aber ein einfacher. Der Staat ist die Quelle der formalen Rechtsbildung durch seinen Willen, das Gesetz: der Staat ist die Quelle des Inhalts der Rechtsbildung, indem sein Wohl die erste Voraussetzung des Wohles aller ist; der Staat ist daher berufen und berechtigt, zum formalen, gültigen Recht alles dasjenige zu machen, was er vermöge der Anfor- derungen seines Wohles zu fordern berechtigt ist: salus rei publicae suprema lex. Fordert daher der Staat das Eigenthum des Einzelnen im Namen dieses öffentlichen Wohles, so ist er berechtigt, diese Forde- rung durch seinen Willen zum geltenden Recht zu machen, und das Einzeleigenthum wirklich zu entziehen. Diese Entziehung ist die Ent- währung, und das durch den Staatswillen gesetzte Recht für das Verfahren bei dieser Entziehung ist das Entwährungsrecht. Das Uebrige ist Sache der administrativen Zweckmäßigkeit; das Wesen des Entwährungsrechts ist aber demgemäß nichts als eine specielle Anwen- dung des Staatsbegriffes auf das persönliche Eigenthum. Das war die Logik, aus welcher das Entwährungsrecht begründet wurde. Sie steht, wie gesagt, noch heutigen Tages fest. Bedürfen wir mehr?
Offenbar aber ist hier Ein Punkt nicht erledigt. Allerdings kann der Staat nicht bestehen, ohne einen Theil der Selbständigkeit des Einzelnen zum beständigen Opfer zu fordern. Jeder Akt der Finanz- verwaltung, jede Steuer, jeder polizeiliche Akt ist ein solches Aufheben der persönlichen Freiheit durch den Staat. Allein niemals hat man, und mit Recht, darin etwas gesehen, was dem Wesen der Entwährung analog gewesen wäre. Denn was immer der Einzelne an die Verwal- tung leistet, leistet er zuletzt für sich selber; die Verwaltung verwaltet eben die Gesammtheit der Einzelleistungen für die Interessen Aller zu- gleich. Bei der Entwährung jedoch handelt es sich nicht um den Theil des Einzeleigenthums, der als Leistung für die Gegenleistung des Staats betrachtet werden muß, sondern um ein Eigenthum, das dem Einzelnen als Einzelnem genommen wird, und für welches er als Einzelner die allgemeine Gegenleistung durch die Thätigkeit der Verwaltung nicht empfängt. Hier reicht daher der Begriff und das Recht der öffent- lichen Leistung an den Staat nicht aus. Bei allen öffentlichen Leistungen gibt der Staat, wenigstens dem Princip nach, so viel zurück, als er empfängt, und daher soll jede öffentliche Leistung gleichmäßig jeden treffen, wie die Verwaltung ihrerseits gleichmäßig für jeden da ist. Bei der Entwährung trifft einen Einzelnen die Pflicht der Leistung, und damit sind die Grundsätze über die öffentlichen Leistungen auf sie nicht anwendbar. Darüber ist man sich einig. Geht man aber einen Schritt weiter, so ist die Entwährung auch durch den Staatsbegriff nicht zu erklären. Denn der Staat ist die persönliche Einheit der
aber ein einfacher. Der Staat iſt die Quelle der formalen Rechtsbildung durch ſeinen Willen, das Geſetz: der Staat iſt die Quelle des Inhalts der Rechtsbildung, indem ſein Wohl die erſte Vorausſetzung des Wohles aller iſt; der Staat iſt daher berufen und berechtigt, zum formalen, gültigen Recht alles dasjenige zu machen, was er vermöge der Anfor- derungen ſeines Wohles zu fordern berechtigt iſt: salus rei publicae suprema lex. Fordert daher der Staat das Eigenthum des Einzelnen im Namen dieſes öffentlichen Wohles, ſo iſt er berechtigt, dieſe Forde- rung durch ſeinen Willen zum geltenden Recht zu machen, und das Einzeleigenthum wirklich zu entziehen. Dieſe Entziehung iſt die Ent- währung, und das durch den Staatswillen geſetzte Recht für das Verfahren bei dieſer Entziehung iſt das Entwährungsrecht. Das Uebrige iſt Sache der adminiſtrativen Zweckmäßigkeit; das Weſen des Entwährungsrechts iſt aber demgemäß nichts als eine ſpecielle Anwen- dung des Staatsbegriffes auf das perſönliche Eigenthum. Das war die Logik, aus welcher das Entwährungsrecht begründet wurde. Sie ſteht, wie geſagt, noch heutigen Tages feſt. Bedürfen wir mehr?
