der Entwährung wird im Allgemeinen bereits in der Decl. des droits anerkannt; die Enteignung tritt, eben weil die Entlastung bereits eine fertige Thatsache ist, dann selbständig und von ihr geschieden seit 1807 auf, und gipfelt in dem Gesetze von 1841. Die ganze Entlastung und Ablösung ist in dieser Zeit im französischen Recht bereits überwunden und vergessen; es gibt daher in Frankreich weder Entlastungs- noch Ab- lösungsgesetze; nur in der Gemeinheitstheilung, in dem alten Geschlechter- rechte der vaine pature und des droit de parcours erhält sich ein selb- ständiger Rest des alten Rechts, zusammenhanglos und unverstanden dastehend; das ganze Entwährungsrecht Frankreichs ist durch diesen Gang der Dinge zum bloßen Enteignungsrecht des Gesetzes von 1841 geworden.
Wesentlich anders ist es in England. Hier ist der Gegensatz zwischen der Geschlechter- und staatsbürgerlichen Ordnung bei weitem nicht so scharf ausgedrückt; allein nichts ist verkehrter, als zu glauben, daß er nicht gleichfalls dort besteht. Der ganze Charakter des englischen Geschlechterrechts im Verhältniß zum Continent besteht nämlich darin, daß es zwar eine eben so große Unfreiheit des Besitzes dort gibt, wie im übrigen Europa, allein keine Unfreiheit der Person und des Erwerbes. Die Freiheit der letzteren macht daher die Unfreiheit des ersteren so erträglich, daß England überhaupt erst in der Mitte unseres Jahrhunderts an die Entlastung und Gemeinheitstheilung denkt, wäh- rend das Princip des Privatrechts die Idee der Enteignung auch erst in derselben Zeit, und zwar nicht als allgemeines Princip der Verfas- sung, wie in Frankreich und Deutschland, sondern nur als Ausnahms- gesetz für industrielle Unternehmungen erscheinen läßt. Die Gesetzgebung ist daher hier sehr unvollständig, und besteht bloß in dem Entlastungs- gesetze 45. Vict. 35 und 9. 10. Vict. 75, und dem ganz speciellen Ent- eignungsgesetz in der Lands Clauses Act. Von einer theoretischen Be- handlung ist hier keine Rede.
In Deutschland endlich muß man wieder davon ausgehen, daß hier wie auf allen andern Gebieten zwei Rechtsbildungen neben ein- ander bestehen und sich gelegentlich kreuzen und hemmen. Das sind die des deutschen Volkes im allgemeinen, und die der einzelnen Staaten im besondern. Die Bewegung beginnt hier jedoch im 18. Jahrhundert, und zwar mit den ersten, noch ziemlich gestaltlosen Versuchen, die Grund- entlastungen auf dem Wege freiwilliger Vereinbarung durchzuführen; zugleich wird die Gemeinheitstheilung selbständig aufgenommen, aber mehr versuchsweise und ohne großen Erfolg; dann tritt aber mit dem Anfang unseres Jahrhunderts das allgemeine Princip der Entwäh- rung in der Gesetzgebung auf, nur in höchst verschiedener Weise; denn
der Entwährung wird im Allgemeinen bereits in der Décl. des droits anerkannt; die Enteignung tritt, eben weil die Entlaſtung bereits eine fertige Thatſache iſt, dann ſelbſtändig und von ihr geſchieden ſeit 1807 auf, und gipfelt in dem Geſetze von 1841. Die ganze Entlaſtung und Ablöſung iſt in dieſer Zeit im franzöſiſchen Recht bereits überwunden und vergeſſen; es gibt daher in Frankreich weder Entlaſtungs- noch Ab- löſungsgeſetze; nur in der Gemeinheitstheilung, in dem alten Geſchlechter- rechte der vaine pature und des droit de parcours erhält ſich ein ſelb- ſtändiger Reſt des alten Rechts, zuſammenhanglos und unverſtanden daſtehend; das ganze Entwährungsrecht Frankreichs iſt durch dieſen Gang der Dinge zum bloßen Enteignungsrecht des Geſetzes von 1841 geworden.
Weſentlich anders iſt es in England. Hier iſt der Gegenſatz zwiſchen der Geſchlechter- und ſtaatsbürgerlichen Ordnung bei weitem nicht ſo ſcharf ausgedrückt; allein nichts iſt verkehrter, als zu glauben, daß er nicht gleichfalls dort beſteht. Der ganze Charakter des engliſchen Geſchlechterrechts im Verhältniß zum Continent beſteht nämlich darin, daß es zwar eine eben ſo große Unfreiheit des Beſitzes dort gibt, wie im übrigen Europa, allein keine Unfreiheit der Perſon und des Erwerbes. Die Freiheit der letzteren macht daher die Unfreiheit des erſteren ſo erträglich, daß England überhaupt erſt in der Mitte unſeres Jahrhunderts an die Entlaſtung und Gemeinheitstheilung denkt, wäh- rend das Princip des Privatrechts die Idee der Enteignung auch erſt in derſelben Zeit, und zwar nicht als allgemeines Princip der Verfaſ- ſung, wie in Frankreich und Deutſchland, ſondern nur als Ausnahms- geſetz für induſtrielle Unternehmungen erſcheinen läßt. Die Geſetzgebung iſt daher hier ſehr unvollſtändig, und beſteht bloß in dem Entlaſtungs- geſetze 45. Vict. 35 und 9. 10. Vict. 75, und dem ganz ſpeciellen Ent- eignungsgeſetz in der Lands Clauses Act. Von einer theoretiſchen Be- handlung iſt hier keine Rede.
