Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

1763 rund hinaus erklärten, es sei unmöglich, dem Willen des
Monarchen zu genügen" (Sugenheim S. 382). Das Gefühl, daß es
sich bei der Aenderung dieses Verhältnisses um das Grundprincip der
ganzen damals geltenden Gesellschaftsordnung handle, war allgemein,
und die deutsche, beschränkte Jurisprudenz that das Ihrige, wie wir
gesehen haben, um in diesem Kampfe das ständische Element durch die
eifrige Herbeiziehung des Begriffes geheiligter Privatrechte zu unter-
stützen. Die Regierungen wären daher machtlos geblieben, wenn sie
nicht in der Herstellung eines "contribuablen Bauernstandes" ein Be-
dürfniß gefunden hätten, das stärker war, als alle feudale Jurisprudenz.
Um diesem contribuablen Bauernstand herstellen zu können, mußten sie
vor allen Dingen das Legen der Bauernhöfe verbieten; sie mußten die
Flucht der leibeigen gewordenen Bauern aus dem Lande in die Stadt,
aus einer Souveränetät in die andere hindern; sie mußten sogar mit
ihren Maßregeln direkt etwas für die Bauern thun; und um alles das
möglich zu machen und wirklich auszuführen, mußten sie die "gutsherr-
liche" Obrigkeit der "landesherrlichen" unterordnen. Und das geschah;
freilich in einer Weise, welche den ganzen Geist des 18. Jahrhunderts
schlagend charakterisirt. Aus der Idee des imperium des 17. Jahr-
hunderts ging nämlich allerdings der Gedanke hervor, daß alle Ge-
richtsbarkeit ein "Hoheitsrecht," ein "Regal" sei; aus der Theorie des
18. aber auch der zweite Satz, daß die Grundherren auf dieses Regal
ein jus quaesitum hätten. Die Consequenz war, daß man nirgends
zu dem Schluß gelangte, die Patrimonialgerichtsbarkeit aufzuheben,
sondern mir nur zu dem, dieselbe entweder bloß in ihrer Competenz
zu beschränken, wie in Oesterreich durch die Errichtung der Kreisgerichte
als zweite Instanz für die Patrimonialgerichtsbarkeit (Sugenheim
S. 104 und öfter; vgl. Kopetz, österreichische, politische Gesetzkunde
1807. I. Bd. §. 15 ff.) oder die Ausübung der wirklichen Gerichtsbar-
keit an dieselben wissenschaftlichen und amtlichen Bedingungen zu
binden, wie die Uebernahme eines eigentlichen Justizamtes. Dabei nun
schied man theils die Justiz von der "Oekonomie," namentlich in
Preußen; dort "hatten die Aemter ursprünglich Oekonomie, Justiz und
Polizei zu verwalten. In der neueren Zeit aber (letzte Hälfte des
18. Jahrhunderts) ist die letztere davon abgesondert, und "eigenen Justiz-
amtleuten übergeben worden" (Fischer a. a. O. §. 83), theils forderte
man wenigstens in Preußen, daß "die Gerichtsherrschaften dazu solche
Subjekte auswählen, die bei den Landesjustizcollegien gehörig vor-
bereitet sind" (Corpus Juris Frieder. I. P. 11. Tit. 4 und 8; Reglement
über das Justizwesen in der Kur- und Neumark Brandenburg I. 4. 5. 6.
Fischer a. a. O. §. 89). Aehnlich in Sachsen durch Scheidung des

1763 rund hinaus erklärten, es ſei unmöglich, dem Willen des
Monarchen zu genügen“ (Sugenheim S. 382). Das Gefühl, daß es
ſich bei der Aenderung dieſes Verhältniſſes um das Grundprincip der
ganzen damals geltenden Geſellſchaftsordnung handle, war allgemein,
und die deutſche, beſchränkte Jurisprudenz that das Ihrige, wie wir
geſehen haben, um in dieſem Kampfe das ſtändiſche Element durch die
eifrige Herbeiziehung des Begriffes geheiligter Privatrechte zu unter-
ſtützen. Die Regierungen wären daher machtlos geblieben, wenn ſie
nicht in der Herſtellung eines „contribuablen Bauernſtandes“ ein Be-
dürfniß gefunden hätten, das ſtärker war, als alle feudale Jurisprudenz.
