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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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die Gesammtheit derjenigen Rechte, welche der Lehnsherr über das feu-
dum
hat, mit dem römischen Begriff des dominium in Uebereinstim-
mung zu bringen. Der Sage nach -- denn etwas Anderes ist es doch
wohl nicht -- entsteht diese Frage bei einem Streit der beiden Glossa-
toren Bulgarus und Martinus. Die Geschichte hat uns den Beginn
dieses Streites, der theoretisch bald halb Europa umfassen sollte, als
Anekdote aufbewahrt. Bekannt ist die Sitte, die herrschenden Herren,
namentlich die Lehnsherren domini zu nennen; ebenso bekannt jene
vage Vorstellung aus der Zeit Karls des Großen, welche den Kaiser
von Deutschland als seinen Nachfolger, als den obersten Lehnsherren der
Christenheit ansah, eine Vorstellung, welche von der Geistlichkeit mit
Eifer und Absicht genährt wurde. Die Courtoisie jener Zeit sagte
daher wohl, der deutsche Kaiser sei "dominus mundi." Die neu ent-
stehende römische Jurisprudenz verstand dagegen unter dominus den
juristischen Eigenthümer und forderte ihrerseits, daß sich der lehns-
rechtliche Begriff des dominium dem römischen in irgend einer Weise
unterordnen solle, um dadurch jene Definition zu empfangen. Nun er-
zählt Otto Morena in der Historia Laudensi (Muratori VI. 1018),
daß eines Tages der Kaiser Friedrich Barbarossa mit Bulgarus und
Martinus ausgeritten sei und bei dieser Gelegenheit beide gefragt habe,
ob er wirklich rechtlich der "dominus mundi" sei. Bulgarus ant-
wortete ihm, daß er es nicht sei in Betreff des Eigenthums (quod
non erat dominus, quantum ad proprietatem
), wogegen Martinus
höfisch erklärte, er sei wirklicher dominus. Der Kaiser schenkte, dar-
über höchlich erfreut, dem Martinus sein Pferd; Bulgarus aber, als
er dieß hörte, sagte: "Amisi equum, quia dixi aequum, quod non
erat aequum"
(Pütter, Specimen juris publici et gentium medii
aevi. p.
192). Von da an nun scheidet sich der Begriff des domi-
nium
in zwei Theile. Der strenge römische Begriff bleibt; allein neben
ihm entsteht der zweite des dominium feudale, über dessen Inhalt
und Gränzen man sich auf der Grundlage des römischen Rechts nicht
klar werden konnte, da man ein Oberrecht des Lehnsherrn über die
proprietas des Vasallen nicht läugnen konnte und doch auch wieder
zugestehen mußte, daß dominium und proprietas das vollkommen freie
und ausschließliche Recht über die Sache bedeuten, das der Lehnsherr
denn doch in Beziehung auf das Eigenthum des Vasallen nicht hatte.
Daher sehen wir von jetzt an das Bestreben, jenes Oberrecht des
Lehnherrn so viel als möglich in juristische Formulirung zu bringen.
So entstanden zunächst der Unterschied von dominium directum und
utile; dann der Versuch, das Rechtsverhältniß des obersten Lehnsherrn
durch Ausdrücke zu bezeichnen, bei denen man die Worte dominium

die Geſammtheit derjenigen Rechte, welche der Lehnsherr über das feu-
dum
hat, mit dem römiſchen Begriff des dominium in Uebereinſtim-
mung zu bringen. Der Sage nach — denn etwas Anderes iſt es doch
wohl nicht — entſteht dieſe Frage bei einem Streit der beiden Gloſſa-
toren Bulgarus und Martinus. Die Geſchichte hat uns den Beginn
dieſes Streites, der theoretiſch bald halb Europa umfaſſen ſollte, als
Anekdote aufbewahrt. Bekannt iſt die Sitte, die herrſchenden Herren,
namentlich die Lehnsherren domini zu nennen; ebenſo bekannt jene
vage Vorſtellung aus der Zeit Karls des Großen, welche den Kaiſer
von Deutſchland als ſeinen Nachfolger, als den oberſten Lehnsherren der
Chriſtenheit anſah, eine Vorſtellung, welche von der Geiſtlichkeit mit
Eifer und Abſicht genährt wurde. Die Courtoiſie jener Zeit ſagte
daher wohl, der deutſche Kaiſer ſei „dominus mundi.“ Die neu ent-
ſtehende römiſche Jurisprudenz verſtand dagegen unter dominus den
juriſtiſchen Eigenthümer und forderte ihrerſeits, daß ſich der lehns-
rechtliche Begriff des dominium dem römiſchen in irgend einer Weiſe
unterordnen ſolle, um dadurch jene Definition zu empfangen. Nun er-
zählt Otto Morena in der Historia Laudensi (Muratori VI. 1018),
daß eines Tages der Kaiſer Friedrich Barbaroſſa mit Bulgarus und
Martinus ausgeritten ſei und bei dieſer Gelegenheit beide gefragt habe,
ob er wirklich rechtlich der „dominus mundi“ ſei. Bulgarus ant-
wortete ihm, daß er es nicht ſei in Betreff des Eigenthums (quod
non erat dominus, quantum ad proprietatem
), wogegen Martinus
höfiſch erklärte, er ſei wirklicher dominus. Der Kaiſer ſchenkte, dar-
über höchlich erfreut, dem Martinus ſein Pferd; Bulgarus aber, als
er dieß hörte, ſagte: „Amisi equum, quia dixi aequum, quod non
erat aequum“
(Pütter, Specimen juris publici et gentium medii
aevi. p.
192). Von da an nun ſcheidet ſich der Begriff des domi-
nium
in zwei Theile. Der ſtrenge römiſche Begriff bleibt; allein neben
ihm entſteht der zweite des dominium feudale, über deſſen Inhalt
und Gränzen man ſich auf der Grundlage des römiſchen Rechts nicht
klar werden konnte, da man ein Oberrecht des Lehnsherrn über die
proprietas des Vaſallen nicht läugnen konnte und doch auch wieder
zugeſtehen mußte, daß dominium und proprietas das vollkommen freie
und ausſchließliche Recht über die Sache bedeuten, das der Lehnsherr
denn doch in Beziehung auf das Eigenthum des Vaſallen nicht hatte.
Daher ſehen wir von jetzt an das Beſtreben, jenes Oberrecht des
Lehnherrn ſo viel als möglich in juriſtiſche Formulirung zu bringen.
So entſtanden zunächſt der Unterſchied von dominium directum und
utile; dann der Verſuch, das Rechtsverhältniß des oberſten Lehnsherrn
durch Ausdrücke zu bezeichnen, bei denen man die Worte dominium

