Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit von dem Organe der Einheit Deutschlands freiwillig aus der Hand
gegeben. Nicht einmal zu dem Grundsatz erhob sich diese Versammlung,
daß die Entlastung eine Pflicht der Verwaltung sein solle. Nirgends
zeigt sich die politische Unfähigkeit dieses Körpers so sehr als auf diesem
Punkte -- er hatte wieder einmal den Schwerpunkt der Bewegung
aus sich selbst hinaus geschoben, und in die einzelnen Regierungen
verlegt. Das Volk fühlte das sehr deutlich, und wendete mit rich-
tigem Instinkt den ganzen Nachdruck seiner Forderungen eben gegen
seine einzelne Regierung. Jeder Staat hatte daher alsbald seine eigene
mehr oder weniger kräftige Revolution, jeder Staat wieder seine eigene
Gesetzgebung und Verwaltung der Entlastung; das was die Reichsver-
fassung bestimmt hatte, war bald nicht mehr ein hohes Ziel für das
deutsche Volk, sondern das Minimum, unter welches kein Einzel-
staat zurückgehen wollte und durfte; und indem daher diese Einzelstaaten
alsbald mehr leisteten, als jene Verfassung der deutschen Theoretiker,
erzielten sie alle, was jeder am meisten wünschte, daß das Volk sich
nicht mehr an das Organ seiner Einheit, sondern an die Territorialregie-
rung wendete, wo es sich um sein wichtigstes Recht handelte. Von
diesem Standpunkt aus muß die fernere Geschichte dieser Frage be-
trachtet werden. Merkwürdig, wie die Literatur ihn übersehen hat.
Zöpfl, der einzige, der überhaupt auf diese Dinge Rücksicht nimmt,
beschränkt sich auf die Bestimmungen der Reichsverfassung, ohne sich
viel um das Territorialrecht zu kümmern, obgleich das wirkliche Recht
erst durch dieses gebildet ward; Sugenheim und Judeich kennen nur
das Territorialrecht, obgleich das allgemeine Princip desselben in der
Reichsverfassung lag, die Territorialstaatsrechte von Rönne, Pözl,
Stubenrauch, Funke beschränken sich strenge -- zu strenge -- auf ihr
eigenes Gebiet, und so ist hier für die innere Geschichte im Grunde
nur das Material gegeben. Die Elemente der Entwicklung in den ein-
zelnen Staaten sind nun folgende.

Ohne allen Zweifel muß man hier Oesterreich mit seiner groß-
artigen und gründlichen, alle deutsche Staaten überragenden Grund-
entlastung an die Spitze stellen. Oesterreich hatte die Grundentlastung
bis 1848 gar nicht in die Hand genommen. Um so rücksichtsloser
brach dieselbe sich im Jahre 1848 Bahn. Das Dekret vom 18. Dec.
1846 hatte allerdings die freiwillige Ablösung aufgestellt, jedoch die-
selbe einerseits nur auf die Naturalfrohnden und Zehnten beschränkt,
anderseits sie selbst den Betheiligten überlassen, so daß der Schritt der
Regierung ein vollständig effektloser blieb. Da kam die Revolution,
und eine ihrer ersten Aufgaben war, sich der Grundentlastung wieder
zuzuwenden. Die beiden Dekrete vom 27. März und 9. Mai 1848

Zeit von dem Organe der Einheit Deutſchlands freiwillig aus der Hand
gegeben. Nicht einmal zu dem Grundſatz erhob ſich dieſe Verſammlung,
daß die Entlaſtung eine Pflicht der Verwaltung ſein ſolle. Nirgends
zeigt ſich die politiſche Unfähigkeit dieſes Körpers ſo ſehr als auf dieſem
Punkte — er hatte wieder einmal den Schwerpunkt der Bewegung
aus ſich ſelbſt hinaus geſchoben, und in die einzelnen Regierungen
verlegt. Das Volk fühlte das ſehr deutlich, und wendete mit rich-
tigem Inſtinkt den ganzen Nachdruck ſeiner Forderungen eben gegen
ſeine einzelne Regierung. Jeder Staat hatte daher alsbald ſeine eigene
mehr oder weniger kräftige Revolution, jeder Staat wieder ſeine eigene
Geſetzgebung und Verwaltung der Entlaſtung; das was die Reichsver-
faſſung beſtimmt hatte, war bald nicht mehr ein hohes Ziel für das
deutſche Volk, ſondern das Minimum, unter welches kein Einzel-
ſtaat zurückgehen wollte und durfte; und indem daher dieſe Einzelſtaaten
alsbald mehr leiſteten, als jene Verfaſſung der deutſchen Theoretiker,
erzielten ſie alle, was jeder am meiſten wünſchte, daß das Volk ſich
nicht mehr an das Organ ſeiner Einheit, ſondern an die Territorialregie-
rung wendete, wo es ſich um ſein wichtigſtes Recht handelte. Von
dieſem Standpunkt aus muß die fernere Geſchichte dieſer Frage be-
trachtet werden. Merkwürdig, wie die Literatur ihn überſehen hat.
