stellung des geltenden Rechts der Schweiz über alle die Verwaltung betreffenden Punkte gibt es unseres Wissens nicht; hier hat die Verwal- tungslehre noch alles zu thun, und die Statistik ist ihr weit voraus. Die Hauptergebnisse der letztern nun sind für das Bildungswesen folgende.
Man muß die Schweiz in Beziehung auf das letztere in zwei große Gruppen theilen, die deutsche und die französisch-italienische. Die erste hat im Großen und Ganzen die deutschen Grundsätze, die letztere die französischen angenommen, jedoch mit dem allerdings wesentlichen Unter- schiede, daß zwar das französische Inspektionswesen besteht, daß aber wohl allenthalben die Theilnahme der Gemeinde an der Schulüber- wachung bei dem Volksunterricht grundsätzlich anerkannt ist. Im Ganzen ist das Bildungswesen ein sehr vorgeschrittenes und so viel wir sehen, ist das System der Bildungsanstalten von der untersten Elemen- tarschule bis zum Universitätswesen vortrefflich ausgebildet. Die ge- lehrte Bildung ist von der wirthschaftlichen fast in allen Kantonen ge- schieden, und jede derselben mit eigenen Instituten versehen. Beinahe in allen, selbst in den französisch-italienischen, ist die höhere Bürger- schule von der Elementarschule getrennt, in eigenen Anstalten vertreten und nimmt einen sehr ehrenwerthen Platz ein. Das Vorbildungswesen wird in mehreren Kantonen unter der Bezeichnung "Kantonsschule" im Gegensatz zu den "Gemeinschulen" (Volks- und Bürgerschule) zusammen- gefaßt und enthält alsdann die gelehrte Bildung in Gymnasien (nach den Grundsätzen des deutschen Gymnasialwesens) und Realschulen. Knaben- und Mädchenschulen sind allenthalben getrennt. Für die Lehrer- bildung sind Seminarien in vielen Kantonen errichtet; ebenso schließt sich an das Volksbildungswesen in mehreren Kantonen sogar ein sehr genau ausgearbeitetes System von Wiederholungs- und Sonntagsschulen. Im wirthschaftlichen Bildungswesen sind die Gewerbeschulen von den Realschulen geschieden, in einigen Kantonen sogar, wie in Basel und Zürich, noch besondere Realgymnasien nach deutschem Vorbilde errichtet. Dagegen scheint -- die einzelnen Gesetze fehlen uns -- das Princip der Schulpflicht auf dem Standpunkt von Frankreich, Holland, Belgien und Italien zu stehen, als bloße Verpflichtung der Eltern, die Kinder zur Schule zu senden. Fast in allen Kantonen bestehen Privatanstalten. Die Universitäten sind ganz auf deutscher Grundlage; ebenso das neue Polytechnikum. Das Eigenthümliche des Bildungswesens der Schweiz wird demnach eben nicht in dem Organismus der Anstalten, sondern vielmehr in der Selbständigkeit der Verwaltung und Gesetzgebung je nach den Kantonen liegen, und hier gestehen wir, daß unsere Quellen nicht ausreichen, und daß wir auf künftige Arbeiten hinweisen müssen. Jedenfalls wird auch das nicht wesentlich von den Grundsätzen der
ſtellung des geltenden Rechts der Schweiz über alle die Verwaltung betreffenden Punkte gibt es unſeres Wiſſens nicht; hier hat die Verwal- tungslehre noch alles zu thun, und die Statiſtik iſt ihr weit voraus. Die Hauptergebniſſe der letztern nun ſind für das Bildungsweſen folgende.
Man muß die Schweiz in Beziehung auf das letztere in zwei große Gruppen theilen, die deutſche und die franzöſiſch-italieniſche. Die erſte hat im Großen und Ganzen die deutſchen Grundſätze, die letztere die franzöſiſchen angenommen, jedoch mit dem allerdings weſentlichen Unter- ſchiede, daß zwar das franzöſiſche Inſpektionsweſen beſteht, daß aber wohl allenthalben die Theilnahme der Gemeinde an der Schulüber- wachung bei dem Volksunterricht grundſätzlich anerkannt iſt. Im Ganzen iſt das Bildungsweſen ein ſehr vorgeſchrittenes und ſo viel wir ſehen, iſt das Syſtem der Bildungsanſtalten von der unterſten Elemen- tarſchule bis zum Univerſitätsweſen vortrefflich ausgebildet. Die ge- lehrte Bildung iſt von der wirthſchaftlichen faſt in allen Kantonen ge- ſchieden, und jede derſelben mit eigenen Inſtituten verſehen. Beinahe in allen, ſelbſt in den franzöſiſch-italieniſchen, iſt die höhere Bürger- ſchule von der Elementarſchule getrennt, in eigenen Anſtalten vertreten und nimmt einen ſehr ehrenwerthen Platz ein. Das Vorbildungsweſen wird in mehreren Kantonen unter der Bezeichnung „Kantonsſchule“ im Gegenſatz zu den „Gemeinſchulen“ (Volks- und Bürgerſchule) zuſammen- gefaßt und enthält alsdann die gelehrte