Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Landgemeinden sich die intelligente Selbstverwaltung
ausgebildet haben wird
, und daß man bis dahin den Auftheilungs-
proceß so viel als mit unabweisbaren Interessen vereinbar ist, statt zu
befördern, vielmehr zurückhalten soll. Da das Auftheilungswesen
von diesem Standpunkte ohne eine specielle fachmännische Arbeit nicht
erledigt werden kann, so muß uns die Hoffnung genügen, daß Thaers
großartige Auffassung vom rein landwirthschaftlichen Standpunkt einen
socialen Nachfolger haben möge; möge ein Mann mit der Fachkunde
Knaus' und mit seinem vorurtheilsfreien und großartigen Blick zu den
Gedanken, die er ausgesprochen, die beiden Elemente hinzufügen, deren
wir in unserer Zeit bedürfen, die historische Anknüpfung an die alten
Rechte und die neuere organische Vergleichung der bestehenden legislato-
rischen Bestimmungen. Erst dann wird die Verwaltungslehre auf diesem
Punkte zur Abgeschlossenheit ihrer Ansichten gelangen können. Die be-
treffenden Materialien für das positive Recht aber sind, der Unsicherheit
des gegenwärtigen Standpunkts entsprechend, noch sehr zerstreut. Für
Bayern hatte das revidirte Gemeinde-Edikt §. 25 die Theilung nur
wegen "überwiegender Vortheile" gestattet, mit einem ganzen unklaren
Apparat von begutachtenden Organen (Moy, bayerisches Verfassungs-
recht II. §. 103). Nach der Verordnung vom 11. März 1814 sollte
dabei ein Gutachten sachverständiger Landwirthe maßgebend sein. Be-
stimmter ist das Gesetz vom 1. Juli 1834; darnach müssen drei Viertel
der Gemeindemitglieder übereinstimmen, unter welchen jedoch drei Viertel
der Großgrundbesitzer und Schäfereiberechtigten begriffen sein sollen (Rau,
§. 87). Doch ist die Veräußerung des "Gemeindevermögens" nicht ge-
stattet, wobei nicht bestimmt ist, was eigentlich dieß Gemeindevermögen
ist (Pözl, Verwaltungsrecht §. 96). Die badische Gemeindeordnung vom
31. December 1831 und Gemeindeordnung vom 5. November 1858, sowie
das sächsische Gesetz über Ablösungen vom 17. März 1832 stehen
wesentlich auf dem preußischen Standpunkt. Ueber die in Württemberg
herrschende durchgreifende Oertlichkeit und große Verschiedenheit des
Gemeindebezirks und seines Rechts, die so weit geht, daß man nur mit
Mühe "von Regel und Ausnahme" reden kann, vgl. Mohl, württembergi-
sches Verwaltungsrecht II. §. 170. Das preußische Princip der Majorität,
unter verschiedenen Modifikationen, ist angenommen von der großherzoglich
hessischen Theilordnung vom 7. September 1814, der gothaischen
Theilordnung vom 2. Januar 1832; Hannover begann, wahrscheinlich
auf Thaers Veranlassung, sein Gemeindetheilungswesen bereits mit der
lüneburgischen Theilordnung vom 25. Juni 1802, deren Grundsätze
dann für die andern Provinzen durch die Gesetze vom 30. April 1824
und 26. Juli 1825 zur Geltung gebracht wurden (vgl. Rau, §. 86 ff.)


