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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Aufgabe vindicirt, die ganze Nationalökonomie direkt durch Staats-
gesetze und Thätigkeit zu regeln. Hier stellt sich zuerst Adam Müller
in seinen "Elementen der Staatskunst" 1808 auf den Standpunkt, die
landwirthschaftlichen und gewerblichen Verhältnisse den höhern Staats-
zwecken zu unterordnen; ihm ist hier wie immer die Regierung der
"Vater" des Volkes. Fichte's Geschlossener Handelsstaat (1800) ist in
der That nichts anderes, als der erste große Reflex der französischen
socialistischen Ideen in einem großen deutschen Geist; er ist die erste
deutsche Utopie, die wir haben, aber ohne Bewußtsein davon, daß er
nur Utopie ist. Ludens Handbuch der Staatsweisheit oder der Po-
litik (1811) ist im Grunde nur eine geistreichere Darstellung des wirth-
schaftlichen unfreien Eudämonismus, ohne tiefere Bedeutung. Erst als
unterdessen das Studium der eigentlichen Nationalökonomie weiter ge-
diehen ist, gewinnt die "Staatswirthschaft" die Tiefe und Breite, die
sie zu einer bedeutenden Erscheinung macht. Sie wird zu einer voll-
ständigen Nationalökonomie, die aber mit einer beinahe vollstän-
digen Volkswirthschaftspflege äußerlich verbunden ist
,
ohne daß man recht dazu gelangt wäre, sich über den Unterschied beider
klar zu werden; höchstens daß man die "reine Staatswirthschaftslehre"
als Nationalökonomie der "angewandten" als Volkswirthschaftspflege
vorauf sendete, ohne zu einem Verständniß des innern Verhaltens
zu gelangen. Die beiden bedeutendsten Werke in dieser Richtung, die
eigentlichen Vertreter der "Staatswirthschaftslehre" sind Kraus, Staats-
wirthschaftslehre, 1. Aufl. 1817 (sehr kurz), 2. Aufl. 1837 in 5 Bdn.
von H. v. Auerswald herausgegeben, namentlich aber Lotz, Handbuch
der Staatswirthschaftslehre, 3 Bde. 2. Aufl. 1838, ein Mann, der im
Einzelnen von wenigen erreicht, im Ganzen bisher von niemanden
übertroffen ist, und dessen Arbeit man immer mit größtem Nutzen
studiren wird. An sie schließen sich etwa noch Bülau, der Nachfolger
von Pölitz (Handbuch der Staatswirthschaftslehre 1835), eben so glatt,
breit und klar, aber nicht so umfassend im Ganzen, und Schön, Neue
Untersuchung der Nationalökonomie und der natürlichen Volkswirth-
schaftsordnung (1835). Auch diese ganze Richtung ist sich principiell einig
darüber, daß nirgend ein wesentlicher Unterschied zwischen der National-
ökonomie und der Thätigkeit und Aufgabe des Staats bestehe, und
Mühe genug gibt sich namentlich Lotz (§. 5. 6.) dieß Verhältniß wissen-
schaftlich zu formuliren, namentlich zu bestimmen, "wie weit die
Staatswirthschaftslehre den Staatswissenschaften gehört" (S. 10.), eine
Frage, die uns wunderlich erscheinen würde, wenn jene Staatswirth-
schaft ihm nicht als Nationalökonomie erschienen wäre. Allein zu einem
Abschluß konnte diese Richtung nicht gelangen, und wir dürfen wohl

Aufgabe vindicirt, die ganze Nationalökonomie direkt durch Staats-
geſetze und Thätigkeit zu regeln. Hier ſtellt ſich zuerſt Adam Müller
in ſeinen „Elementen der Staatskunſt“ 1808 auf den Standpunkt, die
landwirthſchaftlichen und gewerblichen Verhältniſſe den höhern Staats-
zwecken zu unterordnen; ihm iſt hier wie immer die Regierung der
„Vater“ des Volkes. Fichte’s Geſchloſſener Handelsſtaat (1800) iſt in
der That nichts anderes, als der erſte große Reflex der franzöſiſchen
ſocialiſtiſchen Ideen in einem großen deutſchen Geiſt; er iſt die erſte
deutſche Utopie, die wir haben, aber ohne Bewußtſein davon, daß er
nur Utopie iſt. Ludens Handbuch der Staatsweisheit oder der Po-
litik (1811) iſt im Grunde nur eine geiſtreichere Darſtellung des wirth-
ſchaftlichen unfreien Eudämonismus, ohne tiefere Bedeutung. Erſt als
unterdeſſen das Studium der eigentlichen Nationalökonomie weiter ge-
diehen iſt, gewinnt die „Staatswirthſchaft“ die Tiefe und Breite, die
ſie zu einer bedeutenden Erſcheinung macht. Sie wird zu einer voll-
ſtändigen Nationalökonomie, die aber mit einer beinahe vollſtän-
digen Volkswirthſchaftspflege äußerlich verbunden iſt
,
ohne daß man recht dazu gelangt wäre, ſich über den Unterſchied beider
klar zu werden; höchſtens daß man die „reine Staatswirthſchaftslehre“
als Nationalökonomie der „angewandten“ als Volkswirthſchaftspflege
vorauf ſendete, ohne zu einem Verſtändniß des innern Verhaltens
zu gelangen. Die beiden bedeutendſten Werke in dieſer Richtung, die
eigentlichen Vertreter der „Staatswirthſchaftslehre“ ſind Kraus, Staats-
wirthſchaftslehre, 1. Aufl. 1817 (ſehr kurz), 2. Aufl. 1837 in 5 Bdn.
