Indianer hat sich so zugerichtet, um sich zu schmücken. Es ist Werkeltags- kleidung, nicht Sonntagsanzug.
Die Frage lautet also: was ist denn der Nutzen des Anstreichens? Wie bekannt, und wie ich aus eigener Erfahrung langen Barfussgehens sehr gut weiss, kühlt der Schlamm; es ist äusserst angenehm in der Hitze, die Haut feucht zu erhalten. Er kühlt insbesondere gestochene Stellen, und er schützt die ange- stochenen vor den Moskitos, ob er nun rot, gelb, schwarz oder weiss sei. Ich kann nicht glauben, dass sich der Mensch immer, wenn er durch den Ufer- schlamm gewatet ist, darum besonders geschmückt erschienen ist; es mag auf anderm Boden, wo die Erdfarben seltener sind, ein Anderes sein. In unserm Gebiet hat jedenfalls die Annehmlichkeit für die Haut den Vorrang vor der für das Auge. Der Indianer hat den Schlamm durch Oel ersetzt; doch ein fein- pulvriger Zusatz soll es konsistenter und klebriger machen, und dieser Zusatz ist ein Farbstoff, Russ und Urukurot. Sicherlich gefällt den Bakairi das Rot besser, da sie die Pflanze nicht zu hegen und zu pflegen brauchten, wenn der Russ ebenso schön wäre, und innerhalb dieser Grenze schmückt man sich auch beim Anstreichen. Mit Oelfarbe, je nachdem mit schwarzer oder roter, streicht sich der Eingeborene an, damit er die Haut in der Hitze angenehm geschmeidig erhält, und damit die Moskitos und Stechfliegen, die sich auf den Körper nieder- lassen, ankleben und zu Grunde gehen. Er zieht nicht auf die Jagd aus, ohne dass die liebende Gattin ihn namentlich an Brust und Rücken mit Oelfarbe be- strichen hat, er führt mit sich im Kanu, wie wir bei unsern Begleitern sahen, die kleine Oelkalebasse, um unterwegs den Ueberzug zu erneuern und tauscht morgens diesen Liebesdienst mit den Genossen aus. Nach einem Tage Rudern ist solch ein Rücken mit zahllosen schwarzen Kadaverchen bespickt, die durch ein Bad im Fluss rasch entfernt werden. Bei den Mehinaku sah ich auch eine Anzahl Frauen am ganzen Körper mit trockner Kohle geschwärzt, die ihre gewöhnliche Arbeit eifrig verrichteten und allem Anschein nach in keiner Weise daran ge- dacht hatten, sich herauszuputzen. Leider weiss ich aber nicht, zu welchem Zweck die Einreibung gemacht war, und vermute nur, dass es sich um hygienische Massregeln handelte.
Nun will ich nicht etwa behaupten, Anstreichen und Musterbemalen seien haarscharf geschieden. Es ist dasselbe wie mit der Kleidung. Man trägt sie anders zur Arbeit und zum Fest. Wenn man sie durch bessere Stoffe, lebhaftere Farben, besonderen Schnitt schmückend gestaltet, so möchte ich daraus nicht schliessen, dass die Kleidung von Haus aus nur Schmuck sei. Die Oelfarbe ist that- sächlich die Kleidung des Indianers, wie er sie bedarf: ihr eigentlicher und ältester Zweck ist Schutz, nicht gegen die Kälte, sondern gegen die Wärme, gegen die Sprödigkeit und bestimmte Arten äusserer Insulte. Er hat nur eine Kleidung, die er mehr entbehren kann als wir die unsere, die auch nicht die Nebeneigenschaft besitzt wie die unsere, zu verhüllen, und er ist deshalb nicht zu dem Schamgefühl gelangt, das wir besitzen. Wie unsere Kleidung nach Rück-
Indianer hat sich so zugerichtet, um sich zu schmücken. Es ist Werkeltags- kleidung, nicht Sonntagsanzug.
Die Frage lautet also: was ist denn der Nutzen des Anstreichens? Wie bekannt, und wie ich aus eigener Erfahrung langen Barfussgehens sehr gut weiss, kühlt der Schlamm; es ist äusserst angenehm in der Hitze, die Haut feucht zu erhalten. Er kühlt insbesondere gestochene Stellen, und er schützt die ange- stochenen vor den Moskitos, ob er nun rot, gelb, schwarz oder weiss sei. Ich kann nicht glauben, dass sich der Mensch immer, wenn er durch den Ufer- schlamm gewatet ist, darum besonders geschmückt erschienen ist; es mag auf anderm Boden, wo die Erdfarben seltener sind, ein Anderes sein. In unserm Gebiet hat jedenfalls die Annehmlichkeit für die Haut den Vorrang vor der für das Auge. Der Indianer hat den Schlamm durch Oel ersetzt; doch ein fein- pulvriger Zusatz soll es konsistenter und klebriger machen, und dieser Zusatz ist ein Farbstoff, Russ und Urukúrot. Sicherlich gefällt den Bakaïrí das Rot besser, da sie die Pflanze nicht zu hegen und zu pflegen brauchten, wenn der Russ ebenso schön wäre, und innerhalb dieser Grenze schmückt man sich auch beim Anstreichen. Mit Oelfarbe, je nachdem mit schwarzer oder roter, streicht sich der Eingeborene an, damit er die Haut in der Hitze angenehm geschmeidig erhält, und damit die Moskitos und Stechfliegen, die sich auf den Körper nieder- lassen, ankleben und zu Grunde gehen. Er zieht nicht auf die Jagd aus, ohne dass die liebende Gattin ihn namentlich an Brust und Rücken mit Oelfarbe be- strichen hat, er führt mit sich im Kanu, wie wir bei unsern Begleitern sahen, die kleine Oelkalebasse, um unterwegs den Ueberzug zu erneuern und tauscht morgens diesen Liebesdienst mit den Genossen aus. Nach einem Tage Rudern ist solch ein Rücken mit zahllosen schwarzen Kadaverchen bespickt, die durch ein Bad im Fluss rasch entfernt werden. Bei den Mehinakú sah ich auch eine Anzahl Frauen am ganzen Körper mit trockner Kohle geschwärzt, die ihre gewöhnliche Arbeit eifrig verrichteten und allem Anschein nach in keiner Weise daran ge- dacht hatten, sich herauszuputzen. Leider weiss ich aber nicht, zu welchem Zweck die Einreibung gemacht war, und vermute nur, dass es sich um hygienische Massregeln handelte.
