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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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In Igueti gab es drei grosse Familienhäuser und ein sehr ansehnliches Flöten-
haus, in dem viele Tanzanzüge aus Palmstroh hingen. Auf dem Dorfplatz erhob
sich ein Käfig von über Haushöhe, der aus langen, spitzkegelförmig zusammen-
gestellten Stangen bestand; darin sass eine gewaltige Harpya destructor, obwohl
das Dorf igu-eti = Sperberdorf heisst. Der einstige Wappenvogel war wohl
schon lange dahin geschieden. Der schöne Adler wurde nach seiner Lieblings-
nahrung mego-zoto, Herr der Affen, genannt. Neben dem Häuptlingshause
lag ein grosser Schleifstein für die Steinbeile; er machte mir viel Freude, weil er
genau dieselben Rillen zeigte, wie wir sie in den Sambakis von Sta. Catharina
beobachtet hatten.

Die Gemeinde zählte einige 40 Personen. Man sprach von drei Häuptlingen,
doch kam uns in dieser Eigenschaft nur der gutmütige, sehr breitschultrige und
durch watschelnden Gang ausgezeichnete Aramöke entgegen. Er hatte einen
pfiffigen Ausdruck und war bei seinem ungeschlachten Körper sehr höflich, da
er im Wald vor mir herschreitend liebenswürdiger, als er wahrscheinlich gegen
eine Dame gewesen wäre, die Zweige abbrach, die mir hätten in's Gesicht schnellen
können. Ein grosses Messer und ein rotes Halstuch machten ihn zum Glücklichsten
aller Sterblichen. Er erwies uns grosse Gastfreundschaft. Fortwährend wurden
neue goldige Beijus herbeigebracht, eine Reihe von Kalabassen mit Pogu gefüllt,
standen immer zur Hand, ein dünner, sehr süsser Püserego wurde im Ueberfluss
geboten und für unsere Perlen erhielten wir einen Vorrat an feinem Polvilhomehl
auf den Weg.

Die so eifrig backenden Frauen erschienen uns klein und hässlich, aber
freudlich. Sie holten Wasser nur in Begleitung von Männern.

Als ich mit Vogel und Ehrenreich am 20. September zum ersten Mal in
Igueti war, erlebten wir eine merkwürdige Scene, die ich hier einschalten möchte.
Wir sassen am Abend in dem Flötenhaus, als Einige eintraten, an der Feuer-
asche niederhockten und ein lautes ih . . . . ausstiessen. Darauf zogen sich ein
paar Andere die dort hängenden Strohanzüge an und liefen eine Weile umher
wie die brüllenden Löwen. Ich glaubte, es sei eitel Scherz und Zeitvertreib,
aber alle blieben durchaus ernst. Nun lief eine der Masken hinaus, während der
Chor wieder ih . . . . hi schrie, streckte die Arme aus dem Stroh hervor und
raschelte mit dem Behang. Sie verschwand in einem Hause und kam bald
wieder hervor mit Beiju und Fisch beladen. Dasselbe wiederholte sich und Luchu
machte den Gang als Dritter, mit Getrank zurückkehrend. Immer wurde das
Hinausgehen durch das allgemeine ih ... angekündigt, so dass man in den
Häusern vorbereitet war. Da der Strohanzug den ganzen Körper bis auf die
Füsse bedeckt, ist die Person, die sich in ihm verbirgt, nicht zu erkennen.
Vielleicht ist zwischen diesem Gebrauch, dass man sich sein Gastgeschenk in ver-
hülltem Zustande holt, und der Sitte des Alleinessens, gegen die man nicht ver-
stossen kann, ohne das Schamgefühl der Andern wachzurufen, ein Zusammenhang
vorhanden.


In Iguéti gab es drei grosse Familienhäuser und ein sehr ansehnliches Flöten-
haus, in dem viele Tanzanzüge aus Palmstroh hingen. Auf dem Dorfplatz erhob
sich ein Käfig von über Haushöhe, der aus langen, spitzkegelförmig zusammen-
gestellten Stangen bestand; darin sass eine gewaltige Harpya destructor, obwohl
das Dorf igu-eti = Sperberdorf heisst. Der einstige Wappenvogel war wohl
schon lange dahin geschieden. Der schöne Adler wurde nach seiner Lieblings-
nahrung mégo-zóto, Herr der Affen, genannt. Neben dem Häuptlingshause
lag ein grosser Schleifstein für die Steinbeile; er machte mir viel Freude, weil er
genau dieselben Rillen zeigte, wie wir sie in den Sambakis von Sta. Catharina
beobachtet hatten.

Die Gemeinde zählte einige 40 Personen. Man sprach von drei Häuptlingen,
doch kam uns in dieser Eigenschaft nur der gutmütige, sehr breitschultrige und
durch watschelnden Gang ausgezeichnete Aramöke entgegen. Er hatte einen
pfiffigen Ausdruck und war bei seinem ungeschlachten Körper sehr höflich, da
er im Wald vor mir herschreitend liebenswürdiger, als er wahrscheinlich gegen
eine Dame gewesen wäre, die Zweige abbrach, die mir hätten in’s Gesicht schnellen
können. Ein grosses Messer und ein rotes Halstuch machten ihn zum Glücklichsten
aller Sterblichen. Er erwies uns grosse Gastfreundschaft. Fortwährend wurden
neue goldige Beijús herbeigebracht, eine Reihe von Kalabassen mit Pogu gefüllt,
standen immer zur Hand, ein dünner, sehr süsser Püserego wurde im Ueberfluss
geboten und für unsere Perlen erhielten wir einen Vorrat an feinem Polvilhomehl
auf den Weg.