Um dieſem contribuablen Bauernſtand herſtellen zu können, mußten ſie
vor allen Dingen das Legen der Bauernhöfe verbieten; ſie mußten die
Flucht der leibeigen gewordenen Bauern aus dem Lande in die Stadt,
aus einer Souveränetät in die andere hindern; ſie mußten ſogar mit
ihren Maßregeln direkt etwas für die Bauern thun; und um alles das
möglich zu machen und wirklich auszuführen, mußten ſie die „gutsherr-
liche“ Obrigkeit der „landesherrlichen“ unterordnen. Und das geſchah;
freilich in einer Weiſe, welche den ganzen Geiſt des 18. Jahrhunderts
ſchlagend charakteriſirt. Aus der Idee des imperium des 17. Jahr-
hunderts ging nämlich allerdings der Gedanke hervor, daß alle Ge-
richtsbarkeit ein „Hoheitsrecht,“ ein „Regal“ ſei; aus der Theorie des
18. aber auch der zweite Satz, daß die Grundherren auf dieſes Regal
ein jus quaesitum hätten. Die Conſequenz war, daß man nirgends
zu dem Schluß gelangte, die Patrimonialgerichtsbarkeit aufzuheben,
ſondern mir nur zu dem, dieſelbe entweder bloß in ihrer Competenz
zu beſchränken, wie in Oeſterreich durch die Errichtung der Kreisgerichte
als zweite Inſtanz für die Patrimonialgerichtsbarkeit (Sugenheim
S. 104 und öfter; vgl. Kopetz, öſterreichiſche, politiſche Geſetzkunde
1807. I. Bd. §. 15 ff.) oder die Ausübung der wirklichen Gerichtsbar-
keit an dieſelben wiſſenſchaftlichen und amtlichen Bedingungen zu
binden, wie die Uebernahme eines eigentlichen Juſtizamtes. Dabei nun
ſchied man theils die Juſtiz von der „Oekonomie,“ namentlich in
Preußen; dort „hatten die Aemter urſprünglich Oekonomie, Juſtiz und
Polizei zu verwalten. In der neueren Zeit aber (letzte Hälfte des
18. Jahrhunderts) iſt die letztere davon abgeſondert, und „eigenen Juſtiz-
amtleuten übergeben worden“ (Fiſcher a. a. O. §. 83), theils forderte
man wenigſtens in Preußen, daß „die Gerichtsherrſchaften dazu ſolche
Subjekte auswählen, die bei den Landesjuſtizcollegien gehörig vor-
bereitet ſind“ (Corpus Juris Frieder. I. P. 11. Tit. 4 und 8; Reglement
über das Juſtizweſen in der Kur- und Neumark Brandenburg I. 4. 5. 6.
