(1848) hat den wir möchten fast sagen einzigen Fehler, eben diese be- stimmte Beziehung auf jene Hauptfrage der europäischen Staatenbildung nicht klar und fest genug erkannt und herausgehoben zu haben; denn in der That war sie die Grundlage und das Ziel aller Theorien noch lange nach Hugo Grotius, ja fast bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Hugo Grotius aber nahm hier eine ganz entscheidende Stellung ein. Sein Lib. I. C. 3. ist das Compendium der Principien seines Staats- rechts. Darnach muß man unterscheiden. Das Recht der "Könige" und ihrer "Herrschaft" (imperium) entsteht entweder aus der Wahl und dem in ihr liegenden Vertrage, oder aus der Eroberung. Das Recht des Königs ist im ersten Falle ein beschränktes, aber im zweiten Falle ein unbe- schränktes. Dieses unbeschränkte Recht umfaßt nun auch das Eigen- thum; solche Könige sind "reges pleno jure proprietatis, ut qui justo bello imperium quaesierunt, aut in quorum ditionem populus aliquis -- ita se dedidit, ut nihil exciperetur" lib. 1. cap. 3. §. 11. Bei diesen Königen entsteht nun die Frage, ob ihr jus proprietatis sich bloß auf das Recht der Regierung, oder auch auf die Freiheit der Einzelnen er- streckt. Und darauf antwortet Hugo Grotius: "At sicut est alia potestas dominica, alia regia, ita et alia libertas personalis, alia civilis, alia singulorum, alia universorum. Hic non de hominum singulorum, sed de populi libertate quaeritur. -- Cum populus alienatur, non ipsi homines alienantur, sed jus perpetuum eos regendi." So er- scheint hier das Princip der persönlichen Freiheit als die absolute, von keiner Staatsform zu überschreitende Gränze der höchsten Staatsgewalt; das war die wahre Basis des Princips der Reformation, ein neuer Gedanke gegenüber dem alten jus feudale, in welchem der Mensch stets in untrennbarer Verbindung mit dem Grundbesitz und daher auch mit dem Recht des Lehnsherrn über diesen Grundbesitz gedacht, und diesem Rechte des Grundbesitzes auch persönlich unterworfen wird. So ist jener Gedanke des Hugo Grotius, die principielle Scheidung der Per- sönlichkeit vom Besitz und seiner Abhängigkeit, der theoretische Aus- gangspunkt der staatsbürgerlichen Gesellschaft und ihrer Scheidung von der ständischen Gesellschaftsordnung. Allein während Hugo Grotius auf diese Weise, wie er es in dem obigen Satze aus- drücklich hervorhebt, den Menschen frei macht, macht er den Staat nicht frei. Er erkennt vielmehr an, daß es Staaten gebe, deren "imperium" in der plenitudo juris proprietatis dem Eigenthum des Landesherrn bestehen könne. Diese Staaten nun nennt er die "regna patrimonialia," und setzt sie ausdrücklich den regnis quae non in patri- monio sed "tanquam" in usufructu habentur" entgegen. Die ersten kann der König ganz nach seiner Willkür regieren, ja quo minus rex
(1848) hat den wir möchten faſt ſagen einzigen Fehler, eben dieſe be- ſtimmte Beziehung auf jene Hauptfrage der europäiſchen Staatenbildung nicht klar und feſt genug erkannt und herausgehoben zu haben; denn in der That war ſie die Grundlage und das Ziel aller Theorien noch lange nach Hugo Grotius, ja faſt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Hugo Grotius aber nahm hier eine ganz entſcheidende Stellung ein. Sein Lib. I. C. 3. iſt das Compendium der Principien ſeines Staats- rechts. Darnach muß man unterſcheiden. Das Recht der „Könige“ und ihrer „Herrſchaft“ (imperium) entſteht entweder aus der Wahl und dem in ihr liegenden Vertrage, oder aus der Eroberung. Das Recht des Königs iſt im erſten Falle ein beſchränktes, aber im zweiten Falle ein unbe- ſchränktes. Dieſes unbeſchränkte Recht umfaßt nun auch das Eigen- thum; ſolche Könige ſind „reges pleno jure proprietatis, ut qui justo bello imperium quaesierunt, aut in quorum ditionem populus aliquis — ita se dedidit, ut nihil exciperetur“ lib. 1. cap. 3. §. 11. Bei dieſen Königen entſteht nun die Frage, ob ihr jus proprietatis ſich bloß auf das Recht der Regierung, oder auch auf die Freiheit der Einzelnen er- ſtreckt. Und darauf antwortet Hugo Grotius: „At sicut est alia potestas dominica, alia regia, ita et alia libertas personalis, alia civilis, alia singulorum, alia universorum. Hic non de hominum singulorum, sed de populi libertate quaeritur. — Cum populus alienatur, non ipsi homines alienantur, sed jus perpetuum eos regendi.