Epoche noch immer das preußische allgemeine Landrecht; im Großen und Ganzen aber ist es der gemeinsame Charakter dieser Bestimmungen, daß sie den Grundsatz der Enteignung zum verfassungsmäßigen Recht erheben, ohne jedoch schon eine eigentliche Enteignungsgesetzgebung daran anzuschließen. Und die Entstehung dieser letzteren aus dem allge- meinen Princip des ersteren bildet nun den Inhalt des zweiten Theiles dieser Geschichte.
Hier ist nun der Ort, den Charakter und die Entwicklung dieser eigentlichen Enteignungsgesetzgebung und damit auch die Stelle zu be- stimmen, welche dieselbe im Systeme des öffentlichen Rechts einzu- nehmen hat.
Wenn nämlich einmal der Grundsatz der Enteignung gesetzlich aner- kannt ist, so ist es klar, daß die Anwendung desselben auf den einzel- nen Fall Sache der vollziehenden Gewalt ist. Wenn daher über die Art und Weise, wie die letztere dabei vorzugehen hat, kein weiteres Gesetz besteht, so kann die Regierung nur auf dem Wege der Ver- ordnung vorgehen. Dieses Verordnungsrecht der Regierung beginnt nun, wie es in der Natur der Sache liegt, der Regel nach mit der Verfügung für das Verfahren im einzelnen, concreten Fall. Die Gleichartigkeit solcher Fälle läßt dann aus den Verfügungen und der aus ihnen entstehenden Uebung eine allgemeine Verordnung über das Verfahren bei der Enteignung entstehen, dem in den einzelnen Fällen nachzukommen ist. Meist nun werden solche allgemeine Verord- nungen für bestimmte gleichartige Kategorien erlassen, namentlich für die Enteignung bei Eisenbahnen. Die Jurisprudenz nimmt diese Ver- ordnung als geltendes Recht, und bildet daraus eine Theorie des Ent- eignungsrechts, ohne sich weiter um den Unterschied von Gesetz und Verordnung zu kümmern. In vielen Staaten gibt es überhaupt noch keinen durchgreifenden Unterschied zwischen Gesetzgebung und Verord- nung; man läßt sich einfach mit dem Begriffe des geltenden Rechts genügen, und geltendes Recht ist ja auch die Verordnung. Für Deutschland ist daher die Zeit, welche der verfassungsmäßigen Aner- kennung des Enteignungsrechtes folgt, die Rechtsbildung durch das Ver- ordnungsrecht. Und dieß Verordnungsrecht ist seinem Inhalte nach gar nicht schlecht; im Gegentheil hat dasselbe im Wesentlichen das ganze System des Enteignungsrechts gründlich und tüchtig vorgebildet. Es muß daher die Frage entstehen, was denn nun noch eigentlich zu wün- schen sei, nachdem das Princip des Rechts gesetzmäßig anerkannt und die Ordnung für die Vollziehung verordnungsmäßig festgestellt waren. In der Antwort auf diese Frage liegt eigentlich der Charakter der- jenigen Rechtsbildung, in der wir uns gegenwärtig befinden.
Epoche noch immer das preußiſche allgemeine Landrecht; im Großen und Ganzen aber iſt es der gemeinſame Charakter dieſer Beſtimmungen, daß ſie den Grundſatz der Enteignung zum verfaſſungsmäßigen Recht erheben, ohne jedoch ſchon eine eigentliche Enteignungsgeſetzgebung daran anzuſchließen. Und die Entſtehung dieſer letzteren aus dem allge- meinen Princip des erſteren bildet nun den Inhalt des zweiten Theiles dieſer Geſchichte.
Hier iſt nun der Ort, den Charakter und die Entwicklung dieſer eigentlichen Enteignungsgeſetzgebung und damit auch die Stelle zu be- ſtimmen, welche dieſelbe im Syſteme des öffentlichen Rechts einzu- nehmen hat.