In Deutſchland endlich muß man wieder davon ausgehen, daß hier wie auf allen andern Gebieten zwei Rechtsbildungen neben ein- ander beſtehen und ſich gelegentlich kreuzen und hemmen. Das ſind die des deutſchen Volkes im allgemeinen, und die der einzelnen Staaten im beſondern. Die Bewegung beginnt hier jedoch im 18. Jahrhundert, und zwar mit den erſten, noch ziemlich geſtaltloſen Verſuchen, die Grund- entlaſtungen auf dem Wege freiwilliger Vereinbarung durchzuführen; zugleich wird die Gemeinheitstheilung ſelbſtändig aufgenommen, aber mehr verſuchsweiſe und ohne großen Erfolg; dann tritt aber mit dem Anfang unſeres Jahrhunderts das allgemeine Princip der Entwäh- rung in der Geſetzgebung auf, nur in höchſt verſchiedener Weiſe; denn
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der Entwährung wird im Allgemeinen bereits in der Décl. des droits
anerkannt; die Enteignung tritt, eben weil die Entlaſtung bereits eine
fertige Thatſache iſt, dann ſelbſtändig und von ihr geſchieden ſeit 1807
auf, und gipfelt in dem Geſetze von 1841. Die ganze Entlaſtung und
Ablöſung iſt in dieſer Zeit im franzöſiſchen Recht bereits überwunden
und vergeſſen; es gibt daher in Frankreich weder Entlaſtungs- noch Ab-
löſungsgeſetze; nur in der Gemeinheitstheilung, in dem alten Geſchlechter-
rechte der vaine pature und des droit de parcours erhält ſich ein ſelb-
ſtändiger Reſt des alten Rechts, zuſammenhanglos und unverſtanden
daſtehend; das ganze Entwährungsrecht Frankreichs iſt durch dieſen
Gang der Dinge zum bloßen Enteignungsrecht des Geſetzes
von 1841 geworden.
Weſentlich anders iſt es in England. Hier iſt der Gegenſatz
zwiſchen der Geſchlechter- und ſtaatsbürgerlichen Ordnung bei weitem
nicht ſo ſcharf ausgedrückt; allein nichts iſt verkehrter, als zu glauben,
daß er nicht gleichfalls dort beſteht. Der ganze Charakter des engliſchen
Geſchlechterrechts im Verhältniß zum Continent beſteht nämlich darin,
daß es zwar eine eben ſo große Unfreiheit des Beſitzes dort gibt, wie
im übrigen Europa, allein keine Unfreiheit der Perſon und des
Erwerbes. Die Freiheit der letzteren macht daher die Unfreiheit des
erſteren ſo erträglich, daß England überhaupt erſt in der Mitte unſeres
Jahrhunderts an die Entlaſtung und Gemeinheitstheilung denkt, wäh-
rend das Princip des Privatrechts die Idee der Enteignung auch erſt
in derſelben Zeit, und zwar nicht als allgemeines Princip der Verfaſ-
ſung, wie in Frankreich und Deutſchland, ſondern nur als Ausnahms-
geſetz für induſtrielle Unternehmungen erſcheinen läßt. Die Geſetzgebung
iſt daher hier ſehr unvollſtändig, und beſteht bloß in dem Entlaſtungs-
geſetze 45. Vict. 35 und 9. 10. Vict. 75, und dem ganz ſpeciellen Ent-
eignungsgeſetz in der Lands Clauses Act. Von einer theoretiſchen Be-
handlung iſt hier keine Rede.
In Deutſchland endlich muß man wieder davon ausgehen, daß
hier wie auf allen andern Gebieten zwei Rechtsbildungen neben ein-
ander beſtehen und ſich gelegentlich kreuzen und hemmen. Das ſind
die des deutſchen Volkes im allgemeinen, und die der einzelnen Staaten
im beſondern. Die Bewegung beginnt hier jedoch im 18. Jahrhundert,
und zwar mit den erſten, noch ziemlich geſtaltloſen Verſuchen, die Grund-
entlaſtungen auf dem Wege freiwilliger Vereinbarung durchzuführen;
zugleich wird die Gemeinheitstheilung ſelbſtändig aufgenommen, aber
mehr verſuchsweiſe und ohne großen Erfolg; dann tritt aber mit dem
Anfang unſeres Jahrhunderts das allgemeine Princip der Entwäh-
rung in der Geſetzgebung auf, nur in höchſt verſchiedener Weiſe; denn
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/109>, abgerufen am 16.02.2025.
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