Da aber der vorliegende Bericht auf die Schilderung unserer Schingu-Ergeb- nisse abzielt, möchte ich dem freundlichen Leser nicht dieselbe Verzögerung zu- muten, die wir von den Sambakis erfahren haben.*) Ich müsste ihn sonst auch bitten, uns in die deutschen Kolonien zu begleiten, über die sich die Reisege- fährten in verschiedenen Richtungen während des April und der ersten Hälfte des Mai zerstreuten. Unser vortrefflicher Freund Ernesto Vahl in Desterro stattete uns mit wertvollen Empfehlungen aus und unterstützte eifrig unsere Propaganda zu Gunsten des Berliner Museums für Völkerkunde. In seiner Ge- sellschaft durchritten Ehrenreich und ich ein paar ebenso fröhliche wie lehrreiche Tage die Kreuz und Quer das liebliche Revier von Blumenau; der "Immigrant" veröffentlichte einen Aufruf von mir, wir organisirten Sammelstellen und ritten von Gehöft zu Gehöft, wo immer wir einen Landsmann im Verdacht hatten, dass er auf alten Steinbeilklingen seine Messer schleife oder mit einer der prächtigen Steinkeulen, die häufig beim Ausroden der Pflanzungen gefunden werden, pietät- los Kaffeebohnen stampfe. Und Abends buk Mutter Lungershausen Kartoffel- puffer aus Mandiokamehl, tranken wir "Nationalbier" und fühlten uns inmitten aller der treuherzigen, ehrenfesten Gesichter so zu Hause, dass wir den Gedanken, im Kaiserreich Brasilien zu sein, kaum fassen konnten. Dort weilte aber auch eine Zierde der deutschen**) Wissenschaft, der "naturalista" Dr. Fritz Müller, dessen Wert nur von seiner Anspruchlosigkeit und Bescheidenheit übertroffen wird; die Spaziergänge im "Urwald" von Blumenau, auf denen uns der verehrungs- würdige, jugendlich lebhafte Greis an seinem innigen Verkehr mit der Natur teil- nehmen liess, sind eine meiner edelsten Reiseerinnerungen.
Vogel und mein Vetter durchstreiften fünf Wochen meist zu Fuss die südlicher gelegenen Kolonien, deutsche wie italienische. Sie besuchten die etwas zweifelhaften Kohlenminen am Fuss der "Serra", erkletterten das Hochplateau mit seinem Araukarienwald, wo sie bei einer Temperatur, deren sie sich im Land des südlichen Kreuzes nicht versehen hätten, von vier Grad Kälte im Freien kampiren mussten, und stiegen wieder in das Tiefland hinab. Sie fuhren mit der Bahn nach Laguna und entschieden sich, an der Küste entlang nach Porto Alegre zu reiten. Sie waren jedoch noch nicht drei Tage unterwegs, als sie am 16. Mai in der Kolonie Ararangua zu ihrem Schmerz mein nichtsdestoweniger freudiges Telegramm erhielten, dass der langersehnte Dampfer endlich in Sicht sei.
Am 24. Mai waren wir wieder alle in Desterro vereinigt und Pfingstmontag den 29., nachdem wir gerade noch Zeit gefunden hatten, unsere Sambaki-Sammlung zu ordnen und nach Berlin zu entsenden, sagten wir der malerischen Bucht von
*) Eine vorläufige Mittheilung über unsere Arbeiten enthält ein Reisebrief an Herrn Geh. Rath Virchow in den Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft. Vergl. Sitzung vom 16. Juli 1887.
**) Ich würde sagen der "brasilischen" Wissenschaft, wenn die neue Regierung seines Adoptiv- vaterlandes, dem er seit 1852 angehört, nicht mittlerweile auf seine Dienste verzichtet und ihn des keineswegs überreichlich besoldeten Amtes als "naturalista viajante" des Museums in Rio enthoben hätte.
