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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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weil sie dem Gesicht entsprechend längsovale Stellung haben; man denke sich
die Piava des Fischmakanari Seite 303 horizontal und man wird empfinden, erstens,
dass dadurch der Fisch beengt wäre, zweitens, dass das Durchschwimmen des
Gesichts wegen des Widerspruchs gegen die Hauptrichtung geradezu unnatürlich
aussähe. Ein Blick auf Fenster- und Thüreinteilung zeigt für uns dasselbe
Bedürfnis.

Es wurden also Netz und Fische mit stehenden Rauten auf die längsovale
Maske gemalt. Man gehe die grosse Anzahl der mit dem Mereschu-Muster aus-
gestatteten Masken-Abbildungen durch: überall dieselbe Stellung. Wir haben
nur eine Ausnahme gesehen und sie bestätigt die Regel eher als dass sie ihr zu-
widerläuft. Dies ist eine Trumai-Maske. Allein die guten Trumai haben die
Masken von den Kamayura entlehnt, wie sie die Baumwolle und die Siebmatte
bei ihnen kennen gelernt haben und mit den Tupinamen bezeichnen. Sie haben
den Entwicklungsgang nicht mitgemacht.

Wir verstehen jetzt auch den engen Zusammenhang zwischen Netz und
Mereschu-Fisch und die Massenhaftigkeit der Vorführung grade dieses Fisches.
In jede Masche zeichnete man einen Fisch, der klein sein musste, da er sonst
an den Platz nicht passte, der auch dieselbe rhomboide Gestalt hatte wie die
Netzmasche. Wir verstehen endlich, wie bei der zierlichen Arbeit die Darstellung
von Kopf, Flossen und Schwanz zur Ausfüllung der Eckchen wurde. Kurz, es
stimmt Alles so vortrefflich sowohl für das Muster wie für den Entwicklungsgang
der Masken, dass ich den Beweis, soweit er überhaupt möglich ist, für erbracht
ansehe.

Das Muster ist heute rein ornamental geworden. Zwischen den Mandioka-
Grabhölzern und dem kleinen Lagunenfisch giebt es keinen direkten innern Zu-
sammenhang. Indessen wird man Eins zugestehen müssen. Die Bedeutung des
Fischchens wuchs über seine ursprüngliche weit hinaus, weil es an die fröhlichen
Festtage erinnerte; alle Industrie bemächtigte sich seiner, die mit Trinken,
Schmausen und Schmücken zu thun hatte. So hatte es seinen guten Sinn,
wenn die grossen Kürbisse und Kalabassen, in denen der Pogu kredenzt wird,
wenn die Beijuwender, mit denen das gastliche Gebäck an solchen Tagen uner-
müdlich umgedreht wird, wenn die Kuyen, in denen die prächtigen Federn auf-
bewahrt wurden, wenn die zum Tanz geschwungenen Rasselkürbisse, wenn die
Spinnwirtel, mit denen der Faden für die Gewebmasken gesponnen wurde, wenn
alle diese und ähnliche Sachen mit dem Mereschu-Fisch verziert wurden. Der
Ursprung der Ausschmückung liegt in einem motivierten Gefühl, und erst, wenn
dessen Manifestationen zahlreich und trivial geworden sind, sieht kein Mensch
mehr etwas Anderes als Figur und Farbe. Die Lieblingsbildnisse unseres Volks
kommen schliesslich auf die bunten Taschentücher. Das Mereschu-Muster hat
sich von Stamm zu Stamm verbreiten und überall einbürgern können, gerade
weil es aus den Festtänzen, zu denen sich die Stämme vereinigten, hervor-
gewachsen ist,


weil sie dem Gesicht entsprechend längsovale Stellung haben; man denke sich
die Piava des Fischmakanari Seite 303 horizontal und man wird empfinden, erstens,
dass dadurch der Fisch beengt wäre, zweitens, dass das Durchschwimmen des
Gesichts wegen des Widerspruchs gegen die Hauptrichtung geradezu unnatürlich
aussähe. Ein Blick auf Fenster- und Thüreinteilung zeigt für uns dasselbe
Bedürfnis.

Es wurden also Netz und Fische mit stehenden Rauten auf die längsovale
Maske gemalt. Man gehe die grosse Anzahl der mit dem Mereschu-Muster aus-
gestatteten Masken-Abbildungen durch: überall dieselbe Stellung. Wir haben
nur eine Ausnahme gesehen und sie bestätigt die Regel eher als dass sie ihr zu-
widerläuft. Dies ist eine Trumaí-Maske. Allein die guten Trumaí haben die
Masken von den Kamayurá entlehnt, wie sie die Baumwolle und die Siebmatte
bei ihnen kennen gelernt haben und mit den Tupínamen bezeichnen. Sie haben
den Entwicklungsgang nicht mitgemacht.

Wir verstehen jetzt auch den engen Zusammenhang zwischen Netz und
Mereschu-Fisch und die Massenhaftigkeit der Vorführung grade dieses Fisches.
In jede Masche zeichnete man einen Fisch, der klein sein musste, da er sonst
an den Platz nicht passte, der auch dieselbe rhomboide Gestalt hatte wie die
Netzmasche. Wir verstehen endlich, wie bei der zierlichen Arbeit die Darstellung
von Kopf, Flossen und Schwanz zur Ausfüllung der Eckchen wurde. Kurz, es
stimmt Alles so vortrefflich sowohl für das Muster wie für den Entwicklungsgang
der Masken, dass ich den Beweis, soweit er überhaupt möglich ist, für erbracht
ansehe.

