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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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handen; es ist ein vollständiger Widerspruch, in den Begriff der Staats-
wirthschaft die Förderung der Einzelwirthschaft außerhalb ihrer
wirthschaftlichen Verpflichtung aufzunehmen, so sehr wie es ein Wider-
spruch wäre, die Hülfe an andere als einen Theil einer Einzelwirth-
schaft zu setzen. Die Grundbegriffe der Staatswirthschaft liegen daher
in dem Wesen des wirthschaftlichen Güterlebens des Staats, die Ge-
setze derselben in dem Wesen des persönlichen Staatsinteresses; die
allgemeine Entwicklung hat mit derselben nur so weit zu thun, als
das Staatsinteresse durch das Volksinteresse bedingt erscheint; und die
Gesammtheit jener Begriffe und Gesetze bilden die Staatswirth-
schaftslehre
.

Auf dieser Grundlage ist nun auch der Inhalt derselben leicht
verständlich. Die Staatseinnahmen (oder die Finanzen im engern
Sinne) erscheinen als die Produktion, die Staatsausgaben als die
Consumtion in der Staatswirthschaft, und die Reproduktion ist das-
jenige staatswirthschaftliche Gesetz, nach welchem die Ausgaben so ein-
gerichtet werden müssen, daß sie, im ganz speciellen Interesse der
Staatswirthschaft, selbst wieder die Staatseinnahmen befördern und
vermehren. Die Lehre von den Einnahmen heißt nun die Finanz-
wissenschaft; bei den Ausgaben dagegen bietet die Staatswirthschaft
nur noch die Mittel dar, welche die Verwaltung anwendet, um das
wirthschaftliche Wohl zu befördern. Hier nun scheinen, für die Staats-
ausgaben, Staatswirthschaft und Volkswirthschaftspflege zusammen zu
fallen, und das ist der Grund, weßhalb bedeutende Männer, wie Lotz
und Kraus, sie wirklich verschmolzen haben. Allein es ist klar, daß
formell die wirthschaftlichen Aufgaben des Staats nicht bloß da existiren,
wo es sich um Ausgaben handelt, sondern daß es Aufgaben, und ent-
scheidende, gibt, die es mit Ausgaben gar nicht zu thun haben; im
Gegentheil sind die Ausgaben nur die materielle Bedingung für einen
Theil jener Aufgaben; wir erinnern nur an die Enteignungsrechte, an
die Grundlage für Straßen- und Bahnnetze, an das Maß und Ge-
wichtswesen, an hundert andere Dinge, die überhaupt nicht existiren
würden, wenn es nur eine Staatswirthschaft gäbe, da bei ihnen
keine Ausgaben vorkommen. Dem Wesen nach aber ist das Princip
der Ausgaben des Staats sein eigenes Interesse, und wenn Staats-
wirthschaft und Verwaltung gleich wären, so würde der leitende Ge-
danke für die erstere immer nur die Vermehrung der Einnahmen und
nie das Wohl der Bürger sein, das auch bei verringerten Einnahmen
steigen kann. Man muß daher sagen, daß der Begriff der Staats-
wirthschaftslehre in dem Theile, der die Ausgaben betrifft, die Lehre
nicht von dem Princip, sondern von dem materiellen Maßstabe

handen; es iſt ein vollſtändiger Widerſpruch, in den Begriff der Staats-
wirthſchaft die Förderung der Einzelwirthſchaft außerhalb ihrer
wirthſchaftlichen Verpflichtung aufzunehmen, ſo ſehr wie es ein Wider-
ſpruch wäre, die Hülfe an andere als einen Theil einer Einzelwirth-
ſchaft zu ſetzen. Die Grundbegriffe der Staatswirthſchaft liegen daher
in dem Weſen des wirthſchaftlichen Güterlebens des Staats, die Ge-
ſetze derſelben in dem Weſen des perſönlichen Staatsintereſſes; die
allgemeine Entwicklung hat mit derſelben nur ſo weit zu thun, als
das Staatsintereſſe durch das Volksintereſſe bedingt erſcheint; und die
Geſammtheit jener Begriffe und Geſetze bilden die Staatswirth-
ſchaftslehre
.

