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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Gedanken, Kenntnissen und Interessen annimmt. Das Individuum ist
noch unbedeutend; erst das, was die Körperschaft sagt und thut, ist
eine öffentliche That. So wie daher überhaupt der Gedanke durch die
Schrift zuerst, dann in viel höherem Maße durch die Presse die Fähig-
keit gewinnt, eine solche öffentliche That zu sein, so nimmt auch die
Körperschaft das Recht in Anspruch, daß die Gedanken und Worte des
Einzelnen nicht als individuelle Meinung, sondern als eine körperschaft-
liche Aeußerung betrachtet werden; denn sie weiß, daß, so lange kein
Widerspruch von Seiten der Körperschaft vorliegt, das Geschriebene und
Gedruckte in der ganzen übrigen Welt als ihre Gedanken gelten wird.
Die einfache Folge davon ist, daß die Körperschaft, welche durch ihr
Stillschweigen für den Inhalt der Schrift und des Druckwerkes indirekt
eintritt, das Recht beansprucht, die Erlaubniß zur Veröffentlichung
zu geben. Dieß Princip ist die Grundlage des Preßrechts der stän-
dischen Epoche. Nur hat dieselbe zwei wesentlich verschiedene Formen,
aus denen auch zwei wesentlich verschiedene Gestaltungen dieses Preß-
rechts hervorgehen.

Die erste ist die rein kirchliche. Die Kirche ist die Körperschaft,
welche den positiven Glauben und seine Form, das Dogma vertritt.
Für sie ist daher die Erlaubniß einer, aus ihrer Mitte hervorgehenden
Druckschrift etwas selbstverständliches, nichts anders als eine einfache
Anwendung des Grundsatzes, nach welchem überhaupt die Kirche nicht
etwa eine Gemeinschaft der Gläubigen überhaupt, sondern die festge-
schlossene, mit allen Funktionen und Rechten der Religion ausschließlich
betraute Corporation des die ganze christliche Welt umfassenden Prie-
sterthums ist. Dieser einfache Grundsatz aber spaltet sich mit dem Auf-
treten der evangelischen Kirche, deren Wesen zunächst in der Aufhebung
dieser ständischen Scheidewand zwischen Priester und Gemeinde besteht.
Während die katholische Kirche daher jenes ursprüngliche Princip des
kirchlichen Preßrechts unbedingt festhält, verschwindet dasselbe eben so
unbedingt mit der evangelischen, denn der evangelische Prediger ist ein
Staatsbürger, der katholische ist ein Mitglied seiner Corporation. So
war es gleich anfangs, und so ist es geblieben. Aus jenem Princip
ergab sich dann als nächste Consequenz das Recht des kirchlichen Ver-
botes
der Druckwerke, das die evangelische Kirche gleichfalls natürlich
nicht kennt. Lange Zeit hindurch war jenes Recht der erstern ein
öffentliches Recht in denjenigen Staaten und insoweit die Staatsgewalt
die kirchlichen Beschlüsse polizeilich ausführte. Als dieses Verhältniß
verschwindet, bleibt das katholische Recht der Kirche bei dem alten
Princip der Erlaubniß für die Publikationen des Clerus, und dem
Rechte des Verbotes für die Gesammtheit der Gläubigen bestehen,

Gedanken, Kenntniſſen und Intereſſen annimmt. Das Individuum iſt
noch unbedeutend; erſt das, was die Körperſchaft ſagt und thut, iſt
eine öffentliche That. So wie daher überhaupt der Gedanke durch die
Schrift zuerſt, dann in viel höherem Maße durch die Preſſe die Fähig-
keit gewinnt, eine ſolche öffentliche That zu ſein, ſo nimmt auch die
Körperſchaft das Recht in Anſpruch, daß die Gedanken und Worte des
Einzelnen nicht als individuelle Meinung, ſondern als eine körperſchaft-
liche Aeußerung betrachtet werden; denn ſie weiß, daß, ſo lange kein
Widerſpruch von Seiten der Körperſchaft vorliegt, das Geſchriebene und
Gedruckte in der ganzen übrigen Welt als ihre Gedanken gelten wird.
Die einfache Folge davon iſt, daß die Körperſchaft, welche durch ihr
Stillſchweigen für den Inhalt der Schrift und des Druckwerkes indirekt
eintritt, das Recht beanſprucht, die Erlaubniß zur Veröffentlichung
zu geben. Dieß Princip iſt die Grundlage des Preßrechts der ſtän-
diſchen Epoche. Nur hat dieſelbe zwei weſentlich verſchiedene Formen,
aus denen auch zwei weſentlich verſchiedene Geſtaltungen dieſes Preß-
rechts hervorgehen.

