hier den tiefern Grund dafür wiederholen. Jene Unterscheidung nämlich ist nie durchzuführen, so lange die Wissenschaft keinen bestimmten Be- griff vom Staate hat. Es ist von jeher der große Mangel der praktischen Staatswissenschaft gewesen, die Aufstellung und Durchführung des Staats- begriffes für etwas außerhalb ihres Bereiches liegendes anzusehen. Sie hat denselben nicht bloß der Rechtsphilosophie überlassen, sondern ihn auch gar nicht von derselben aufgenommen. Sie gelangte dadurch zu dem Widerspruch, in allen Punkten ihrer Lehre, wo sie von der Thätig- keit des Staats in seiner Verwaltung sprach, ohne den Begriff desselben weiter arbeiten zu müssen. Sie konnte dadurch natürlich zuerst zu keinem Systeme gelangen, da dieses doch nur durch jenen Begriff gegeben wird, und eben so wenig zu einem allgemein gültigen Princip für die einzelnen Functionen, da diese gleichfalls nur durch jenes Wesen des Staats gegeben werden. Die Behandlung aller der Volkswirthschafts- pflege gehörenden Theile der Staatswirthschaft wird dadurch die einer scharfen und gründlichen Beobachtung, ohne daß eine höhere klare Ord- nung herausträte; natürlich fehlt die Vollständigkeit, und an die Stelle von Grundsätzen muß zu oft das Gefühl der bloßen Zweckmäßigkeit treten. Das aber konnte bei dem sich immer höher entwickelnden Or- ganismus des Staats nicht genügen; es war daher natürlich, daß sich neben der Staatswirthschaftslehre auch andere Richtungen Bahn brachen, die freilich ihrerseits eben so wenig ausreichten. Wir glauben sie nur kurz andeuten zu sollen.
In jener Verwirrung hat Rau das große Verdienst, formell den alten Standpunkt des vorigen Jahrhunderts, die Dreitheilung in Na- tionalökonomie, Finanzwissenschaft und Volkswirthschaftspflege aufrecht erhalten, und damit die Scheidung der erstern von der letztern gründ- lich durchgeführt zu haben. Es ist nicht überflüssig, über den Werth, den seine Volkswirthschaftspflege an und für sich hat, hier zu reden. Allein, indem wir natürlich dabei gänzlich von allem Einzelnen absehen, auch dieser Standpunkt war nicht fähig, dem wahren Bedürf- niß zu entsprechen. Nicht wegen des Mangels an Inhalt, und auch nicht wegen des Systems dieses reichen Werkes, sondern vielmehr deß- halb, weil Rau's Arbeit nirgends zu dem Bewußtsein gelangt, daß diese Volkswirthschaftspflege selbst wieder nur ein Theil der in- neren Verwaltung ist, und daher, wie es scheint, von der Vor- stellung getragen wird und sie auch wohl bei andern erweckt, als ob die Volkswirthschaftspflege die innere Verwaltung selbst sei. Es ist nicht überflüssig, zu betonen, daß damit dem Bedürfnisse der Verwaltung, die mit immer größeren Aufgaben ausgerüstet ward, nicht genügt werden konnte. Es erzeugte sich vielmehr daraus eine neue
hier den tiefern Grund dafür wiederholen. Jene Unterſcheidung nämlich iſt nie durchzuführen, ſo lange die Wiſſenſchaft keinen beſtimmten Be- griff vom Staate hat. Es iſt von jeher der große Mangel der praktiſchen Staatswiſſenſchaft geweſen, die Aufſtellung und Durchführung des Staats- begriffes für etwas außerhalb ihres Bereiches liegendes anzuſehen. Sie hat denſelben nicht bloß der Rechtsphiloſophie überlaſſen, ſondern ihn auch gar nicht von derſelben aufgenommen. Sie gelangte dadurch zu dem Widerſpruch, in allen Punkten ihrer Lehre, wo ſie von der Thätig- keit des Staats in ſeiner Verwaltung ſprach, ohne den Begriff deſſelben weiter arbeiten zu müſſen. Sie konnte dadurch natürlich zuerſt zu keinem Syſteme gelangen, da dieſes doch nur durch jenen Begriff gegeben wird, und eben ſo wenig zu einem allgemein gültigen Princip für die einzelnen Functionen, da dieſe gleichfalls nur durch jenes Weſen des Staats gegeben werden. Die Behandlung aller der Volkswirthſchafts- pflege gehörenden Theile der Staatswirthſchaft wird dadurch die einer ſcharfen und gründlichen Beobachtung, ohne daß eine höhere klare Ord- nung herausträte; natürlich fehlt die Vollſtändigkeit, und an die Stelle von Grundſätzen muß zu oft das Gefühl der bloßen Zweckmäßigkeit treten. Das aber konnte bei dem ſich immer höher entwickelnden Or- ganismus des Staats nicht genügen; es war daher natürlich, daß ſich neben der Staatswirthſchaftslehre auch andere Richtungen Bahn brachen, die freilich ihrerſeits eben ſo wenig ausreichten. Wir glauben ſie nur kurz andeuten zu ſollen.
