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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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nur an, wenn sie selbst satt waren, und es waren nicht die besten Beijus, die sie
uns überliessen. Die ewige Unterhaltung auch unter ihnen selbst, ob dieser oder
jener Stamm "kura" sei, zeigte deutlich, dass man nichts weniger als naiv gast-
frei war; es erregte stets die grösste Befriedigung, wenn wir einen Stamm für
"kurapa" erklärten, weil das von unserer Seite bedeutete, dass wir mit jenem
weniger Geschäfte gemacht hätten. Man lobte sich selbst zu stark, als dass der
Empfangende an die reine Tugend des uneigennützigen Wilden hätte glauben
können.

Unsere nüchtern geschäftsmässige Art, der Umtausch von Gegenstand
um Gegenstand, war allen Stämmen im Anfang völlig neu
. Sie lernten
aber rasch. Doch kamen die possierlichsten Ungeheuerlichkeiten vor. Einer raffte
eine Handvoll Mangaven auf und verlangte dann ungestüm ein grosses Messer.
Einer wollte Perlen dafür haben, dass man ihm die Hand verbunden hatte. Nur
wenn man ihnen erklärte, dass man selbst den Gegenstand nur in einem einzigen
Exemplar besitze, wurde man nicht weiter behelligt.

Namen. Der Sohn erhält bald nach der Geburt den Namen des Grossvaters,
Oheims oder eines Vorfahren, nicht den des Vaters. Die Namen sind bei den Bakairi
zum Teil, ich glaube jedoch nur zum kleinen Teil, Tiernamen. Dies sind die ein-
zigen, deren Sinn ich verstehe; so ist Luchu eine Wasserschlange, der Häuptling
Reginaldo am Rio Novo hiess mit seinem einheimischen Namen izana = Kaiman,
ein Alter in Igueti hiess pone = schwarze Piranya. Eine von den Frauen im Parana-
tingadorf hiess makala = Tujujustorch. Die Namen der Männer waren meist ohne
Schwierigkeit zu erfahren; zuweilen ging ein leichtes Sträuben voraus, und man
zog vor, wenn ein Freund die Mitteilung machte. Ein Bakairi hatte angeblich
keinen Namen, weil seine Eltern früh gestorben seien. Von den Frauen am
Kulisehu erhielt ich immer nur die Antwort "ich bin eine Frau"; ich habe aller-
dings versäumt, dritte Personen zu befragen. Die Sitte des Namentausches habe
ich beschrieben, vgl. S. 125 und 129. Sie erklärt, warum die Indianer so wenig
Schwierigkeiten machen, sich der christlichen Taufe zu unterwerfen. Sie verstehen
darunter nur eine Zeremonie, durch die sie ihren alten Namen verlieren.

Geburt und Couvade. Abortieren soll häufig stattfinden. Die Frauen
fürchten sich vor der Niederkunft. Bei den Bakairi machen sie sich einen Thee
aus der Wurzel eines Kampbaumes, namens Perovinha. Wahrscheinlich treten
noch mechanische Prozeduren hinzu. Die Frau kommt in knieender Stellung auf
dem Boden nieder, indem sie sich an einen Pfosten anklammert. Die Hängematte
soll nicht beschmutzt werden. Frauen, die uns dies pantomimisch veranschaulichten
und die es aus Erfahrung wussten, erklärten mit Entschiedenheit, dass die
Schmerzen gross seien. Sie stehen aber bald auf und gehen an die Arbeit und
der Mann macht die berühmte Couvade, das männliche Wochenbett,
durch, indem er strenge Diät hält, die Waffen nicht berührt, und den grössten
Teil der Zeit in der Hängematte verbringt. Bei der Rückkehr sahen wir eine
solche Couvade in Maigeri in Paleko's Haus. Man hatte eine wirkliche Wochen-

nur an, wenn sie selbst satt waren, und es waren nicht die besten Beijús, die sie
uns überliessen. Die ewige Unterhaltung auch unter ihnen selbst, ob dieser oder
jener Stamm „kúra“ sei, zeigte deutlich, dass man nichts weniger als naiv gast-
frei war; es erregte stets die grösste Befriedigung, wenn wir einen Stamm für
kurápa“ erklärten, weil das von unserer Seite bedeutete, dass wir mit jenem
weniger Geschäfte gemacht hätten. Man lobte sich selbst zu stark, als dass der
Empfangende an die reine Tugend des uneigennützigen Wilden hätte glauben
können.

Unsere nüchtern geschäftsmässige Art, der Umtausch von Gegenstand
um Gegenstand, war allen Stämmen im Anfang völlig neu
. Sie lernten
aber rasch. Doch kamen die possierlichsten Ungeheuerlichkeiten vor. Einer raffte
eine Handvoll Mangaven auf und verlangte dann ungestüm ein grosses Messer.
Einer wollte Perlen dafür haben, dass man ihm die Hand verbunden hatte. Nur
wenn man ihnen erklärte, dass man selbst den Gegenstand nur in einem einzigen
Exemplar besitze, wurde man nicht weiter behelligt.

