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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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alter Abgaben, natürlich oft unter höchster Bedrückung des Bauern-
standes und höchst ungleichmäßig durchgeführt, aber ihre eigentliche
Natur doch niemals verläugnend. Die kirchlichen Zehnten hängen da-
gegen mit der Grundherrlichkeit gar nicht zusammen, und haben sich
daher auch Jahrhunderte lang nach Beseitigung der letzteren erhalten,
wie in England und Holland. Sie sind daher mit dem Steuerwesen
verbunden, und verschwinden erst mit dessen Organisation, während
die Aufhebung der grundherrlichen Leistungen auf ganz andern Grün-
den beruht. Doch davon unten.

Aus diesem Eingreifen des ständischen Rechts entsteht nun aber
ein weiteres Element der grundherrlichen Herrschaft, nämlich das grund-
herrliche Gewerberecht, namentlich das Verkehrsrecht mit Getränken
und das Produktions- und Verkehrsrecht für das Müllergewerbe.
Daran knüpft sich die Entstehung der Realgerechtigkeiten und
der Bannrechte, in denen das Recht auf gewisse Erwerbszweige zum
Eigenthum der Grundherren wird. An diesen Punkt schließen sich
zum großen Theil die Ablösungen an; sie bilden den Uebergang von
den Entlastungen zum zweiten Gebiet der Entwährung. Hier aber er-
scheinen sie zunächst als Theil der Grundherrlichkeit; und in Verbin-
dung der übrigen Rechte der letzteren mit dieser Gruppe von Rechten
ist nun der Grundherr fast der unbedingte wirthschaftliche Herr
aller seiner Gutsangehörigen. Das steht fest mit dem 13. Jahrhundert.
Aber die Vollendung dieser herrschenden Stellung empfängt die Grund-
herrlichkeit doch erst durch das dritte, im Grunde wichtigste Moment.

Dieses dritte Moment besteht nämlich darin, daß nunmehr der
Grundherr alle im Wesen des Staats liegenden Aufgaben und
Rechte als sein Recht ansieht, und dieselben mit seinem Grund und
Boden untrennbar verbindet. Er ist der Herr der örtlichen Finanz-
wirthschaft, der Rechtspflege und der Polizei.

Wir nennen nun alle diese Rechte, da unter ihnen nur die Rechts-
pflege zum klaren Bewußtsein der Zeit kam und daher auch das Ge-
richt als Organ derselben alle diese Funktionen ausübte, die grund-
herrliche
oder Patrimonialgerichtsbarkeit. Erst mit dieser
grundherrlichen Gerichtsbarkeit erscheinen Begriff und Inhalt der Grund-
herrlichkeit abgeschlossen. Die Grundherrlichkeit ist durch dieß Privat-
recht des Herrn auf alle jene Rechte der Verwaltung im weiteren
Sinne nicht bloß im Großgrundbesitz, und die Grundherren sind ver-
möge ihres Besitzes nicht bloß die gesellschaftlich herrschende Klasse, son-
dern die Grundherrlichkeit ist vielmehr jetzt ein, durch und vermöge des
Besitzes gebildeter und nach Privatrecht erblich gewordener Verwal-
tungskörper
. Jetzt erst ist die gesellschaftlich herrschende Klasse auch

alter Abgaben, natürlich oft unter höchſter Bedrückung des Bauern-
ſtandes und höchſt ungleichmäßig durchgeführt, aber ihre eigentliche
Natur doch niemals verläugnend. Die kirchlichen Zehnten hängen da-
gegen mit der Grundherrlichkeit gar nicht zuſammen, und haben ſich
daher auch Jahrhunderte lang nach Beſeitigung der letzteren erhalten,
wie in England und Holland. Sie ſind daher mit dem Steuerweſen
verbunden, und verſchwinden erſt mit deſſen Organiſation, während
die Aufhebung der grundherrlichen Leiſtungen auf ganz andern Grün-
den beruht. Doch davon unten.

Aus dieſem Eingreifen des ſtändiſchen Rechts entſteht nun aber
ein weiteres Element der grundherrlichen Herrſchaft, nämlich das grund-
herrliche Gewerberecht, namentlich das Verkehrsrecht mit Getränken
und das Produktions- und Verkehrsrecht für das Müllergewerbe.
Daran knüpft ſich die Entſtehung der Realgerechtigkeiten und
der Bannrechte, in denen das Recht auf gewiſſe Erwerbszweige zum
Eigenthum der Grundherren wird. An dieſen Punkt ſchließen ſich
zum großen Theil die Ablöſungen an; ſie bilden den Uebergang von
den Entlaſtungen zum zweiten Gebiet der Entwährung. Hier aber er-
ſcheinen ſie zunächſt als Theil der Grundherrlichkeit; und in Verbin-
dung der übrigen Rechte der letzteren mit dieſer Gruppe von Rechten
iſt nun der Grundherr faſt der unbedingte wirthſchaftliche Herr
aller ſeiner Gutsangehörigen. Das ſteht feſt mit dem 13. Jahrhundert.
Aber die Vollendung dieſer herrſchenden Stellung empfängt die Grund-
herrlichkeit doch erſt durch das dritte, im Grunde wichtigſte Moment.

