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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Man wird dieselben scheiden müssen in die formalen, auf das Ver-
fahren
, und in die materiellen, auf das Gut bezüglichen Elemente
des öffentlichen Entwährungsrechts.

Die formalen Elemente sind folgende:

Der erste Grundsatz ist der, daß die Entwährung auf einem Ge-
setze (s. oben) beruhe, aber im einzelnen Falle durch eine Verfügung
im Namen des Staats ausgesprochen werden muß, deren Voraussetzung
und Form das Entwährungsgesetz zu bestimmen hat, widrigenfalls die
Regierung einseitig durch ihre Verordnungen darüber zu entscheiden voll-
kommen
berechtigt ist.

Der zweite Grundsatz ist, daß das Verfahren bei der Aufhebung
des Eigenthums oder Rechts von dem Verfahren bei der Herausgabe
des Werthes, oder das eigentliche Enteignungs- und das Ent-
schädigungsverfahren
selbständig getrennt werden muß.

Der dritte Grundsatz ist, daß der auf diese Weise gesetzlich ge-
ordnete Proceß der Entwährung auch nur durch die Organe des Staats
selber, und nie durch die Betheiligten in Vollzug gesetzt werden darf,
da die Entwährung nie für ein Einzelinteresse, sondern nur im Namen
des staatsbürgerlichen Princips geschehen soll, dessen Vertreter der
Staat ist. Daher ist auch das ganze, aus der Entwährung entstehende
Rechts- und Verkehrsverhältniß kein Privatrecht, kein Kauf u. s. w.
(s. unten bei der Enteignung), sondern ein Theil desjenigen Rechts-
gebietes, das wir als das bürgerliche Verwaltungsrecht bezeichnet
haben.

Was nun die materiellen Elemente des Entwährungsrechts betrifft,
so sind sie folgende.

Die erste, auf das Gut als Objekt der Entwährung bezügliche
Regel für alle Entwährung liegt im Wesen der innern Verwaltung,
nach welchem überhaupt die Thätigkeit des Staats nur da eintreten soll,
wo die Einzelnen sich selbst durch eigene Kraft nicht mehr zu helfen
vermögen. Das Recht und die Aufgabe der Entwährung durch die Ver-
waltung darf daher auch nur da eintreten, wo die Aufhebung des be-
treffenden gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Rechtes sich als unab-
weisbar gewordene, aber dennoch durch die freie Vereinbarung
der Einzelnen nicht erreichbare Voraussetzung irgend eines Gesammt-
interesses herausgestellt hat, oder so lange der Staat sich das betreffende
Objekt selbst nicht zu produciren vermag, was bei beweglichen Gütern
wohl fast ausnahmslos der Fall ist. So lange daher die eigene Pro-
duktion solcher Güter, oder aber eine freie Vereinbarung über Rechte
und unbewegliche Güter möglich ist, soll der Staat mit seinem Ent-
währungsrechte nicht eintreten. Es muß daher als Rechtsprincip bei

Man wird dieſelben ſcheiden müſſen in die formalen, auf das Ver-
fahren
, und in die materiellen, auf das Gut bezüglichen Elemente
des öffentlichen Entwährungsrechts.

Die formalen Elemente ſind folgende:

Der erſte Grundſatz iſt der, daß die Entwährung auf einem Ge-
ſetze (ſ. oben) beruhe, aber im einzelnen Falle durch eine Verfügung
im Namen des Staats ausgeſprochen werden muß, deren Vorausſetzung
und Form das Entwährungsgeſetz zu beſtimmen hat, widrigenfalls die
Regierung einſeitig durch ihre Verordnungen darüber zu entſcheiden voll-
kommen
berechtigt iſt.

Der zweite Grundſatz iſt, daß das Verfahren bei der Aufhebung
des Eigenthums oder Rechts von dem Verfahren bei der Herausgabe
des Werthes, oder das eigentliche Enteignungs- und das Ent-
ſchädigungsverfahren
ſelbſtändig getrennt werden muß.

Der dritte Grundſatz iſt, daß der auf dieſe Weiſe geſetzlich ge-
ordnete Proceß der Entwährung auch nur durch die Organe des Staats
ſelber, und nie durch die Betheiligten in Vollzug geſetzt werden darf,
da die Entwährung nie für ein Einzelintereſſe, ſondern nur im Namen
des ſtaatsbürgerlichen Princips geſchehen ſoll, deſſen Vertreter der
Staat iſt. Daher iſt auch das ganze, aus der Entwährung entſtehende
Rechts- und Verkehrsverhältniß kein Privatrecht, kein Kauf u. ſ. w.
(ſ. unten bei der Enteignung), ſondern ein Theil desjenigen Rechts-
gebietes, das wir als das bürgerliche Verwaltungsrecht bezeichnet
haben.