Auf dieſer Grundlage iſt nun auch der Inhalt derſelben leicht
verſtändlich. Die Staatseinnahmen (oder die Finanzen im engern
Sinne) erſcheinen als die Produktion, die Staatsausgaben als die
Conſumtion in der Staatswirthſchaft, und die Reproduktion iſt das-
jenige ſtaatswirthſchaftliche Geſetz, nach welchem die Ausgaben ſo ein-
gerichtet werden müſſen, daß ſie, im ganz ſpeciellen Intereſſe der
Staatswirthſchaft, ſelbſt wieder die Staatseinnahmen befördern und
vermehren. Die Lehre von den Einnahmen heißt nun die Finanz-
wiſſenſchaft; bei den Ausgaben dagegen bietet die Staatswirthſchaft
nur noch die Mittel dar, welche die Verwaltung anwendet, um das
wirthſchaftliche Wohl zu befördern. Hier nun ſcheinen, für die Staats-
ausgaben, Staatswirthſchaft und Volkswirthſchaftspflege zuſammen zu
fallen, und das iſt der Grund, weßhalb bedeutende Männer, wie Lotz
und Kraus, ſie wirklich verſchmolzen haben. Allein es iſt klar, daß
formell die wirthſchaftlichen Aufgaben des Staats nicht bloß da exiſtiren,
wo es ſich um Ausgaben handelt, ſondern daß es Aufgaben, und ent-
ſcheidende, gibt, die es mit Ausgaben gar nicht zu thun haben; im
Gegentheil ſind die Ausgaben nur die materielle Bedingung für einen
Theil jener Aufgaben; wir erinnern nur an die Enteignungsrechte, an
die Grundlage für Straßen- und Bahnnetze, an das Maß und Ge-
wichtsweſen, an hundert andere Dinge, die überhaupt nicht exiſtiren
würden, wenn es nur eine Staatswirthſchaft gäbe, da bei ihnen
keine Ausgaben vorkommen. Dem Weſen nach aber iſt das Princip
der Ausgaben des Staats ſein eigenes Intereſſe, und wenn Staats-
wirthſchaft und Verwaltung gleich wären, ſo würde der leitende Ge-
danke für die erſtere immer nur die Vermehrung der Einnahmen und
nie das Wohl der Bürger ſein, das auch bei verringerten Einnahmen
ſteigen kann. Man muß daher ſagen, daß der Begriff der Staats-
wirthſchaftslehre in dem Theile, der die Ausgaben betrifft, die Lehre
nicht von dem Princip, ſondern von dem materiellen Maßſtabe

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[9/0027] handen; es iſt ein vollſtändiger Widerſpruch, in den Begriff der Staats- wirthſchaft die Förderung der Einzelwirthſchaft außerhalb ihrer wirthſchaftlichen Verpflichtung aufzunehmen, ſo ſehr wie es ein Wider- ſpruch wäre, die Hülfe an andere als einen Theil einer Einzelwirth- ſchaft zu ſetzen. Die Grundbegriffe der Staatswirthſchaft liegen daher in dem Weſen des wirthſchaftlichen Güterlebens des Staats, die Ge- ſetze derſelben in dem Weſen des perſönlichen Staatsintereſſes; die allgemeine Entwicklung hat mit derſelben nur ſo weit zu thun, als das Staatsintereſſe durch das Volksintereſſe bedingt erſcheint; und die Geſammtheit jener Begriffe und Geſetze bilden die Staatswirth- ſchaftslehre. Auf dieſer Grundlage iſt nun auch der Inhalt derſelben leicht verſtändlich. Die Staatseinnahmen (oder die Finanzen im engern Sinne) erſcheinen als die Produktion, die Staatsausgaben als die Conſumtion in der Staatswirthſchaft, und die Reproduktion iſt das- jenige ſtaatswirthſchaftliche Geſetz, nach welchem die Ausgaben ſo ein- gerichtet werden müſſen, daß ſie, im ganz ſpeciellen Intereſſe der Staatswirthſchaft, ſelbſt wieder die Staatseinnahmen befördern und vermehren. Die Lehre von den Einnahmen heißt nun die Finanz- wiſſenſchaft; bei den Ausgaben dagegen bietet die Staatswirthſchaft nur noch die Mittel dar, welche die Verwaltung anwendet, um das wirthſchaftliche Wohl zu befördern. Hier nun ſcheinen, für die Staats- ausgaben, Staatswirthſchaft und Volkswirthſchaftspflege zuſammen zu fallen, und das iſt der Grund, weßhalb bedeutende Männer, wie Lotz und Kraus, ſie wirklich verſchmolzen haben. Allein es iſt klar, daß formell die wirthſchaftlichen Aufgaben des Staats nicht bloß da exiſtiren, wo es ſich um Ausgaben handelt, ſondern daß es Aufgaben, und ent- ſcheidende, gibt, die es mit Ausgaben gar nicht zu thun haben; im Gegentheil ſind die Ausgaben nur die materielle Bedingung für einen Theil jener Aufgaben; wir erinnern nur an die Enteignungsrechte, an die Grundlage für Straßen- und Bahnnetze, an das Maß und Ge- wichtsweſen, an hundert andere Dinge, die überhaupt nicht exiſtiren würden, wenn es nur eine Staatswirthſchaft gäbe, da bei ihnen keine Ausgaben vorkommen. Dem Weſen nach aber iſt das Princip der Ausgaben des Staats ſein eigenes Intereſſe, und wenn Staats- wirthſchaft und Verwaltung gleich wären, ſo würde der leitende Ge- danke für die erſtere immer nur die Vermehrung der Einnahmen und nie das Wohl der Bürger ſein, das auch bei verringerten Einnahmen ſteigen kann. Man muß daher ſagen, daß der Begriff der Staats- wirthſchaftslehre in dem Theile, der die Ausgaben betrifft, die Lehre nicht von dem Princip, ſondern von dem materiellen Maßſtabe

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/27>, abgerufen am 20.04.2024.