Zöpfl, der einzige, der überhaupt auf dieſe Dinge Rückſicht nimmt,
beſchränkt ſich auf die Beſtimmungen der Reichsverfaſſung, ohne ſich
viel um das Territorialrecht zu kümmern, obgleich das wirkliche Recht
erſt durch dieſes gebildet ward; Sugenheim und Judeich kennen nur
das Territorialrecht, obgleich das allgemeine Princip deſſelben in der
Reichsverfaſſung lag, die Territorialſtaatsrechte von Rönne, Pözl,
Stubenrauch, Funke beſchränken ſich ſtrenge — zu ſtrenge — auf ihr
eigenes Gebiet, und ſo iſt hier für die innere Geſchichte im Grunde
nur das Material gegeben. Die Elemente der Entwicklung in den ein-
zelnen Staaten ſind nun folgende.

Ohne allen Zweifel muß man hier Oeſterreich mit ſeiner groß-
artigen und gründlichen, alle deutſche Staaten überragenden Grund-
entlaſtung an die Spitze ſtellen. Oeſterreich hatte die Grundentlaſtung
bis 1848 gar nicht in die Hand genommen. Um ſo rückſichtsloſer
brach dieſelbe ſich im Jahre 1848 Bahn. Das Dekret vom 18. Dec.
1846 hatte allerdings die freiwillige Ablöſung aufgeſtellt, jedoch die-
ſelbe einerſeits nur auf die Naturalfrohnden und Zehnten beſchränkt,
anderſeits ſie ſelbſt den Betheiligten überlaſſen, ſo daß der Schritt der
Regierung ein vollſtändig effektloſer blieb. Da kam die Revolution,
und eine ihrer erſten Aufgaben war, ſich der Grundentlaſtung wieder
zuzuwenden. Die beiden Dekrete vom 27. März und 9. Mai 1848

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0245" n="227"/>
Zeit von dem Organe der Einheit Deut&#x017F;chlands freiwillig aus der Hand<lb/>
gegeben. Nicht einmal zu dem Grund&#x017F;atz erhob &#x017F;ich die&#x017F;e Ver&#x017F;ammlung,<lb/>
daß die Entla&#x017F;tung eine <hi rendition="#g">Pflicht</hi> der Verwaltung &#x017F;ein &#x017F;olle. Nirgends<lb/>
zeigt &#x017F;ich die politi&#x017F;che Unfähigkeit die&#x017F;es Körpers &#x017F;o &#x017F;ehr als auf die&#x017F;em<lb/>
Punkte &#x2014; er hatte wieder einmal den Schwerpunkt der Bewegung<lb/>
aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hinaus ge&#x017F;choben, und in die einzelnen Regierungen<lb/>
verlegt. Das Volk fühlte das &#x017F;ehr deutlich, und wendete mit rich-<lb/>
tigem In&#x017F;tinkt den ganzen Nachdruck &#x017F;einer Forderungen eben gegen<lb/>
&#x017F;eine einzelne Regierung. Jeder Staat hatte daher alsbald &#x017F;eine eigene<lb/>
mehr oder weniger kräftige Revolution, jeder Staat wieder &#x017F;eine eigene<lb/>
Ge&#x017F;etzgebung und Verwaltung der Entla&#x017F;tung; das was die Reichsver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung be&#x017F;timmt hatte, war bald nicht mehr ein hohes Ziel für das<lb/>
deut&#x017F;che Volk, &#x017F;ondern das <hi rendition="#g">Minimum</hi>, unter welches kein Einzel-<lb/>
&#x017F;taat zurückgehen wollte und durfte; und indem daher die&#x017F;e Einzel&#x017F;taaten<lb/>
