des niedern, mittlern und höhern Unterrichts den General-Staaten einen ausführlichen Vorschlag." Die Macht, welche die Regierung da- durch gewann, ward nur nach langem Streit gebrochen durch die neue Verfassung. Die obigen Sätze blieben in der neuen Gestalt, aber es ward der Grundsatz dazwischen eingeschoben, daß der öffentliche Unter- richt durch ein Gesetz geregelt werden und daß derselbe frei sein soll für jedermann, jedoch unter den gesetzlichen Bedingungen der Fähig- keit und Sittlichkeit der öffentlichen Lehrer. In Folge dieses Grund- satzes werden nun neben dem bestehenden Recht der gelehrten Berufs- bildung (hooges onderwiis), Gesetz vom 2. August 1815, ein ausführ- liches Gesetz über den Volksunterricht (lager onderwiis) vom 13. August 1857 und ein zweites über den sog. mittlern Unterricht (meddelbore onderwiis) vom 2. Februar 1864 gegeben. Das erstere Gesetz ist die Ausführung des Artikels 194 in der neuen Verfassung: "Es wird überall im Reiche durch öffentliche Anstalten (im Text van overheidswege) genügender öffentlicher Schulunterricht (lager onderwiis) gegeben." Das letztere ist in der That das einzige uns in Europa bekannte systematische Gesetz über die wirthschaftliche Berufsbildung in ihrer Scheidung von der gelehrten Bildung, und in hohem Grade beachtenswerth. Das leitende Princip für alle Zweige des Unterrichts ist jetzt wieder das deutsche -- Organisirung der Oberaufsicht der Regierung durch ein System von Inspektoren nach französischem Muster, aber beinahe völlige Selbständigkeit der Gemeinden und Lehrkörper in allen drei Fächern. Holland darf somit von sich rühmen, daß es vielleicht am besten von allen europäischen Staaten den Werth der französischen Formen mit dem höheren des deutschen Geistes zu verbinden gewußt hat.
Italiens Bildungswesen. Was Italiens Bildungswesen betrifft, so hat dasselbe einen doppelten, wesentlich verschiedenen Inhalt, den thatsächlichen und den gesetzlichen. Was den erstern betrifft, so fehlen zwar im Einzelnen zuverlässige Angaben; im Allgemeinen jedoch ist wohl kein Zweifel an der in allen Gebieten erscheinenden Ungleich- mäßigkeit und Ungleichartigkeit desselben. Es ist vollständig unthun- lich, vor der Hand von einem faktisch geordneten "italienischen" Bil- dungswesen zu reden als von einem für das neue Königreich irgendwie zur Geltung gebrachten Ganzen. Dasselbe ist vielmehr so sehr im Werden begriffen, daß jede statistische Darstellung fast unmöglich, und da wo sie noch möglich ist, Gefahr läuft, binnen Kurzem nicht mehr zuzutreffen. Dagegen muß man gestehen, daß die Regierung in der kurzen Zeit ihres Bestehens, wenigstens auf dem Gebiete der Gesetz- gebung, wirklich Außerordentliches geleistet und ein systematisch durch- geführtes öffentliches Bildungsrecht geschaffen hat, wie es an Klarheit
des niedern, mittlern und höhern Unterrichts den General-Staaten einen ausführlichen Vorſchlag.“ Die Macht, welche die Regierung da- durch gewann, ward nur nach langem Streit gebrochen durch die neue Verfaſſung. Die obigen Sätze blieben in der neuen Geſtalt, aber es ward der Grundſatz dazwiſchen eingeſchoben, daß der öffentliche Unter- richt durch ein Geſetz geregelt werden und daß derſelbe frei ſein ſoll für jedermann, jedoch unter den geſetzlichen Bedingungen der Fähig- keit und Sittlichkeit der öffentlichen Lehrer. In Folge dieſes Grund- ſatzes werden nun neben dem beſtehenden Recht der gelehrten Berufs- bildung (hooges onderwiis), Geſetz vom 2. Auguſt 1815, ein ausführ- liches Geſetz über den Volksunterricht (lager onderwiis) vom 13. Auguſt 1857 und ein zweites über den ſog. mittlern Unterricht (meddelbore onderwiis) vom 2. Februar 1864 gegeben. Das erſtere Geſetz iſt die Ausführung des Artikels 194 in der neuen Verfaſſung: „Es wird überall im Reiche durch öffentliche Anſtalten (im Text van overheidswege) genügender öffentlicher Schulunterricht (lager onderwiis) gegeben.“ Das letztere iſt in der That das einzige uns in Europa bekannte ſyſtematiſche Geſetz über die wirthſchaftliche Berufsbildung in ihrer Scheidung von der gelehrten Bildung, und in hohem Grade beachtenswerth. Das leitende Princip für alle Zweige des Unterrichts iſt jetzt wieder das deutſche — Organiſirung der Oberaufſicht der Regierung durch ein Syſtem von Inſpektoren nach franzöſiſchem Muſter, aber beinahe völlige Selbſtändigkeit der Gemeinden und Lehrkörper in allen drei Fächern. Holland darf ſomit von ſich rühmen, daß es vielleicht am beſten von allen europäiſchen Staaten den Werth der franzöſiſchen Formen mit dem höheren des deutſchen Geiſtes zu verbinden gewußt hat.