Wenn nämlich einmal der Grundſatz der Enteignung geſetzlich aner- kannt iſt, ſo iſt es klar, daß die Anwendung deſſelben auf den einzel- nen Fall Sache der vollziehenden Gewalt iſt. Wenn daher über die Art und Weiſe, wie die letztere dabei vorzugehen hat, kein weiteres Geſetz beſteht, ſo kann die Regierung nur auf dem Wege der Ver- ordnung vorgehen. Dieſes Verordnungsrecht der Regierung beginnt nun, wie es in der Natur der Sache liegt, der Regel nach mit der Verfügung für das Verfahren im einzelnen, concreten Fall. Die Gleichartigkeit ſolcher Fälle läßt dann aus den Verfügungen und der aus ihnen entſtehenden Uebung eine allgemeine Verordnung über das Verfahren bei der Enteignung entſtehen, dem in den einzelnen Fällen nachzukommen iſt. Meiſt nun werden ſolche allgemeine Verord- nungen für beſtimmte gleichartige Kategorien erlaſſen, namentlich für die Enteignung bei Eiſenbahnen. Die Jurisprudenz nimmt dieſe Ver- ordnung als geltendes Recht, und bildet daraus eine Theorie des Ent- eignungsrechts, ohne ſich weiter um den Unterſchied von Geſetz und Verordnung zu kümmern. In vielen Staaten gibt es überhaupt noch keinen durchgreifenden Unterſchied zwiſchen Geſetzgebung und Verord- nung; man läßt ſich einfach mit dem Begriffe des geltenden Rechts genügen, und geltendes Recht iſt ja auch die Verordnung. Für Deutſchland iſt daher die Zeit, welche der verfaſſungsmäßigen Aner- kennung des Enteignungsrechtes folgt, die Rechtsbildung durch das Ver- ordnungsrecht. Und dieß Verordnungsrecht iſt ſeinem Inhalte nach gar nicht ſchlecht; im Gegentheil hat daſſelbe im Weſentlichen das ganze Syſtem des Enteignungsrechts gründlich und tüchtig vorgebildet. Es muß daher die Frage entſtehen, was denn nun noch eigentlich zu wün- ſchen ſei, nachdem das Princip des Rechts geſetzmäßig anerkannt und die Ordnung für die Vollziehung verordnungsmäßig feſtgeſtellt waren. In der Antwort auf dieſe Frage liegt eigentlich der Charakter der- jenigen Rechtsbildung, in der wir uns gegenwärtig befinden.
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Epoche noch immer das preußiſche allgemeine Landrecht; im Großen
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daß ſie den Grundſatz der Enteignung zum verfaſſungsmäßigen Recht
erheben, ohne jedoch ſchon eine eigentliche Enteignungsgeſetzgebung
daran anzuſchließen. Und die Entſtehung dieſer letzteren aus dem allge-
meinen Princip des erſteren bildet nun den Inhalt des zweiten Theiles
dieſer Geſchichte.
Hier iſt nun der Ort, den Charakter und die Entwicklung dieſer
eigentlichen Enteignungsgeſetzgebung und damit auch die Stelle zu be-
ſtimmen, welche dieſelbe im Syſteme des öffentlichen Rechts einzu-
nehmen hat.
Wenn nämlich einmal der Grundſatz der Enteignung geſetzlich aner-
kannt iſt, ſo iſt es klar, daß die Anwendung deſſelben auf den einzel-
nen Fall Sache der vollziehenden Gewalt iſt. Wenn daher über die
Art und Weiſe, wie die letztere dabei vorzugehen hat, kein weiteres
Geſetz beſteht, ſo kann die Regierung nur auf dem Wege der Ver-
ordnung vorgehen. Dieſes Verordnungsrecht der Regierung beginnt
nun, wie es in der Natur der Sache liegt, der Regel nach mit der
Verfügung für das Verfahren im einzelnen, concreten Fall. Die
Gleichartigkeit ſolcher Fälle läßt dann aus den Verfügungen und der
aus ihnen entſtehenden Uebung eine allgemeine Verordnung über
das Verfahren bei der Enteignung entſtehen, dem in den einzelnen
Fällen nachzukommen iſt. Meiſt nun werden ſolche allgemeine Verord-
nungen für beſtimmte gleichartige Kategorien erlaſſen, namentlich für
die Enteignung bei Eiſenbahnen. Die Jurisprudenz nimmt dieſe Ver-
ordnung als geltendes Recht, und bildet daraus eine Theorie des Ent-
eignungsrechts, ohne ſich weiter um den Unterſchied von Geſetz und
Verordnung zu kümmern. In vielen Staaten gibt es überhaupt noch
keinen durchgreifenden Unterſchied zwiſchen Geſetzgebung und Verord-
nung; man läßt ſich einfach mit dem Begriffe des geltenden Rechts
genügen, und geltendes Recht iſt ja auch die Verordnung. Für
Deutſchland iſt daher die Zeit, welche der verfaſſungsmäßigen Aner-
kennung des Enteignungsrechtes folgt, die Rechtsbildung durch das Ver-
ordnungsrecht. Und dieß Verordnungsrecht iſt ſeinem Inhalte nach gar
nicht ſchlecht; im Gegentheil hat daſſelbe im Weſentlichen das ganze
Syſtem des Enteignungsrechts gründlich und tüchtig vorgebildet. Es
muß daher die Frage entſtehen, was denn nun noch eigentlich zu wün-
ſchen ſei, nachdem das Princip des Rechts geſetzmäßig anerkannt und
die Ordnung für die Vollziehung verordnungsmäßig feſtgeſtellt waren.
In der Antwort auf dieſe Frage liegt eigentlich der Charakter der-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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