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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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wir noch lange zu thun haben, bis wir zur Organisation des Credits
gelangen, so möge es uns gestattet sein, schon hier die Grundzüge der
Sache selbst aufzustellen.

1) Das bürgerliche Verwaltungsrecht des Geschäftscredits beruht
nationalökonomisch darauf, daß stets der Preis des Credits und die
Leichtigkeit, denselben zu erlangen, wesentlich bedingt werden durch die
Leichtigkeit und Sicherheit des Verfahrens, durch welches das Vor-
handensein von Schuld und Forderung einerseits bewiesen, und diese,
wenn bewiesen, auch eingetrieben werden kann. Darauf beruht einerseits
die geschichtliche Entwicklung dieses Theiles des Verwaltungsrechts, an-
derseits sein Inhalt. Offenbar nämlich kann ein besonderes Recht für
den Geschäftscredit nur da entstehen, wo derselbe nicht mehr als ein
Verhältniß vom Einzelnen zum Einzelnen erscheint, sondern als eine
das gesammte Geschäftsleben aller umfassende Gewalt auftritt, ohne
welche niemand, auch wollend, seine Geschäfte betreiben kann, und
deren Macht und Consequenzen auch die größte individuelle Vorsicht
sich nicht mehr zu entziehen vermag. Es darf uns deßhalb nicht wun-
dern, daß wir auch erst in unserm Jahrhundert von einem eigenen
Creditrecht reden, das weder das alte germanische noch auch das
römische Recht kennt, ja dessen Grundsätze zum Theil mit den einfachen
Principien des letzteren in direktem Widerspruch stehen. Diese Grund-
sätze aber beziehen sich, wie gesagt, auf drei Hauptpunkte: die Con-
statirung des Schuldverhältnisses, die Execution der Creditforderung, und
die Folgen der Zahlungsunfähigkeit. Daraus entstehen die drei großen
Rechtsverhältnisse des bürgerlichen Verwaltungsrechts des Geschäfts-
credits. Sie sind an sich bekannt, und es handelt sich nur darum, sie
eben als einen Theil des Verwaltungsrechtes anzuerkennen. Das sind
zuerst das Recht der Handlungsbücher, beziehungsweise ihre
Beweiskraft; dann das Wechselrecht, in welchem einerseits die Be-
weiskraft, anderseits aber auch die Executivkraft eine vom bürgerlichen
Recht wesentlich verschiedene und zwar nach den Bedürfnissen des Ge-
schäftscredits bestimmte wird; endlich das Ausgleichsverfahren,
dessen tiefgreifender Unterschied vom Concursverfahren wiederum nur
durch das Wesen jenes Credits bedingt wird. Man kann nun --
und das ist auch meistens der Fall -- diese drei Gebiete als selbstän-
dige Rechtsgebiete behandeln, und es versteht sich von selbst, daß da-
gegen an sich nichts zu erinnern ist. Das, worauf es aber hier an-
kommt, ist, daß man sie als Theile des Verwaltungsrechts aner-
kenne, und das Bewußtsein ihres Zusammenhangs mit dem Ganzen
desselben nicht verliere. Und hier ist die Rechtswissenschaft noch weit
hinter der Wirklichkeit zurück. Denn nicht nur, daß alle jene Rechts-

wir noch lange zu thun haben, bis wir zur Organiſation des Credits
gelangen, ſo möge es uns geſtattet ſein, ſchon hier die Grundzüge der
Sache ſelbſt aufzuſtellen.

