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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Vereinbarung der Pflichtigen und Berechtigten angewiesen. Das ist
der Kern des Standpunktes der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts; es
ist die freie Grundentlastung. Und ist sie denn nicht ausreichend?
Wird nicht der wirthschaftliche Vortheil den Werth des gesellschaft-
lichen Unterschiedes aufwiegen? So dachten viele; die meisten nicht.
Denn der Widerspruch, der auch in dieser vereinbarten Entlastung fort-
lebte, ist klar genug. Ist einmal die wirthschaftliche Freiheit ein
wesentliches Element der neuen Gesellschaftsordnung, so darf und kann
sie nicht von dem Ermessen des Einzelnen, nicht von seiner Ansicht
über Vortheil und Schaden abhängen. Wer Herr darüber ist, ob die
Entlastung vor sich gehen soll, ist auch Herr über alle, die nicht ent-
lastet sind. Die vereinbarte Entlastung ist daher im Widerspruch mit
dem Princip der Entlastung selbst; die Geschlechterherrschaft ist in ihr
dem Grundsatz nach anerkannt, und soll der Thatsache nach von Fall
zu Fall aufgehoben sein. Das ist auf die Dauer nicht möglich. Um
so weniger, als die übrigen Elemente der Geschlechterherrschaft eben
deßhalb von jenem Princip theils gar nicht, theils nur halb beseitigt
werden. Es bleibt in den meisten Staaten das Lehnswesen, es
bleiben viele Reallasten, es bleiben Bannrechte, es bleiben Jagd-
rechte, es bleibt vor allem die Patrimonialgerichtsbarkeit; es bleibt
daher die Geschlechterordnung, aber mitten in ihr lebt die staatsbürger-
liche Gesellschaft. Ist das für die Dauer möglich? Nein. Und so be-
reitet sich in den vierziger Jahren jene Gährung vor, die mit der Revo-
lution von 1848 zum Ausbruch kommt. Der Inhalt dieser Revolution
aber ist jetzt klar. Sie ist die Herstellung des vollen staatsbürgerlichen
Eigenthums an Grund und Boden, der letzte Akt in der historischen
Bewältigung der alten Geschlechterordnung. Und diesen haben wir jetzt
zu charakterisiren.

3) Die eigentliche Grundentlastung seit 1848.

Was nun seit 1848 in dieser wichtigsten aller deutschen Fragen ge-
schehen ist, läßt sich, denken wir, nunmehr sehr kurz charakterisiren. Auch
dabei können wir jetzt unbedenklich wiederholen, daß das Einzelne nur
einen localen Werth hat, und daher der Geschichte der einzelnen Terri-
torien Deutschlands anheimfällt. Die Aufgabe der Verwaltungslehre
hört auch hier auf dem Punkte auf, wo die der Gesetzeskunde anfängt.
Jener gehört der Geist, der das Gesetz erzeugte, dieser die Entwicklung
des erzeugten in seiner Verwirklichung.

Die Bewegungen des Jahres 1848 haben im Großen und Ganzen
nur Eine dauernde Thatsache hinterlassen. Das ist die Herstellung des

Vereinbarung der Pflichtigen und Berechtigten angewieſen. Das iſt
der Kern des Standpunktes der erſten Hälfte dieſes Jahrhunderts; es
iſt die freie Grundentlaſtung. Und iſt ſie denn nicht ausreichend?
Wird nicht der wirthſchaftliche Vortheil den Werth des geſellſchaft-
lichen Unterſchiedes aufwiegen? So dachten viele; die meiſten nicht.
Denn der Widerſpruch, der auch in dieſer vereinbarten Entlaſtung fort-
lebte, iſt klar genug. Iſt einmal die wirthſchaftliche Freiheit ein
weſentliches Element der neuen Geſellſchaftsordnung, ſo darf und kann
ſie nicht von dem Ermeſſen des Einzelnen, nicht von ſeiner Anſicht
über Vortheil und Schaden abhängen. Wer Herr darüber iſt, ob die
Entlaſtung vor ſich gehen ſoll, iſt auch Herr über alle, die nicht ent-
laſtet ſind. Die vereinbarte Entlaſtung iſt daher im Widerſpruch mit
dem Princip der Entlaſtung ſelbſt; die Geſchlechterherrſchaft iſt in ihr
dem Grundſatz nach anerkannt, und ſoll der Thatſache nach von Fall
zu Fall aufgehoben ſein. Das iſt auf die Dauer nicht möglich. Um
ſo weniger, als die übrigen Elemente der Geſchlechterherrſchaft eben
deßhalb von jenem Princip theils gar nicht, theils nur halb beſeitigt
werden. Es bleibt in den meiſten Staaten das Lehnsweſen, es
bleiben viele Reallaſten, es bleiben Bannrechte, es bleiben Jagd-
rechte, es bleibt vor allem die Patrimonialgerichtsbarkeit; es bleibt
daher die Geſchlechterordnung, aber mitten in ihr lebt die ſtaatsbürger-
liche Geſellſchaft. Iſt das für die Dauer möglich? Nein. Und ſo be-
reitet ſich in den vierziger Jahren jene Gährung vor, die mit der Revo-
lution von 1848 zum Ausbruch kommt. Der Inhalt dieſer Revolution
aber iſt jetzt klar. Sie iſt die Herſtellung des vollen ſtaatsbürgerlichen
Eigenthums an Grund und Boden, der letzte Akt in der hiſtoriſchen
Bewältigung der alten Geſchlechterordnung. Und dieſen haben wir jetzt
zu charakteriſiren.

