen, "weil dadurch Kopfschmerzen erzeugt werden" -- in Wahr- heit wohl deshalb, weil es am bequemsten zu erlangen ist. Hat der Hexenmeister kein Haar oder Blut, so tränkt er ein Pindahybazweiglein oder Wollfädchen mit dem Gift und versteckt es in eine Ritze des Hauses oder unter den Thonfuss, auf dem der Kochtopf steht, oder wirft es heimlich -- denn es fliegt sehr weit -- nach dem Verfolgten oder schiesst es mit einem Pfeil**) in einen Baum, wo Jener wohnt. Der gute Medizinmann findet es aber häufig, denn er sucht überall und steigt auch in den Baum hinauf, um es herabzuholen, legt es in Wasser und macht es dadurch unschädlich; er erhält dafür von dem Genesenden auch z. B.
*) Dieses Fasten ist auch sehr gut, wenn man es in der Kunst, Fische zu schiessen weit bringen will, und hier genügt es, wenn man einen Monat hindurch nichts als Stärkekleister geniesst. Antonio hat es so gemacht und war mit dem Erfolg sehr zufrieden.
**) Man kann zwischen diesem Zauberpfeil und der den Indianern unbekannten Waffe des Giftpfeils den subtilen Unterschied machen, dass jener nicht eigentlich vergiftet ist, sondern nur das vergiftete Stück befördert.
Die Medizinmänner werden als gute und böse unterschieden. Es giebt ihrer nach Antonio »wenig bei den Bakaïrí und Auetö́, mehr bei den Nahuquá, viele bei den Mehinakú und zu viele bei den Kamayurá«. Am Paranatinga lebte zur Zeit keiner. Jedermann kann es werden, es ist nur sehr schwer. »Man muss sehr viel lernen.« Man soll vier Monate hindurch nur Stärkebrühe trinken*), kein Salz geniessen und nichts von Fleisch, Fisch oder Früchten essen, man soll nicht schlafen, sondern sich unaufhörlich mit den Fäusten auf den Schädel trommeln, sodass die geschwollenen Augen am Morgen heftig schmerzen, viel baden, sich Arm und Brust blutig kratzen u. s. w. Antonio wollte gern Medizin studieren, hatte aber Angst vor diesem bösen Semester, Felipe machte in gleichem Bestreben einen guten Anfang, kam aber nicht zurecht, da er keinen Lehrer hatte. Die Hauptkunst des fertigen Hexenmeisters bewährt sich im Gebrauch der Gifte. Mit ihnen tötet er Andere und tötet er auch sich selbst, um sich in andere Gestalt verwandeln zu können. Wir werden da eine Auffassung des Todes kennen lernen, an die man sich erst etwas gewöhnen muss, die aber in unmittelbarster Uebereinstimmung mit dem Leben des Schattens während des Schlafes steht.
Hören wir zunächst, wie Krankheit und Tod in die Welt kommen trotz des guten Medizinmanns des eigenen Dorfes, der den bösen des fremden Dorfes nach Kräften bekämpft. Der böse ist ein schlechter Mensch, den Niemand leiden mag, weil er tötet, statt zu heilen, er mischt Gift von Wespen, von der Tocandyra- Ameise und mehr derartigen Tieren mit Oel und Harz von Alsmesca und Pinda- hyba in einer Kalabasse. Von dem Mann, den er übel will, verschafft er sich entweder Haar, indem er darauf tritt, wenn es geschnitten wird, es auch selbst abschneidet, wenn jener schläft, oder ein bischen Blut, indem er ein Zweiglein mit feiner Spitze von Jatobá, Pindahyba oder Pau de olho nach ihm hinwirft und es dann aufhebt. Dies Haar oder Blut kommt in die Giftkalabasse, die ver- schlossen wird, und sofort erkrankt der ursprüngliche Besitzer. Haar wird an- geblich genommen, »weil dadurch Kopfschmerzen erzeugt werden« — in Wahr- heit wohl deshalb, weil es am bequemsten zu erlangen ist. Hat der Hexenmeister kein Haar oder Blut, so tränkt er ein Pindahybazweiglein oder Wollfädchen mit dem Gift und versteckt es in eine Ritze des Hauses oder unter den Thonfuss, auf dem der Kochtopf steht, oder wirft es heimlich — denn es fliegt sehr weit — nach dem Verfolgten oder schiesst es mit einem Pfeil**) in einen Baum, wo Jener wohnt. Der gute Medizinmann findet es aber häufig, denn er sucht überall und steigt auch in den Baum hinauf, um es herabzuholen, legt es in Wasser und macht es dadurch unschädlich; er erhält dafür von dem Genesenden auch z. B.