Die so eifrig backenden Frauen erschienen uns klein und hässlich, aber
freudlich. Sie holten Wasser nur in Begleitung von Männern.

Als ich mit Vogel und Ehrenreich am 20. September zum ersten Mal in
Iguéti war, erlebten wir eine merkwürdige Scene, die ich hier einschalten möchte.
Wir sassen am Abend in dem Flötenhaus, als Einige eintraten, an der Feuer-
asche niederhockten und ein lautes ih . . . . ausstiessen. Darauf zogen sich ein
paar Andere die dort hängenden Strohanzüge an und liefen eine Weile umher
wie die brüllenden Löwen. Ich glaubte, es sei eitel Scherz und Zeitvertreib,
aber alle blieben durchaus ernst. Nun lief eine der Masken hinaus, während der
Chor wieder ih . . . . hi schrie, streckte die Arme aus dem Stroh hervor und
raschelte mit dem Behang. Sie verschwand in einem Hause und kam bald
wieder hervor mit Beijú und Fisch beladen. Dasselbe wiederholte sich und Luchu
machte den Gang als Dritter, mit Getrank zurückkehrend. Immer wurde das
Hinausgehen durch das allgemeine ih … angekündigt, so dass man in den
Häusern vorbereitet war. Da der Strohanzug den ganzen Körper bis auf die
Füsse bedeckt, ist die Person, die sich in ihm verbirgt, nicht zu erkennen.
Vielleicht ist zwischen diesem Gebrauch, dass man sich sein Gastgeschenk in ver-
hülltem Zustande holt, und der Sitte des Alleinessens, gegen die man nicht ver-
stossen kann, ohne das Schamgefühl der Andern wachzurufen, ein Zusammenhang
vorhanden.


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[89/0119] In Iguéti gab es drei grosse Familienhäuser und ein sehr ansehnliches Flöten- haus, in dem viele Tanzanzüge aus Palmstroh hingen. Auf dem Dorfplatz erhob sich ein Käfig von über Haushöhe, der aus langen, spitzkegelförmig zusammen- gestellten Stangen bestand; darin sass eine gewaltige Harpya destructor, obwohl das Dorf igu-eti = Sperberdorf heisst. Der einstige Wappenvogel war wohl schon lange dahin geschieden. Der schöne Adler wurde nach seiner Lieblings- nahrung mégo-zóto, Herr der Affen, genannt. Neben dem Häuptlingshause lag ein grosser Schleifstein für die Steinbeile; er machte mir viel Freude, weil er genau dieselben Rillen zeigte, wie wir sie in den Sambakis von Sta. Catharina beobachtet hatten. Die Gemeinde zählte einige 40 Personen. Man sprach von drei Häuptlingen, doch kam uns in dieser Eigenschaft nur der gutmütige, sehr breitschultrige und durch watschelnden Gang ausgezeichnete Aramöke entgegen. Er hatte einen pfiffigen Ausdruck und war bei seinem ungeschlachten Körper sehr höflich, da er im Wald vor mir herschreitend liebenswürdiger, als er wahrscheinlich gegen eine Dame gewesen wäre, die Zweige abbrach, die mir hätten in’s Gesicht schnellen können. Ein grosses Messer und ein rotes Halstuch machten ihn zum Glücklichsten aller Sterblichen. Er erwies uns grosse Gastfreundschaft. Fortwährend wurden neue goldige Beijús herbeigebracht, eine Reihe von Kalabassen mit Pogu gefüllt, standen immer zur Hand, ein dünner, sehr süsser Püserego wurde im Ueberfluss geboten und für unsere Perlen erhielten wir einen Vorrat an feinem Polvilhomehl auf den Weg. Die so eifrig backenden Frauen erschienen uns klein und hässlich, aber freudlich. Sie holten Wasser nur in Begleitung von Männern. Als ich mit Vogel und Ehrenreich am 20. September zum ersten Mal in Iguéti war, erlebten wir eine merkwürdige Scene, die ich hier einschalten möchte. Wir sassen am Abend in dem Flötenhaus, als Einige eintraten, an der Feuer- asche niederhockten und ein lautes ih . . . . ausstiessen. Darauf zogen sich ein paar Andere die dort hängenden Strohanzüge an und liefen eine Weile umher wie die brüllenden Löwen. Ich glaubte, es sei eitel Scherz und Zeitvertreib, aber alle blieben durchaus ernst. Nun lief eine der Masken hinaus, während der Chor wieder ih . . . . hi schrie, streckte die Arme aus dem Stroh hervor und raschelte mit dem Behang. Sie verschwand in einem Hause und kam bald wieder hervor mit Beijú und Fisch beladen. Dasselbe wiederholte sich und Luchu machte den Gang als Dritter, mit Getrank zurückkehrend. Immer wurde das Hinausgehen durch das allgemeine ih … angekündigt, so dass man in den Häusern vorbereitet war. Da der Strohanzug den ganzen Körper bis auf die Füsse bedeckt, ist die Person, die sich in ihm verbirgt, nicht zu erkennen. Vielleicht ist zwischen diesem Gebrauch, dass man sich sein Gastgeschenk in ver- hülltem Zustande holt, und der Sitte des Alleinessens, gegen die man nicht ver- stossen kann, ohne das Schamgefühl der Andern wachzurufen, ein Zusammenhang vorhanden.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/119>, abgerufen am 01.05.2024.