alsbald mehr lei&#x017F;teten, als jene Verfa&#x017F;&#x017F;ung der deut&#x017F;chen Theoretiker,<lb/>
erzielten &#x017F;ie alle, was jeder am mei&#x017F;ten wün&#x017F;chte, daß das Volk &#x017F;ich<lb/>
nicht mehr an das Organ &#x017F;einer Einheit, &#x017F;ondern an die Territorialregie-<lb/>
rung wendete, wo es &#x017F;ich um &#x017F;ein wichtig&#x017F;tes Recht handelte. Von<lb/>
die&#x017F;em Standpunkt aus muß die fernere Ge&#x017F;chichte die&#x017F;er Frage be-<lb/>
trachtet werden. Merkwürdig, wie die Literatur ihn über&#x017F;ehen hat.<lb/><hi rendition="#g">Zöpfl</hi>, der einzige, der überhaupt auf die&#x017F;e Dinge Rück&#x017F;icht nimmt,<lb/>
be&#x017F;chränkt &#x017F;ich auf die Be&#x017F;timmungen der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung, ohne &#x017F;ich<lb/>
viel um das Territorialrecht zu kümmern, obgleich das wirkliche Recht<lb/>
er&#x017F;t durch die&#x017F;es gebildet ward; <hi rendition="#g">Sugenheim</hi> und <hi rendition="#g">Judeich</hi> kennen nur<lb/>
das Territorialrecht, obgleich das allgemeine Princip de&#x017F;&#x017F;elben in der<lb/>
Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung lag, die Territorial&#x017F;taatsrechte von Rönne, Pözl,<lb/>
Stubenrauch, Funke be&#x017F;chränken &#x017F;ich &#x017F;trenge &#x2014; zu &#x017F;trenge &#x2014; auf ihr<lb/>
eigenes Gebiet, und &#x017F;o i&#x017F;t hier für die innere Ge&#x017F;chichte im Grunde<lb/>
nur das Material gegeben. Die Elemente der Entwicklung in den ein-<lb/>
zelnen Staaten &#x017F;ind nun folgende.</p><lb/>
                    <p>Ohne allen Zweifel muß man hier <hi rendition="#g">Oe&#x017F;terreich</hi> mit &#x017F;einer groß-<lb/>
artigen und gründlichen, alle deut&#x017F;che Staaten überragenden Grund-<lb/>
entla&#x017F;tung an die Spitze &#x017F;tellen. Oe&#x017F;terreich hatte die Grundentla&#x017F;tung<lb/>
bis 1848 gar nicht in die Hand genommen. Um &#x017F;o rück&#x017F;ichtslo&#x017F;er<lb/>
brach die&#x017F;elbe &#x017F;ich im Jahre 1848 Bahn. Das Dekret vom 18. Dec.<lb/>
1846 hatte allerdings die freiwillige Ablö&#x017F;ung aufge&#x017F;tellt, jedoch die-<lb/>
&#x017F;elbe einer&#x017F;eits nur auf die Naturalfrohnden und Zehnten be&#x017F;chränkt,<lb/>
ander&#x017F;eits &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t den Betheiligten überla&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o daß der Schritt der<lb/>
Regierung ein voll&#x017F;tändig effektlo&#x017F;er blieb. Da kam die Revolution,<lb/>
und eine ihrer er&#x017F;ten Aufgaben war, &#x017F;ich der Grundentla&#x017F;tung wieder<lb/>
