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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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II. Das englische Repressivsystem bis 1848. Auf jenem
Verhältniß beruht nun die fast unerklärliche Erscheinung, über welche
auch Lorbeer sich nicht hat Rechenschaft ablegen können, daß die eng-
lische Preßgesetzgebung sich, wie es das Wesen des Repressivsystems for-
dert, in drei Theile spaltet, die nur theoretisch geschieden zu werden
brauchen, um uns das klarste Bild jenes Systems zu geben, welches
existirt und uns die Entfernung zu bezeichnen, welche zwischen dem eng-
lischen Preßrecht und dem deutschen jener Zeit liegt. Diese Theile sind
das Strafrecht für die Tendenz der Presse, das eigentliche Preßstraf-
recht des Clubs und das Preßpolizeirecht.

Im Allgemeinen ist man auch in England über diesen Inhalt des
Preßrechts erst ins Klare gekommen, als der Journalismus in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts entsteht (Hunt, History of News papers.
Buckle, Geschichte der Civilisation von Ruge I. S. 311, 378, übers. mit
einzelnen Angaben, ohne juristischen Standpunkt). Die Verhältnisse, aus
denen das Recht der Presse hervorging, sind auch hier die allgemeinen
Verhältnisse und Rechte der Volksvertretung. Es ist bekannt, daß im
Anfange des vorigen Jahrhunderts das Parlament und seine Bedeutung
fast vernichtet war und daß es erst in der Mitte desselben beginnt, selb-
ständig zu werden und sich auf die öffentliche Meinung zu stützen. Zu-
gleich aber lebte in diesem Parlament derselbe große Antagonismus,
der jetzt wieder das englische Volk bewegt und der im Princip wie in
seinen Aeußerungen dem großen europäischen Proceß der Entwicklung
und des Sieges der staatsbürgerlichen Gesellschaft angehört, der Gegen-
satz zwischen dem freien und dem ständischen Elemente derselben. Es
war natürlich, daß auch hier die junge Presse sich auf die Seite der
freien Bewegung gegen das reaktionäre ständische Element stellte. Dieses
aber hatte die Majorität und beherrschte damit die Regierung. Die
Folge war, daß die letzte Hälfte des vorigen Jahrhunderts voll ist,
zwar nicht von Präventivmaßregeln, welche schon im siebzehnten Jahr-
hundert verschwinden, wohl aber von Repressivmaßregeln; daß aber zu
gleicher Zeit das Bewußtsein von der Nothwendigkeit einer freien Presse
in allen Ständen lebendig war; und dieser ganz eigenthümliche Gegen-
satz zwischen beiden Elementen hat nun das Recht gebildet, das wir
auf jene drei Grundbegriffe des Repressivsystems zurückführen.

Der innige Zusammenhang zwischen der Tagespresse und der innern
Entwicklung des Volksgeistes hat es in England niemals zweifelhaft
erscheinen lassen, daß neben den einzelnen Ausdrücken auch der Geist
der Druckwerke eine selbständige Thatsache sei, und die freie Auffassung
des öffentlichen Rechts hat daher auch hier zuerst die Frage entstehen
lassen, ob man den letztern zum Gegenstand selbständiger Verfolgung

II. Das engliſche Repreſſivſyſtem bis 1848. Auf jenem
Verhältniß beruht nun die faſt unerklärliche Erſcheinung, über welche
auch Lorbeer ſich nicht hat Rechenſchaft ablegen können, daß die eng-
liſche Preßgeſetzgebung ſich, wie es das Weſen des Repreſſivſyſtems for-
dert, in drei Theile ſpaltet, die nur theoretiſch geſchieden zu werden
brauchen, um uns das klarſte Bild jenes Syſtems zu geben, welches
exiſtirt und uns die Entfernung zu bezeichnen, welche zwiſchen dem eng-
liſchen Preßrecht und dem deutſchen jener Zeit liegt. Dieſe Theile ſind
das Strafrecht für die Tendenz der Preſſe, das eigentliche Preßſtraf-
recht des Clubs und das Preßpolizeirecht.

