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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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denjenigen ganzen Theil des englischen Strafrechts angesehen werden, der
sich auf alle Verletzungen bezieht, welche vermittelst der Presse gegen
Einzelne oder Körperschaften als Injurie, oder gegen königliche Personen
als Majestätsbeleidigungen gelten, aber die Frage nach der eigentlichen
Preßfreiheit wird mit ihr nicht gelöst. Freilich konnte sie auch nicht
einmal für die erstere Frage genügen; auch Lorbeer weiß mit ihr nichts
rechtes anzufangen. Für diese blieb daher nichts anderes übrig, als
nach englischer Weise bei dem Mangel jeder wissenschaftlichen Behand-
lung der Frage sich neben dem Gesetze eine Jurisprudenz aus den ein-
zelnen Urtheilen der Gerichte zu sammeln und daraus so viel als
möglich eine Art von System zu bilden. Es ist Lorbeers unbestreit-
bares Verdienst, dieß versucht zu haben. Was Fischel sagt, ist ziemlich
werthlos. Die übrigen Schriftsteller, namentlich Gneist, halten sich
streng an die Preßpolizei. In England selbst gibt es keine Literatur,
die über den obigen Standpunkt hinaus wäre.

Dieß war der Standpunkt der vierziger Jahre. Höchst wichtig war
nur die Bestimmung in Campbells Libel Act, daß niemand bei Injurien
zur exceptio veritatis zugelassen werden sollte, und eigenthümlich und
für das Recht der Injurien beachtenswerth die fernere Bestimmung,
daß die nachgewiesene Bereitwilligkeit des Beleidigers, vor dem Processe
einen Vergleich herbeizuführen, die Strafe mildern solle. Allein mit
dem Preßrecht hatte das nichts zu thun; das war nichts anderes als
das Strafrecht der Ehrenbeleidigungen (defamation) und umfaßte neben
dem Druckwerke auch alle anderen Arten der Aeußerung. Die Lehre
vom Preßwesen hat diese Fragen dem eigentlichen Strafrecht zu über-
weisen. Das Stat. 32. und 30. Georg. III. bestand für das Princip
der Preßfreiheit nach wie vor, wenn auch die Praxis sie nicht mehr
anwendete. Daneben nun hatte sich eine einfache und sehr energische
Preßpolizei entwickelt, die man in Deutschland bis auf die neueste
Zeit gar nicht gekannt hat und bei der es schwer zu sagen ist, ob sie
mehr von der französischen oder die französische mehr von ihr gelernt
hat. Wir fügen sie unten hinzu, weil sie im Jahre 1848 nicht ge-
ändert ward.

III. Das gegenwärtige System der Preßfreiheit und des
Preßpolizeirechts in England
. Lord Campbells Bill hatte kaum
vier Jahre bestanden, als das gewaltige Jahr 1848 Europa erschütterte.
Und wieder trug das Meer die Bewegung nach Englands Küste. Und eins
der Gebiete, auf denen England sich auch in seinem öffentlichen Recht von
derselben erfaßt sah, war das Preßrecht. England mußte an der Freiheit,
von der Europa trunken war, auch seinerseits Theil nehmen. So geschah
es, daß durch das Gesetz vom 22. April 1848 (11. Vict. c. 12.) das alte

denjenigen ganzen Theil des engliſchen Strafrechts angeſehen werden, der
ſich auf alle Verletzungen bezieht, welche vermittelſt der Preſſe gegen
Einzelne oder Körperſchaften als Injurie, oder gegen königliche Perſonen
als Majeſtätsbeleidigungen gelten, aber die Frage nach der eigentlichen
Preßfreiheit wird mit ihr nicht gelöst. Freilich konnte ſie auch nicht
einmal für die erſtere Frage genügen; auch Lorbeer weiß mit ihr nichts
rechtes anzufangen. Für dieſe blieb daher nichts anderes übrig, als
nach engliſcher Weiſe bei dem Mangel jeder wiſſenſchaftlichen Behand-
lung der Frage ſich neben dem Geſetze eine Jurisprudenz aus den ein-
zelnen Urtheilen der Gerichte zu ſammeln und daraus ſo viel als
möglich eine Art von Syſtem zu bilden. Es iſt Lorbeers unbeſtreit-
bares Verdienſt, dieß verſucht zu haben. Was Fiſchel ſagt, iſt ziemlich
werthlos. Die übrigen Schriftſteller, namentlich Gneiſt, halten ſich
ſtreng an die Preßpolizei. In England ſelbſt gibt es keine Literatur,
die über den obigen Standpunkt hinaus wäre.