zuzuwenden. Die beiden Dekrete vom 27. März und 9. Mai 1848<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0245] Zeit von dem Organe der Einheit Deutſchlands freiwillig aus der Hand gegeben. Nicht einmal zu dem Grundſatz erhob ſich dieſe Verſammlung, daß die Entlaſtung eine Pflicht der Verwaltung ſein ſolle. Nirgends zeigt ſich die politiſche Unfähigkeit dieſes Körpers ſo ſehr als auf dieſem Punkte — er hatte wieder einmal den Schwerpunkt der Bewegung aus ſich ſelbſt hinaus geſchoben, und in die einzelnen Regierungen verlegt. Das Volk fühlte das ſehr deutlich, und wendete mit rich- tigem Inſtinkt den ganzen Nachdruck ſeiner Forderungen eben gegen ſeine einzelne Regierung. Jeder Staat hatte daher alsbald ſeine eigene mehr oder weniger kräftige Revolution, jeder Staat wieder ſeine eigene Geſetzgebung und Verwaltung der Entlaſtung; das was die Reichsver- faſſung beſtimmt hatte, war bald nicht mehr ein hohes Ziel für das deutſche Volk, ſondern das Minimum, unter welches kein Einzel- ſtaat zurückgehen wollte und durfte; und indem daher dieſe Einzelſtaaten alsbald mehr leiſteten, als jene Verfaſſung der deutſchen Theoretiker, erzielten ſie alle, was jeder am meiſten wünſchte, daß das Volk ſich nicht mehr an das Organ ſeiner Einheit, ſondern an die Territorialregie- rung wendete, wo es ſich um ſein wichtigſtes Recht handelte. Von dieſem Standpunkt aus muß die fernere Geſchichte dieſer Frage be- trachtet werden. Merkwürdig, wie die Literatur ihn überſehen hat. Zöpfl, der einzige, der überhaupt auf dieſe Dinge Rückſicht nimmt, beſchränkt ſich auf die Beſtimmungen der Reichsverfaſſung, ohne ſich viel um das Territorialrecht zu kümmern, obgleich das wirkliche Recht erſt durch dieſes gebildet ward; Sugenheim und Judeich kennen nur das Territorialrecht, obgleich das allgemeine Princip deſſelben in der Reichsverfaſſung lag, die Territorialſtaatsrechte von Rönne, Pözl, Stubenrauch, Funke beſchränken ſich ſtrenge — zu ſtrenge — auf ihr eigenes Gebiet, und ſo iſt hier für die innere Geſchichte im Grunde nur das Material gegeben. Die Elemente der Entwicklung in den ein- zelnen Staaten ſind nun folgende. Ohne allen Zweifel muß man hier Oeſterreich mit ſeiner groß- artigen und gründlichen, alle deutſche Staaten überragenden Grund- entlaſtung an die Spitze ſtellen. Oeſterreich hatte die Grundentlaſtung bis 1848 gar nicht in die Hand genommen. Um ſo rückſichtsloſer brach dieſelbe ſich im Jahre 1848 Bahn. Das Dekret vom 18. Dec. 1846 hatte allerdings die freiwillige Ablöſung aufgeſtellt, jedoch die- ſelbe einerſeits nur auf die Naturalfrohnden und Zehnten beſchränkt, anderſeits ſie ſelbſt den Betheiligten überlaſſen, ſo daß der Schritt der Regierung ein vollſtändig effektloſer blieb. Da kam die Revolution, und eine ihrer erſten Aufgaben war, ſich der Grundentlaſtung wieder zuzuwenden. Die beiden Dekrete vom 27. März und 9. Mai 1848

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/245
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/245>, abgerufen am 02.05.2024.