“ So er- ſcheint hier das Princip der perſönlichen Freiheit als die abſolute, von keiner Staatsform zu überſchreitende Gränze der höchſten Staatsgewalt; das war die wahre Baſis des Princips der Reformation, ein neuer Gedanke gegenüber dem alten jus feudale, in welchem der Menſch ſtets in untrennbarer Verbindung mit dem Grundbeſitz und daher auch mit dem Recht des Lehnsherrn über dieſen Grundbeſitz gedacht, und dieſem Rechte des Grundbeſitzes auch perſönlich unterworfen wird. So iſt jener Gedanke des Hugo Grotius, die principielle Scheidung der Per- ſönlichkeit vom Beſitz und ſeiner Abhängigkeit, der theoretiſche Aus- gangspunkt der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und ihrer Scheidung von der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung. Allein während Hugo Grotius auf dieſe Weiſe, wie er es in dem obigen Satze aus- drücklich hervorhebt, den Menſchen frei macht, macht er den Staat nicht frei. Er erkennt vielmehr an, daß es Staaten gebe, deren „imperium“ in der plenitudo juris proprietatis dem Eigenthum des Landesherrn beſtehen könne. Dieſe Staaten nun nennt er die „regna patrimonialia,“ und ſetzt ſie ausdrücklich den regnis quae non in patri- monio sed „tanquam“ in usufructu habentur“ entgegen. Die erſten kann der König ganz nach ſeiner Willkür regieren, ja quo minus rex
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0189"n="171"/>
(1848) hat den wir möchten faſt ſagen einzigen Fehler, eben dieſe be-<lb/>ſtimmte Beziehung auf jene Hauptfrage der europäiſchen Staatenbildung<lb/>
nicht klar und feſt genug erkannt und herausgehoben zu haben; denn<lb/>
in der That war <hirendition="#g">ſie</hi> die Grundlage und das Ziel aller Theorien noch<lb/>
lange nach Hugo Grotius, ja faſt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.<lb/>
Hugo Grotius aber nahm hier eine ganz entſcheidende Stellung ein.<lb/>
Sein <hirendition="#aq">Lib. I. C.</hi> 3. iſt das Compendium der Principien ſeines Staats-<lb/>
rechts. Darnach muß man <hirendition="#g">unterſcheiden</hi>. Das Recht der „Könige“ und<lb/>
ihrer „Herrſchaft“ (<hirendition="#aq">imperium</hi>) entſteht entweder aus der Wahl und dem in<lb/>
ihr liegenden Vertrage, oder aus der Eroberung. Das Recht des Königs<lb/>
iſt im erſten Falle ein <hirendition="#g">beſchränktes</hi>, aber im zweiten Falle ein <hirendition="#g">unbe-<lb/>ſchränktes</hi>. Dieſes unbeſchränkte Recht umfaßt nun auch das Eigen-<lb/>
thum; ſolche Könige ſind <hirendition="#aq">„reges <hirendition="#i">pleno jure proprietatis</hi>, ut qui justo bello<lb/>
imperium quaesierunt, aut in quorum ditionem populus aliquis — ita<lb/>
se dedidit, ut <hirendition="#i">nihil exciperetur</hi>“ lib. 1. cap.</hi> 3. §. 11. Bei <hirendition="#g">dieſen</hi><lb/>
Königen entſteht nun die Frage, ob ihr <hirendition="#aq">jus proprietatis</hi>ſich bloß auf das<lb/>
Recht der Regierung, oder auch auf die Freiheit der Einzelnen er-<lb/>ſtreckt. Und darauf antwortet Hugo Grotius: <hirendition="#aq">„At sicut est alia potestas<lb/><hirendition="#i">dominica</hi>, alia <hirendition="#i">regia</hi>, ita et alia libertas <hirendition="#i">personalis</hi>, alia <hirendition="#i">civilis</hi>, alia<lb/>
singulorum, alia universorum. Hic non de hominum singulorum,<lb/>
sed de <hirendition="#i">populi</hi> libertate quaeritur. — Cum populus alienatur, non<lb/>
ipsi homines alienantur, sed <hirendition="#i">jus perpetuum eos regendi</hi>.“</hi> So er-<lb/>ſcheint hier das Princip der perſönlichen Freiheit als die abſolute, von<lb/><hirendition="#g">keiner</hi> Staatsform zu überſchreitende Gränze der höchſten Staatsgewalt;<lb/>
das war die wahre Baſis des Princips der Reformation, ein neuer<lb/>
Gedanke gegenüber dem alten <hirendition="#aq">jus feudale,</hi> in welchem der Menſch ſtets<lb/>
in untrennbarer Verbindung mit dem Grundbeſitz und daher auch mit<lb/>
dem Recht des Lehnsherrn über dieſen Grundbeſitz gedacht, und dieſem<lb/>