in den Landgemeinden ſich die intelligente Selbſtverwaltung
ausgebildet haben wird
, und daß man bis dahin den Auftheilungs-
proceß ſo viel als mit unabweisbaren Intereſſen vereinbar iſt, ſtatt zu
befördern, vielmehr zurückhalten ſoll. Da das Auftheilungsweſen
von dieſem Standpunkte ohne eine ſpecielle fachmänniſche Arbeit nicht
erledigt werden kann, ſo muß uns die Hoffnung genügen, daß Thaers
großartige Auffaſſung vom rein landwirthſchaftlichen Standpunkt einen
ſocialen Nachfolger haben möge; möge ein Mann mit der Fachkunde
Knaus’ und mit ſeinem vorurtheilsfreien und großartigen Blick zu den
Gedanken, die er ausgeſprochen, die beiden Elemente hinzufügen, deren
wir in unſerer Zeit bedürfen, die hiſtoriſche Anknüpfung an die alten
Rechte und die neuere organiſche Vergleichung der beſtehenden legislato-
riſchen Beſtimmungen. Erſt dann wird die Verwaltungslehre auf dieſem
Punkte zur Abgeſchloſſenheit ihrer Anſichten gelangen können. Die be-
treffenden Materialien für das poſitive Recht aber ſind, der Unſicherheit
des gegenwärtigen Standpunkts entſprechend, noch ſehr zerſtreut. Für
Bayern hatte das revidirte Gemeinde-Edikt §. 25 die Theilung nur
wegen „überwiegender Vortheile“ geſtattet, mit einem ganzen unklaren
Apparat von begutachtenden Organen (Moy, bayeriſches Verfaſſungs-
recht II. §. 103). Nach der Verordnung vom 11. März 1814 ſollte
dabei ein Gutachten ſachverſtändiger Landwirthe maßgebend ſein. Be-
ſtimmter iſt das Geſetz vom 1. Juli 1834; darnach müſſen drei Viertel
der Gemeindemitglieder übereinſtimmen, unter welchen jedoch drei Viertel
der Großgrundbeſitzer und Schäfereiberechtigten begriffen ſein ſollen (Rau,
§. 87). Doch iſt die Veräußerung des „Gemeindevermögens“ nicht ge-
ſtattet, wobei nicht beſtimmt iſt, was eigentlich dieß Gemeindevermögen
iſt (Pözl, Verwaltungsrecht §. 96). Die badiſche Gemeindeordnung vom
31. December 1831 und Gemeindeordnung vom 5. November 1858, ſowie
das ſächſiſche Geſetz über Ablöſungen vom 17. März 1832 ſtehen
weſentlich auf dem preußiſchen Standpunkt. Ueber die in Württemberg
herrſchende durchgreifende Oertlichkeit und große Verſchiedenheit des
Gemeindebezirks und ſeines Rechts, die ſo weit geht, daß man nur mit
Mühe „von Regel und Ausnahme“ reden kann, vgl. Mohl, württembergi-
ſches Verwaltungsrecht II. §. 170. Das preußiſche Princip der Majorität,
unter verſchiedenen Modifikationen, iſt angenommen von der großherzoglich
heſſiſchen Theilordnung vom 7. September 1814, der gothaiſchen
Theilordnung vom 2. Januar 1832; Hannover begann, wahrſcheinlich
auf Thaers Veranlaſſung, ſein Gemeindetheilungsweſen bereits mit der
lüneburgiſchen Theilordnung vom 25. Juni 1802, deren Grundſätze
dann für die andern Provinzen durch die Geſetze vom 30. April 1824
und 26. Juli 1825 zur Geltung gebracht wurden (vgl. Rau, §. 86 ff.)


