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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Geschlechterordnung, und die Grundentlastung ist derjenige große, zu-
gleich sociale und wirthschaftliche Akt des Staats, durch welchen er diesen
Proceß der gesellschaftlichen Befreiung durch die Herstellung der wirth-
schaftlichen abschließt. Das ist das Wesen und die historische Stellung
der Grundentlastung.

Die Grundentlastung kann daher niemals als eine für sich bestehende
Maßregel richtig verstanden werden. Sie ist vielmehr ein Glied in
einer großen Kette von Kämpfen und Bewegungen, die mit dem Ent-
stehen der germanischen Reiche beginnen, und die ihrerseits mit der
Grundentlastung selbst nicht enden
. Sie ist zwar einerseits die
Folge großer theils geistiger, theils wirthschaftlicher Erscheinungen, aber
sie ist zugleich die Grundlage neuer gesellschaftlicher, wirthschaftlicher
und damit öffentlich rechtlicher Ordnungen. Man kann sie daher für
sich betrachten, und daraus entsteht die positive Darstellung des Grund-
entlastungsrechts; man kann sie bloß vom wirthschaftlichen Gesichts-
punkte aus auffassen, und damit erscheint sie rein als eine Maßregel
der Volkswirthschaftspflege; allein ihre ganze Bedeutung liegt erst in
ihrem inneren und äußeren Zusammenhang mit jenen Elementen der
europäischen Geschichte, und damit zugleich in dem Verständniß dessen,
was sie ihrerseits, wenn vollendet, zu erzeugen bestimmt ist. Und
das nun darf man daher auch an die Spitze des Folgenden stellen.

Die Grundentlastung nämlich bedeutet, wie wir oben entwickelt
haben, den historischen Wendepunkt in dem Leben der europäischen
Völker, in welchem die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung definitiv
an die Stelle der Geschlechterordnung tritt, wie die Gewerbefreiheit den
Punkt bezeichnet, auf welchem jene erstere sich über die Ständeordnung
erhebt. Sie bedeutet speciell in gesellschaftlichem Sinne die staatsbürger-
liche Gleichheit ohne Rücksicht auf den Umfang des Grundbesitzes; sie
bedeutet volkswirthschaftlich die Verschmelzung der Natur des beweg-
lichen Kapitals mit dem unbeweglichen, und das Aufheben der Unter-
schiede, die auf der Scheidung derselben in Einzel- und Volkswirthschaft
beruhen; sie bedeutet endlich im öffentlichen Recht das Eintreten der
Selbstverwaltung in die Landgemeinde, mit all ihren großen und be-
deutsamen Folgen. Sie ist daher durch diese Momente zwar der Ab-
schluß Einer Epoche der innern Geschichte, aber auch der Beginn
einer andern, besseren und freieren
. Sie ist der entscheidende
Beweis für die Bedeutung und den Werth der Staatsidee, ohne welche
jede Gesellschaftsform durch ihren Besitz und ihre Interessen starr wird.
Sie ist aber endlich, und das ist nicht ihr letzter Werth, die höchste An-
erkennung des an sich unverletzlichen persönlichen Rechts, indem sie die
absoluten Principien der Entwährung und der von ihr geforderten

Geſchlechterordnung, und die Grundentlaſtung iſt derjenige große, zu-
gleich ſociale und wirthſchaftliche Akt des Staats, durch welchen er dieſen
Proceß der geſellſchaftlichen Befreiung durch die Herſtellung der wirth-
ſchaftlichen abſchließt. Das iſt das Weſen und die hiſtoriſche Stellung
der Grundentlaſtung.

Die Grundentlaſtung kann daher niemals als eine für ſich beſtehende
Maßregel richtig verſtanden werden. Sie iſt vielmehr ein Glied in
einer großen Kette von Kämpfen und Bewegungen, die mit dem Ent-
ſtehen der germaniſchen Reiche beginnen, und die ihrerſeits mit der
Grundentlaſtung ſelbſt nicht enden
. Sie iſt zwar einerſeits die
Folge großer theils geiſtiger, theils wirthſchaftlicher Erſcheinungen, aber
ſie iſt zugleich die Grundlage neuer geſellſchaftlicher, wirthſchaftlicher
und damit öffentlich rechtlicher Ordnungen. Man kann ſie daher für
ſich betrachten, und daraus entſteht die poſitive Darſtellung des Grund-
entlaſtungsrechts; man kann ſie bloß vom wirthſchaftlichen Geſichts-
punkte aus auffaſſen, und damit erſcheint ſie rein als eine Maßregel
der Volkswirthſchaftspflege; allein ihre ganze Bedeutung liegt erſt in
ihrem inneren und äußeren Zuſammenhang mit jenen Elementen der
europäiſchen Geſchichte, und damit zugleich in dem Verſtändniß deſſen,
was ſie ihrerſeits, wenn vollendet, zu erzeugen beſtimmt iſt. Und
das nun darf man daher auch an die Spitze des Folgenden ſtellen.

