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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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aller Art die Beachtung sowohl der Landwirthschaft als der socialen
Unterschiede; noch einmal waren Nationalökonomie und Finanzwissen-
schaft nichts als die Kunst, Geld für den Staat zu machen; noch ein-
mal fällt die geistige Arbeit in die Fragen des Merkantilsystems; die
übrigens hochbedeutenden Arbeiten Laws über Münzen und Banken
(Considerations sur le Numeraire (nach Locke's Considerations of
the consequences of the raising of the interest and of raising of
the value of money,
1691), und seine Memoires sur les Banques)
wurden weiter ausgearbeitet von Dutot (Reflexions sur le commerce
et les Finances
) und Melon (Essai politique sur le commerce, 1734)
und öfter, so daß selbst Montesquieu, hier der Sache nicht Herr
und ohne rechtes Verständniß für das Wesen und die Bedeutung der
capitallosen Arbeit und ihrer Gefahren, das ganze Gebiet der Land-
wirthschaft mit ihrem damaligen unfreien Recht auf das Klima und
seinen Einfluß reducirt (L. XVI.) und sich bloß mit dem Handel und
dem Gelde -- jenen beiden Hauptelementen des Merkantilsystems -- in
ihrem Verhältniß zur Verfassung beschäftigt, geistreich wie immer und
tief einschneidend, aber hier einseitiger als irgendwo (L. XX. XXI.
und XXXI.). Auf diese Weise zeigt uns die erste Hälfte des 18. Jahr-
hunderts die Zeit des Schwankens zwischen den beiden großen Rich-
tungen der Volkswirthschaftspflege, der gewerblichen Arbeit und der
Landwirthschaft, beide durch große Ansichten und große Arbeiten ver-
treten, noch ohne rechte Herrschaft über die Frage und ohne Entscheidung.
Und das ist nun das große Verdienst und die wahre historische Stellung
Quesnays, daß er eben mit dem Glanze seiner Theorie diese Ent-
scheidung, und zwar eben in dem Sinne der Volkswirthschaftspflege,
gebracht hat. Wir haben über sein System als solches nichts zu sagen.
Allein wenn je so ist es hier klar, so wie man einen Blick auf die
treffliche Zusammenstellung seiner Werke von Daire wirft, daß er sein
Tableau economique nicht aufgestellt hat, um eine neue national-
ökonomische Theorie zu begründen. Mitten in den entscheidenden Orga-
nismus der Regierung gestellt, war es ihm von Anfang an klar, daß
es die wirthschaftliche Verwaltung sei, auf die es ankomme;
und unmittelbar an das Tableau schließen sich daher die Maximes
generales
du gouvernement economique d'un royaume agricole, et
notes sur ce sujet
(1758; die Originalausgabe ist nicht mehr vor-
handen). Diese maximes generales sind in der That wesentlich ein
System der Verwaltung; die einfachen Principien desselben sind: "die
balance en argent, chose futile; dagegen preference pour l'agricul-
ture, liberte de culture, entiere liberte du commerce, circulation
complete, impot non destructeur,
und endlich l'aisance pour les

Stein, die Verwaltungslehre. VII. 3

aller Art die Beachtung ſowohl der Landwirthſchaft als der ſocialen
Unterſchiede; noch einmal waren Nationalökonomie und Finanzwiſſen-
ſchaft nichts als die Kunſt, Geld für den Staat zu machen; noch ein-
mal fällt die geiſtige Arbeit in die Fragen des Merkantilſyſtems; die
übrigens hochbedeutenden Arbeiten Laws über Münzen und Banken
(Considérations sur le Numéraire (nach Locke’s Considerations of
the consequences of the raising of the interest and of raising of
the value of money,
1691), und ſeine Mémoires sur les Banques)
wurden weiter ausgearbeitet von Dutot (Réflexions sur le commerce
et les Finances
) und Melon (Essai politique sur le commerce, 1734)
und öfter, ſo daß ſelbſt Montesquieu, hier der Sache nicht Herr
und ohne rechtes Verſtändniß für das Weſen und die Bedeutung der
capitalloſen Arbeit und ihrer Gefahren, das ganze Gebiet der Land-
wirthſchaft mit ihrem damaligen unfreien Recht auf das Klima und
ſeinen Einfluß reducirt (L. XVI.) und ſich bloß mit dem Handel und
dem Gelde — jenen beiden Hauptelementen des Merkantilſyſtems — in
ihrem Verhältniß zur Verfaſſung beſchäftigt, geiſtreich wie immer und
tief einſchneidend, aber hier einſeitiger als irgendwo (L. XX. XXI.
und XXXI.). Auf dieſe Weiſe zeigt uns die erſte Hälfte des 18. Jahr-
hunderts die Zeit des Schwankens zwiſchen den beiden großen Rich-
tungen der Volkswirthſchaftspflege, der gewerblichen Arbeit und der
Landwirthſchaft, beide durch große Anſichten und große Arbeiten ver-
treten, noch ohne rechte Herrſchaft über die Frage und ohne Entſcheidung.
Und das iſt nun das große Verdienſt und die wahre hiſtoriſche Stellung
Quesnays, daß er eben mit dem Glanze ſeiner Theorie dieſe Ent-
ſcheidung, und zwar eben in dem Sinne der Volkswirthſchaftspflege,
gebracht hat. Wir haben über ſein Syſtem als ſolches nichts zu ſagen.
Allein wenn je ſo iſt es hier klar, ſo wie man einen Blick auf die
treffliche Zuſammenſtellung ſeiner Werke von Daire wirft, daß er ſein
Tableau économique nicht aufgeſtellt hat, um eine neue national-
ökonomiſche Theorie zu begründen. Mitten in den entſcheidenden Orga-
nismus der Regierung geſtellt, war es ihm von Anfang an klar, daß
es die wirthſchaftliche Verwaltung ſei, auf die es ankomme;
und unmittelbar an das Tableau ſchließen ſich daher die Maximes
générales
du gouvernement économique d’un royaume agricole, et
notes sur ce sujet
(1758; die Originalausgabe iſt nicht mehr vor-
handen). Dieſe maximes générales ſind in der That weſentlich ein
Syſtem der Verwaltung; die einfachen Principien deſſelben ſind: „die
balance en argent, chose futile; dagegen préférence pour l’agricul-
ture, liberté de culture, entière liberté du commerce, circulation
complète, impôt non destructeur,
und endlich l’aisance pour les