Rechte des Grundbeſitzes auch perſönlich unterworfen wird. So iſt<lb/>
jener Gedanke des Hugo Grotius, die principielle Scheidung der Per-<lb/>ſönlichkeit vom Beſitz und ſeiner Abhängigkeit, der <hirendition="#g">theoretiſche Aus-<lb/>
gangspunkt der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft</hi> und ihrer<lb/><hirendition="#g">Scheidung</hi> von der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung. Allein während<lb/>
Hugo Grotius auf dieſe Weiſe, wie er es in dem obigen Satze aus-<lb/>
drücklich hervorhebt, den Menſchen frei macht, macht er den <hirendition="#g">Staat<lb/>
nicht frei</hi>. Er erkennt vielmehr an, daß es Staaten gebe, deren<lb/><hirendition="#aq">„imperium“</hi> in der <hirendition="#aq">plenitudo juris proprietatis</hi> dem Eigenthum des<lb/>
Landesherrn beſtehen könne. Dieſe Staaten nun nennt er die <hirendition="#aq">„regna<lb/>
patrimonialia,“</hi> und ſetzt ſie ausdrücklich den <hirendition="#aq">regnis quae non in patri-<lb/>
monio sed „tanquam“ in usufructu habentur“</hi> entgegen. Die erſten<lb/>
kann der König ganz nach ſeiner Willkür regieren, ja <hirendition="#aq">quo minus rex<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[171/0189]
(1848) hat den wir möchten faſt ſagen einzigen Fehler, eben dieſe be-
ſtimmte Beziehung auf jene Hauptfrage der europäiſchen Staatenbildung
nicht klar und feſt genug erkannt und herausgehoben zu haben; denn
in der That war ſie die Grundlage und das Ziel aller Theorien noch
lange nach Hugo Grotius, ja faſt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.
Hugo Grotius aber nahm hier eine ganz entſcheidende Stellung ein.
Sein Lib. I. C. 3. iſt das Compendium der Principien ſeines Staats-
rechts. Darnach muß man unterſcheiden. Das Recht der „Könige“ und
ihrer „Herrſchaft“ (imperium) entſteht entweder aus der Wahl und dem in
ihr liegenden Vertrage, oder aus der Eroberung. Das Recht des Königs
iſt im erſten Falle ein beſchränktes, aber im zweiten Falle ein unbe-
ſchränktes. Dieſes unbeſchränkte Recht umfaßt nun auch das Eigen-
thum; ſolche Könige ſind „reges pleno jure proprietatis, ut qui justo bello
imperium quaesierunt, aut in quorum ditionem populus aliquis — ita
se dedidit, ut nihil exciperetur“ lib. 1. cap. 3. §. 11. Bei dieſen
Königen entſteht nun die Frage, ob ihr jus proprietatis ſich bloß auf das
Recht der Regierung, oder auch auf die Freiheit der Einzelnen er-
ſtreckt. Und darauf antwortet Hugo Grotius: „At sicut est alia potestas
dominica, alia regia, ita et alia libertas personalis, alia civilis, alia
singulorum, alia universorum. Hic non de hominum singulorum,
sed de populi libertate quaeritur. — Cum populus alienatur, non
ipsi homines alienantur, sed jus perpetuum eos regendi.“ So er-
ſcheint hier das Princip der perſönlichen Freiheit als die abſolute, von
keiner Staatsform zu überſchreitende Gränze der höchſten Staatsgewalt;
das war die wahre Baſis des Princips der Reformation, ein neuer
Gedanke gegenüber dem alten jus feudale, in welchem der Menſch ſtets
in untrennbarer Verbindung mit dem Grundbeſitz und daher auch mit
dem Recht des Lehnsherrn über dieſen Grundbeſitz gedacht, und dieſem
Rechte des Grundbeſitzes auch perſönlich unterworfen wird. So iſt
jener Gedanke des Hugo Grotius, die principielle Scheidung der Per-
ſönlichkeit vom Beſitz und ſeiner Abhängigkeit, der theoretiſche Aus-
gangspunkt der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und ihrer
Scheidung von der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung. Allein während
Hugo Grotius auf dieſe Weiſe, wie er es in dem obigen Satze aus-
drücklich hervorhebt, den Menſchen frei macht, macht er den Staat
nicht frei. Er erkennt vielmehr an, daß es Staaten gebe, deren
„imperium“ in der plenitudo juris proprietatis dem Eigenthum des
Landesherrn beſtehen könne. Dieſe Staaten nun nennt er die „regna
patrimonialia,“ und ſetzt ſie ausdrücklich den regnis quae non in patri-
monio sed „tanquam“ in usufructu habentur“ entgegen. Die erſten
kann der König ganz nach ſeiner Willkür regieren, ja quo minus rex
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/189>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.