Kottbus, von Hammelrücken in Tondern, von Fruchteis oder von Kalbsherz in München, von Weisswein im Kasino zu Trier; es gab das schlechteste Brod in der Schweiz, die schlechtesten Würste in Brasilien, die schlechtesten Makkaroni in Neapel, das schlechteste Essen überhaupt in Heidelberg, das schlechteste Bier in Oberammergau. Wie gut wäre uns auch das Schlechteste erschienen!
Am 8. Dezember konnten wir zum ersten Mal eine ordentliche Queimada anlegen als Wahrzeichen für die Verschollenen. Wir rechneten leidenschaftlich die Entfernungen aus und sahen, dass Rondons Angabe zu klein ausfiel. Wir passierten zahlreiche tief eingeschnittene Bäche, viele sumpfige Strecken (Atoleiros), fanden uns wieder mitten im dichten, mit Gestrüpp gefüllten Kamp, stiegen von Chapadao zu Chapadao und immer noch erschien keine Aussicht auf den Para- natinga. Erst am 9. Dezember nach steilem Aufstieg erblickten wir den breiten Waldstreifen, den wir ersehnten. Wir schlugen einen langen Weg Pikade und standen plötzlich vor dem gelben, hochangeschwollenen und reissend dahinströmen- den Fluss, der an dieser Stelle etwa 80 m breit war.
Von hier bis zur Fazenda sollte es noch "5 Leguas" sein. An ein Uebersetzen der Truppe ohne Kanu war nicht zu denken. Antonio musste eins machen. Lebensmittel waren nicht mehr vorhanden. So entschied ich mich, mit Peter sofort zur Fazenda aufzubrechen. Unsere Hängematten und Kleider wurden in einer Pelota auf das linke Ufer geschafft, wir selbst gingen ein gut Stück fluss- aufwärts und schwammen hinüber oder wurden vielmehr durch die Strömung fort- gerissen. Um 11/2 Uhr schlugen wir uns drüben in die Büsche und kamen bald an das linke Ufer des S. Manoel, eines breiten, aber stillen Flusses, den wir wieder durchschwammen. Die Fazenda lag noch weit oberhalb. Das Verhältnis war so, dass der Fluss auf dem Wege von ihr zum Paranatinga einen grossen Bogen machte und links einmündete, wenige Kilometer oberhalb unseres rechts gelegenen Lagers. Wir schritten wieder auf wirklichen, von Fährten bedeckten Wegen; die erste Spur, die uns die sichere Nähe von Menschen verriet, rührte von Ochsen und Eseln her. Nach 6 Uhr, als die Sonne zur Rüste sank, erschallte wütendes Hundegebell, und wir standen noch nicht vor der Fazenda, aber vor einem Retiro, einer Viehstation derselben, der sogenannten "Fazenda Pacheco" älteren Datums.
"Como passou?" "wie geht es Ihnen?" begrüsste mich mit biederm Hand- schlag ein kropfbehafteter Mulatte, der Vaqueiro Feliciano, der draussen in einem Topf -- uns hüpfte das Herz vor Freude -- prasselnde Bohnen kochte. Bald erschien auch der Capataz Francisco de Veado, ein alter wetterfester Jägersmann, kerzengrade und stolz, als trüge er immer einen Degen an der Seite. Sie hielten uns für Leute von Rondon.
Eine Umzäunung für das Vieh, schlammiger ausgetretener Lehmboden, ein kleines Wohnhaus, 3 Schritte breit, 51/2 Schritte lang. "Ihr Haus, Ew. Hoch- wohlgeboren." Nach meinem Aussehen konnte ich eigentlich nur auf "Ew. Wohl- geboren" Anspruch machen. Drinnen: die Wände senkrechte Stiele mit dünnen
Kottbus, von Hammelrücken in Tondern, von Fruchteis oder von Kalbsherz in München, von Weisswein im Kasino zu Trier; es gab das schlechteste Brod in der Schweiz, die schlechtesten Würste in Brasilien, die schlechtesten Makkaroni in Neapel, das schlechteste Essen überhaupt in Heidelberg, das schlechteste Bier in Oberammergau. Wie gut wäre uns auch das Schlechteste erschienen!
Am 8. Dezember konnten wir zum ersten Mal eine ordentliche Queimada anlegen als Wahrzeichen für die Verschollenen. Wir rechneten leidenschaftlich die Entfernungen aus und sahen, dass Rondons Angabe zu klein ausfiel. Wir passierten zahlreiche tief eingeschnittene Bäche, viele sumpfige Strecken (Atoleiros), fanden uns wieder mitten im dichten, mit Gestrüpp gefüllten Kamp, stiegen von Chapadão zu Chapadão und immer noch erschien keine Aussicht auf den Para- natinga. Erst am 9. Dezember nach steilem Aufstieg erblickten wir den breiten Waldstreifen, den wir ersehnten. Wir schlugen einen langen Weg Pikade und standen plötzlich vor dem gelben, hochangeschwollenen und reissend dahinströmen- den Fluss, der an dieser Stelle etwa 80 m breit war.