In jener Verwirrung hat Rau das große Verdienſt, formell den alten Standpunkt des vorigen Jahrhunderts, die Dreitheilung in Na- tionalökonomie, Finanzwiſſenſchaft und Volkswirthſchaftspflege aufrecht erhalten, und damit die Scheidung der erſtern von der letztern gründ- lich durchgeführt zu haben. Es iſt nicht überflüſſig, über den Werth, den ſeine Volkswirthſchaftspflege an und für ſich hat, hier zu reden. Allein, indem wir natürlich dabei gänzlich von allem Einzelnen abſehen, auch dieſer Standpunkt war nicht fähig, dem wahren Bedürf- niß zu entſprechen. Nicht wegen des Mangels an Inhalt, und auch nicht wegen des Syſtems dieſes reichen Werkes, ſondern vielmehr deß- halb, weil Rau’s Arbeit nirgends zu dem Bewußtſein gelangt, daß dieſe Volkswirthſchaftspflege ſelbſt wieder nur ein Theil der in- neren Verwaltung iſt, und daher, wie es ſcheint, von der Vor- ſtellung getragen wird und ſie auch wohl bei andern erweckt, als ob die Volkswirthſchaftspflege die innere Verwaltung ſelbſt ſei. Es iſt nicht überflüſſig, zu betonen, daß damit dem Bedürfniſſe der Verwaltung, die mit immer größeren Aufgaben ausgerüſtet ward, nicht genügt werden konnte. Es erzeugte ſich vielmehr daraus eine neue
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0063"n="45"/>
hier den tiefern Grund dafür wiederholen. Jene Unterſcheidung nämlich<lb/>
iſt nie durchzuführen, ſo lange die Wiſſenſchaft keinen beſtimmten Be-<lb/>
griff vom <hirendition="#g">Staate</hi> hat. Es iſt von jeher der große Mangel der praktiſchen<lb/>
Staatswiſſenſchaft geweſen, die Aufſtellung und Durchführung des Staats-<lb/>
begriffes für etwas außerhalb ihres Bereiches liegendes anzuſehen. Sie<lb/>
hat denſelben nicht bloß der Rechtsphiloſophie überlaſſen, ſondern ihn<lb/>
auch gar nicht von derſelben aufgenommen. Sie gelangte dadurch zu<lb/>
dem Widerſpruch, in allen Punkten ihrer Lehre, wo ſie von der Thätig-<lb/>
keit des Staats in ſeiner Verwaltung ſprach, ohne den Begriff deſſelben<lb/>
weiter arbeiten zu müſſen. Sie konnte dadurch natürlich zuerſt zu keinem<lb/>
Syſteme gelangen, da dieſes doch nur durch jenen Begriff gegeben<lb/>
wird, und eben ſo wenig zu einem allgemein gültigen Princip für die<lb/>
einzelnen Functionen, da dieſe gleichfalls nur durch jenes Weſen des<lb/>
Staats gegeben werden. Die Behandlung aller der Volkswirthſchafts-<lb/>
pflege gehörenden Theile der Staatswirthſchaft wird dadurch die einer<lb/>ſcharfen und gründlichen Beobachtung, ohne daß eine höhere klare Ord-<lb/>
nung herausträte; natürlich fehlt die Vollſtändigkeit, und an die Stelle<lb/>
von Grundſätzen muß zu oft das Gefühl der bloßen Zweckmäßigkeit<lb/>
treten. Das aber konnte bei dem ſich immer höher entwickelnden Or-<lb/>
ganismus des Staats nicht genügen; es war daher natürlich, daß ſich<lb/>
neben der Staatswirthſchaftslehre auch andere Richtungen Bahn brachen,<lb/>
die freilich ihrerſeits eben ſo wenig ausreichten. Wir glauben ſie nur<lb/>
kurz andeuten zu ſollen.</p><lb/><p>In jener Verwirrung hat <hirendition="#g">Rau</hi> das große Verdienſt, formell den<lb/>
alten Standpunkt des vorigen Jahrhunderts, die Dreitheilung in Na-<lb/>
tionalökonomie, Finanzwiſſenſchaft und Volkswirthſchaftspflege aufrecht<lb/>
erhalten, und damit die Scheidung der erſtern von der letztern gründ-<lb/>
lich durchgeführt zu haben. Es iſt nicht überflüſſig, über den Werth,<lb/>
den ſeine <hirendition="#g">Volkswirthſchaftspflege</hi> an und für ſich hat, hier zu<lb/>
reden. Allein, indem wir natürlich dabei gänzlich von allem Einzelnen<lb/>
abſehen, auch dieſer Standpunkt war nicht fähig, dem wahren Bedürf-<lb/>
niß zu entſprechen. Nicht wegen des Mangels an Inhalt, und auch<lb/>