Offenbar aber iſt hier Ein Punkt nicht erledigt. Allerdings kann der Staat nicht beſtehen, ohne einen Theil der Selbſtändigkeit des Einzelnen zum beſtändigen Opfer zu fordern. Jeder Akt der Finanz- verwaltung, jede Steuer, jeder polizeiliche Akt iſt ein ſolches Aufheben der perſönlichen Freiheit durch den Staat. Allein niemals hat man, und mit Recht, darin etwas geſehen, was dem Weſen der Entwährung analog geweſen wäre. Denn was immer der Einzelne an die Verwal- tung leiſtet, leiſtet er zuletzt für ſich ſelber; die Verwaltung verwaltet eben die Geſammtheit der Einzelleiſtungen für die Intereſſen Aller zu- gleich. Bei der Entwährung jedoch handelt es ſich nicht um den Theil des Einzeleigenthums, der als Leiſtung für die Gegenleiſtung des Staats betrachtet werden muß, ſondern um ein Eigenthum, das dem Einzelnen als Einzelnem genommen wird, und für welches er als Einzelner die allgemeine Gegenleiſtung durch die Thätigkeit der Verwaltung nicht empfängt. Hier reicht daher der Begriff und das Recht der öffent- lichen Leiſtung an den Staat nicht aus. Bei allen öffentlichen Leiſtungen gibt der Staat, wenigſtens dem Princip nach, ſo viel zurück, als er empfängt, und daher ſoll jede öffentliche Leiſtung gleichmäßig jeden treffen, wie die Verwaltung ihrerſeits gleichmäßig für jeden da iſt. Bei der Entwährung trifft einen Einzelnen die Pflicht der Leiſtung, und damit ſind die Grundſätze über die öffentlichen Leiſtungen auf ſie nicht anwendbar. Darüber iſt man ſich einig. Geht man aber einen Schritt weiter, ſo iſt die Entwährung auch durch den Staatsbegriff nicht zu erklären. Denn der Staat iſt die perſönliche Einheit der
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aber ein einfacher. Der Staat iſt die Quelle der formalen Rechtsbildung
durch ſeinen Willen, das Geſetz: der Staat iſt die Quelle des Inhalts
der Rechtsbildung, indem ſein Wohl die erſte Vorausſetzung des Wohles
aller iſt; der Staat iſt daher berufen und berechtigt, zum formalen,
gültigen Recht alles dasjenige zu machen, was er vermöge der Anfor-
derungen ſeines Wohles zu fordern berechtigt iſt: salus rei publicae
suprema lex. Fordert daher der Staat das Eigenthum des Einzelnen
im Namen dieſes öffentlichen Wohles, ſo iſt er berechtigt, dieſe Forde-
rung durch ſeinen Willen zum geltenden Recht zu machen, und das
Einzeleigenthum wirklich zu entziehen. Dieſe Entziehung iſt die Ent-
währung, und das durch den Staatswillen geſetzte Recht für das
Verfahren bei dieſer Entziehung iſt das Entwährungsrecht. Das
Uebrige iſt Sache der adminiſtrativen Zweckmäßigkeit; das Weſen des
Entwährungsrechts iſt aber demgemäß nichts als eine ſpecielle Anwen-
dung des Staatsbegriffes auf das perſönliche Eigenthum. Das war
die Logik, aus welcher das Entwährungsrecht begründet wurde. Sie
ſteht, wie geſagt, noch heutigen Tages feſt. Bedürfen wir mehr?
Offenbar aber iſt hier Ein Punkt nicht erledigt. Allerdings kann
der Staat nicht beſtehen, ohne einen Theil der Selbſtändigkeit des
Einzelnen zum beſtändigen Opfer zu fordern. Jeder Akt der Finanz-
verwaltung, jede Steuer, jeder polizeiliche Akt iſt ein ſolches Aufheben
der perſönlichen Freiheit durch den Staat. Allein niemals hat man,
und mit Recht, darin etwas geſehen, was dem Weſen der Entwährung
analog geweſen wäre. Denn was immer der Einzelne an die Verwal-
tung leiſtet, leiſtet er zuletzt für ſich ſelber; die Verwaltung verwaltet
eben die Geſammtheit der Einzelleiſtungen für die Intereſſen Aller zu-
gleich. Bei der Entwährung jedoch handelt es ſich nicht um den Theil
des Einzeleigenthums, der als Leiſtung für die Gegenleiſtung des
Staats betrachtet werden muß, ſondern um ein Eigenthum, das dem
Einzelnen als Einzelnem genommen wird, und für welches er als Einzelner
die allgemeine Gegenleiſtung durch die Thätigkeit der Verwaltung nicht
empfängt. Hier reicht daher der Begriff und das Recht der öffent-
lichen Leiſtung an den Staat nicht aus. Bei allen öffentlichen Leiſtungen
gibt der Staat, wenigſtens dem Princip nach, ſo viel zurück, als er
empfängt, und daher ſoll jede öffentliche Leiſtung gleichmäßig jeden
treffen, wie die Verwaltung ihrerſeits gleichmäßig für jeden da iſt.
Bei der Entwährung trifft einen Einzelnen die Pflicht der Leiſtung,
und damit ſind die Grundſätze über die öffentlichen Leiſtungen auf ſie
nicht anwendbar. Darüber iſt man ſich einig. Geht man aber einen
Schritt weiter, ſo iſt die Entwährung auch durch den Staatsbegriff
nicht zu erklären. Denn der Staat iſt die perſönliche Einheit der
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/88>, abgerufen am 22.11.2024.
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