Dieſes dritte Moment beſteht nämlich darin, daß nunmehr der
Grundherr alle im Weſen des Staats liegenden Aufgaben und
Rechte als ſein Recht anſieht, und dieſelben mit ſeinem Grund und
Boden untrennbar verbindet. Er iſt der Herr der örtlichen Finanz-
wirthſchaft, der Rechtspflege und der Polizei.

Wir nennen nun alle dieſe Rechte, da unter ihnen nur die Rechts-
pflege zum klaren Bewußtſein der Zeit kam und daher auch das Ge-
richt als Organ derſelben alle dieſe Funktionen ausübte, die grund-
herrliche
oder Patrimonialgerichtsbarkeit. Erſt mit dieſer
grundherrlichen Gerichtsbarkeit erſcheinen Begriff und Inhalt der Grund-
herrlichkeit abgeſchloſſen. Die Grundherrlichkeit iſt durch dieß Privat-
recht des Herrn auf alle jene Rechte der Verwaltung im weiteren
Sinne nicht bloß im Großgrundbeſitz, und die Grundherren ſind ver-
möge ihres Beſitzes nicht bloß die geſellſchaftlich herrſchende Klaſſe, ſon-
dern die Grundherrlichkeit iſt vielmehr jetzt ein, durch und vermöge des
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tungskörper
. Jetzt erſt iſt die geſellſchaftlich herrſchende Klaſſe auch

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[101/0119] alter Abgaben, natürlich oft unter höchſter Bedrückung des Bauern- ſtandes und höchſt ungleichmäßig durchgeführt, aber ihre eigentliche Natur doch niemals verläugnend. Die kirchlichen Zehnten hängen da- gegen mit der Grundherrlichkeit gar nicht zuſammen, und haben ſich daher auch Jahrhunderte lang nach Beſeitigung der letzteren erhalten, wie in England und Holland. Sie ſind daher mit dem Steuerweſen verbunden, und verſchwinden erſt mit deſſen Organiſation, während die Aufhebung der grundherrlichen Leiſtungen auf ganz andern Grün- den beruht. Doch davon unten. Aus dieſem Eingreifen des ſtändiſchen Rechts entſteht nun aber ein weiteres Element der grundherrlichen Herrſchaft, nämlich das grund- herrliche Gewerberecht, namentlich das Verkehrsrecht mit Getränken und das Produktions- und Verkehrsrecht für das Müllergewerbe. Daran knüpft ſich die Entſtehung der Realgerechtigkeiten und der Bannrechte, in denen das Recht auf gewiſſe Erwerbszweige zum Eigenthum der Grundherren wird. An dieſen Punkt ſchließen ſich zum großen Theil die Ablöſungen an; ſie bilden den Uebergang von den Entlaſtungen zum zweiten Gebiet der Entwährung. Hier aber er- ſcheinen ſie zunächſt als Theil der Grundherrlichkeit; und in Verbin- dung der übrigen Rechte der letzteren mit dieſer Gruppe von Rechten iſt nun der Grundherr faſt der unbedingte wirthſchaftliche Herr aller ſeiner Gutsangehörigen. Das ſteht feſt mit dem 13. Jahrhundert. Aber die Vollendung dieſer herrſchenden Stellung empfängt die Grund- herrlichkeit doch erſt durch das dritte, im Grunde wichtigſte Moment. Dieſes dritte Moment beſteht nämlich darin, daß nunmehr der Grundherr alle im Weſen des Staats liegenden Aufgaben und Rechte als ſein Recht anſieht, und dieſelben mit ſeinem Grund und Boden untrennbar verbindet. Er iſt der Herr der örtlichen Finanz- wirthſchaft, der Rechtspflege und der Polizei. Wir nennen nun alle dieſe Rechte, da unter ihnen nur die Rechts- pflege zum klaren Bewußtſein der Zeit kam und daher auch das Ge- richt als Organ derſelben alle dieſe Funktionen ausübte, die grund- herrliche oder Patrimonialgerichtsbarkeit. Erſt mit dieſer grundherrlichen Gerichtsbarkeit erſcheinen Begriff und Inhalt der Grund- herrlichkeit abgeſchloſſen. Die Grundherrlichkeit iſt durch dieß Privat- recht des Herrn auf alle jene Rechte der Verwaltung im weiteren Sinne nicht bloß im Großgrundbeſitz, und die Grundherren ſind ver- möge ihres Beſitzes nicht bloß die geſellſchaftlich herrſchende Klaſſe, ſon- dern die Grundherrlichkeit iſt vielmehr jetzt ein, durch und vermöge des Beſitzes gebildeter und nach Privatrecht erblich gewordener Verwal- tungskörper. Jetzt erſt iſt die geſellſchaftlich herrſchende Klaſſe auch

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/119>, abgerufen am 27.04.2024.