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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Preßgesetze beschränkt hat. Das zweite, eng mit dem Obigen zusammen-
hängende Moment ist der Mangel eines selbständigen Begriffs der Polizei
und ihres Rechts, der allein den Hauptgedanken hätte durchführen
können, auf den in unseren Augen alles ankommt, daß nämlich jedes
Preßrecht der freien Presse künftig nur als Polizeirecht auftreten, und
jedes Preßgesetz nur ein Polizeigesetz sein kann. So wie man
darüber und über den Unterschied zwischen dem peinlichen und dem
Polizeistrafrecht einig ist, dürfte das System des Preßrechts nicht mehr
zweifelhaft sein.

VI. Die geltenden Preßrechtssysteme.

Auf der Grundlage der obigen Begriffe wird es nun wohl nicht
mehr schwierig sein, die geltenden Systeme des Preßrechts in den ver-
schiedenen Ländern Europas zu vergleichen. Die wahre Differenz des-
selben liegt natürlich auch hier nicht in den einzelnen Bestimmungen
und Ausführungen, sondern in dem Princip, welches die Preßgesetz-
gebung beherrscht. Denn hier wie immer sind die ersteren doch nur die
Consequenz des letzteren, und erfüllen den Charakter derselben, statt
ihn zu bilden. Das nun was wir den Charakter dieses positiven Rechts
der Presse nennen, erscheint durch die Beziehung auf die verschiedenen
historischen Gestaltungen, welche das Recht durchgemacht hat; der
Charakter einer positiven Preßgesetzgebung ist aber die Epoche selbst,
in welcher sie sich befindet.

In der That nämlich sind bei aller Verschiedenheit der Preßgesetz-
gebungen in ganz Europa dieselben im Wesentlichen gleich. Alle
haben dieselben Epochen durchgemacht; alle haben zu verschiedenen Zeiten
dieselben Principien anerkannt; alle haben dieselben Zwecke mit denselben
Mitteln zu erreichen versucht; bei allen ist derselbe historische Gang,
der allmählige Uebergang vom ständischen zum polizeilichen, vom poli-
zeilichen zum freien Preßrecht unverkennbar. Und für diese Entwicklung
gilt bei allen dasselbe Gesetz, daß das Auftreten der Verwaltung gegen
den Geist der Presse stets in geradem Verhältniß steht zur Beschränkung
des Rechts der Volksvertretung durch die Regierung; je entschiedener die
letztere, um so rücksichtsloser der Kampf gegen die Tendenz der Presse,
je freier die erstere, desto freier die letztere. Denn bei allen Völkern
ist ewig die Presse die Stellvertreterin der Volksvertretung, und steht
erst dann in zweiter Reihe, wenn diese ihren naturgemäßen Platz
bekommt.

Die folgende Charakteristik hat daher nicht etwa die Aufgabe, das
geltende Preßrecht in seinem ganzen Umfange darzustellen, sondern nur

Preßgeſetze beſchränkt hat. Das zweite, eng mit dem Obigen zuſammen-
hängende Moment iſt der Mangel eines ſelbſtändigen Begriffs der Polizei
und ihres Rechts, der allein den Hauptgedanken hätte durchführen
können, auf den in unſeren Augen alles ankommt, daß nämlich jedes
Preßrecht der freien Preſſe künftig nur als Polizeirecht auftreten, und
jedes Preßgeſetz nur ein Polizeigeſetz ſein kann. So wie man
darüber und über den Unterſchied zwiſchen dem peinlichen und dem
Polizeiſtrafrecht einig iſt, dürfte das Syſtem des Preßrechts nicht mehr
zweifelhaft ſein.

VI. Die geltenden Preßrechtsſyſteme.

Auf der Grundlage der obigen Begriffe wird es nun wohl nicht
mehr ſchwierig ſein, die geltenden Syſteme des Preßrechts in den ver-
ſchiedenen Ländern Europas zu vergleichen. Die wahre Differenz des-
ſelben liegt natürlich auch hier nicht in den einzelnen Beſtimmungen
und Ausführungen, ſondern in dem Princip, welches die Preßgeſetz-
gebung beherrſcht. Denn hier wie immer ſind die erſteren doch nur die
Conſequenz des letzteren, und erfüllen den Charakter derſelben, ſtatt
ihn zu bilden. Das nun was wir den Charakter dieſes poſitiven Rechts
der Preſſe nennen, erſcheint durch die Beziehung auf die verſchiedenen
hiſtoriſchen Geſtaltungen, welche das Recht durchgemacht hat; der
Charakter einer poſitiven Preßgeſetzgebung iſt aber die Epoche ſelbſt,
in welcher ſie ſich befindet.