Bildung in Gymnaſien (nach den Grundſätzen des deutſchen Gymnaſialweſens) und Realſchulen. Knaben- und Mädchenſchulen ſind allenthalben getrennt. Für die Lehrer- bildung ſind Seminarien in vielen Kantonen errichtet; ebenſo ſchließt ſich an das Volksbildungsweſen in mehreren Kantonen ſogar ein ſehr genau ausgearbeitetes Syſtem von Wiederholungs- und Sonntagsſchulen. Im wirthſchaftlichen Bildungsweſen ſind die Gewerbeſchulen von den Realſchulen geſchieden, in einigen Kantonen ſogar, wie in Baſel und Zürich, noch beſondere Realgymnaſien nach deutſchem Vorbilde errichtet. Dagegen ſcheint — die einzelnen Geſetze fehlen uns — das Princip der Schulpflicht auf dem Standpunkt von Frankreich, Holland, Belgien und Italien zu ſtehen, als bloße Verpflichtung der Eltern, die Kinder zur Schule zu ſenden. Faſt in allen Kantonen beſtehen Privatanſtalten. Die Univerſitäten ſind ganz auf deutſcher Grundlage; ebenſo das neue Polytechnikum. Das Eigenthümliche des Bildungsweſens der Schweiz wird demnach eben nicht in dem Organismus der Anſtalten, ſondern vielmehr in der Selbſtändigkeit der Verwaltung und Geſetzgebung je nach den Kantonen liegen, und hier geſtehen wir, daß unſere Quellen nicht ausreichen, und daß wir auf künftige Arbeiten hinweiſen müſſen. Jedenfalls wird auch das nicht weſentlich von den Grundſätzen der
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ſtellung des geltenden Rechts der Schweiz über alle die Verwaltung
betreffenden Punkte gibt es unſeres Wiſſens nicht; hier hat die Verwal-
tungslehre noch alles zu thun, und die Statiſtik iſt ihr weit voraus.
Die Hauptergebniſſe der letztern nun ſind für das Bildungsweſen folgende.
Man muß die Schweiz in Beziehung auf das letztere in zwei große
Gruppen theilen, die deutſche und die franzöſiſch-italieniſche. Die erſte
hat im Großen und Ganzen die deutſchen Grundſätze, die letztere die
franzöſiſchen angenommen, jedoch mit dem allerdings weſentlichen Unter-
ſchiede, daß zwar das franzöſiſche Inſpektionsweſen beſteht, daß aber
wohl allenthalben die Theilnahme der Gemeinde an der Schulüber-
wachung bei dem Volksunterricht grundſätzlich anerkannt iſt. Im
Ganzen iſt das Bildungsweſen ein ſehr vorgeſchrittenes und ſo viel wir
ſehen, iſt das Syſtem der Bildungsanſtalten von der unterſten Elemen-
tarſchule bis zum Univerſitätsweſen vortrefflich ausgebildet. Die ge-
lehrte Bildung iſt von der wirthſchaftlichen faſt in allen Kantonen ge-
ſchieden, und jede derſelben mit eigenen Inſtituten verſehen. Beinahe
in allen, ſelbſt in den franzöſiſch-italieniſchen, iſt die höhere Bürger-
ſchule von der Elementarſchule getrennt, in eigenen Anſtalten vertreten
und nimmt einen ſehr ehrenwerthen Platz ein. Das Vorbildungsweſen
wird in mehreren Kantonen unter der Bezeichnung „Kantonsſchule“ im
Gegenſatz zu den „Gemeinſchulen“ (Volks- und Bürgerſchule) zuſammen-
gefaßt und enthält alsdann die gelehrte Bildung in Gymnaſien (nach
den Grundſätzen des deutſchen Gymnaſialweſens) und Realſchulen.
Knaben- und Mädchenſchulen ſind allenthalben getrennt. Für die Lehrer-
bildung ſind Seminarien in vielen Kantonen errichtet; ebenſo ſchließt
ſich an das Volksbildungsweſen in mehreren Kantonen ſogar ein ſehr
genau ausgearbeitetes Syſtem von Wiederholungs- und Sonntagsſchulen.
Im wirthſchaftlichen Bildungsweſen ſind die Gewerbeſchulen von den
Realſchulen geſchieden, in einigen Kantonen ſogar, wie in Baſel und
Zürich, noch beſondere Realgymnaſien nach deutſchem Vorbilde errichtet.
Dagegen ſcheint — die einzelnen Geſetze fehlen uns — das Princip
der Schulpflicht auf dem Standpunkt von Frankreich, Holland, Belgien
und Italien zu ſtehen, als bloße Verpflichtung der Eltern, die Kinder
zur Schule zu ſenden. Faſt in allen Kantonen beſtehen Privatanſtalten.
Die Univerſitäten ſind ganz auf deutſcher Grundlage; ebenſo das neue
Polytechnikum. Das Eigenthümliche des Bildungsweſens der Schweiz
wird demnach eben nicht in dem Organismus der Anſtalten, ſondern
vielmehr in der Selbſtändigkeit der Verwaltung und Geſetzgebung je
nach den Kantonen liegen, und hier geſtehen wir, daß unſere Quellen
nicht ausreichen, und daß wir auf künftige Arbeiten hinweiſen müſſen.
Jedenfalls wird auch das nicht weſentlich von den Grundſätzen der
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/88>, abgerufen am 22.11.2024.
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