3) Die eigentliche Grundentlaſtung ſeit 1848.

Was nun ſeit 1848 in dieſer wichtigſten aller deutſchen Fragen ge-
ſchehen iſt, läßt ſich, denken wir, nunmehr ſehr kurz charakteriſiren. Auch
dabei können wir jetzt unbedenklich wiederholen, daß das Einzelne nur
einen localen Werth hat, und daher der Geſchichte der einzelnen Terri-
torien Deutſchlands anheimfällt. Die Aufgabe der Verwaltungslehre
hört auch hier auf dem Punkte auf, wo die der Geſetzeskunde anfängt.
Jener gehört der Geiſt, der das Geſetz erzeugte, dieſer die Entwicklung
des erzeugten in ſeiner Verwirklichung.

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nur Eine dauernde Thatſache hinterlaſſen. Das iſt die Herſtellung des

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[217/0235] Vereinbarung der Pflichtigen und Berechtigten angewieſen. Das iſt der Kern des Standpunktes der erſten Hälfte dieſes Jahrhunderts; es iſt die freie Grundentlaſtung. Und iſt ſie denn nicht ausreichend? Wird nicht der wirthſchaftliche Vortheil den Werth des geſellſchaft- lichen Unterſchiedes aufwiegen? So dachten viele; die meiſten nicht. Denn der Widerſpruch, der auch in dieſer vereinbarten Entlaſtung fort- lebte, iſt klar genug. Iſt einmal die wirthſchaftliche Freiheit ein weſentliches Element der neuen Geſellſchaftsordnung, ſo darf und kann ſie nicht von dem Ermeſſen des Einzelnen, nicht von ſeiner Anſicht über Vortheil und Schaden abhängen. Wer Herr darüber iſt, ob die Entlaſtung vor ſich gehen ſoll, iſt auch Herr über alle, die nicht ent- laſtet ſind. Die vereinbarte Entlaſtung iſt daher im Widerſpruch mit dem Princip der Entlaſtung ſelbſt; die Geſchlechterherrſchaft iſt in ihr dem Grundſatz nach anerkannt, und ſoll der Thatſache nach von Fall zu Fall aufgehoben ſein. Das iſt auf die Dauer nicht möglich. Um ſo weniger, als die übrigen Elemente der Geſchlechterherrſchaft eben deßhalb von jenem Princip theils gar nicht, theils nur halb beſeitigt werden. Es bleibt in den meiſten Staaten das Lehnsweſen, es bleiben viele Reallaſten, es bleiben Bannrechte, es bleiben Jagd- rechte, es bleibt vor allem die Patrimonialgerichtsbarkeit; es bleibt daher die Geſchlechterordnung, aber mitten in ihr lebt die ſtaatsbürger- liche Geſellſchaft. Iſt das für die Dauer möglich? Nein. Und ſo be- reitet ſich in den vierziger Jahren jene Gährung vor, die mit der Revo- lution von 1848 zum Ausbruch kommt. Der Inhalt dieſer Revolution aber iſt jetzt klar. Sie iſt die Herſtellung des vollen ſtaatsbürgerlichen Eigenthums an Grund und Boden, der letzte Akt in der hiſtoriſchen Bewältigung der alten Geſchlechterordnung. Und dieſen haben wir jetzt zu charakteriſiren. 3) Die eigentliche Grundentlaſtung ſeit 1848. Was nun ſeit 1848 in dieſer wichtigſten aller deutſchen Fragen ge- ſchehen iſt, läßt ſich, denken wir, nunmehr ſehr kurz charakteriſiren. Auch dabei können wir jetzt unbedenklich wiederholen, daß das Einzelne nur einen localen Werth hat, und daher der Geſchichte der einzelnen Terri- torien Deutſchlands anheimfällt. Die Aufgabe der Verwaltungslehre hört auch hier auf dem Punkte auf, wo die der Geſetzeskunde anfängt. Jener gehört der Geiſt, der das Geſetz erzeugte, dieſer die Entwicklung des erzeugten in ſeiner Verwirklichung. Die Bewegungen des Jahres 1848 haben im Großen und Ganzen nur Eine dauernde Thatſache hinterlaſſen. Das iſt die Herſtellung des

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/235>, abgerufen am 09.11.2024.