Fiſcher a. a. O. §. 89). Aehnlich in Sachſen durch Scheidung des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0218" n="200"/>
1763 rund hinaus erklärten, es <hi rendition="#g">&#x017F;ei unmöglich</hi>, dem Willen des<lb/>
Monarchen zu genügen&#x201C; (<hi rendition="#g">Sugenheim</hi> S. 382). Das Gefühl, daß es<lb/>
&#x017F;ich bei der Aenderung die&#x017F;es Verhältni&#x017F;&#x017F;es um das Grundprincip der<lb/>
ganzen damals geltenden Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsordnung handle, war allgemein,<lb/>
und die deut&#x017F;che, be&#x017F;chränkte Jurisprudenz that das Ihrige, wie wir<lb/>
ge&#x017F;ehen haben, um in die&#x017F;em Kampfe das &#x017F;tändi&#x017F;che Element durch die<lb/>
eifrige Herbeiziehung des Begriffes geheiligter Privatrechte zu unter-<lb/>
&#x017F;tützen. Die Regierungen wären daher machtlos geblieben, wenn &#x017F;ie<lb/>
nicht in der Her&#x017F;tellung eines &#x201E;contribuablen Bauern&#x017F;tandes&#x201C; ein Be-<lb/>
dürfniß gefunden hätten, das &#x017F;tärker war, als alle feudale Jurisprudenz.<lb/>
Um die&#x017F;em contribuablen Bauern&#x017F;tand her&#x017F;tellen zu können, mußten &#x017F;ie<lb/>
vor allen Dingen das Legen der Bauernhöfe verbieten; &#x017F;ie mußten die<lb/>
Flucht der leibeigen gewordenen Bauern aus dem Lande in die Stadt,<lb/>
aus einer Souveränetät in die andere hindern; &#x017F;ie mußten &#x017F;ogar mit<lb/>
ihren Maßregeln direkt etwas für die Bauern thun; und um alles das<lb/>
möglich zu machen und wirklich auszuführen, mußten &#x017F;ie die &#x201E;gutsherr-<lb/>
liche&#x201C; Obrigkeit der &#x201E;landesherrlichen&#x201C; unterordnen. Und das ge&#x017F;chah;<lb/>
freilich in einer Wei&#x017F;e, welche den ganzen Gei&#x017F;t des 18. Jahrhunderts<lb/>
&#x017F;chlagend charakteri&#x017F;irt. Aus der Idee des <hi rendition="#aq">imperium</hi> des 17. Jahr-<lb/>
hunderts ging nämlich allerdings der Gedanke hervor, daß <hi rendition="#g">alle</hi> Ge-<lb/>
richtsbarkeit ein &#x201E;Hoheitsrecht,&#x201C; ein &#x201E;Regal&#x201C; &#x017F;ei; aus der Theorie des<lb/>
18. aber auch der zweite Satz, daß die Grundherren auf die&#x017F;es Regal<lb/>
ein <hi rendition="#aq">jus quaesitum</hi> hätten. Die Con&#x017F;equenz war, daß man <hi rendition="#g">nirgends</hi><lb/>
zu dem Schluß gelangte, die Patrimonialgerichtsbarkeit aufzuheben,<lb/>
&#x017F;ondern mir nur zu dem, die&#x017F;elbe entweder bloß in ihrer Competenz<lb/>
zu be&#x017F;chränken, wie in Oe&#x017F;terreich durch die Errichtung der Kreisgerichte<lb/>
als zweite In&#x017F;tanz für die Patrimonialgerichtsbarkeit (<hi rendition="#g">Sugenheim</hi><lb/>
S. 104 und öfter; vgl. <hi rendition="#g">Kopetz</hi>, ö&#x017F;terreichi&#x017F;che, politi&#x017F;che Ge&#x017F;etzkunde<lb/>
1807. <hi rendition="#aq">I.</hi> Bd. §. 15 ff.) oder die Ausübung der wirklichen Gerichtsbar-<lb/>
keit an <hi rendition="#g">die&#x017F;elben</hi> wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen und amtlichen Bedingungen zu<lb/>
binden, wie die Uebernahme eines eigentlichen Ju&#x017F;tizamtes. Dabei nun<lb/>
&#x017F;chied man theils die Ju&#x017F;tiz von der &#x201E;Oekonomie,&#x201C; namentlich in<lb/>
Preußen; dort &#x201E;hatten die Aemter ur&#x017F;prünglich Oekonomie, Ju&#x017F;tiz und<lb/>
Polizei zu verwalten. In der neueren Zeit aber (letzte Hälfte des<lb/>
18. Jahrhunderts) i&#x017F;t die letztere davon abge&#x017F;ondert, und &#x201E;eigenen Ju&#x017F;tiz-<lb/>
amtleuten übergeben worden&#x201C; (<hi rendition="#g">Fi&#x017F;cher</hi> a. a. O. §. 83), theils forderte<lb/>