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0309" n="291"/>
in den Landgemeinden &#x017F;ich <hi rendition="#g">die intelligente Selb&#x017F;tverwaltung<lb/>
ausgebildet haben wird</hi>, und daß man bis dahin den Auftheilungs-<lb/>
proceß &#x017F;o viel als mit unabweisbaren Intere&#x017F;&#x017F;en vereinbar i&#x017F;t, &#x017F;tatt zu<lb/>
befördern, vielmehr <hi rendition="#g">zurückhalten &#x017F;oll</hi>. Da das Auftheilungswe&#x017F;en<lb/>
von die&#x017F;em Standpunkte ohne eine &#x017F;pecielle fachmänni&#x017F;che Arbeit nicht<lb/>
erledigt werden kann, &#x017F;o muß uns die Hoffnung genügen, daß <hi rendition="#g">Thaers</hi><lb/>
großartige Auffa&#x017F;&#x017F;ung vom rein landwirth&#x017F;chaftlichen Standpunkt einen<lb/>
&#x017F;ocialen Nachfolger haben möge; möge ein Mann mit der Fachkunde<lb/><hi rendition="#g">Knaus</hi>&#x2019; und mit &#x017F;einem vorurtheilsfreien und großartigen Blick zu den<lb/>
Gedanken, die er ausge&#x017F;prochen, die beiden Elemente hinzufügen, deren<lb/>
wir in un&#x017F;erer Zeit bedürfen, die hi&#x017F;tori&#x017F;che Anknüpfung an die alten<lb/>
Rechte und die neuere organi&#x017F;che Vergleichung der be&#x017F;tehenden legislato-<lb/>
ri&#x017F;chen Be&#x017F;timmungen. Er&#x017F;t dann wird die Verwaltungslehre auf die&#x017F;em<lb/>
Punkte zur Abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit ihrer An&#x017F;ichten gelangen können. Die be-<lb/>
treffenden Materialien für das po&#x017F;itive Recht aber &#x017F;ind, der Un&#x017F;icherheit<lb/>
des gegenwärtigen Standpunkts ent&#x017F;prechend, noch &#x017F;ehr zer&#x017F;treut. Für<lb/><hi rendition="#g">Bayern</hi> hatte das revidirte Gemeinde-Edikt §. 25 die Theilung nur<lb/>
wegen &#x201E;überwiegender Vortheile&#x201C; ge&#x017F;tattet, mit einem ganzen unklaren<lb/>
Apparat von begutachtenden Organen (<hi rendition="#g">Moy</hi>, bayeri&#x017F;ches Verfa&#x017F;&#x017F;ungs-<lb/>
recht <hi rendition="#aq">II.</hi> §. 103). Nach der Verordnung vom 11. März 1814 &#x017F;ollte<lb/>
dabei ein Gutachten &#x017F;achver&#x017F;tändiger Landwirthe maßgebend &#x017F;ein. Be-<lb/>
&#x017F;timmter i&#x017F;t das Ge&#x017F;etz vom 1. Juli 1834; darnach mü&#x017F;&#x017F;en drei Viertel<lb/>
der Gemeindemitglieder überein&#x017F;timmen, unter welchen jedoch drei Viertel<lb/>
der Großgrundbe&#x017F;itzer und Schäfereiberechtigten begriffen &#x017F;ein &#x017F;ollen (<hi rendition="#g">Rau</hi>,<lb/>
§. 87). Doch i&#x017F;t die Veräußerung des &#x201E;Gemeindevermögens&#x201C; nicht ge-<lb/>
&#x017F;tattet, wobei nicht be&#x017F;timmt i&#x017F;t, was eigentlich dieß Gemeindevermögen<lb/>
i&#x017F;t (<hi rendition="#g">Pözl</hi>, Verwaltungsrecht §. 96). Die <hi rendition="#g">badi&#x017F;che</hi> Gemeindeordnung vom<lb/>
31. December 1831 und Gemeindeordnung vom 5. November 1858, &#x017F;owie<lb/>
das <hi rendition="#g">&#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;che</hi> Ge&#x017F;etz über <hi rendition="#g">Ablö&#x017F;ungen</hi> vom 17. März 1832 &#x017F;tehen<lb/>
we&#x017F;entlich auf dem preußi&#x017F;chen Standpunkt. Ueber die in <hi rendition="#g">Württemberg</hi><lb/>
herr&#x017F;chende durchgreifende Oertlichkeit und große Ver&#x017F;chiedenheit des<lb/>
Gemeindebezirks und &#x017F;eines Rechts, die &#x017F;o weit geht, daß man nur mit<lb/>
Mühe &#x201E;von Regel und Ausnahme&#x201C; reden kann, vgl. <hi rendition="#g">Mohl</hi>, württembergi-<lb/>
&#x017F;ches Verwaltungsrecht <hi rendition="#aq">II.</hi> §. 170. Das preußi&#x017F;che Princip der Majorität,<lb/>
unter ver&#x017F;chiedenen Modifikationen, i&#x017F;t angenommen von der großherzoglich<lb/><hi rendition="#g">he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen</hi> Theilordnung vom 7. September 1814, der <hi rendition="#g">gothai&#x017F;chen</hi><lb/>