Die erſte iſt die rein kirchliche. Die Kirche iſt die Körperſchaft,
welche den poſitiven Glauben und ſeine Form, das Dogma vertritt.
Für ſie iſt daher die Erlaubniß einer, aus ihrer Mitte hervorgehenden
Druckſchrift etwas ſelbſtverſtändliches, nichts anders als eine einfache
Anwendung des Grundſatzes, nach welchem überhaupt die Kirche nicht
etwa eine Gemeinſchaft der Gläubigen überhaupt, ſondern die feſtge-
ſchloſſene, mit allen Funktionen und Rechten der Religion ausſchließlich
betraute Corporation des die ganze chriſtliche Welt umfaſſenden Prie-
ſterthums iſt. Dieſer einfache Grundſatz aber ſpaltet ſich mit dem Auf-
treten der evangeliſchen Kirche, deren Weſen zunächſt in der Aufhebung
dieſer ſtändiſchen Scheidewand zwiſchen Prieſter und Gemeinde beſteht.
Während die katholiſche Kirche daher jenes urſprüngliche Princip des
kirchlichen Preßrechts unbedingt feſthält, verſchwindet daſſelbe eben ſo
unbedingt mit der evangeliſchen, denn der evangeliſche Prediger iſt ein
Staatsbürger, der katholiſche iſt ein Mitglied ſeiner Corporation. So
war es gleich anfangs, und ſo iſt es geblieben. Aus jenem Princip
ergab ſich dann als nächſte Conſequenz das Recht des kirchlichen Ver-
botes
der Druckwerke, das die evangeliſche Kirche gleichfalls natürlich
nicht kennt. Lange Zeit hindurch war jenes Recht der erſtern ein
öffentliches Recht in denjenigen Staaten und inſoweit die Staatsgewalt
die kirchlichen Beſchlüſſe polizeilich ausführte. Als dieſes Verhältniß
verſchwindet, bleibt das katholiſche Recht der Kirche bei dem alten
Princip der Erlaubniß für die Publikationen des Clerus, und dem
Rechte des Verbotes für die Geſammtheit der Gläubigen beſtehen,

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[98/0114] Gedanken, Kenntniſſen und Intereſſen annimmt. Das Individuum iſt noch unbedeutend; erſt das, was die Körperſchaft ſagt und thut, iſt eine öffentliche That. So wie daher überhaupt der Gedanke durch die Schrift zuerſt, dann in viel höherem Maße durch die Preſſe die Fähig- keit gewinnt, eine ſolche öffentliche That zu ſein, ſo nimmt auch die Körperſchaft das Recht in Anſpruch, daß die Gedanken und Worte des Einzelnen nicht als individuelle Meinung, ſondern als eine körperſchaft- liche Aeußerung betrachtet werden; denn ſie weiß, daß, ſo lange kein Widerſpruch von Seiten der Körperſchaft vorliegt, das Geſchriebene und Gedruckte in der ganzen übrigen Welt als ihre Gedanken gelten wird. Die einfache Folge davon iſt, daß die Körperſchaft, welche durch ihr Stillſchweigen für den Inhalt der Schrift und des Druckwerkes indirekt eintritt, das Recht beanſprucht, die Erlaubniß zur Veröffentlichung zu geben. Dieß Princip iſt die Grundlage des Preßrechts der ſtän- diſchen Epoche. Nur hat dieſelbe zwei weſentlich verſchiedene Formen, aus denen auch zwei weſentlich verſchiedene Geſtaltungen dieſes Preß- rechts hervorgehen. Die erſte iſt die rein kirchliche. Die Kirche iſt die Körperſchaft, welche den poſitiven Glauben und ſeine Form, das Dogma vertritt. Für ſie iſt daher die Erlaubniß einer, aus ihrer Mitte hervorgehenden Druckſchrift etwas ſelbſtverſtändliches, nichts anders als eine einfache Anwendung des Grundſatzes, nach welchem überhaupt die Kirche nicht etwa eine Gemeinſchaft der Gläubigen überhaupt, ſondern die feſtge- ſchloſſene, mit allen Funktionen und Rechten der Religion ausſchließlich betraute Corporation des die ganze chriſtliche Welt umfaſſenden Prie- ſterthums iſt. Dieſer einfache Grundſatz aber ſpaltet ſich mit dem Auf- treten der evangeliſchen Kirche, deren Weſen zunächſt in der Aufhebung dieſer ſtändiſchen Scheidewand zwiſchen Prieſter und Gemeinde beſteht. Während die katholiſche Kirche daher jenes urſprüngliche Princip des kirchlichen Preßrechts unbedingt feſthält, verſchwindet daſſelbe eben ſo unbedingt mit der evangeliſchen, denn der evangeliſche Prediger iſt ein Staatsbürger, der katholiſche iſt ein Mitglied ſeiner Corporation. So war es gleich anfangs, und ſo iſt es geblieben. Aus jenem Princip ergab ſich dann als nächſte Conſequenz das Recht des kirchlichen Ver- botes der Druckwerke, das die evangeliſche Kirche gleichfalls natürlich nicht kennt. Lange Zeit hindurch war jenes Recht der erſtern ein öffentliches Recht in denjenigen Staaten und inſoweit die Staatsgewalt die kirchlichen Beſchlüſſe polizeilich ausführte. Als dieſes Verhältniß verſchwindet, bleibt das katholiſche Recht der Kirche bei dem alten Princip der Erlaubniß für die Publikationen des Clerus, und dem Rechte des Verbotes für die Geſammtheit der Gläubigen beſtehen,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/114>, abgerufen am 21.11.2024.