Italiens Bildungsweſen. Was Italiens Bildungsweſen betrifft, ſo hat daſſelbe einen doppelten, weſentlich verſchiedenen Inhalt, den thatſächlichen und den geſetzlichen. Was den erſtern betrifft, ſo fehlen zwar im Einzelnen zuverläſſige Angaben; im Allgemeinen jedoch iſt wohl kein Zweifel an der in allen Gebieten erſcheinenden Ungleich- mäßigkeit und Ungleichartigkeit deſſelben. Es iſt vollſtändig unthun- lich, vor der Hand von einem faktiſch geordneten „italieniſchen“ Bil- dungsweſen zu reden als von einem für das neue Königreich irgendwie zur Geltung gebrachten Ganzen. Daſſelbe iſt vielmehr ſo ſehr im Werden begriffen, daß jede ſtatiſtiſche Darſtellung faſt unmöglich, und da wo ſie noch möglich iſt, Gefahr läuft, binnen Kurzem nicht mehr zuzutreffen. Dagegen muß man geſtehen, daß die Regierung in der kurzen Zeit ihres Beſtehens, wenigſtens auf dem Gebiete der Geſetz- gebung, wirklich Außerordentliches geleiſtet und ein ſyſtematiſch durch- geführtes öffentliches Bildungsrecht geſchaffen hat, wie es an Klarheit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0084"n="56"/>
des niedern, mittlern und höhern Unterrichts den General-Staaten<lb/>
einen ausführlichen Vorſchlag.“ Die Macht, welche die Regierung da-<lb/>
durch gewann, ward nur nach langem Streit gebrochen durch die neue<lb/>
Verfaſſung. Die obigen Sätze blieben in der neuen Geſtalt, aber es<lb/>
ward der Grundſatz dazwiſchen eingeſchoben, daß der öffentliche Unter-<lb/>
richt durch ein <hirendition="#g">Geſetz</hi> geregelt werden und daß derſelbe <hirendition="#g">frei</hi>ſein ſoll<lb/>
für jedermann, jedoch unter den geſetzlichen Bedingungen der Fähig-<lb/>
keit und Sittlichkeit der öffentlichen Lehrer. In Folge dieſes Grund-<lb/>ſatzes werden nun neben dem beſtehenden Recht der gelehrten Berufs-<lb/>
bildung <hirendition="#aq">(hooges onderwiis),</hi> Geſetz vom 2. Auguſt 1815, ein ausführ-<lb/>
liches Geſetz über den Volksunterricht (<hirendition="#aq">lager onderwiis</hi>) vom 13. Auguſt<lb/>
1857 und ein zweites über den ſog. mittlern Unterricht (<hirendition="#aq">meddelbore<lb/>
onderwiis</hi>) vom 2. Februar 1864 gegeben. Das erſtere Geſetz iſt die<lb/>
Ausführung des Artikels 194 in der neuen Verfaſſung: „Es wird überall<lb/>
im Reiche durch öffentliche Anſtalten (im Text <hirendition="#aq">van overheidswege</hi>)<lb/>
genügender öffentlicher Schulunterricht (<hirendition="#aq">lager onderwiis</hi>) gegeben.“ Das<lb/>
letztere iſt in der That das einzige uns in Europa bekannte ſyſtematiſche<lb/>
Geſetz über die wirthſchaftliche Berufsbildung in ihrer Scheidung von<lb/>
der gelehrten Bildung, und in hohem Grade beachtenswerth. Das<lb/>
leitende Princip für <hirendition="#g">alle</hi> Zweige des Unterrichts iſt jetzt wieder<lb/>
das deutſche — Organiſirung der Oberaufſicht der Regierung durch ein<lb/>
Syſtem von Inſpektoren nach franzöſiſchem Muſter, aber beinahe völlige<lb/>
Selbſtändigkeit der Gemeinden und Lehrkörper in allen drei Fächern.<lb/>
Holland darf ſomit von ſich rühmen, daß es vielleicht am beſten von<lb/>
allen europäiſchen Staaten den Werth der franzöſiſchen Formen mit<lb/>
dem höheren des deutſchen Geiſtes zu verbinden gewußt hat.</p><lb/><p><hirendition="#g">Italiens Bildungsweſen</hi>. Was Italiens Bildungsweſen<lb/>
betrifft, ſo hat daſſelbe einen doppelten, weſentlich verſchiedenen Inhalt,<lb/>
den thatſächlichen und den geſetzlichen. Was den erſtern betrifft, ſo<lb/>
fehlen zwar im Einzelnen zuverläſſige Angaben; im Allgemeinen jedoch<lb/>
iſt wohl kein Zweifel an der in allen Gebieten erſcheinenden Ungleich-<lb/>
mäßigkeit und Ungleichartigkeit deſſelben. Es iſt vollſtändig unthun-<lb/>