Was nun die materiellen Elemente des Entwährungsrechts betrifft,
ſo ſind ſie folgende.

Die erſte, auf das Gut als Objekt der Entwährung bezügliche
Regel für alle Entwährung liegt im Weſen der innern Verwaltung,
nach welchem überhaupt die Thätigkeit des Staats nur da eintreten ſoll,
wo die Einzelnen ſich ſelbſt durch eigene Kraft nicht mehr zu helfen
vermögen. Das Recht und die Aufgabe der Entwährung durch die Ver-
waltung darf daher auch nur da eintreten, wo die Aufhebung des be-
treffenden geſellſchaftlichen und wirthſchaftlichen Rechtes ſich als unab-
weisbar gewordene, aber dennoch durch die freie Vereinbarung
der Einzelnen nicht erreichbare Vorausſetzung irgend eines Geſammt-
intereſſes herausgeſtellt hat, oder ſo lange der Staat ſich das betreffende
Objekt ſelbſt nicht zu produciren vermag, was bei beweglichen Gütern
wohl faſt ausnahmslos der Fall iſt. So lange daher die eigene Pro-
duktion ſolcher Güter, oder aber eine freie Vereinbarung über Rechte
und unbewegliche Güter möglich iſt, ſoll der Staat mit ſeinem Ent-
währungsrechte nicht eintreten. Es muß daher als Rechtsprincip bei

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[86/0104] Man wird dieſelben ſcheiden müſſen in die formalen, auf das Ver- fahren, und in die materiellen, auf das Gut bezüglichen Elemente des öffentlichen Entwährungsrechts. Die formalen Elemente ſind folgende: Der erſte Grundſatz iſt der, daß die Entwährung auf einem Ge- ſetze (ſ. oben) beruhe, aber im einzelnen Falle durch eine Verfügung im Namen des Staats ausgeſprochen werden muß, deren Vorausſetzung und Form das Entwährungsgeſetz zu beſtimmen hat, widrigenfalls die Regierung einſeitig durch ihre Verordnungen darüber zu entſcheiden voll- kommen berechtigt iſt. Der zweite Grundſatz iſt, daß das Verfahren bei der Aufhebung des Eigenthums oder Rechts von dem Verfahren bei der Herausgabe des Werthes, oder das eigentliche Enteignungs- und das Ent- ſchädigungsverfahren ſelbſtändig getrennt werden muß. Der dritte Grundſatz iſt, daß der auf dieſe Weiſe geſetzlich ge- ordnete Proceß der Entwährung auch nur durch die Organe des Staats ſelber, und nie durch die Betheiligten in Vollzug geſetzt werden darf, da die Entwährung nie für ein Einzelintereſſe, ſondern nur im Namen des ſtaatsbürgerlichen Princips geſchehen ſoll, deſſen Vertreter der Staat iſt. Daher iſt auch das ganze, aus der Entwährung entſtehende Rechts- und Verkehrsverhältniß kein Privatrecht, kein Kauf u. ſ. w. (ſ. unten bei der Enteignung), ſondern ein Theil desjenigen Rechts- gebietes, das wir als das bürgerliche Verwaltungsrecht bezeichnet haben. Was nun die materiellen Elemente des Entwährungsrechts betrifft, ſo ſind ſie folgende. Die erſte, auf das Gut als Objekt der Entwährung bezügliche Regel für alle Entwährung liegt im Weſen der innern Verwaltung, nach welchem überhaupt die Thätigkeit des Staats nur da eintreten ſoll, wo die Einzelnen ſich ſelbſt durch eigene Kraft nicht mehr zu helfen vermögen. Das Recht und die Aufgabe der Entwährung durch die Ver- waltung darf daher auch nur da eintreten, wo die Aufhebung des be- treffenden geſellſchaftlichen und wirthſchaftlichen Rechtes ſich als unab- weisbar gewordene, aber dennoch durch die freie Vereinbarung der Einzelnen nicht erreichbare Vorausſetzung irgend eines Geſammt- intereſſes herausgeſtellt hat, oder ſo lange der Staat ſich das betreffende Objekt ſelbſt nicht zu produciren vermag, was bei beweglichen Gütern wohl faſt ausnahmslos der Fall iſt. So lange daher die eigene Pro- duktion ſolcher Güter, oder aber eine freie Vereinbarung über Rechte und unbewegliche Güter möglich iſt, ſoll der Staat mit ſeinem Ent- währungsrechte nicht eintreten. Es muß daher als Rechtsprincip bei

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/104>, abgerufen am 28.04.2024.