Namen. Der Sohn erhält bald nach der Geburt den Namen des Grossvaters,
Oheims oder eines Vorfahren, nicht den des Vaters. Die Namen sind bei den Bakaïrí
zum Teil, ich glaube jedoch nur zum kleinen Teil, Tiernamen. Dies sind die ein-
zigen, deren Sinn ich verstehe; so ist Luchu eine Wasserschlange, der Häuptling
Reginaldo am Rio Novo hiess mit seinem einheimischen Namen izána = Kaiman,
ein Alter in Igueti hiess póne = schwarze Piranya. Eine von den Frauen im Parana-
tingadorf hiess makála = Tujujústorch. Die Namen der Männer waren meist ohne
Schwierigkeit zu erfahren; zuweilen ging ein leichtes Sträuben voraus, und man
zog vor, wenn ein Freund die Mitteilung machte. Ein Bakaïrí hatte angeblich
keinen Namen, weil seine Eltern früh gestorben seien. Von den Frauen am
Kulisehu erhielt ich immer nur die Antwort »ich bin eine Frau«; ich habe aller-
dings versäumt, dritte Personen zu befragen. Die Sitte des Namentausches habe
ich beschrieben, vgl. S. 125 und 129. Sie erklärt, warum die Indianer so wenig
Schwierigkeiten machen, sich der christlichen Taufe zu unterwerfen. Sie verstehen
darunter nur eine Zeremonie, durch die sie ihren alten Namen verlieren.

Geburt und Couvade. Abortieren soll häufig stattfinden. Die Frauen
fürchten sich vor der Niederkunft. Bei den Bakaïrí machen sie sich einen Thee
aus der Wurzel eines Kampbaumes, namens Perovinha. Wahrscheinlich treten
noch mechanische Prozeduren hinzu. Die Frau kommt in knieender Stellung auf
dem Boden nieder, indem sie sich an einen Pfosten anklammert. Die Hängematte
soll nicht beschmutzt werden. Frauen, die uns dies pantomimisch veranschaulichten
und die es aus Erfahrung wussten, erklärten mit Entschiedenheit, dass die
Schmerzen gross seien. Sie stehen aber bald auf und gehen an die Arbeit und
der Mann macht die berühmte Couvade, das männliche Wochenbett,
durch, indem er strenge Diät hält, die Waffen nicht berührt, und den grössten
Teil der Zeit in der Hängematte verbringt. Bei der Rückkehr sahen wir eine
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[334/0398] nur an, wenn sie selbst satt waren, und es waren nicht die besten Beijús, die sie uns überliessen. Die ewige Unterhaltung auch unter ihnen selbst, ob dieser oder jener Stamm „kúra“ sei, zeigte deutlich, dass man nichts weniger als naiv gast- frei war; es erregte stets die grösste Befriedigung, wenn wir einen Stamm für „kurápa“ erklärten, weil das von unserer Seite bedeutete, dass wir mit jenem weniger Geschäfte gemacht hätten. Man lobte sich selbst zu stark, als dass der Empfangende an die reine Tugend des uneigennützigen Wilden hätte glauben können. Unsere nüchtern geschäftsmässige Art, der Umtausch von Gegenstand um Gegenstand, war allen Stämmen im Anfang völlig neu. Sie lernten aber rasch. Doch kamen die possierlichsten Ungeheuerlichkeiten vor. Einer raffte eine Handvoll Mangaven auf und verlangte dann ungestüm ein grosses Messer. Einer wollte Perlen dafür haben, dass man ihm die Hand verbunden hatte. Nur wenn man ihnen erklärte, dass man selbst den Gegenstand nur in einem einzigen Exemplar besitze, wurde man nicht weiter behelligt. Namen. Der Sohn erhält bald nach der Geburt den Namen des Grossvaters, Oheims oder eines Vorfahren, nicht den des Vaters. Die Namen sind bei den Bakaïrí zum Teil, ich glaube jedoch nur zum kleinen Teil, Tiernamen. Dies sind die ein- zigen, deren Sinn ich verstehe; so ist Luchu eine Wasserschlange, der Häuptling Reginaldo am Rio Novo hiess mit seinem einheimischen Namen izána = Kaiman, ein Alter in Igueti hiess póne = schwarze Piranya. Eine von den Frauen im Parana- tingadorf hiess makála = Tujujústorch. Die Namen der Männer waren meist ohne Schwierigkeit zu erfahren; zuweilen ging ein leichtes Sträuben voraus, und man zog vor, wenn ein Freund die Mitteilung machte. Ein Bakaïrí hatte angeblich keinen Namen, weil seine Eltern früh gestorben seien. Von den Frauen am Kulisehu erhielt ich immer nur die Antwort »ich bin eine Frau«; ich habe aller- dings versäumt, dritte Personen zu befragen. Die Sitte des Namentausches habe ich beschrieben, vgl. S. 125 und 129. Sie erklärt, warum die Indianer so wenig Schwierigkeiten machen, sich der christlichen Taufe zu unterwerfen. Sie verstehen darunter nur eine Zeremonie, durch die sie ihren alten Namen verlieren. Geburt und Couvade. Abortieren soll häufig stattfinden. Die Frauen fürchten sich vor der Niederkunft. Bei den Bakaïrí machen sie sich einen Thee aus der Wurzel eines Kampbaumes, namens Perovinha. Wahrscheinlich treten noch mechanische Prozeduren hinzu. Die Frau kommt in knieender Stellung auf dem Boden nieder, indem sie sich an einen Pfosten anklammert. Die Hängematte soll nicht beschmutzt werden. Frauen, die uns dies pantomimisch veranschaulichten und die es aus Erfahrung wussten, erklärten mit Entschiedenheit, dass die Schmerzen gross seien. Sie stehen aber bald auf und gehen an die Arbeit und der Mann macht die berühmte Couvade, das männliche Wochenbett, durch, indem er strenge Diät hält, die Waffen nicht berührt, und den grössten Teil der Zeit in der Hängematte verbringt. Bei der Rückkehr sahen wir eine solche Couvade in Maigéri in Paleko’s Haus. Man hatte eine wirkliche Wochen-

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/398>, abgerufen am 19.05.2024.