man wenig&#x017F;tens in Preußen, daß &#x201E;die Gerichtsherr&#x017F;chaften dazu &#x017F;olche<lb/>
Subjekte auswählen, die bei den Landesju&#x017F;tizcollegien gehörig vor-<lb/>
bereitet &#x017F;ind&#x201C; (<hi rendition="#aq">Corpus Juris Frieder. I. P. 11. Tit.</hi> 4 und 8; Reglement<lb/>
über das Ju&#x017F;tizwe&#x017F;en in der Kur- und Neumark Brandenburg <hi rendition="#aq">I.</hi> 4. 5. 6.<lb/><hi rendition="#g">Fi&#x017F;cher</hi> a. a. O. §. 89). Aehnlich in Sach&#x017F;en durch Scheidung des<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0218] 1763 rund hinaus erklärten, es ſei unmöglich, dem Willen des Monarchen zu genügen“ (Sugenheim S. 382). Das Gefühl, daß es ſich bei der Aenderung dieſes Verhältniſſes um das Grundprincip der ganzen damals geltenden Geſellſchaftsordnung handle, war allgemein, und die deutſche, beſchränkte Jurisprudenz that das Ihrige, wie wir geſehen haben, um in dieſem Kampfe das ſtändiſche Element durch die eifrige Herbeiziehung des Begriffes geheiligter Privatrechte zu unter- ſtützen. Die Regierungen wären daher machtlos geblieben, wenn ſie nicht in der Herſtellung eines „contribuablen Bauernſtandes“ ein Be- dürfniß gefunden hätten, das ſtärker war, als alle feudale Jurisprudenz. Um dieſem contribuablen Bauernſtand herſtellen zu können, mußten ſie vor allen Dingen das Legen der Bauernhöfe verbieten; ſie mußten die Flucht der leibeigen gewordenen Bauern aus dem Lande in die Stadt, aus einer Souveränetät in die andere hindern; ſie mußten ſogar mit ihren Maßregeln direkt etwas für die Bauern thun; und um alles das möglich zu machen und wirklich auszuführen, mußten ſie die „gutsherr- liche“ Obrigkeit der „landesherrlichen“ unterordnen. Und das geſchah; freilich in einer Weiſe, welche den ganzen Geiſt des 18. Jahrhunderts ſchlagend charakteriſirt. Aus der Idee des imperium des 17. Jahr- hunderts ging nämlich allerdings der Gedanke hervor, daß alle Ge- richtsbarkeit ein „Hoheitsrecht,“ ein „Regal“ ſei; aus der Theorie des 18. aber auch der zweite Satz, daß die Grundherren auf dieſes Regal ein jus quaesitum hätten. Die Conſequenz war, daß man nirgends zu dem Schluß gelangte, die Patrimonialgerichtsbarkeit aufzuheben, ſondern mir nur zu dem, dieſelbe entweder bloß in ihrer Competenz zu beſchränken, wie in Oeſterreich durch die Errichtung der Kreisgerichte als zweite Inſtanz für die Patrimonialgerichtsbarkeit (Sugenheim S. 104 und öfter; vgl. Kopetz, öſterreichiſche, politiſche Geſetzkunde 1807. I. Bd. §. 15 ff.) oder die Ausübung der wirklichen Gerichtsbar- keit an dieſelben wiſſenſchaftlichen und amtlichen Bedingungen zu binden, wie die Uebernahme eines eigentlichen Juſtizamtes. Dabei nun ſchied man theils die Juſtiz von der „Oekonomie,“ namentlich in Preußen; dort „hatten die Aemter urſprünglich Oekonomie, Juſtiz und Polizei zu verwalten. In der neueren Zeit aber (letzte Hälfte des 18. Jahrhunderts) iſt die letztere davon abgeſondert, und „eigenen Juſtiz- amtleuten übergeben worden“ (Fiſcher a. a. O. §. 83), theils forderte man wenigſtens in Preußen, daß „die Gerichtsherrſchaften dazu ſolche Subjekte auswählen, die bei den Landesjuſtizcollegien gehörig vor- bereitet ſind“ (Corpus Juris Frieder. I. P. 11. Tit. 4 und 8; Reglement über das Juſtizweſen in der Kur- und Neumark Brandenburg I. 4. 5. 6. Fiſcher a. a. O. §. 89). Aehnlich in Sachſen durch Scheidung des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/218
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/218>, abgerufen am 25.11.2024.