Theilordnung vom 2. Januar 1832; <hi rendition="#g">Hannover</hi> begann, wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
auf Thaers Veranla&#x017F;&#x017F;ung, &#x017F;ein Gemeindetheilungswe&#x017F;en bereits mit der<lb/><hi rendition="#g">lüneburgi&#x017F;chen</hi> Theilordnung vom 25. Juni 1802, deren Grund&#x017F;ätze<lb/>
dann für die andern Provinzen durch die Ge&#x017F;etze vom 30. April 1824<lb/>
und 26. Juli 1825 zur Geltung gebracht wurden (vgl. <hi rendition="#g">Rau</hi>, §. 86 ff.)</p>
                  </div>
                </div>
              </div><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0309] in den Landgemeinden ſich die intelligente Selbſtverwaltung ausgebildet haben wird, und daß man bis dahin den Auftheilungs- proceß ſo viel als mit unabweisbaren Intereſſen vereinbar iſt, ſtatt zu befördern, vielmehr zurückhalten ſoll. Da das Auftheilungsweſen von dieſem Standpunkte ohne eine ſpecielle fachmänniſche Arbeit nicht erledigt werden kann, ſo muß uns die Hoffnung genügen, daß Thaers großartige Auffaſſung vom rein landwirthſchaftlichen Standpunkt einen ſocialen Nachfolger haben möge; möge ein Mann mit der Fachkunde Knaus’ und mit ſeinem vorurtheilsfreien und großartigen Blick zu den Gedanken, die er ausgeſprochen, die beiden Elemente hinzufügen, deren wir in unſerer Zeit bedürfen, die hiſtoriſche Anknüpfung an die alten Rechte und die neuere organiſche Vergleichung der beſtehenden legislato- riſchen Beſtimmungen. Erſt dann wird die Verwaltungslehre auf dieſem Punkte zur Abgeſchloſſenheit ihrer Anſichten gelangen können. Die be- treffenden Materialien für das poſitive Recht aber ſind, der Unſicherheit des gegenwärtigen Standpunkts entſprechend, noch ſehr zerſtreut. Für Bayern hatte das revidirte Gemeinde-Edikt §. 25 die Theilung nur wegen „überwiegender Vortheile“ geſtattet, mit einem ganzen unklaren Apparat von begutachtenden Organen (Moy, bayeriſches Verfaſſungs- recht II. §. 103). Nach der Verordnung vom 11. März 1814 ſollte dabei ein Gutachten ſachverſtändiger Landwirthe maßgebend ſein. Be- ſtimmter iſt das Geſetz vom 1. Juli 1834; darnach müſſen drei Viertel der Gemeindemitglieder übereinſtimmen, unter welchen jedoch drei Viertel der Großgrundbeſitzer und Schäfereiberechtigten begriffen ſein ſollen (Rau, §. 87). Doch iſt die Veräußerung des „Gemeindevermögens“ nicht ge- ſtattet, wobei nicht beſtimmt iſt, was eigentlich dieß Gemeindevermögen iſt (Pözl, Verwaltungsrecht §. 96). Die badiſche Gemeindeordnung vom 31. December 1831 und Gemeindeordnung vom 5. November 1858, ſowie das ſächſiſche Geſetz über Ablöſungen vom 17. März 1832 ſtehen weſentlich auf dem preußiſchen Standpunkt. Ueber die in Württemberg herrſchende durchgreifende Oertlichkeit und große Verſchiedenheit des Gemeindebezirks und ſeines Rechts, die ſo weit geht, daß man nur mit Mühe „von Regel und Ausnahme“ reden kann, vgl. Mohl, württembergi- ſches Verwaltungsrecht II. §. 170. Das preußiſche Princip der Majorität, unter verſchiedenen Modifikationen, iſt angenommen von der großherzoglich heſſiſchen Theilordnung vom 7. September 1814, der gothaiſchen Theilordnung vom 2. Januar 1832; Hannover begann, wahrſcheinlich auf Thaers Veranlaſſung, ſein Gemeindetheilungsweſen bereits mit der lüneburgiſchen Theilordnung vom 25. Juni 1802, deren Grundſätze dann für die andern Provinzen durch die Geſetze vom 30. April 1824 und 26. Juli 1825 zur Geltung gebracht wurden (vgl. Rau, §. 86 ff.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/309
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/309>, abgerufen am 09.11.2024.