Im Allgemeinen iſt man auch in England über dieſen Inhalt des
Preßrechts erſt ins Klare gekommen, als der Journalismus in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts entſteht (Hunt, History of News papers.
Buckle, Geſchichte der Civiliſation von Ruge I. S. 311, 378, überſ. mit
einzelnen Angaben, ohne juriſtiſchen Standpunkt). Die Verhältniſſe, aus
denen das Recht der Preſſe hervorging, ſind auch hier die allgemeinen
Verhältniſſe und Rechte der Volksvertretung. Es iſt bekannt, daß im
Anfange des vorigen Jahrhunderts das Parlament und ſeine Bedeutung
faſt vernichtet war und daß es erſt in der Mitte deſſelben beginnt, ſelb-
ſtändig zu werden und ſich auf die öffentliche Meinung zu ſtützen. Zu-
gleich aber lebte in dieſem Parlament derſelbe große Antagonismus,
der jetzt wieder das engliſche Volk bewegt und der im Princip wie in
ſeinen Aeußerungen dem großen europäiſchen Proceß der Entwicklung
und des Sieges der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft angehört, der Gegen-
ſatz zwiſchen dem freien und dem ſtändiſchen Elemente derſelben. Es
war natürlich, daß auch hier die junge Preſſe ſich auf die Seite der
freien Bewegung gegen das reaktionäre ſtändiſche Element ſtellte. Dieſes
aber hatte die Majorität und beherrſchte damit die Regierung. Die
Folge war, daß die letzte Hälfte des vorigen Jahrhunderts voll iſt,
zwar nicht von Präventivmaßregeln, welche ſchon im ſiebzehnten Jahr-
hundert verſchwinden, wohl aber von Repreſſivmaßregeln; daß aber zu
gleicher Zeit das Bewußtſein von der Nothwendigkeit einer freien Preſſe
in allen Ständen lebendig war; und dieſer ganz eigenthümliche Gegen-
ſatz zwiſchen beiden Elementen hat nun das Recht gebildet, das wir
auf jene drei Grundbegriffe des Repreſſivſyſtems zurückführen.

Der innige Zuſammenhang zwiſchen der Tagespreſſe und der innern
Entwicklung des Volksgeiſtes hat es in England niemals zweifelhaft
erſcheinen laſſen, daß neben den einzelnen Ausdrücken auch der Geiſt
der Druckwerke eine ſelbſtändige Thatſache ſei, und die freie Auffaſſung
des öffentlichen Rechts hat daher auch hier zuerſt die Frage entſtehen
laſſen, ob man den letztern zum Gegenſtand ſelbſtändiger Verfolgung

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[126/0142] II. Das engliſche Repreſſivſyſtem bis 1848. Auf jenem Verhältniß beruht nun die faſt unerklärliche Erſcheinung, über welche auch Lorbeer ſich nicht hat Rechenſchaft ablegen können, daß die eng- liſche Preßgeſetzgebung ſich, wie es das Weſen des Repreſſivſyſtems for- dert, in drei Theile ſpaltet, die nur theoretiſch geſchieden zu werden brauchen, um uns das klarſte Bild jenes Syſtems zu geben, welches exiſtirt und uns die Entfernung zu bezeichnen, welche zwiſchen dem eng- liſchen Preßrecht und dem deutſchen jener Zeit liegt. Dieſe Theile ſind das Strafrecht für die Tendenz der Preſſe, das eigentliche Preßſtraf- recht des Clubs und das Preßpolizeirecht. Im Allgemeinen iſt man auch in England über dieſen Inhalt des Preßrechts erſt ins Klare gekommen, als der Journalismus in der Mitte des vorigen Jahrhunderts entſteht (Hunt, History of News papers. Buckle, Geſchichte der Civiliſation von Ruge I. S. 311, 378, überſ. mit einzelnen Angaben, ohne juriſtiſchen Standpunkt). Die Verhältniſſe, aus denen das Recht der Preſſe hervorging, ſind auch hier die allgemeinen Verhältniſſe und Rechte der Volksvertretung. Es iſt bekannt, daß im Anfange des vorigen Jahrhunderts das Parlament und ſeine Bedeutung faſt vernichtet war und daß es erſt in der Mitte deſſelben beginnt, ſelb- ſtändig zu werden und ſich auf die öffentliche Meinung zu ſtützen. Zu- gleich aber lebte in dieſem Parlament derſelbe große Antagonismus, der jetzt wieder das engliſche Volk bewegt und der im Princip wie in ſeinen Aeußerungen dem großen europäiſchen Proceß der Entwicklung und des Sieges der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft angehört, der Gegen- ſatz zwiſchen dem freien und dem ſtändiſchen Elemente derſelben. Es war natürlich, daß auch hier die junge Preſſe ſich auf die Seite der freien Bewegung gegen das reaktionäre ſtändiſche Element ſtellte. Dieſes aber hatte die Majorität und beherrſchte damit die Regierung. Die Folge war, daß die letzte Hälfte des vorigen Jahrhunderts voll iſt, zwar nicht von Präventivmaßregeln, welche ſchon im ſiebzehnten Jahr- hundert verſchwinden, wohl aber von Repreſſivmaßregeln; daß aber zu gleicher Zeit das Bewußtſein von der Nothwendigkeit einer freien Preſſe in allen Ständen lebendig war; und dieſer ganz eigenthümliche Gegen- ſatz zwiſchen beiden Elementen hat nun das Recht gebildet, das wir auf jene drei Grundbegriffe des Repreſſivſyſtems zurückführen. Der innige Zuſammenhang zwiſchen der Tagespreſſe und der innern Entwicklung des Volksgeiſtes hat es in England niemals zweifelhaft erſcheinen laſſen, daß neben den einzelnen Ausdrücken auch der Geiſt der Druckwerke eine ſelbſtändige Thatſache ſei, und die freie Auffaſſung des öffentlichen Rechts hat daher auch hier zuerſt die Frage entſtehen laſſen, ob man den letztern zum Gegenſtand ſelbſtändiger Verfolgung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/142>, abgerufen am 22.11.2024.