lich, vor der Hand von einem faktiſch geordneten „italieniſchen“ Bil-<lb/>
dungsweſen zu reden als von einem für das neue Königreich irgendwie<lb/>
zur Geltung gebrachten Ganzen. Daſſelbe iſt vielmehr ſo ſehr im<lb/>
Werden begriffen, daß jede ſtatiſtiſche Darſtellung faſt unmöglich, und<lb/>
da wo ſie noch möglich iſt, Gefahr läuft, binnen Kurzem nicht mehr<lb/>
zuzutreffen. Dagegen muß man geſtehen, daß die Regierung in der<lb/>
kurzen Zeit ihres Beſtehens, wenigſtens auf dem Gebiete der Geſetz-<lb/>
gebung, wirklich Außerordentliches geleiſtet und ein ſyſtematiſch durch-<lb/>
geführtes öffentliches Bildungsrecht geſchaffen hat, wie es an Klarheit<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[56/0084]
des niedern, mittlern und höhern Unterrichts den General-Staaten
einen ausführlichen Vorſchlag.“ Die Macht, welche die Regierung da-
durch gewann, ward nur nach langem Streit gebrochen durch die neue
Verfaſſung. Die obigen Sätze blieben in der neuen Geſtalt, aber es
ward der Grundſatz dazwiſchen eingeſchoben, daß der öffentliche Unter-
richt durch ein Geſetz geregelt werden und daß derſelbe frei ſein ſoll
für jedermann, jedoch unter den geſetzlichen Bedingungen der Fähig-
keit und Sittlichkeit der öffentlichen Lehrer. In Folge dieſes Grund-
ſatzes werden nun neben dem beſtehenden Recht der gelehrten Berufs-
bildung (hooges onderwiis), Geſetz vom 2. Auguſt 1815, ein ausführ-
liches Geſetz über den Volksunterricht (lager onderwiis) vom 13. Auguſt
1857 und ein zweites über den ſog. mittlern Unterricht (meddelbore
onderwiis) vom 2. Februar 1864 gegeben. Das erſtere Geſetz iſt die
Ausführung des Artikels 194 in der neuen Verfaſſung: „Es wird überall
im Reiche durch öffentliche Anſtalten (im Text van overheidswege)
genügender öffentlicher Schulunterricht (lager onderwiis) gegeben.“ Das
letztere iſt in der That das einzige uns in Europa bekannte ſyſtematiſche
Geſetz über die wirthſchaftliche Berufsbildung in ihrer Scheidung von
der gelehrten Bildung, und in hohem Grade beachtenswerth. Das
leitende Princip für alle Zweige des Unterrichts iſt jetzt wieder
das deutſche — Organiſirung der Oberaufſicht der Regierung durch ein
Syſtem von Inſpektoren nach franzöſiſchem Muſter, aber beinahe völlige
Selbſtändigkeit der Gemeinden und Lehrkörper in allen drei Fächern.
Holland darf ſomit von ſich rühmen, daß es vielleicht am beſten von
allen europäiſchen Staaten den Werth der franzöſiſchen Formen mit
dem höheren des deutſchen Geiſtes zu verbinden gewußt hat.
Italiens Bildungsweſen. Was Italiens Bildungsweſen
betrifft, ſo hat daſſelbe einen doppelten, weſentlich verſchiedenen Inhalt,
den thatſächlichen und den geſetzlichen. Was den erſtern betrifft, ſo
fehlen zwar im Einzelnen zuverläſſige Angaben; im Allgemeinen jedoch
iſt wohl kein Zweifel an der in allen Gebieten erſcheinenden Ungleich-
mäßigkeit und Ungleichartigkeit deſſelben. Es iſt vollſtändig unthun-
lich, vor der Hand von einem faktiſch geordneten „italieniſchen“ Bil-
dungsweſen zu reden als von einem für das neue Königreich irgendwie
zur Geltung gebrachten Ganzen. Daſſelbe iſt vielmehr ſo ſehr im
Werden begriffen, daß jede ſtatiſtiſche Darſtellung faſt unmöglich, und
da wo ſie noch möglich iſt, Gefahr läuft, binnen Kurzem nicht mehr
zuzutreffen. Dagegen muß man geſtehen, daß die Regierung in der
kurzen Zeit ihres Beſtehens, wenigſtens auf dem Gebiete der Geſetz-
gebung, wirklich Außerordentliches geleiſtet und ein ſyſtematiſch durch-
geführtes öffentliches Bildungsrecht geſchaffen hat, wie es an Klarheit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/84>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.