dieser Gruppen zum Princip der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Die erste Gruppe enthält nämlich durchgehend in allen ihren Theilen eine theilweise Unfreiheit des Grundbesitzes und zum Theil des Erwerbes, die zweite dagegen nur eine Beschränkung des freien Verfügungs- rechtes. In der ersten steht ein einzelner Berechtigter den einzelnen Verpflichteten gegenüber, wie bei den Reallasten; in der zweiten da- gegen ist die Gemeinschaft als solche das Berechtigte, und die einzelnen Mitglieder die Gebundenen. In der ersten handelt es sich meist um gegenseitige Leistungen, in der zweiten um gemeinsame Berechtigungen. Daher kann der Proceß, der die Befreiung von diesen Beschränkungen des individuellen Eigenthums zum Inhalt hat, nicht der gleiche sein, obgleich er in allen seinen Formen dasselbe Ziel hat. In Beziehung auf das Erste schließt sich vielmehr jene Befreiung einfach an die Ent- lastung an, erscheint als Theil derselben, ja als ihre letzte Erfüllung, und nimmt daher auch die großen leitenden Grundsätze der Entlastung, namentlich den der Entschädigung mit ihrer Voraussetzung der Werth- schätzung und ihrer Basis der Staatshilfe durch Rentenbanken u. s. w. an. Bei dem zweiten dagegen handelt es sich nicht um eine Entlastung, sondern vielmehr darum, das individuelle Eigenthum an die Stelle des Gesammteigenthums zu setzen; daher ist hier weder von einer Ent- schädigung noch auch von einer eigentlichen Staatshülfe die Rede. End- lich aber ist auch das öffentliche Recht für beide aus demselben Grunde ein sehr verschiedenes. Die Beseitigung der Rechtsverhältnisse der ersten Gruppe müssen vom Staate gefordert werden; er kann dieselbe eben so wenig wie die Grundlasten als ein dauerndes Element der Agrar- verfassung anerkennen, weil er die gesellschaftliche Herrschaft einer Klasse über die andere nicht dulden kann, sobald er in das Stadium der staatsbürgerlichen Gesellschaft tritt; die Nothwendigkeit der Auf- hebung dieser Rechte ist daher schon von dem Augenblick an unzweifel- haft, wo der Kampf mit der Grundherrlichkeit beginnt. Allein ganz anders ist es mit der zweiten Gruppe, die, wie gesagt, nicht mehr eine Unfreiheit, sondern nur eine Beschränkung der Freiheit des Einzel- eigenthums enthält. Beschränkungen dieser Freiheit aber gibt es im ganzen Staatsleben. Während die Unfreiheit mit der Staatsidee daher in entschiedenem Widerspruche steht, ist es nicht an und für sich noth- wendig, daß es keine Beschränkung des Einzeleigenthums durch irgend eine Gestaltung des gemeinschaftlichen Eigenthums gebe; ja im Gegen- theile ist eben diese Gemeinschaft des Eigenthums vielfach die einzige Bedingung, um die Zwecke der Einzelnen zu erreichen. Daher denn wird die Aufhebung dieser Gemeinschaft nicht an und für sich durch das Wesen des Staats, oder durch das der persönlichen Freiheit
dieſer Gruppen zum Princip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft. Die erſte Gruppe enthält nämlich durchgehend in allen ihren Theilen eine theilweiſe Unfreiheit des Grundbeſitzes und zum Theil des Erwerbes, die zweite dagegen nur eine Beſchränkung des freien Verfügungs- rechtes. In der erſten ſteht ein einzelner Berechtigter den einzelnen Verpflichteten gegenüber, wie bei den Reallaſten; in der zweiten da- gegen iſt die Gemeinſchaft als ſolche das Berechtigte, und die einzelnen Mitglieder die Gebundenen. In der erſten handelt es ſich meiſt um gegenſeitige Leiſtungen, in der zweiten um gemeinſame Berechtigungen. Daher kann der Proceß, der die Befreiung von dieſen Beſchränkungen des individuellen Eigenthums zum Inhalt hat, nicht der gleiche ſein, obgleich er in allen ſeinen Formen daſſelbe Ziel hat. In Beziehung auf das Erſte ſchließt ſich vielmehr jene Befreiung einfach an die Ent- laſtung an, erſcheint als Theil derſelben, ja als ihre letzte Erfüllung, und nimmt daher auch die großen leitenden Grundſätze der Entlaſtung, namentlich den der Entſchädigung mit ihrer Vorausſetzung der Werth- ſchätzung und ihrer Baſis der Staatshilfe durch Rentenbanken u. ſ. w. an. Bei dem zweiten dagegen handelt es ſich nicht um eine Entlaſtung, ſondern vielmehr darum, das individuelle Eigenthum an die Stelle des Geſammteigenthums zu ſetzen; daher iſt hier weder von einer Ent- ſchädigung noch auch von einer eigentlichen Staatshülfe die Rede. End- lich aber iſt auch das öffentliche Recht für beide aus