Das Muster ist heute rein ornamental geworden. Zwischen den Mandioka-
Grabhölzern und dem kleinen Lagunenfisch giebt es keinen direkten innern Zu-
sammenhang. Indessen wird man Eins zugestehen müssen. Die Bedeutung des
Fischchens wuchs über seine ursprüngliche weit hinaus, weil es an die fröhlichen
Festtage erinnerte; alle Industrie bemächtigte sich seiner, die mit Trinken,
Schmausen und Schmücken zu thun hatte. So hatte es seinen guten Sinn,
wenn die grossen Kürbisse und Kalabassen, in denen der Pogu kredenzt wird,
wenn die Beijúwender, mit denen das gastliche Gebäck an solchen Tagen uner-
müdlich umgedreht wird, wenn die Kuyen, in denen die prächtigen Federn auf-
bewahrt wurden, wenn die zum Tanz geschwungenen Rasselkürbisse, wenn die
Spinnwirtel, mit denen der Faden für die Gewebmasken gesponnen wurde, wenn
alle diese und ähnliche Sachen mit dem Mereschu-Fisch verziert wurden. Der
Ursprung der Ausschmückung liegt in einem motivierten Gefühl, und erst, wenn
dessen Manifestationen zahlreich und trivial geworden sind, sieht kein Mensch
mehr etwas Anderes als Figur und Farbe. Die Lieblingsbildnisse unseres Volks
kommen schliesslich auf die bunten Taschentücher. Das Mereschu-Muster hat
sich von Stamm zu Stamm verbreiten und überall einbürgern können, gerade
weil es aus den Festtänzen, zu denen sich die Stämme vereinigten, hervor-
gewachsen ist,


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[322/0386] weil sie dem Gesicht entsprechend längsovale Stellung haben; man denke sich die Piava des Fischmakanari Seite 303 horizontal und man wird empfinden, erstens, dass dadurch der Fisch beengt wäre, zweitens, dass das Durchschwimmen des Gesichts wegen des Widerspruchs gegen die Hauptrichtung geradezu unnatürlich aussähe. Ein Blick auf Fenster- und Thüreinteilung zeigt für uns dasselbe Bedürfnis. Es wurden also Netz und Fische mit stehenden Rauten auf die längsovale Maske gemalt. Man gehe die grosse Anzahl der mit dem Mereschu-Muster aus- gestatteten Masken-Abbildungen durch: überall dieselbe Stellung. Wir haben nur eine Ausnahme gesehen und sie bestätigt die Regel eher als dass sie ihr zu- widerläuft. Dies ist eine Trumaí-Maske. Allein die guten Trumaí haben die Masken von den Kamayurá entlehnt, wie sie die Baumwolle und die Siebmatte bei ihnen kennen gelernt haben und mit den Tupínamen bezeichnen. Sie haben den Entwicklungsgang nicht mitgemacht. Wir verstehen jetzt auch den engen Zusammenhang zwischen Netz und Mereschu-Fisch und die Massenhaftigkeit der Vorführung grade dieses Fisches. In jede Masche zeichnete man einen Fisch, der klein sein musste, da er sonst an den Platz nicht passte, der auch dieselbe rhomboide Gestalt hatte wie die Netzmasche. Wir verstehen endlich, wie bei der zierlichen Arbeit die Darstellung von Kopf, Flossen und Schwanz zur Ausfüllung der Eckchen wurde. Kurz, es stimmt Alles so vortrefflich sowohl für das Muster wie für den Entwicklungsgang der Masken, dass ich den Beweis, soweit er überhaupt möglich ist, für erbracht ansehe. Das Muster ist heute rein ornamental geworden. Zwischen den Mandioka- Grabhölzern und dem kleinen Lagunenfisch giebt es keinen direkten innern Zu- sammenhang. Indessen wird man Eins zugestehen müssen. Die Bedeutung des Fischchens wuchs über seine ursprüngliche weit hinaus, weil es an die fröhlichen Festtage erinnerte; alle Industrie bemächtigte sich seiner, die mit Trinken, Schmausen und Schmücken zu thun hatte. So hatte es seinen guten Sinn, wenn die grossen Kürbisse und Kalabassen, in denen der Pogu kredenzt wird, wenn die Beijúwender, mit denen das gastliche Gebäck an solchen Tagen uner- müdlich umgedreht wird, wenn die Kuyen, in denen die prächtigen Federn auf- bewahrt wurden, wenn die zum Tanz geschwungenen Rasselkürbisse, wenn die Spinnwirtel, mit denen der Faden für die Gewebmasken gesponnen wurde, wenn alle diese und ähnliche Sachen mit dem Mereschu-Fisch verziert wurden. Der Ursprung der Ausschmückung liegt in einem motivierten Gefühl, und erst, wenn dessen Manifestationen zahlreich und trivial geworden sind, sieht kein Mensch mehr etwas Anderes als Figur und Farbe. Die Lieblingsbildnisse unseres Volks kommen schliesslich auf die bunten Taschentücher. Das Mereschu-Muster hat sich von Stamm zu Stamm verbreiten und überall einbürgern können, gerade weil es aus den Festtänzen, zu denen sich die Stämme vereinigten, hervor- gewachsen ist,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/386>, abgerufen am 19.05.2024.