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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Erstaunen sahen wir dort zwei Fische in den Sand gezeichnet, die Antonio für
Matrinchams erklärte. Wir machten Halt fischten und fingen auch Matrinchams!
Es war so gut als ob das Wort dort angeschrieben gewesen wäre, und eine
Antonio mit voller Absicht übermittelte Aufforderung, dort ebenfalls sein
Glück zu versuchen. Unklarer als dieses lehrreiche Beispiel ist mir ein anderer
Fall geblieben. Ziemlich genau in der Mitte des Weges zwischen dem Hafen
und der Ortschaft der Mehinaku fand ich einen Rochen und einen Pakufisch in

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 34.

Matrincham-Sandzeichnung.

den Sand gezeichnet. Der schmale Waldpfad
erweiterte sich an dieser Stelle zu einer kleinen
kreisförmigen Fläche. Meine Begleiter, zwei Ba-
kairi, setzten sich sofort nieder, auszuruhen. Ich
weiss nicht, ob ein müder Wanderer vor uns, der
dort auf der Heimkehr vom Fluss verweilt, die
beiden Tiere zum blossen Zeitvertreib oder, weil
er gerade mit Rochen und Pakus zu thun gehabt,
[Abbildung]
[Abbildung] [Abbildung] Abb. 35.

Rochen- und Paku-Sandzeichnung.


so säuberlich hingezeichnet hatte, und
finde es offen gestanden ziemlich
gleichgültig, ob zufällig das Eine oder
das Andere zutrifft.

Noch unerklärlicher nach ihrem
genauen Sinn war die in den Sand
gezeichnete Kreisfigur, die in der Ab-

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[Abbildung] Abb. 36.

Sandzeichnung der
Mehinaku
. ( nat. Gr.)

bildung 36 wiedergegeben ist, und die sich unter
einem schönen Baum etwa einen halben Kilometer
vor dem Mehinakudorf befand. Sie wurde aturua ge-
nannt und hatte 41/2 m Durchmesser. Als wir das
Dorf in Begleitung mehrerer Männer verliessen, machten
sie innerhalb des Kreises einen Rundgang beiderseits
bis dicht an das Maschenwerk und sangen ka a a ...;
auch Spuren früherer Rundgänge waren reichlich vor-
handen. Da die Männer an dieser Stelle umkehren
wollten und von den Frauen sprachen, handelte es
sich wohl hier an der Waldgrenze oder ein Viertel-
stündchen von Hause um eine Beziehung zu Ankunft oder Abschied der Gäste. Das
Maschenwerk der Zeichnung war dem Dorf zugewandt. Die beiden Bogen kommen
ähnlich als Tätowiermuster und aussen auf dem Boden der grossen Töpfe der Mehinaku
(vgl. die Tafel 15) vor. In meinem Tagebuch habe ich die Figur einige Tage früher
abgezeichnet, als mein Vetter sie gesehen hat; dort sind an Stelle des kleinen Zentral-
kreises mit den beiden Stützen zwei Kreise abgebildet, die sich berühren, der untere
ist etwas grösser und geht in das Netz über, man könnte an Kopf und Leib denken.

Die Bororo, die ich hier bereits anschliesse, lieferten nicht nur rein erläuternde,
sondern auch schon halb künstlerische Darstellungen im Sand, deren wir am Schingu

Erstaunen sahen wir dort zwei Fische in den Sand gezeichnet, die Antonio für
Matrinchams erklärte. Wir machten Halt fischten und fingen auch Matrinchams!
Es war so gut als ob das Wort dort angeschrieben gewesen wäre, und eine
Antonio mit voller Absicht übermittelte Aufforderung, dort ebenfalls sein
Glück zu versuchen. Unklarer als dieses lehrreiche Beispiel ist mir ein anderer
Fall geblieben. Ziemlich genau in der Mitte des Weges zwischen dem Hafen
und der Ortschaft der Mehinakú fand ich einen Rochen und einen Pakúfisch in

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[Abbildung] Abb. 34.

Matrincham-Sandzeichnung.

den Sand gezeichnet. Der schmale Waldpfad
erweiterte sich an dieser Stelle zu einer kleinen
kreisförmigen Fläche. Meine Begleiter, zwei Ba-
kaïrí, setzten sich sofort nieder, auszuruhen. Ich
weiss nicht, ob ein müder Wanderer vor uns, der
dort auf der Heimkehr vom Fluss verweilt, die
beiden Tiere zum blossen Zeitvertreib oder, weil
er gerade mit Rochen und Pakús zu thun gehabt,
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[Abbildung] [Abbildung] Abb. 35.

Rochen- und Pakú-Sandzeichnung.


so säuberlich hingezeichnet hatte, und
finde es offen gestanden ziemlich
gleichgültig, ob zufällig das Eine oder
das Andere zutrifft.

Noch unerklärlicher nach ihrem
genauen Sinn war die in den Sand
gezeichnete Kreisfigur, die in der Ab-

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[Abbildung] Abb. 36.