Von hier bis zur Fazenda sollte es noch »5 Leguas« sein. An ein Uebersetzen der Truppe ohne Kanu war nicht zu denken. Antonio musste eins machen. Lebensmittel waren nicht mehr vorhanden. So entschied ich mich, mit Peter sofort zur Fazenda aufzubrechen. Unsere Hängematten und Kleider wurden in einer Pelota auf das linke Ufer geschafft, wir selbst gingen ein gut Stück fluss- aufwärts und schwammen hinüber oder wurden vielmehr durch die Strömung fort- gerissen. Um 1½ Uhr schlugen wir uns drüben in die Büsche und kamen bald an das linke Ufer des S. Manoel, eines breiten, aber stillen Flusses, den wir wieder durchschwammen. Die Fazenda lag noch weit oberhalb. Das Verhältnis war so, dass der Fluss auf dem Wege von ihr zum Paranatinga einen grossen Bogen machte und links einmündete, wenige Kilometer oberhalb unseres rechts gelegenen Lagers. Wir schritten wieder auf wirklichen, von Fährten bedeckten Wegen; die erste Spur, die uns die sichere Nähe von Menschen verriet, rührte von Ochsen und Eseln her. Nach 6 Uhr, als die Sonne zur Rüste sank, erschallte wütendes Hundegebell, und wir standen noch nicht vor der Fazenda, aber vor einem Retiro, einer Viehstation derselben, der sogenannten »Fazenda Pacheco« älteren Datums.
»Como passou?« »wie geht es Ihnen?« begrüsste mich mit biederm Hand- schlag ein kropfbehafteter Mulatte, der Vaqueiro Feliciano, der draussen in einem Topf — uns hüpfte das Herz vor Freude — prasselnde Bohnen kochte. Bald erschien auch der Capataz Francisco de Veado, ein alter wetterfester Jägersmann, kerzengrade und stolz, als trüge er immer einen Degen an der Seite. Sie hielten uns für Leute von Rondon.
Eine Umzäunung für das Vieh, schlammiger ausgetretener Lehmboden, ein kleines Wohnhaus, 3 Schritte breit, 5½ Schritte lang. »Ihr Haus, Ew. Hoch- wohlgeboren.« Nach meinem Aussehen konnte ich eigentlich nur auf »Ew. Wohl- geboren« Anspruch machen. Drinnen: die Wände senkrechte Stiele mit dünnen
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Kottbus, von Hammelrücken in Tondern, von Fruchteis oder von Kalbsherz in
München, von Weisswein im Kasino zu Trier; es gab das schlechteste Brod in
der Schweiz, die schlechtesten Würste in Brasilien, die schlechtesten Makkaroni
in Neapel, das schlechteste Essen überhaupt in Heidelberg, das schlechteste Bier
in Oberammergau. Wie gut wäre uns auch das Schlechteste erschienen!
Am 8. Dezember konnten wir zum ersten Mal eine ordentliche Queimada
anlegen als Wahrzeichen für die Verschollenen. Wir rechneten leidenschaftlich
die Entfernungen aus und sahen, dass Rondons Angabe zu klein ausfiel. Wir
passierten zahlreiche tief eingeschnittene Bäche, viele sumpfige Strecken (Atoleiros),
fanden uns wieder mitten im dichten, mit Gestrüpp gefüllten Kamp, stiegen von
Chapadão zu Chapadão und immer noch erschien keine Aussicht auf den Para-
natinga. Erst am 9. Dezember nach steilem Aufstieg erblickten wir den breiten
Waldstreifen, den wir ersehnten. Wir schlugen einen langen Weg Pikade und
standen plötzlich vor dem gelben, hochangeschwollenen und reissend dahinströmen-
den Fluss, der an dieser Stelle etwa 80 m breit war.
Von hier bis zur Fazenda sollte es noch »5 Leguas« sein. An ein Uebersetzen
der Truppe ohne Kanu war nicht zu denken. Antonio musste eins machen.
Lebensmittel waren nicht mehr vorhanden. So entschied ich mich, mit Peter
sofort zur Fazenda aufzubrechen. Unsere Hängematten und Kleider wurden in
einer Pelota auf das linke Ufer geschafft, wir selbst gingen ein gut Stück fluss-
aufwärts und schwammen hinüber oder wurden vielmehr durch die Strömung fort-
gerissen. Um 1½ Uhr schlugen wir uns drüben in die Büsche und kamen bald
an das linke Ufer des S. Manoel, eines breiten, aber stillen Flusses, den wir wieder
durchschwammen. Die Fazenda lag noch weit oberhalb. Das Verhältnis war
so, dass der Fluss auf dem Wege von ihr zum Paranatinga einen grossen Bogen
machte und links einmündete, wenige Kilometer oberhalb unseres rechts gelegenen
Lagers. Wir schritten wieder auf wirklichen, von Fährten bedeckten Wegen;
die erste Spur, die uns die sichere Nähe von Menschen verriet, rührte von Ochsen
und Eseln her. Nach 6 Uhr, als die Sonne zur Rüste sank, erschallte wütendes
Hundegebell, und wir standen noch nicht vor der Fazenda, aber vor einem Retiro,
einer Viehstation derselben, der sogenannten »Fazenda Pacheco« älteren
Datums.
»Como passou?« »wie geht es Ihnen?« begrüsste mich mit biederm Hand-
schlag ein kropfbehafteter Mulatte, der Vaqueiro Feliciano, der draussen in einem
Topf — uns hüpfte das Herz vor Freude — prasselnde Bohnen kochte. Bald
erschien auch der Capataz Francisco de Veado, ein alter wetterfester Jägersmann,
kerzengrade und stolz, als trüge er immer einen Degen an der Seite. Sie hielten
uns für Leute von Rondon.
Eine Umzäunung für das Vieh, schlammiger ausgetretener Lehmboden, ein
kleines Wohnhaus, 3 Schritte breit, 5½ Schritte lang. »Ihr Haus, Ew. Hoch-
wohlgeboren.« Nach meinem Aussehen konnte ich eigentlich nur auf »Ew. Wohl-
geboren« Anspruch machen. Drinnen: die Wände senkrechte Stiele mit dünnen
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/184>, abgerufen am 15.10.2024.
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