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[168/0186] die Geſammtheit derjenigen Rechte, welche der Lehnsherr über das feu- dum hat, mit dem römiſchen Begriff des dominium in Uebereinſtim- mung zu bringen. Der Sage nach — denn etwas Anderes iſt es doch wohl nicht — entſteht dieſe Frage bei einem Streit der beiden Gloſſa- toren Bulgarus und Martinus. Die Geſchichte hat uns den Beginn dieſes Streites, der theoretiſch bald halb Europa umfaſſen ſollte, als Anekdote aufbewahrt. Bekannt iſt die Sitte, die herrſchenden Herren, namentlich die Lehnsherren domini zu nennen; ebenſo bekannt jene vage Vorſtellung aus der Zeit Karls des Großen, welche den Kaiſer von Deutſchland als ſeinen Nachfolger, als den oberſten Lehnsherren der Chriſtenheit anſah, eine Vorſtellung, welche von der Geiſtlichkeit mit Eifer und Abſicht genährt wurde. Die Courtoiſie jener Zeit ſagte daher wohl, der deutſche Kaiſer ſei „dominus mundi.“ Die neu ent- ſtehende römiſche Jurisprudenz verſtand dagegen unter dominus den juriſtiſchen Eigenthümer und forderte ihrerſeits, daß ſich der lehns- rechtliche Begriff des dominium dem römiſchen in irgend einer Weiſe unterordnen ſolle, um dadurch jene Definition zu empfangen. Nun er- zählt Otto Morena in der Historia Laudensi (Muratori VI. 1018), daß eines Tages der Kaiſer Friedrich Barbaroſſa mit Bulgarus und Martinus ausgeritten ſei und bei dieſer Gelegenheit beide gefragt habe, ob er wirklich rechtlich der „dominus mundi“ ſei. Bulgarus ant- wortete ihm, daß er es nicht ſei in Betreff des Eigenthums (quod non erat dominus, quantum ad proprietatem), wogegen Martinus höfiſch erklärte, er ſei wirklicher dominus. Der Kaiſer ſchenkte, dar- über höchlich erfreut, dem Martinus ſein Pferd; Bulgarus aber, als er dieß hörte, ſagte: „Amisi equum, quia dixi aequum, quod non erat aequum“ (Pütter, Specimen juris publici et gentium medii aevi. p. 192). Von da an nun ſcheidet ſich der Begriff des domi- nium in zwei Theile. Der ſtrenge römiſche Begriff bleibt; allein neben ihm entſteht der zweite des dominium feudale, über deſſen Inhalt und Gränzen man ſich auf der Grundlage des römiſchen Rechts nicht klar werden konnte, da man ein Oberrecht des Lehnsherrn über die proprietas des Vaſallen nicht läugnen konnte und doch auch wieder zugeſtehen mußte, daß dominium und proprietas das vollkommen freie und ausſchließliche Recht über die Sache bedeuten, das der Lehnsherr denn doch in Beziehung auf das Eigenthum des Vaſallen nicht hatte. Daher ſehen wir von jetzt an das Beſtreben, jenes Oberrecht des Lehnherrn ſo viel als möglich in juriſtiſche Formulirung zu bringen. So entſtanden zunächſt der Unterſchied von dominium directum und utile; dann der Verſuch, das Rechtsverhältniß des oberſten Lehnsherrn durch Ausdrücke zu bezeichnen, bei denen man die Worte dominium

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/186>, abgerufen am 24.11.2024.