von H. v. Auerswald herausgegeben, namentlich aber Lotz, Handbuch
der Staatswirthſchaftslehre, 3 Bde. 2. Aufl. 1838, ein Mann, der im
Einzelnen von wenigen erreicht, im Ganzen bisher von niemanden
übertroffen iſt, und deſſen Arbeit man immer mit größtem Nutzen
ſtudiren wird. An ſie ſchließen ſich etwa noch Bülau, der Nachfolger
von Pölitz (Handbuch der Staatswirthſchaftslehre 1835), eben ſo glatt,
breit und klar, aber nicht ſo umfaſſend im Ganzen, und Schön, Neue
Unterſuchung der Nationalökonomie und der natürlichen Volkswirth-
ſchaftsordnung (1835). Auch dieſe ganze Richtung iſt ſich principiell einig
darüber, daß nirgend ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen der National-
ökonomie und der Thätigkeit und Aufgabe des Staats beſtehe, und
Mühe genug gibt ſich namentlich Lotz (§. 5. 6.) dieß Verhältniß wiſſen-
ſchaftlich zu formuliren, namentlich zu beſtimmen, „wie weit die
Staatswirthſchaftslehre den Staatswiſſenſchaften gehört“ (S. 10.), eine
Frage, die uns wunderlich erſcheinen würde, wenn jene Staatswirth-
ſchaft ihm nicht als Nationalökonomie erſchienen wäre. Allein zu einem
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[44/0062] Aufgabe vindicirt, die ganze Nationalökonomie direkt durch Staats- geſetze und Thätigkeit zu regeln. Hier ſtellt ſich zuerſt Adam Müller in ſeinen „Elementen der Staatskunſt“ 1808 auf den Standpunkt, die landwirthſchaftlichen und gewerblichen Verhältniſſe den höhern Staats- zwecken zu unterordnen; ihm iſt hier wie immer die Regierung der „Vater“ des Volkes. Fichte’s Geſchloſſener Handelsſtaat (1800) iſt in der That nichts anderes, als der erſte große Reflex der franzöſiſchen ſocialiſtiſchen Ideen in einem großen deutſchen Geiſt; er iſt die erſte deutſche Utopie, die wir haben, aber ohne Bewußtſein davon, daß er nur Utopie iſt. Ludens Handbuch der Staatsweisheit oder der Po- litik (1811) iſt im Grunde nur eine geiſtreichere Darſtellung des wirth- ſchaftlichen unfreien Eudämonismus, ohne tiefere Bedeutung. Erſt als unterdeſſen das Studium der eigentlichen Nationalökonomie weiter ge- diehen iſt, gewinnt die „Staatswirthſchaft“ die Tiefe und Breite, die ſie zu einer bedeutenden Erſcheinung macht. Sie wird zu einer voll- ſtändigen Nationalökonomie, die aber mit einer beinahe vollſtän- digen Volkswirthſchaftspflege äußerlich verbunden iſt, ohne daß man recht dazu gelangt wäre, ſich über den Unterſchied beider klar zu werden; höchſtens daß man die „reine Staatswirthſchaftslehre“ als Nationalökonomie der „angewandten“ als Volkswirthſchaftspflege vorauf ſendete, ohne zu einem Verſtändniß des innern Verhaltens zu gelangen. Die beiden bedeutendſten Werke in dieſer Richtung, die eigentlichen Vertreter der „Staatswirthſchaftslehre“ ſind Kraus, Staats- wirthſchaftslehre, 1. Aufl. 1817 (ſehr kurz), 2. Aufl. 1837 in 5 Bdn. von H. v. Auerswald herausgegeben, namentlich aber Lotz, Handbuch der Staatswirthſchaftslehre, 3 Bde. 2. Aufl. 1838, ein Mann, der im Einzelnen von wenigen erreicht, im Ganzen bisher von niemanden übertroffen iſt, und deſſen Arbeit man immer mit größtem Nutzen ſtudiren wird. An ſie ſchließen ſich etwa noch Bülau, der Nachfolger von Pölitz (Handbuch der Staatswirthſchaftslehre 1835), eben ſo glatt, breit und klar, aber nicht ſo umfaſſend im Ganzen, und Schön, Neue Unterſuchung der Nationalökonomie und der natürlichen Volkswirth- ſchaftsordnung (1835). Auch dieſe ganze Richtung iſt ſich principiell einig darüber, daß nirgend ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen der National- ökonomie und der Thätigkeit und Aufgabe des Staats beſtehe, und Mühe genug gibt ſich namentlich Lotz (§. 5. 6.) dieß Verhältniß wiſſen- ſchaftlich zu formuliren, namentlich zu beſtimmen, „wie weit die Staatswirthſchaftslehre den Staatswiſſenſchaften gehört“ (S. 10.), eine Frage, die uns wunderlich erſcheinen würde, wenn jene Staatswirth- ſchaft ihm nicht als Nationalökonomie erſchienen wäre. Allein zu einem Abſchluß konnte dieſe Richtung nicht gelangen, und wir dürfen wohl

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/62>, abgerufen am 28.04.2024.