1) Das bürgerliche Verwaltungsrecht des Geſchäftscredits beruht
nationalökonomiſch darauf, daß ſtets der Preis des Credits und die
Leichtigkeit, denſelben zu erlangen, weſentlich bedingt werden durch die
Leichtigkeit und Sicherheit des Verfahrens, durch welches das Vor-
handenſein von Schuld und Forderung einerſeits bewieſen, und dieſe,
wenn bewieſen, auch eingetrieben werden kann. Darauf beruht einerſeits
die geſchichtliche Entwicklung dieſes Theiles des Verwaltungsrechts, an-
derſeits ſein Inhalt. Offenbar nämlich kann ein beſonderes Recht für
den Geſchäftscredit nur da entſtehen, wo derſelbe nicht mehr als ein
Verhältniß vom Einzelnen zum Einzelnen erſcheint, ſondern als eine
das geſammte Geſchäftsleben aller umfaſſende Gewalt auftritt, ohne
welche niemand, auch wollend, ſeine Geſchäfte betreiben kann, und
deren Macht und Conſequenzen auch die größte individuelle Vorſicht
ſich nicht mehr zu entziehen vermag. Es darf uns deßhalb nicht wun-
dern, daß wir auch erſt in unſerm Jahrhundert von einem eigenen
Creditrecht reden, das weder das alte germaniſche noch auch das
römiſche Recht kennt, ja deſſen Grundſätze zum Theil mit den einfachen
Principien des letzteren in direktem Widerſpruch ſtehen. Dieſe Grund-
ſätze aber beziehen ſich, wie geſagt, auf drei Hauptpunkte: die Con-
ſtatirung des Schuldverhältniſſes, die Execution der Creditforderung, und
die Folgen der Zahlungsunfähigkeit. Daraus entſtehen die drei großen
Rechtsverhältniſſe des bürgerlichen Verwaltungsrechts des Geſchäfts-
credits. Sie ſind an ſich bekannt, und es handelt ſich nur darum, ſie
eben als einen Theil des Verwaltungsrechtes anzuerkennen. Das ſind
zuerſt das Recht der Handlungsbücher, beziehungsweiſe ihre
Beweiskraft; dann das Wechſelrecht, in welchem einerſeits die Be-
weiskraft, anderſeits aber auch die Executivkraft eine vom bürgerlichen
Recht weſentlich verſchiedene und zwar nach den Bedürfniſſen des Ge-
ſchäftscredits beſtimmte wird; endlich das Ausgleichsverfahren,
deſſen tiefgreifender Unterſchied vom Concursverfahren wiederum nur
durch das Weſen jenes Credits bedingt wird. Man kann nun —
und das iſt auch meiſtens der Fall — dieſe drei Gebiete als ſelbſtän-
dige Rechtsgebiete behandeln, und es verſteht ſich von ſelbſt, daß da-
gegen an ſich nichts zu erinnern iſt. Das, worauf es aber hier an-
kommt, iſt, daß man ſie als Theile des Verwaltungsrechts aner-
kenne, und das Bewußtſein ihres Zuſammenhangs mit dem Ganzen
deſſelben nicht verliere. Und hier iſt die Rechtswiſſenſchaft noch weit
hinter der Wirklichkeit zurück. Denn nicht nur, daß alle jene Rechts-

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[55/0073] wir noch lange zu thun haben, bis wir zur Organiſation des Credits gelangen, ſo möge es uns geſtattet ſein, ſchon hier die Grundzüge der Sache ſelbſt aufzuſtellen. 1) Das bürgerliche Verwaltungsrecht des Geſchäftscredits beruht nationalökonomiſch darauf, daß ſtets der Preis des Credits und die Leichtigkeit, denſelben zu erlangen, weſentlich bedingt werden durch die Leichtigkeit und Sicherheit des Verfahrens, durch welches das Vor- handenſein von Schuld und Forderung einerſeits bewieſen, und dieſe, wenn bewieſen, auch eingetrieben werden kann. Darauf beruht einerſeits die geſchichtliche Entwicklung dieſes Theiles des Verwaltungsrechts, an- derſeits ſein Inhalt. Offenbar nämlich kann ein beſonderes Recht für den Geſchäftscredit nur da entſtehen, wo derſelbe nicht mehr als ein Verhältniß vom Einzelnen zum Einzelnen erſcheint, ſondern als eine das geſammte Geſchäftsleben aller umfaſſende Gewalt auftritt, ohne welche niemand, auch wollend, ſeine Geſchäfte betreiben kann, und deren Macht und Conſequenzen auch die größte individuelle Vorſicht ſich nicht mehr zu entziehen vermag. Es darf uns deßhalb nicht wun- dern, daß wir auch erſt in unſerm Jahrhundert von einem eigenen Creditrecht reden, das weder das alte germaniſche noch auch das römiſche Recht kennt, ja deſſen Grundſätze zum Theil mit den einfachen Principien des letzteren in direktem Widerſpruch ſtehen. Dieſe Grund- ſätze aber beziehen ſich, wie geſagt, auf drei Hauptpunkte: die Con- ſtatirung des Schuldverhältniſſes, die Execution der Creditforderung, und die Folgen der Zahlungsunfähigkeit. Daraus entſtehen die drei großen Rechtsverhältniſſe des bürgerlichen Verwaltungsrechts des Geſchäfts- credits. Sie ſind an ſich bekannt, und es handelt ſich nur darum, ſie eben als einen Theil des Verwaltungsrechtes anzuerkennen. Das ſind zuerſt das Recht der Handlungsbücher, beziehungsweiſe ihre Beweiskraft; dann das Wechſelrecht, in welchem einerſeits die Be- weiskraft, anderſeits aber auch die Executivkraft eine vom bürgerlichen Recht weſentlich verſchiedene und zwar nach den Bedürfniſſen des Ge- ſchäftscredits beſtimmte wird; endlich das Ausgleichsverfahren, deſſen tiefgreifender Unterſchied vom Concursverfahren wiederum nur durch das Weſen jenes Credits bedingt wird. Man kann nun — und das iſt auch meiſtens der Fall — dieſe drei Gebiete als ſelbſtän- dige Rechtsgebiete behandeln, und es verſteht ſich von ſelbſt, daß da- gegen an ſich nichts zu erinnern iſt. Das, worauf es aber hier an- kommt, iſt, daß man ſie als Theile des Verwaltungsrechts aner- kenne, und das Bewußtſein ihres Zuſammenhangs mit dem Ganzen deſſelben nicht verliere. Und hier iſt die Rechtswiſſenſchaft noch weit hinter der Wirklichkeit zurück. Denn nicht nur, daß alle jene Rechts-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/73>, abgerufen am 28.04.2024.