nicht wegen des Syſtems dieſes reichen Werkes, ſondern vielmehr deß-<lb/>
halb, weil Rau’s Arbeit nirgends zu dem Bewußtſein gelangt, daß<lb/>
dieſe Volkswirthſchaftspflege ſelbſt <hirendition="#g">wieder nur ein Theil der in-<lb/>
neren Verwaltung iſt</hi>, und daher, wie es ſcheint, von der Vor-<lb/>ſtellung getragen wird und ſie auch wohl bei andern erweckt, als ob<lb/>
die <hirendition="#g">Volkswirthſchaftspflege die innere Verwaltung ſelbſt ſei</hi>.<lb/>
Es iſt nicht überflüſſig, zu betonen, daß damit dem Bedürfniſſe der<lb/>
Verwaltung, die mit immer größeren Aufgaben ausgerüſtet ward, nicht<lb/>
genügt werden konnte. Es erzeugte ſich vielmehr daraus eine neue<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[45/0063]
hier den tiefern Grund dafür wiederholen. Jene Unterſcheidung nämlich
iſt nie durchzuführen, ſo lange die Wiſſenſchaft keinen beſtimmten Be-
griff vom Staate hat. Es iſt von jeher der große Mangel der praktiſchen
Staatswiſſenſchaft geweſen, die Aufſtellung und Durchführung des Staats-
begriffes für etwas außerhalb ihres Bereiches liegendes anzuſehen. Sie
hat denſelben nicht bloß der Rechtsphiloſophie überlaſſen, ſondern ihn
auch gar nicht von derſelben aufgenommen. Sie gelangte dadurch zu
dem Widerſpruch, in allen Punkten ihrer Lehre, wo ſie von der Thätig-
keit des Staats in ſeiner Verwaltung ſprach, ohne den Begriff deſſelben
weiter arbeiten zu müſſen. Sie konnte dadurch natürlich zuerſt zu keinem
Syſteme gelangen, da dieſes doch nur durch jenen Begriff gegeben
wird, und eben ſo wenig zu einem allgemein gültigen Princip für die
einzelnen Functionen, da dieſe gleichfalls nur durch jenes Weſen des
Staats gegeben werden. Die Behandlung aller der Volkswirthſchafts-
pflege gehörenden Theile der Staatswirthſchaft wird dadurch die einer
ſcharfen und gründlichen Beobachtung, ohne daß eine höhere klare Ord-
nung herausträte; natürlich fehlt die Vollſtändigkeit, und an die Stelle
von Grundſätzen muß zu oft das Gefühl der bloßen Zweckmäßigkeit
treten. Das aber konnte bei dem ſich immer höher entwickelnden Or-
ganismus des Staats nicht genügen; es war daher natürlich, daß ſich
neben der Staatswirthſchaftslehre auch andere Richtungen Bahn brachen,
die freilich ihrerſeits eben ſo wenig ausreichten. Wir glauben ſie nur
kurz andeuten zu ſollen.
In jener Verwirrung hat Rau das große Verdienſt, formell den
alten Standpunkt des vorigen Jahrhunderts, die Dreitheilung in Na-
tionalökonomie, Finanzwiſſenſchaft und Volkswirthſchaftspflege aufrecht
erhalten, und damit die Scheidung der erſtern von der letztern gründ-
lich durchgeführt zu haben. Es iſt nicht überflüſſig, über den Werth,
den ſeine Volkswirthſchaftspflege an und für ſich hat, hier zu
reden. Allein, indem wir natürlich dabei gänzlich von allem Einzelnen
abſehen, auch dieſer Standpunkt war nicht fähig, dem wahren Bedürf-
niß zu entſprechen. Nicht wegen des Mangels an Inhalt, und auch
nicht wegen des Syſtems dieſes reichen Werkes, ſondern vielmehr deß-
halb, weil Rau’s Arbeit nirgends zu dem Bewußtſein gelangt, daß
dieſe Volkswirthſchaftspflege ſelbſt wieder nur ein Theil der in-
neren Verwaltung iſt, und daher, wie es ſcheint, von der Vor-
ſtellung getragen wird und ſie auch wohl bei andern erweckt, als ob
die Volkswirthſchaftspflege die innere Verwaltung ſelbſt ſei.
Es iſt nicht überflüſſig, zu betonen, daß damit dem Bedürfniſſe der
Verwaltung, die mit immer größeren Aufgaben ausgerüſtet ward, nicht
genügt werden konnte. Es erzeugte ſich vielmehr daraus eine neue
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/63>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.