Da aber der vorliegende Bericht auf die Schilderung unserer Schingú-Ergeb- nisse abzielt, möchte ich dem freundlichen Leser nicht dieselbe Verzögerung zu- muten, die wir von den Sambakís erfahren haben.*) Ich müsste ihn sonst auch bitten, uns in die deutschen Kolonien zu begleiten, über die sich die Reisege- fährten in verschiedenen Richtungen während des April und der ersten Hälfte des Mai zerstreuten. Unser vortrefflicher Freund Ernesto Vahl in Desterro stattete uns mit wertvollen Empfehlungen aus und unterstützte eifrig unsere Propaganda zu Gunsten des Berliner Museums für Völkerkunde. In seiner Ge- sellschaft durchritten Ehrenreich und ich ein paar ebenso fröhliche wie lehrreiche Tage die Kreuz und Quer das liebliche Revier von Blumenau; der »Immigrant« veröffentlichte einen Aufruf von mir, wir organisirten Sammelstellen und ritten von Gehöft zu Gehöft, wo immer wir einen Landsmann im Verdacht hatten, dass er auf alten Steinbeilklingen seine Messer schleife oder mit einer der prächtigen Steinkeulen, die häufig beim Ausroden der Pflanzungen gefunden werden, pietät- los Kaffeebohnen stampfe. Und Abends buk Mutter Lungershausen Kartoffel- puffer aus Mandiokamehl, tranken wir »Nationalbier« und fühlten uns inmitten aller der treuherzigen, ehrenfesten Gesichter so zu Hause, dass wir den Gedanken, im Kaiserreich Brasilien zu sein, kaum fassen konnten. Dort weilte aber auch eine Zierde der deutschen**) Wissenschaft, der »naturalista« Dr. Fritz Müller, dessen Wert nur von seiner Anspruchlosigkeit und Bescheidenheit übertroffen wird; die Spaziergänge im »Urwald« von Blumenau, auf denen uns der verehrungs- würdige, jugendlich lebhafte Greis an seinem innigen Verkehr mit der Natur teil- nehmen liess, sind eine meiner edelsten Reiseerinnerungen.
Vogel und mein Vetter durchstreiften fünf Wochen meist zu Fuss die südlicher gelegenen Kolonien, deutsche wie italienische. Sie besuchten die etwas zweifelhaften Kohlenminen am Fuss der „Serra“, erkletterten das Hochplateau mit seinem Araukarienwald, wo sie bei einer Temperatur, deren sie sich im Land des südlichen Kreuzes nicht versehen hätten, von vier Grad Kälte im Freien kampiren mussten, und stiegen wieder in das Tiefland hinab. Sie fuhren mit der Bahn nach Laguna und entschieden sich, an der Küste entlang nach Porto Alegre zu reiten. Sie waren jedoch noch nicht drei Tage unterwegs, als sie am 16. Mai in der Kolonie Ararangua zu ihrem Schmerz mein nichtsdestoweniger freudiges Telegramm erhielten, dass der langersehnte Dampfer endlich in Sicht sei.
Am 24. Mai waren wir wieder alle in Desterro vereinigt und Pfingstmontag den 29., nachdem wir gerade noch Zeit gefunden hatten, unsere Sambakí-Sammlung zu ordnen und nach Berlin zu entsenden, sagten wir der malerischen Bucht von
*) Eine vorläufige Mittheilung über unsere Arbeiten enthält ein Reisebrief an Herrn Geh. Rath Virchow in den Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft. Vergl. Sitzung vom 16. Juli 1887.
**) Ich würde sagen der „brasilischen“ Wissenschaft, wenn die neue Regierung seines Adoptiv- vaterlandes, dem er seit 1852 angehört, nicht mittlerweile auf seine Dienste verzichtet und ihn des keineswegs überreichlich besoldeten Amtes als „naturalista viajante“ des Museums in Rio enthoben hätte.