In der That nämlich ſind bei aller Verſchiedenheit der Preßgeſetz-
gebungen in ganz Europa dieſelben im Weſentlichen gleich. Alle
haben dieſelben Epochen durchgemacht; alle haben zu verſchiedenen Zeiten
dieſelben Principien anerkannt; alle haben dieſelben Zwecke mit denſelben
Mitteln zu erreichen verſucht; bei allen iſt derſelbe hiſtoriſche Gang,
der allmählige Uebergang vom ſtändiſchen zum polizeilichen, vom poli-
zeilichen zum freien Preßrecht unverkennbar. Und für dieſe Entwicklung
gilt bei allen daſſelbe Geſetz, daß das Auftreten der Verwaltung gegen
den Geiſt der Preſſe ſtets in geradem Verhältniß ſteht zur Beſchränkung
des Rechts der Volksvertretung durch die Regierung; je entſchiedener die
letztere, um ſo rückſichtsloſer der Kampf gegen die Tendenz der Preſſe,
je freier die erſtere, deſto freier die letztere. Denn bei allen Völkern
iſt ewig die Preſſe die Stellvertreterin der Volksvertretung, und ſteht
erſt dann in zweiter Reihe, wenn dieſe ihren naturgemäßen Platz
bekommt.

Die folgende Charakteriſtik hat daher nicht etwa die Aufgabe, das
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[123/0139] Preßgeſetze beſchränkt hat. Das zweite, eng mit dem Obigen zuſammen- hängende Moment iſt der Mangel eines ſelbſtändigen Begriffs der Polizei und ihres Rechts, der allein den Hauptgedanken hätte durchführen können, auf den in unſeren Augen alles ankommt, daß nämlich jedes Preßrecht der freien Preſſe künftig nur als Polizeirecht auftreten, und jedes Preßgeſetz nur ein Polizeigeſetz ſein kann. So wie man darüber und über den Unterſchied zwiſchen dem peinlichen und dem Polizeiſtrafrecht einig iſt, dürfte das Syſtem des Preßrechts nicht mehr zweifelhaft ſein. VI. Die geltenden Preßrechtsſyſteme. Auf der Grundlage der obigen Begriffe wird es nun wohl nicht mehr ſchwierig ſein, die geltenden Syſteme des Preßrechts in den ver- ſchiedenen Ländern Europas zu vergleichen. Die wahre Differenz des- ſelben liegt natürlich auch hier nicht in den einzelnen Beſtimmungen und Ausführungen, ſondern in dem Princip, welches die Preßgeſetz- gebung beherrſcht. Denn hier wie immer ſind die erſteren doch nur die Conſequenz des letzteren, und erfüllen den Charakter derſelben, ſtatt ihn zu bilden. Das nun was wir den Charakter dieſes poſitiven Rechts der Preſſe nennen, erſcheint durch die Beziehung auf die verſchiedenen hiſtoriſchen Geſtaltungen, welche das Recht durchgemacht hat; der Charakter einer poſitiven Preßgeſetzgebung iſt aber die Epoche ſelbſt, in welcher ſie ſich befindet. In der That nämlich ſind bei aller Verſchiedenheit der Preßgeſetz- gebungen in ganz Europa dieſelben im Weſentlichen gleich. Alle haben dieſelben Epochen durchgemacht; alle haben zu verſchiedenen Zeiten dieſelben Principien anerkannt; alle haben dieſelben Zwecke mit denſelben Mitteln zu erreichen verſucht; bei allen iſt derſelbe hiſtoriſche Gang, der allmählige Uebergang vom ſtändiſchen zum polizeilichen, vom poli- zeilichen zum freien Preßrecht unverkennbar. Und für dieſe Entwicklung gilt bei allen daſſelbe Geſetz, daß das Auftreten der Verwaltung gegen den Geiſt der Preſſe ſtets in geradem Verhältniß ſteht zur Beſchränkung des Rechts der Volksvertretung durch die Regierung; je entſchiedener die letztere, um ſo rückſichtsloſer der Kampf gegen die Tendenz der Preſſe, je freier die erſtere, deſto freier die letztere. Denn bei allen Völkern iſt ewig die Preſſe die Stellvertreterin der Volksvertretung, und ſteht erſt dann in zweiter Reihe, wenn dieſe ihren naturgemäßen Platz bekommt. Die folgende Charakteriſtik hat daher nicht etwa die Aufgabe, das geltende Preßrecht in ſeinem ganzen Umfange darzuſtellen, ſondern nur

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/139>, abgerufen am 22.11.2024.