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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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in Aachen als Diabas bestimmt, ein aus Augit, Plagioklas, Glimmer, Chlorit und
Magneteisen zusammengesetztes Gestein, in dem einzelne Krystalle von Olivin und
ziemlich viele Quarzkörner eingelagert sind. Die Klingen, 11--21 cm lang, sind
meist flach zilindrisch, einige in der Mitte walzenrund, verjüngen sich nach hinten
und enden vorn breit mit bogenförmiger Schneide. Sie sitzen ohne jede Um-
schnürung in einem durchschnittlich 0,5 m langen Holzgriff, der aus einem
zilindrischen quer durchbohrten Oberstück und einem dünneren, von diesem wie ein
Schilfrohr von seinem Kolben abgesetzten Stiel besteht. Aus demselben Diabas

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 21.

Quirl-
bohrer
.*)
(1/2 nat. Gr.)

sind die in die am Wurfpfeile eingelassenen Steinspitzen und die
Schmucksteine der Halsketten. Die Trumai schliffen ihren Steinen die
Klinge an, und durchbohrten, wie ausser ihnen nur die benachbarten
Yaulapiti, die Schmucksteine. Die übrigen Stämme schliffen nur die
stumpf gewordenen Beile im Flusssandstein zu. Muscheln und Steine
wurden mit einem Quirlbohrer durchbohrt. An einem Stöckchen war,
und zwar an beiden Enden, damit man wechseln konnte, ein dreieckiges
hartes Steinsplitterchen eingeklemmt und durch Fadenumschnürung ge-
sichert. Das Stöckchen war nahezu 1/2 m lang und wurde zwischen
den Händen gequirlt. Wurde Stein durchbohrt, so setzte man Sand zu.
Das ist Alles, was die Indianer in der Bearbeitung von Stein leisteten,
sie hatten keine dreieckigen Pfeilspitzen aus Stein, keine Steinmesser,
keine Kelte, keine Steinsägen, keine Schaber u. s. w. Ich schlug bei
den Bakairi zwei Stücke eisenhaltigen Sandsteins gegeneinander, dass
Funken hervorsprühten, und sah zu meinem Erstaunen, dass sie die Er-
scheinung nicht kannten. Sie waren Neolithiker, die von der paläo-
lithischen Zunft manches nützliche Handwerksgeheimnis hätten lernen
können.

Ich wage nicht zu sagen, die Schingu-Indianer lebten in der
"Zahnzeit", "Muschelzeit" oder "Holzzeit", obwohl in der That die
grosse Mehrzahl von Waffen, Werkzeugen, Geräten, Schmuck aus
Zähnen, Muscheln und Holz zusammengesetzt ist, und sie das Feuer
durch Reiben von Hölzern erzeugten. Ich wage dies nicht einmal in Be-
treff der ostbrasilischen Waldstämme, bei denen das Steinbeil doch eine
ganz sekundäre Rolle gespielt haben muss, da sie weder Feldbau trieben,
noch Kanus bauten, noch solide Hütten kannten. Aber es ist offenbar
nur die Uebertragung von anderswo -- und beim Ausgraben auf sehr erklärliche
Art und Weise -- gewonnenen Begriffen, wenn man aus dem vorhandenen natür-
lichen Material für Werkzeuge und Waffen, um die Kulturstufe zu bezeichnen,
dasjenige herausgreift, was am wenigsten sowohl Bearbeitung wie Verwendung
erfahren hat. Die Kultur der den Wald bewohnenden alten brasilischen Jäger-
stämme wird schwer verkannt, wenn man mit der Klassifikation "steinzeitlich" die

*) Der Quirlstock ist unterbrochen dargestellt.

in Aachen als Diabas bestimmt, ein aus Augit, Plagioklas, Glimmer, Chlorit und
Magneteisen zusammengesetztes Gestein, in dem einzelne Krystalle von Olivin und
ziemlich viele Quarzkörner eingelagert sind. Die Klingen, 11—21 cm lang, sind
meist flach zilindrisch, einige in der Mitte walzenrund, verjüngen sich nach hinten
und enden vorn breit mit bogenförmiger Schneide. Sie sitzen ohne jede Um-
schnürung in einem durchschnittlich 0,5 m langen Holzgriff, der aus einem
zilindrischen quer durchbohrten Oberstück und einem dünneren, von diesem wie ein
Schilfrohr von seinem Kolben abgesetzten Stiel besteht. Aus demselben Diabas

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 21.

Quirl-
bohrer
.*)
(½ nat. Gr.)

sind die in die am Wurfpfeile eingelassenen Steinspitzen und die
Schmucksteine der Halsketten. Die Trumaí schliffen ihren Steinen die
Klinge an, und durchbohrten, wie ausser ihnen nur die benachbarten
Yaulapiti, die Schmucksteine. Die übrigen Stämme schliffen nur die
stumpf gewordenen Beile im Flusssandstein zu. Muscheln und Steine
wurden mit einem Quirlbohrer durchbohrt. An einem Stöckchen war,
und zwar an beiden Enden, damit man wechseln konnte, ein dreieckiges
hartes Steinsplitterchen eingeklemmt und durch Fadenumschnürung ge-
sichert. Das Stöckchen war nahezu ½ m lang und wurde zwischen
den Händen gequirlt. Wurde Stein durchbohrt, so setzte man Sand zu.
Das ist Alles, was die Indianer in der Bearbeitung von Stein leisteten,
sie hatten keine dreieckigen Pfeilspitzen aus Stein, keine Steinmesser,
keine Kelte, keine Steinsägen, keine Schaber u. s. w. Ich schlug bei
den Bakaïrí zwei Stücke eisenhaltigen Sandsteins gegeneinander, dass
Funken hervorsprühten, und sah zu meinem Erstaunen, dass sie die Er-
scheinung nicht kannten. Sie waren Neolithiker, die von der paläo-
lithischen Zunft manches nützliche Handwerksgeheimnis hätten lernen
können.