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Da aber der vorliegende Bericht auf die Schilderung unserer Schingú-Ergeb-
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muten, die wir von den Sambakís erfahren haben. *) Ich müsste ihn sonst auch
bitten, uns in die deutschen Kolonien zu begleiten, über die sich die Reisege-
fährten in verschiedenen Richtungen während des April und der ersten Hälfte
des Mai zerstreuten. Unser vortrefflicher Freund Ernesto Vahl in Desterro
stattete uns mit wertvollen Empfehlungen aus und unterstützte eifrig unsere
Propaganda zu Gunsten des Berliner Museums für Völkerkunde. In seiner Ge-
sellschaft durchritten Ehrenreich und ich ein paar ebenso fröhliche wie lehrreiche
Tage die Kreuz und Quer das liebliche Revier von Blumenau; der »Immigrant«
veröffentlichte einen Aufruf von mir, wir organisirten Sammelstellen und ritten
von Gehöft zu Gehöft, wo immer wir einen Landsmann im Verdacht hatten, dass
er auf alten Steinbeilklingen seine Messer schleife oder mit einer der prächtigen
Steinkeulen, die häufig beim Ausroden der Pflanzungen gefunden werden, pietät-
los Kaffeebohnen stampfe. Und Abends buk Mutter Lungershausen Kartoffel-
puffer aus Mandiokamehl, tranken wir »Nationalbier« und fühlten uns inmitten
aller der treuherzigen, ehrenfesten Gesichter so zu Hause, dass wir den Gedanken,
im Kaiserreich Brasilien zu sein, kaum fassen konnten. Dort weilte aber auch
eine Zierde der deutschen **) Wissenschaft, der »naturalista« Dr. Fritz Müller,
dessen Wert nur von seiner Anspruchlosigkeit und Bescheidenheit übertroffen wird;
die Spaziergänge im »Urwald« von Blumenau, auf denen uns der verehrungs-
würdige, jugendlich lebhafte Greis an seinem innigen Verkehr mit der Natur teil-
nehmen liess, sind eine meiner edelsten Reiseerinnerungen.
Vogel und mein Vetter durchstreiften fünf Wochen meist zu Fuss die
südlicher gelegenen Kolonien, deutsche wie italienische. Sie besuchten die etwas
zweifelhaften Kohlenminen am Fuss der „Serra“, erkletterten das Hochplateau
mit seinem Araukarienwald, wo sie bei einer Temperatur, deren sie sich im Land
des südlichen Kreuzes nicht versehen hätten, von vier Grad Kälte im Freien
kampiren mussten, und stiegen wieder in das Tiefland hinab. Sie fuhren mit der
Bahn nach Laguna und entschieden sich, an der Küste entlang nach Porto Alegre
zu reiten. Sie waren jedoch noch nicht drei Tage unterwegs, als sie am 16. Mai
in der Kolonie Ararangua zu ihrem Schmerz mein nichtsdestoweniger freudiges
Telegramm erhielten, dass der langersehnte Dampfer endlich in Sicht sei.
Am 24. Mai waren wir wieder alle in Desterro vereinigt und Pfingstmontag
den 29., nachdem wir gerade noch Zeit gefunden hatten, unsere Sambakí-Sammlung
zu ordnen und nach Berlin zu entsenden, sagten wir der malerischen Bucht von
*) Eine vorläufige Mittheilung über unsere Arbeiten enthält ein Reisebrief an Herrn Geh. Rath
Virchow in den Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft. Vergl. Sitzung vom
16. Juli 1887.
**) Ich würde sagen der „brasilischen“ Wissenschaft, wenn die neue Regierung seines Adoptiv-
vaterlandes, dem er seit 1852 angehört, nicht mittlerweile auf seine Dienste verzichtet und ihn des
keineswegs überreichlich besoldeten Amtes als „naturalista viajante“ des Museums in Rio enthoben hätte.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/26>, abgerufen am 15.09.2024.
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