Die Grundentlaſtung nämlich bedeutet, wie wir oben entwickelt
haben, den hiſtoriſchen Wendepunkt in dem Leben der europäiſchen
Völker, in welchem die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung definitiv
an die Stelle der Geſchlechterordnung tritt, wie die Gewerbefreiheit den
Punkt bezeichnet, auf welchem jene erſtere ſich über die Ständeordnung
erhebt. Sie bedeutet ſpeciell in geſellſchaftlichem Sinne die ſtaatsbürger-
liche Gleichheit ohne Rückſicht auf den Umfang des Grundbeſitzes; ſie
bedeutet volkswirthſchaftlich die Verſchmelzung der Natur des beweg-
lichen Kapitals mit dem unbeweglichen, und das Aufheben der Unter-
ſchiede, die auf der Scheidung derſelben in Einzel- und Volkswirthſchaft
beruhen; ſie bedeutet endlich im öffentlichen Recht das Eintreten der
Selbſtverwaltung in die Landgemeinde, mit all ihren großen und be-
deutſamen Folgen. Sie iſt daher durch dieſe Momente zwar der Ab-
ſchluß Einer Epoche der innern Geſchichte, aber auch der Beginn
einer andern, beſſeren und freieren
. Sie iſt der entſcheidende
Beweis für die Bedeutung und den Werth der Staatsidee, ohne welche
jede Geſellſchaftsform durch ihren Beſitz und ihre Intereſſen ſtarr wird.
Sie iſt aber endlich, und das iſt nicht ihr letzter Werth, die höchſte An-
erkennung des an ſich unverletzlichen perſönlichen Rechts, indem ſie die
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[95/0113] Geſchlechterordnung, und die Grundentlaſtung iſt derjenige große, zu- gleich ſociale und wirthſchaftliche Akt des Staats, durch welchen er dieſen Proceß der geſellſchaftlichen Befreiung durch die Herſtellung der wirth- ſchaftlichen abſchließt. Das iſt das Weſen und die hiſtoriſche Stellung der Grundentlaſtung. Die Grundentlaſtung kann daher niemals als eine für ſich beſtehende Maßregel richtig verſtanden werden. Sie iſt vielmehr ein Glied in einer großen Kette von Kämpfen und Bewegungen, die mit dem Ent- ſtehen der germaniſchen Reiche beginnen, und die ihrerſeits mit der Grundentlaſtung ſelbſt nicht enden. Sie iſt zwar einerſeits die Folge großer theils geiſtiger, theils wirthſchaftlicher Erſcheinungen, aber ſie iſt zugleich die Grundlage neuer geſellſchaftlicher, wirthſchaftlicher und damit öffentlich rechtlicher Ordnungen. Man kann ſie daher für ſich betrachten, und daraus entſteht die poſitive Darſtellung des Grund- entlaſtungsrechts; man kann ſie bloß vom wirthſchaftlichen Geſichts- punkte aus auffaſſen, und damit erſcheint ſie rein als eine Maßregel der Volkswirthſchaftspflege; allein ihre ganze Bedeutung liegt erſt in ihrem inneren und äußeren Zuſammenhang mit jenen Elementen der europäiſchen Geſchichte, und damit zugleich in dem Verſtändniß deſſen, was ſie ihrerſeits, wenn vollendet, zu erzeugen beſtimmt iſt. Und das nun darf man daher auch an die Spitze des Folgenden ſtellen. Die Grundentlaſtung nämlich bedeutet, wie wir oben entwickelt haben, den hiſtoriſchen Wendepunkt in dem Leben der europäiſchen Völker, in welchem die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung definitiv an die Stelle der Geſchlechterordnung tritt, wie die Gewerbefreiheit den Punkt bezeichnet, auf welchem jene erſtere ſich über die Ständeordnung erhebt. Sie bedeutet ſpeciell in geſellſchaftlichem Sinne die ſtaatsbürger- liche Gleichheit ohne Rückſicht auf den Umfang des Grundbeſitzes; ſie bedeutet volkswirthſchaftlich die Verſchmelzung der Natur des beweg- lichen Kapitals mit dem unbeweglichen, und das Aufheben der Unter- ſchiede, die auf der Scheidung derſelben in Einzel- und Volkswirthſchaft beruhen; ſie bedeutet endlich im öffentlichen Recht das Eintreten der Selbſtverwaltung in die Landgemeinde, mit all ihren großen und be- deutſamen Folgen. Sie iſt daher durch dieſe Momente zwar der Ab- ſchluß Einer Epoche der innern Geſchichte, aber auch der Beginn einer andern, beſſeren und freieren. Sie iſt der entſcheidende Beweis für die Bedeutung und den Werth der Staatsidee, ohne welche jede Geſellſchaftsform durch ihren Beſitz und ihre Intereſſen ſtarr wird. Sie iſt aber endlich, und das iſt nicht ihr letzter Werth, die höchſte An- erkennung des an ſich unverletzlichen perſönlichen Rechts, indem ſie die abſoluten Principien der Entwährung und der von ihr geforderten

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/113>, abgerufen am 27.04.2024.