demſelben Grunde ein ſehr verſchiedenes. Die Beſeitigung der Rechtsverhältniſſe der erſten Gruppe müſſen vom Staate gefordert werden; er kann dieſelbe eben ſo wenig wie die Grundlaſten als ein dauerndes Element der Agrar- verfaſſung anerkennen, weil er die geſellſchaftliche Herrſchaft einer Klaſſe über die andere nicht dulden kann, ſobald er in das Stadium der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft tritt; die Nothwendigkeit der Auf- hebung dieſer Rechte iſt daher ſchon von dem Augenblick an unzweifel- haft, wo der Kampf mit der Grundherrlichkeit beginnt. Allein ganz anders iſt es mit der zweiten Gruppe, die, wie geſagt, nicht mehr eine Unfreiheit, ſondern nur eine Beſchränkung der Freiheit des Einzel- eigenthums enthält. Beſchränkungen dieſer Freiheit aber gibt es im ganzen Staatsleben. Während die Unfreiheit mit der Staatsidee daher in entſchiedenem Widerſpruche ſteht, iſt es nicht an und für ſich noth- wendig, daß es keine Beſchränkung des Einzeleigenthums durch irgend eine Geſtaltung des gemeinſchaftlichen Eigenthums gebe; ja im Gegen- theile iſt eben dieſe Gemeinſchaft des Eigenthums vielfach die einzige Bedingung, um die Zwecke der Einzelnen zu erreichen. Daher denn wird die Aufhebung dieſer Gemeinſchaft nicht an und für ſich durch das Weſen des Staats, oder durch das der perſönlichen Freiheit
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dieſer Gruppen zum Princip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft. Die
erſte Gruppe enthält nämlich durchgehend in allen ihren Theilen eine
theilweiſe Unfreiheit des Grundbeſitzes und zum Theil des Erwerbes,
die zweite dagegen nur eine Beſchränkung des freien Verfügungs-
rechtes. In der erſten ſteht ein einzelner Berechtigter den einzelnen
Verpflichteten gegenüber, wie bei den Reallaſten; in der zweiten da-
gegen iſt die Gemeinſchaft als ſolche das Berechtigte, und die einzelnen
Mitglieder die Gebundenen. In der erſten handelt es ſich meiſt um
gegenſeitige Leiſtungen, in der zweiten um gemeinſame Berechtigungen.
Daher kann der Proceß, der die Befreiung von dieſen Beſchränkungen
des individuellen Eigenthums zum Inhalt hat, nicht der gleiche ſein,
obgleich er in allen ſeinen Formen daſſelbe Ziel hat. In Beziehung
auf das Erſte ſchließt ſich vielmehr jene Befreiung einfach an die Ent-
laſtung an, erſcheint als Theil derſelben, ja als ihre letzte Erfüllung,
und nimmt daher auch die großen leitenden Grundſätze der Entlaſtung,
namentlich den der Entſchädigung mit ihrer Vorausſetzung der Werth-
ſchätzung und ihrer Baſis der Staatshilfe durch Rentenbanken u. ſ. w.
an. Bei dem zweiten dagegen handelt es ſich nicht um eine Entlaſtung,
ſondern vielmehr darum, das individuelle Eigenthum an die Stelle
des Geſammteigenthums zu ſetzen; daher iſt hier weder von einer Ent-
ſchädigung noch auch von einer eigentlichen Staatshülfe die Rede. End-
lich aber iſt auch das öffentliche Recht für beide aus demſelben Grunde
ein ſehr verſchiedenes. Die Beſeitigung der Rechtsverhältniſſe der erſten
Gruppe müſſen vom Staate gefordert werden; er kann dieſelbe
eben ſo wenig wie die Grundlaſten als ein dauerndes Element der Agrar-
verfaſſung anerkennen, weil er die geſellſchaftliche Herrſchaft einer
Klaſſe über die andere nicht dulden kann, ſobald er in das Stadium
der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft tritt; die Nothwendigkeit der Auf-
hebung dieſer Rechte iſt daher ſchon von dem Augenblick an unzweifel-
haft, wo der Kampf mit der Grundherrlichkeit beginnt. Allein ganz
anders iſt es mit der zweiten Gruppe, die, wie geſagt, nicht mehr eine
Unfreiheit, ſondern nur eine Beſchränkung der Freiheit des Einzel-
eigenthums enthält. Beſchränkungen dieſer Freiheit aber gibt es im
ganzen Staatsleben. Während die Unfreiheit mit der Staatsidee daher
in entſchiedenem Widerſpruche ſteht, iſt es nicht an und für ſich noth-
wendig, daß es keine Beſchränkung des Einzeleigenthums durch irgend
eine Geſtaltung des gemeinſchaftlichen Eigenthums gebe; ja im Gegen-
theile iſt eben dieſe Gemeinſchaft des Eigenthums vielfach die einzige
Bedingung, um die Zwecke der Einzelnen zu erreichen. Daher denn
wird die Aufhebung dieſer Gemeinſchaft nicht an und für ſich durch
das Weſen des Staats, oder durch das der perſönlichen Freiheit
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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