Nun will ich nicht etwa behaupten, Anstreichen und Musterbemalen seien haarscharf geschieden. Es ist dasselbe wie mit der Kleidung. Man trägt sie anders zur Arbeit und zum Fest. Wenn man sie durch bessere Stoffe, lebhaftere Farben, besonderen Schnitt schmückend gestaltet, so möchte ich daraus nicht schliessen, dass die Kleidung von Haus aus nur Schmuck sei. Die Oelfarbe ist that- sächlich die Kleidung des Indianers, wie er sie bedarf: ihr eigentlicher und ältester Zweck ist Schutz, nicht gegen die Kälte, sondern gegen die Wärme, gegen die Sprödigkeit und bestimmte Arten äusserer Insulte. Er hat nur eine Kleidung, die er mehr entbehren kann als wir die unsere, die auch nicht die Nebeneigenschaft besitzt wie die unsere, zu verhüllen, und er ist deshalb nicht zu dem Schamgefühl gelangt, das wir besitzen. Wie unsere Kleidung nach Rück-
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[186/0230]
Indianer hat sich so zugerichtet, um sich zu schmücken. Es ist Werkeltags-
kleidung, nicht Sonntagsanzug.
Die Frage lautet also: was ist denn der Nutzen des Anstreichens? Wie
bekannt, und wie ich aus eigener Erfahrung langen Barfussgehens sehr gut weiss,
kühlt der Schlamm; es ist äusserst angenehm in der Hitze, die Haut feucht zu
erhalten. Er kühlt insbesondere gestochene Stellen, und er schützt die ange-
stochenen vor den Moskitos, ob er nun rot, gelb, schwarz oder weiss sei.
Ich kann nicht glauben, dass sich der Mensch immer, wenn er durch den Ufer-
schlamm gewatet ist, darum besonders geschmückt erschienen ist; es mag auf
anderm Boden, wo die Erdfarben seltener sind, ein Anderes sein. In unserm
Gebiet hat jedenfalls die Annehmlichkeit für die Haut den Vorrang vor der für
das Auge. Der Indianer hat den Schlamm durch Oel ersetzt; doch ein fein-
pulvriger Zusatz soll es konsistenter und klebriger machen, und dieser Zusatz ist
ein Farbstoff, Russ und Urukúrot. Sicherlich gefällt den Bakaïrí das Rot besser,
da sie die Pflanze nicht zu hegen und zu pflegen brauchten, wenn der Russ
ebenso schön wäre, und innerhalb dieser Grenze schmückt man sich auch beim
Anstreichen. Mit Oelfarbe, je nachdem mit schwarzer oder roter, streicht sich
der Eingeborene an, damit er die Haut in der Hitze angenehm geschmeidig
erhält, und damit die Moskitos und Stechfliegen, die sich auf den Körper nieder-
lassen, ankleben und zu Grunde gehen. Er zieht nicht auf die Jagd aus, ohne
dass die liebende Gattin ihn namentlich an Brust und Rücken mit Oelfarbe be-
strichen hat, er führt mit sich im Kanu, wie wir bei unsern Begleitern sahen, die
kleine Oelkalebasse, um unterwegs den Ueberzug zu erneuern und tauscht morgens
diesen Liebesdienst mit den Genossen aus. Nach einem Tage Rudern ist solch
ein Rücken mit zahllosen schwarzen Kadaverchen bespickt, die durch ein Bad
im Fluss rasch entfernt werden. Bei den Mehinakú sah ich auch eine Anzahl
Frauen am ganzen Körper mit trockner Kohle geschwärzt, die ihre gewöhnliche
Arbeit eifrig verrichteten und allem Anschein nach in keiner Weise daran ge-
dacht hatten, sich herauszuputzen. Leider weiss ich aber nicht, zu welchem
Zweck die Einreibung gemacht war, und vermute nur, dass es sich um hygienische
Massregeln handelte.
Nun will ich nicht etwa behaupten, Anstreichen und Musterbemalen seien
haarscharf geschieden. Es ist dasselbe wie mit der Kleidung. Man trägt sie anders
zur Arbeit und zum Fest. Wenn man sie durch bessere Stoffe, lebhaftere Farben,
besonderen Schnitt schmückend gestaltet, so möchte ich daraus nicht schliessen,
dass die Kleidung von Haus aus nur Schmuck sei. Die Oelfarbe ist that-
sächlich die Kleidung des Indianers, wie er sie bedarf: ihr eigentlicher
und ältester Zweck ist Schutz, nicht gegen die Kälte, sondern gegen die Wärme,
gegen die Sprödigkeit und bestimmte Arten äusserer Insulte. Er hat nur eine
Kleidung, die er mehr entbehren kann als wir die unsere, die auch nicht die
Nebeneigenschaft besitzt wie die unsere, zu verhüllen, und er ist deshalb nicht
zu dem Schamgefühl gelangt, das wir besitzen. Wie unsere Kleidung nach Rück-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/230>, abgerufen am 22.11.2024.
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