Sandzeichnung der
Mehinakú
. ( nat. Gr.)

bildung 36 wiedergegeben ist, und die sich unter
einem schönen Baum etwa einen halben Kilometer
vor dem Mehinakúdorf befand. Sie wurde aturuá ge-
nannt und hatte 4½ m Durchmesser. Als wir das
Dorf in Begleitung mehrerer Männer verliessen, machten
sie innerhalb des Kreises einen Rundgang beiderseits
bis dicht an das Maschenwerk und sangen ka ā ā …;
auch Spuren früherer Rundgänge waren reichlich vor-
handen. Da die Männer an dieser Stelle umkehren
wollten und von den Frauen sprachen, handelte es
sich wohl hier an der Waldgrenze oder ein Viertel-
stündchen von Hause um eine Beziehung zu Ankunft oder Abschied der Gäste. Das
Maschenwerk der Zeichnung war dem Dorf zugewandt. Die beiden Bogen kommen
ähnlich als Tätowiermuster und aussen auf dem Boden der grossen Töpfe der Mehinakú
(vgl. die Tafel 15) vor. In meinem Tagebuch habe ich die Figur einige Tage früher
abgezeichnet, als mein Vetter sie gesehen hat; dort sind an Stelle des kleinen Zentral-
kreises mit den beiden Stützen zwei Kreise abgebildet, die sich berühren, der untere
ist etwas grösser und geht in das Netz über, man könnte an Kopf und Leib denken.

Die Bororó, die ich hier bereits anschliesse, lieferten nicht nur rein erläuternde,
sondern auch schon halb künstlerische Darstellungen im Sand, deren wir am Schingú

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[248/0294] Erstaunen sahen wir dort zwei Fische in den Sand gezeichnet, die Antonio für Matrinchams erklärte. Wir machten Halt fischten und fingen auch Matrinchams! Es war so gut als ob das Wort dort angeschrieben gewesen wäre, und eine Antonio mit voller Absicht übermittelte Aufforderung, dort ebenfalls sein Glück zu versuchen. Unklarer als dieses lehrreiche Beispiel ist mir ein anderer Fall geblieben. Ziemlich genau in der Mitte des Weges zwischen dem Hafen und der Ortschaft der Mehinakú fand ich einen Rochen und einen Pakúfisch in [Abbildung] [Abbildung Abb. 34. Matrincham-Sandzeichnung.] den Sand gezeichnet. Der schmale Waldpfad erweiterte sich an dieser Stelle zu einer kleinen kreisförmigen Fläche. Meine Begleiter, zwei Ba- kaïrí, setzten sich sofort nieder, auszuruhen. Ich weiss nicht, ob ein müder Wanderer vor uns, der dort auf der Heimkehr vom Fluss verweilt, die beiden Tiere zum blossen Zeitvertreib oder, weil er gerade mit Rochen und Pakús zu thun gehabt, [Abbildung] [Abbildung] [Abbildung Abb. 35. Rochen- und Pakú-Sandzeichnung.] so säuberlich hingezeichnet hatte, und finde es offen gestanden ziemlich gleichgültig, ob zufällig das Eine oder das Andere zutrifft. Noch unerklärlicher nach ihrem genauen Sinn war die in den Sand gezeichnete Kreisfigur, die in der Ab- [Abbildung] [Abbildung Abb. 36. Sandzeichnung der Mehinakú. ([FORMEL] nat. Gr.)] bildung 36 wiedergegeben ist, und die sich unter einem schönen Baum etwa einen halben Kilometer vor dem Mehinakúdorf befand. Sie wurde aturuá ge- nannt und hatte 4½ m Durchmesser. Als wir das Dorf in Begleitung mehrerer Männer verliessen, machten sie innerhalb des Kreises einen Rundgang beiderseits bis dicht an das Maschenwerk und sangen ka ā ā …; auch Spuren früherer Rundgänge waren reichlich vor- handen. Da die Männer an dieser Stelle umkehren wollten und von den Frauen sprachen, handelte es sich wohl hier an der Waldgrenze oder ein Viertel- stündchen von Hause um eine Beziehung zu Ankunft oder Abschied der Gäste. Das Maschenwerk der Zeichnung war dem Dorf zugewandt. Die beiden Bogen kommen ähnlich als Tätowiermuster und aussen auf dem Boden der grossen Töpfe der Mehinakú (vgl. die Tafel 15) vor. In meinem Tagebuch habe ich die Figur einige Tage früher abgezeichnet, als mein Vetter sie gesehen hat; dort sind an Stelle des kleinen Zentral- kreises mit den beiden Stützen zwei Kreise abgebildet, die sich berühren, der untere ist etwas grösser und geht in das Netz über, man könnte an Kopf und Leib denken. Die Bororó, die ich hier bereits anschliesse, lieferten nicht nur rein erläuternde, sondern auch schon halb künstlerische Darstellungen im Sand, deren wir am Schingú

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/294>, abgerufen am 15.05.2024.