Dieß war der Standpunkt der vierziger Jahre. Höchſt wichtig war
nur die Beſtimmung in Campbells Libel Act, daß niemand bei Injurien
zur exceptio veritatis zugelaſſen werden ſollte, und eigenthümlich und
für das Recht der Injurien beachtenswerth die fernere Beſtimmung,
daß die nachgewieſene Bereitwilligkeit des Beleidigers, vor dem Proceſſe
einen Vergleich herbeizuführen, die Strafe mildern ſolle. Allein mit
dem Preßrecht hatte das nichts zu thun; das war nichts anderes als
das Strafrecht der Ehrenbeleidigungen (défamation) und umfaßte neben
dem Druckwerke auch alle anderen Arten der Aeußerung. Die Lehre
vom Preßweſen hat dieſe Fragen dem eigentlichen Strafrecht zu über-
weiſen. Das Stat. 32. und 30. Georg. III. beſtand für das Princip
der Preßfreiheit nach wie vor, wenn auch die Praxis ſie nicht mehr
anwendete. Daneben nun hatte ſich eine einfache und ſehr energiſche
Preßpolizei entwickelt, die man in Deutſchland bis auf die neueſte
Zeit gar nicht gekannt hat und bei der es ſchwer zu ſagen iſt, ob ſie
mehr von der franzöſiſchen oder die franzöſiſche mehr von ihr gelernt
hat. Wir fügen ſie unten hinzu, weil ſie im Jahre 1848 nicht ge-
ändert ward.

III. Das gegenwärtige Syſtem der Preßfreiheit und des
Preßpolizeirechts in England
. Lord Campbells Bill hatte kaum
vier Jahre beſtanden, als das gewaltige Jahr 1848 Europa erſchütterte.
Und wieder trug das Meer die Bewegung nach Englands Küſte. Und eins
der Gebiete, auf denen England ſich auch in ſeinem öffentlichen Recht von
derſelben erfaßt ſah, war das Preßrecht. England mußte an der Freiheit,
von der Europa trunken war, auch ſeinerſeits Theil nehmen. So geſchah
es, daß durch das Geſetz vom 22. April 1848 (11. Vict. c. 12.) das alte

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[131/0147] denjenigen ganzen Theil des engliſchen Strafrechts angeſehen werden, der ſich auf alle Verletzungen bezieht, welche vermittelſt der Preſſe gegen Einzelne oder Körperſchaften als Injurie, oder gegen königliche Perſonen als Majeſtätsbeleidigungen gelten, aber die Frage nach der eigentlichen Preßfreiheit wird mit ihr nicht gelöst. Freilich konnte ſie auch nicht einmal für die erſtere Frage genügen; auch Lorbeer weiß mit ihr nichts rechtes anzufangen. Für dieſe blieb daher nichts anderes übrig, als nach engliſcher Weiſe bei dem Mangel jeder wiſſenſchaftlichen Behand- lung der Frage ſich neben dem Geſetze eine Jurisprudenz aus den ein- zelnen Urtheilen der Gerichte zu ſammeln und daraus ſo viel als möglich eine Art von Syſtem zu bilden. Es iſt Lorbeers unbeſtreit- bares Verdienſt, dieß verſucht zu haben. Was Fiſchel ſagt, iſt ziemlich werthlos. Die übrigen Schriftſteller, namentlich Gneiſt, halten ſich ſtreng an die Preßpolizei. In England ſelbſt gibt es keine Literatur, die über den obigen Standpunkt hinaus wäre. Dieß war der Standpunkt der vierziger Jahre. Höchſt wichtig war nur die Beſtimmung in Campbells Libel Act, daß niemand bei Injurien zur exceptio veritatis zugelaſſen werden ſollte, und eigenthümlich und für das Recht der Injurien beachtenswerth die fernere Beſtimmung, daß die nachgewieſene Bereitwilligkeit des Beleidigers, vor dem Proceſſe einen Vergleich herbeizuführen, die Strafe mildern ſolle. Allein mit dem Preßrecht hatte das nichts zu thun; das war nichts anderes als das Strafrecht der Ehrenbeleidigungen (défamation) und umfaßte neben dem Druckwerke auch alle anderen Arten der Aeußerung. Die Lehre vom Preßweſen hat dieſe Fragen dem eigentlichen Strafrecht zu über- weiſen. Das Stat. 32. und 30. Georg. III. beſtand für das Princip der Preßfreiheit nach wie vor, wenn auch die Praxis ſie nicht mehr anwendete. Daneben nun hatte ſich eine einfache und ſehr energiſche Preßpolizei entwickelt, die man in Deutſchland bis auf die neueſte Zeit gar nicht gekannt hat und bei der es ſchwer zu ſagen iſt, ob ſie mehr von der franzöſiſchen oder die franzöſiſche mehr von ihr gelernt hat. Wir fügen ſie unten hinzu, weil ſie im Jahre 1848 nicht ge- ändert ward. III. Das gegenwärtige Syſtem der Preßfreiheit und des Preßpolizeirechts in England. Lord Campbells Bill hatte kaum vier Jahre beſtanden, als das gewaltige Jahr 1848 Europa erſchütterte. Und wieder trug das Meer die Bewegung nach Englands Küſte. Und eins der Gebiete, auf denen England ſich auch in ſeinem öffentlichen Recht von derſelben erfaßt ſah, war das Preßrecht. England mußte an der Freiheit, von der Europa trunken war, auch ſeinerſeits Theil nehmen. So geſchah es, daß durch das Geſetz vom 22. April 1848 (11. Vict. c. 12.) das alte

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/147>, abgerufen am 25.11.2024.