*) Dieses Fasten ist auch sehr gut, wenn man es in der Kunst, Fische zu schiessen weit bringen will, und hier genügt es, wenn man einen Monat hindurch nichts als Stärkekleister geniesst. Antonio hat es so gemacht und war mit dem Erfolg sehr zufrieden.
**) Man kann zwischen diesem Zauberpfeil und der den Indianern unbekannten Waffe des Giftpfeils den subtilen Unterschied machen, dass jener nicht eigentlich vergiftet ist, sondern nur das vergiftete Stück befördert.
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[343/0407]
Die Medizinmänner werden als gute und böse unterschieden. Es giebt
ihrer nach Antonio »wenig bei den Bakaïrí und Auetö́, mehr bei den Nahuquá,
viele bei den Mehinakú und zu viele bei den Kamayurá«. Am Paranatinga lebte
zur Zeit keiner. Jedermann kann es werden, es ist nur sehr schwer. »Man
muss sehr viel lernen.« Man soll vier Monate hindurch nur Stärkebrühe trinken *),
kein Salz geniessen und nichts von Fleisch, Fisch oder Früchten essen, man soll
nicht schlafen, sondern sich unaufhörlich mit den Fäusten auf den Schädel
trommeln, sodass die geschwollenen Augen am Morgen heftig schmerzen, viel
baden, sich Arm und Brust blutig kratzen u. s. w. Antonio wollte gern Medizin
studieren, hatte aber Angst vor diesem bösen Semester, Felipe machte in gleichem
Bestreben einen guten Anfang, kam aber nicht zurecht, da er keinen Lehrer
hatte. Die Hauptkunst des fertigen Hexenmeisters bewährt sich im Gebrauch
der Gifte. Mit ihnen tötet er Andere und tötet er auch sich selbst, um
sich in andere Gestalt verwandeln zu können. Wir werden da eine Auffassung
des Todes kennen lernen, an die man sich erst etwas gewöhnen muss, die aber
in unmittelbarster Uebereinstimmung mit dem Leben des Schattens während des
Schlafes steht.
Hören wir zunächst, wie Krankheit und Tod in die Welt kommen trotz des
guten Medizinmanns des eigenen Dorfes, der den bösen des fremden Dorfes nach
Kräften bekämpft. Der böse ist ein schlechter Mensch, den Niemand leiden mag,
weil er tötet, statt zu heilen, er mischt Gift von Wespen, von der Tocandyra-
Ameise und mehr derartigen Tieren mit Oel und Harz von Alsmesca und Pinda-
hyba in einer Kalabasse. Von dem Mann, den er übel will, verschafft er sich
entweder Haar, indem er darauf tritt, wenn es geschnitten wird, es auch selbst
abschneidet, wenn jener schläft, oder ein bischen Blut, indem er ein Zweiglein
mit feiner Spitze von Jatobá, Pindahyba oder Pau de olho nach ihm hinwirft und
es dann aufhebt. Dies Haar oder Blut kommt in die Giftkalabasse, die ver-
schlossen wird, und sofort erkrankt der ursprüngliche Besitzer. Haar wird an-
geblich genommen, »weil dadurch Kopfschmerzen erzeugt werden« — in Wahr-
heit wohl deshalb, weil es am bequemsten zu erlangen ist. Hat der Hexenmeister
kein Haar oder Blut, so tränkt er ein Pindahybazweiglein oder Wollfädchen mit
dem Gift und versteckt es in eine Ritze des Hauses oder unter den Thonfuss,
auf dem der Kochtopf steht, oder wirft es heimlich — denn es fliegt sehr weit
— nach dem Verfolgten oder schiesst es mit einem Pfeil **) in einen Baum, wo
Jener wohnt. Der gute Medizinmann findet es aber häufig, denn er sucht überall
und steigt auch in den Baum hinauf, um es herabzuholen, legt es in Wasser und
macht es dadurch unschädlich; er erhält dafür von dem Genesenden auch z. B.
*) Dieses Fasten ist auch sehr gut, wenn man es in der Kunst, Fische zu schiessen weit
bringen will, und hier genügt es, wenn man einen Monat hindurch nichts als Stärkekleister geniesst.
Antonio hat es so gemacht und war mit dem Erfolg sehr zufrieden.
**) Man kann zwischen diesem Zauberpfeil und der den Indianern unbekannten Waffe des
Giftpfeils den subtilen Unterschied machen, dass jener nicht eigentlich vergiftet ist, sondern nur das
vergiftete Stück befördert.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/407>, abgerufen am 25.11.2024.
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