ohne Bewußtsein über das wahre Wesen dieses Rechts geblieben, und nicht weiter sind als jene bürgerlichen Gesetzbücher. Die Julirevolution und das französische Expropriationsgesetz von 1833 greifen alsdann allerdings maßgebend hinein. Diejenigen Staaten, welche nach 1830 zu Verfassungen gelangen, nehmen das Princip der Expropriation in ihre Verfassungsurkunden auf (Sachsen 1831 §. 31, Braunschweig 1832 §. 33, Altenburg 1832 §§. 54. 55, Hannover 1840 §. 35). Selten ist die Unklarheit, die über Begriff und das Wesen der Gesetze herrscht, deutlicher hervorgetreten, als hier; namentlich ist der §. 35 der hannoverischen Verwaltungsgesetze bezeichnend, die "Behörden" sollen nach dem "Gesetze" urtheilen, wenn ein solches über (bestimmte) Ent- eignungen vorhanden ist; besteht ein solches Gesetz nicht, so entscheidet die obere Verwaltungsbehörde, gegen Recurs an das Ministerium des Innern, von diesem an den König. Wenn aber die Behörden gegen ein bestehendes Gesetz entscheiden, so ist offenbar auch nichts anderes übrig, als dieser "Recurs." Wozu ist dann in der That ein Gesetz vorhanden? Daß die Gerichte in solchem Falle über die Action der Behörden zu entscheiden haben, das fiel niemanden ein. -- Neben dieser Gruppe von abstrakt-verfassungsmäßigen Expropriationsbestimmungen -- es wird uns wohl der Ausdruck hier gestattet sein -- erzeugt nun aber einerseits das französische Gesetz von 1833 eine förmliche Gesetz- gebung für die Enteignung, und andrerseits tritt mit dem sich ent- wickelnden Eisenbahnwesen die Nothwendigkeit ein, gewisse allgemeine Grundsätze wenigstens für die Anlage von Eisenbahnen aufzustellen. So entsteht jetzt allmählig diejenige Gestalt des geltenden Expropriations- rechts, die wir als die noch gegenwärtig geltende bezeichnen müssen. Das Princip wird auch nach 1848 in allen Verfassungen abstrakt aner- kannt, oft mit den Zusätzen der ersten Rechtsbildung, wie sie schon im Preuß. Allgem. Landrecht gegeben ist (Preußische Verfassung 1850 Art. 9, Hessen-Kassel 1852 §. 22, Coburg-Gotha 1852 §. 49, Olden- burg 1851 Art. 60, Schwarzburg-Sondershausen 1 49 §. 38, Anhalt-Bernburg 1850 §. 41, Reuß 1852 §. 24, Lübeck 1851 §. 53, Bremen 1854). Eine selbständige Ausführung zu einem all- gemeinen Enteignungsgesetze (im oben angeführten Sinn) geben zuerst Großherzogthum Hessen, Expropriationsgesetz vom 6. Juni 1821 (nach dem französischen Gesetz von 1810, mit Anwendung auf Provinzial- straßen, Gesetz vom 12. Oct. 1830, und auf Privat-Eisenbahnen, Gesetz vom 18. Juli 1836), Königreich Sachsen, Gesetz vom 3. Juli 1835, Baden, Expropriationsgesetz vom 15. Juni 1835, Frankfurt 1836, Bayern 17. Nov. 1837. Specielle Enteignungsgesetze erscheinen da- gegen in Preußen und Oesterreich, und zwar für die Eisenbahnen
ohne Bewußtſein über das wahre Weſen dieſes Rechts geblieben, und nicht weiter ſind als jene bürgerlichen Geſetzbücher. Die Julirevolution und das franzöſiſche Expropriationsgeſetz von 1833 greifen alsdann allerdings maßgebend hinein. Diejenigen Staaten, welche nach 1830 zu Verfaſſungen gelangen, nehmen das Princip der Expropriation in ihre Verfaſſungsurkunden auf (Sachſen 1831 §. 31, Braunſchweig 1832 §. 33, Altenburg 1832 §§. 54. 55, Hannover 1840 §. 35). Selten iſt die Unklarheit, die über Begriff und das Weſen der Geſetze herrſcht, deutlicher hervorgetreten, als hier; namentlich iſt der §. 35 der hannoveriſchen Verwaltungsgeſetze bezeichnend, die „Behörden“ ſollen nach dem „Geſetze“ urtheilen, wenn ein ſolches über (beſtimmte) Ent- eignungen vorhanden iſt; beſteht ein ſolches Geſetz nicht, ſo entſcheidet die obere Verwaltungsbehörde, gegen Recurs an das Miniſterium des Innern, von dieſem an den König. Wenn aber die Behörden gegen ein beſtehendes Geſetz entſcheiden, ſo iſt offenbar auch nichts anderes übrig, als dieſer „Recurs.