Stein, die Verwaltungslehre. VII. 3
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[33/0051] aller Art die Beachtung ſowohl der Landwirthſchaft als der ſocialen Unterſchiede; noch einmal waren Nationalökonomie und Finanzwiſſen- ſchaft nichts als die Kunſt, Geld für den Staat zu machen; noch ein- mal fällt die geiſtige Arbeit in die Fragen des Merkantilſyſtems; die übrigens hochbedeutenden Arbeiten Laws über Münzen und Banken (Considérations sur le Numéraire (nach Locke’s Considerations of the consequences of the raising of the interest and of raising of the value of money, 1691), und ſeine Mémoires sur les Banques) wurden weiter ausgearbeitet von Dutot (Réflexions sur le commerce et les Finances) und Melon (Essai politique sur le commerce, 1734) und öfter, ſo daß ſelbſt Montesquieu, hier der Sache nicht Herr und ohne rechtes Verſtändniß für das Weſen und die Bedeutung der capitalloſen Arbeit und ihrer Gefahren, das ganze Gebiet der Land- wirthſchaft mit ihrem damaligen unfreien Recht auf das Klima und ſeinen Einfluß reducirt (L. XVI.) und ſich bloß mit dem Handel und dem Gelde — jenen beiden Hauptelementen des Merkantilſyſtems — in ihrem Verhältniß zur Verfaſſung beſchäftigt, geiſtreich wie immer und tief einſchneidend, aber hier einſeitiger als irgendwo (L. XX. XXI. und XXXI.). Auf dieſe Weiſe zeigt uns die erſte Hälfte des 18. Jahr- hunderts die Zeit des Schwankens zwiſchen den beiden großen Rich- tungen der Volkswirthſchaftspflege, der gewerblichen Arbeit und der Landwirthſchaft, beide durch große Anſichten und große Arbeiten ver- treten, noch ohne rechte Herrſchaft über die Frage und ohne Entſcheidung. Und das iſt nun das große Verdienſt und die wahre hiſtoriſche Stellung Quesnays, daß er eben mit dem Glanze ſeiner Theorie dieſe Ent- ſcheidung, und zwar eben in dem Sinne der Volkswirthſchaftspflege, gebracht hat. Wir haben über ſein Syſtem als ſolches nichts zu ſagen. Allein wenn je ſo iſt es hier klar, ſo wie man einen Blick auf die treffliche Zuſammenſtellung ſeiner Werke von Daire wirft, daß er ſein Tableau économique nicht aufgeſtellt hat, um eine neue national- ökonomiſche Theorie zu begründen. Mitten in den entſcheidenden Orga- nismus der Regierung geſtellt, war es ihm von Anfang an klar, daß es die wirthſchaftliche Verwaltung ſei, auf die es ankomme; und unmittelbar an das Tableau ſchließen ſich daher die Maximes générales du gouvernement économique d’un royaume agricole, et notes sur ce sujet (1758; die Originalausgabe iſt nicht mehr vor- handen). Dieſe maximes générales ſind in der That weſentlich ein Syſtem der Verwaltung; die einfachen Principien deſſelben ſind: „die balance en argent, chose futile; dagegen préférence pour l’agricul- ture, liberté de culture, entière liberté du commerce, circulation complète, impôt non destructeur, und endlich l’aisance pour les Stein, die Verwaltungslehre. VII. 3

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/51>, abgerufen am 28.04.2024.