Ich wage nicht zu sagen, die Schingú-Indianer lebten in der
»Zahnzeit«, »Muschelzeit« oder »Holzzeit«, obwohl in der That die
grosse Mehrzahl von Waffen, Werkzeugen, Geräten, Schmuck aus
Zähnen, Muscheln und Holz zusammengesetzt ist, und sie das Feuer
durch Reiben von Hölzern erzeugten. Ich wage dies nicht einmal in Be-
treff der ostbrasilischen Waldstämme, bei denen das Steinbeil doch eine
ganz sekundäre Rolle gespielt haben muss, da sie weder Feldbau trieben,
noch Kanus bauten, noch solide Hütten kannten. Aber es ist offenbar
nur die Uebertragung von anderswo — und beim Ausgraben auf sehr erklärliche
Art und Weise — gewonnenen Begriffen, wenn man aus dem vorhandenen natür-
lichen Material für Werkzeuge und Waffen, um die Kulturstufe zu bezeichnen,
dasjenige herausgreift, was am wenigsten sowohl Bearbeitung wie Verwendung
erfahren hat. Die Kultur der den Wald bewohnenden alten brasilischen Jäger-
stämme wird schwer verkannt, wenn man mit der Klassifikation »steinzeitlich« die

*) Der Quirlstock ist unterbrochen dargestellt.
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[204/0248] in Aachen als Diabas bestimmt, ein aus Augit, Plagioklas, Glimmer, Chlorit und Magneteisen zusammengesetztes Gestein, in dem einzelne Krystalle von Olivin und ziemlich viele Quarzkörner eingelagert sind. Die Klingen, 11—21 cm lang, sind meist flach zilindrisch, einige in der Mitte walzenrund, verjüngen sich nach hinten und enden vorn breit mit bogenförmiger Schneide. Sie sitzen ohne jede Um- schnürung in einem durchschnittlich 0,5 m langen Holzgriff, der aus einem zilindrischen quer durchbohrten Oberstück und einem dünneren, von diesem wie ein Schilfrohr von seinem Kolben abgesetzten Stiel besteht. Aus demselben Diabas [Abbildung] [Abbildung Abb. 21. Quirl- bohrer. *) (½ nat. Gr.)] sind die in die am Wurfpfeile eingelassenen Steinspitzen und die Schmucksteine der Halsketten. Die Trumaí schliffen ihren Steinen die Klinge an, und durchbohrten, wie ausser ihnen nur die benachbarten Yaulapiti, die Schmucksteine. Die übrigen Stämme schliffen nur die stumpf gewordenen Beile im Flusssandstein zu. Muscheln und Steine wurden mit einem Quirlbohrer durchbohrt. An einem Stöckchen war, und zwar an beiden Enden, damit man wechseln konnte, ein dreieckiges hartes Steinsplitterchen eingeklemmt und durch Fadenumschnürung ge- sichert. Das Stöckchen war nahezu ½ m lang und wurde zwischen den Händen gequirlt. Wurde Stein durchbohrt, so setzte man Sand zu. Das ist Alles, was die Indianer in der Bearbeitung von Stein leisteten, sie hatten keine dreieckigen Pfeilspitzen aus Stein, keine Steinmesser, keine Kelte, keine Steinsägen, keine Schaber u. s. w. Ich schlug bei den Bakaïrí zwei Stücke eisenhaltigen Sandsteins gegeneinander, dass Funken hervorsprühten, und sah zu meinem Erstaunen, dass sie die Er- scheinung nicht kannten. Sie waren Neolithiker, die von der paläo- lithischen Zunft manches nützliche Handwerksgeheimnis hätten lernen können. Ich wage nicht zu sagen, die Schingú-Indianer lebten in der »Zahnzeit«, »Muschelzeit« oder »Holzzeit«, obwohl in der That die grosse Mehrzahl von Waffen, Werkzeugen, Geräten, Schmuck aus Zähnen, Muscheln und Holz zusammengesetzt ist, und sie das Feuer durch Reiben von Hölzern erzeugten. Ich wage dies nicht einmal in Be- treff der ostbrasilischen Waldstämme, bei denen das Steinbeil doch eine ganz sekundäre Rolle gespielt haben muss, da sie weder Feldbau trieben, noch Kanus bauten, noch solide Hütten kannten. Aber es ist offenbar nur die Uebertragung von anderswo — und beim Ausgraben auf sehr erklärliche Art und Weise — gewonnenen Begriffen, wenn man aus dem vorhandenen natür- lichen Material für Werkzeuge und Waffen, um die Kulturstufe zu bezeichnen, dasjenige herausgreift, was am wenigsten sowohl Bearbeitung wie Verwendung erfahren hat. Die Kultur der den Wald bewohnenden alten brasilischen Jäger- stämme wird schwer verkannt, wenn man mit der Klassifikation »steinzeitlich« die *) Der Quirlstock ist unterbrochen dargestellt.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/248>, abgerufen am 23.11.2024.