“ Wozu iſt dann in der That ein Geſetz vorhanden? Daß die Gerichte in ſolchem Falle über die Action der Behörden zu entſcheiden haben, das fiel niemanden ein. — Neben dieſer Gruppe von abſtrakt-verfaſſungsmäßigen Expropriationsbeſtimmungen — es wird uns wohl der Ausdruck hier geſtattet ſein — erzeugt nun aber einerſeits das franzöſiſche Geſetz von 1833 eine förmliche Geſetz- gebung für die Enteignung, und andrerſeits tritt mit dem ſich ent- wickelnden Eiſenbahnweſen die Nothwendigkeit ein, gewiſſe allgemeine Grundſätze wenigſtens für die Anlage von Eiſenbahnen aufzuſtellen. So entſteht jetzt allmählig diejenige Geſtalt des geltenden Expropriations- rechts, die wir als die noch gegenwärtig geltende bezeichnen müſſen. Das Princip wird auch nach 1848 in allen Verfaſſungen abſtrakt aner- kannt, oft mit den Zuſätzen der erſten Rechtsbildung, wie ſie ſchon im Preuß. Allgem. Landrecht gegeben iſt (Preußiſche Verfaſſung 1850 Art. 9, Heſſen-Kaſſel 1852 §. 22, Coburg-Gotha 1852 §. 49, Olden- burg 1851 Art. 60, Schwarzburg-Sondershauſen 1 49 §. 38, Anhalt-Bernburg 1850 §. 41, Reuß 1852 §. 24, Lübeck 1851 §. 53, Bremen 1854). Eine ſelbſtändige Ausführung zu einem all- gemeinen Enteignungsgeſetze (im oben angeführten Sinn) geben zuerſt Großherzogthum Heſſen, Expropriationsgeſetz vom 6. Juni 1821 (nach dem franzöſiſchen Geſetz von 1810, mit Anwendung auf Provinzial- ſtraßen, Geſetz vom 12. Oct. 1830, und auf Privat-Eiſenbahnen, Geſetz vom 18. Juli 1836), Königreich Sachſen, Geſetz vom 3. Juli 1835, Baden, Expropriationsgeſetz vom 15. Juni 1835, Frankfurt 1836, Bayern 17. Nov. 1837. Specielle Enteignungsgeſetze erſcheinen da- gegen in Preußen und Oeſterreich, und zwar für die Eiſenbahnen
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ohne Bewußtſein über das wahre Weſen dieſes Rechts geblieben, und
nicht weiter ſind als jene bürgerlichen Geſetzbücher. Die Julirevolution
und das franzöſiſche Expropriationsgeſetz von 1833 greifen alsdann
allerdings maßgebend hinein. Diejenigen Staaten, welche nach 1830
zu Verfaſſungen gelangen, nehmen das Princip der Expropriation in
ihre Verfaſſungsurkunden auf (Sachſen 1831 §. 31, Braunſchweig
1832 §. 33, Altenburg 1832 §§. 54. 55, Hannover 1840 §. 35).
Selten iſt die Unklarheit, die über Begriff und das Weſen der Geſetze
herrſcht, deutlicher hervorgetreten, als hier; namentlich iſt der §. 35
der hannoveriſchen Verwaltungsgeſetze bezeichnend, die „Behörden“ ſollen
nach dem „Geſetze“ urtheilen, wenn ein ſolches über (beſtimmte) Ent-
eignungen vorhanden iſt; beſteht ein ſolches Geſetz nicht, ſo entſcheidet
die obere Verwaltungsbehörde, gegen Recurs an das Miniſterium des
Innern, von dieſem an den König. Wenn aber die Behörden gegen
ein beſtehendes Geſetz entſcheiden, ſo iſt offenbar auch nichts anderes
übrig, als dieſer „Recurs.“ Wozu iſt dann in der That ein Geſetz
vorhanden? Daß die Gerichte in ſolchem Falle über die Action der
Behörden zu entſcheiden haben, das fiel niemanden ein. — Neben dieſer
Gruppe von abſtrakt-verfaſſungsmäßigen Expropriationsbeſtimmungen
— es wird uns wohl der Ausdruck hier geſtattet ſein — erzeugt nun
aber einerſeits das franzöſiſche Geſetz von 1833 eine förmliche Geſetz-
gebung für die Enteignung, und andrerſeits tritt mit dem ſich ent-
wickelnden Eiſenbahnweſen die Nothwendigkeit ein, gewiſſe allgemeine
Grundſätze wenigſtens für die Anlage von Eiſenbahnen aufzuſtellen. So
entſteht jetzt allmählig diejenige Geſtalt des geltenden Expropriations-
rechts, die wir als die noch gegenwärtig geltende bezeichnen müſſen. Das
Princip wird auch nach 1848 in allen Verfaſſungen abſtrakt aner-
kannt, oft mit den Zuſätzen der erſten Rechtsbildung, wie ſie ſchon im
Preuß. Allgem. Landrecht gegeben iſt (Preußiſche Verfaſſung 1850 Art. 9,
Heſſen-Kaſſel 1852 §. 22, Coburg-Gotha 1852 §. 49, Olden-
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gemeinen Enteignungsgeſetze (im oben angeführten Sinn) geben zuerſt
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gegen in Preußen und Oeſterreich, und zwar für die Eiſenbahnen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/333>, abgerufen am 28.07.2024.
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