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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Staatsgewalt von der Gesellschaft, und tritt derselben zum Theil feind-
lich entgegen. Auch hier liegt diesem staatlichen Proceß allerdings ein
socialer zum Grunde. Es ist ein Gesetz der Entwicklung, daß die Macht
der selbständigen Staatsgewalt, bis zur Höhe der Diktatur, stets in dem
Grade wächst, in welchem die gesellschaftlichen Elemente mit einander
im Kampfe sind. Wo immer die Staatsgewalt mächtig ist, bedeutet sie
eine große sociale Bewegung. Die polizeiliche Epoche nun ihrerseits
bedeutet demgemäß die Zeit, wo die staatsbürgerliche Gesellschaft sich
allgewaltig aus der ständischen und den Resten der Geschlechterordnung
herausarbeitet, welche bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in
Europa ausschließlich herrschen. Die polizeiliche Epoche, ethisch getragen
durch den Begriff der Obrigkeit, rechtlich vertreten in den großen Prin-
cipien des Römischen Rechts, faßt jedoch zunächst den Staat als etwas
selbständiges auf, das eigene Interessen, eigene Aufgaben, eigene Or-
gane habe, und daher, um zu sein und zu wirken, Macht haben müsse.
Ein wesentlicher Theil dieser Macht ist der Reichthum, eine der großen
Bedingungen des Reichthums ist die Bildung; der Staat fängt an
die Bildung zu brauchen
, wie er Geld braucht, Militär braucht,
Straßen braucht, Handel und Gewerbe braucht, und anderes. Was
er braucht, will, muß, darf und kann er sich schaffen Er erfaßt daher
jetzt das Bildungswesen, das bis dahin in den Händen der Selbstver-
waltung gelegen, als ein selbständiges Objekt seiner Thätigkeit, als
einen Gegenstand seiner Verwaltung. Und damit beginnt eine
neue Epoche.

Man muß nun, um den Inhalt dieser neuen Zeit klar zu machen,
das formelle Element des neuen staatlichen Bildungswesens von dem
geistigen scheiden, obwohl sie in der Wirklichkeit enge zusammengehen.

IX. Der formelle, öffentlich rechtliche Charakter dieser Epoche liegt
darin, daß nunmehr, etwa seit dem Anfange des sechzehnten Jahr-
hunderts, der Staat, allmählig fortschreitend, alle drei Grundformen des
Bildungswesens, die Elementar-, Berufs- und allgemeine Bildung zuerst
einer eigenen Gesetzgebung unterwirft, dann sie in ihren Funktionen
der eigenen Oberaufsicht unterstellt, dann eigene eigentliche Staats-
anstalten
für einzelne Zweige der Bildung errichtet, zuerst meist die-
jenigen, welche einen geistigen Ausdruck des Glanzes und der Macht
des Staates geben, wie Sammlungen, Museen, Gallerien, Akademien,
dann aber auch diejenigen, welche er wirthschaftlich für seine Cameralver-
hältnisse beruht, Bergwerks- und andere Fachschulen: endlich indem er
das ganze Bildungswesen zuerst als ein Ganzes auffaßt, und dafür
die noch freilich sehr unvollkommenen Grundlagen eines höchsten staat-
lichen Verwaltungsorganismus entwirft. So entsteht allmählig

Staatsgewalt von der Geſellſchaft, und tritt derſelben zum Theil feind-
lich entgegen. Auch hier liegt dieſem ſtaatlichen Proceß allerdings ein
ſocialer zum Grunde. Es iſt ein Geſetz der Entwicklung, daß die Macht
der ſelbſtändigen Staatsgewalt, bis zur Höhe der Diktatur, ſtets in dem
Grade wächst, in welchem die geſellſchaftlichen Elemente mit einander
im Kampfe ſind. Wo immer die Staatsgewalt mächtig iſt, bedeutet ſie
eine große ſociale Bewegung. Die polizeiliche Epoche nun ihrerſeits
bedeutet demgemäß die Zeit, wo die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ſich
allgewaltig aus der ſtändiſchen und den Reſten der Geſchlechterordnung
herausarbeitet, welche bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in
Europa ausſchließlich herrſchen. Die polizeiliche Epoche, ethiſch getragen
durch den Begriff der Obrigkeit, rechtlich vertreten in den großen Prin-
cipien des Römiſchen Rechts, faßt jedoch zunächſt den Staat als etwas
ſelbſtändiges auf, das eigene Intereſſen, eigene Aufgaben, eigene Or-
gane habe, und daher, um zu ſein und zu wirken, Macht haben müſſe.
Ein weſentlicher Theil dieſer Macht iſt der Reichthum, eine der großen
Bedingungen des Reichthums iſt die Bildung; der Staat fängt an
die Bildung zu brauchen
, wie er Geld braucht, Militär braucht,
Straßen braucht, Handel und Gewerbe braucht, und anderes. Was
er braucht, will, muß, darf und kann er ſich ſchaffen Er erfaßt daher
jetzt das Bildungsweſen, das bis dahin in den Händen der Selbſtver-
waltung gelegen, als ein ſelbſtändiges Objekt ſeiner Thätigkeit, als
einen Gegenſtand ſeiner Verwaltung. Und damit beginnt eine
neue Epoche.

Man muß nun, um den Inhalt dieſer neuen Zeit klar zu machen,
das formelle Element des neuen ſtaatlichen Bildungsweſens von dem
geiſtigen ſcheiden, obwohl ſie in der Wirklichkeit enge zuſammengehen.

IX. Der formelle, öffentlich rechtliche Charakter dieſer Epoche liegt
darin, daß nunmehr, etwa ſeit dem Anfange des ſechzehnten Jahr-
hunderts, der Staat, allmählig fortſchreitend, alle drei Grundformen des
Bildungsweſens, die Elementar-, Berufs- und allgemeine Bildung zuerſt
einer eigenen Geſetzgebung unterwirft, dann ſie in ihren Funktionen
der eigenen Oberaufſicht unterſtellt, dann eigene eigentliche Staats-
anſtalten
für einzelne Zweige der Bildung errichtet, zuerſt meiſt die-
jenigen, welche einen geiſtigen Ausdruck des Glanzes und der Macht
des Staates geben, wie Sammlungen, Muſeen, Gallerien, Akademien,
dann aber auch diejenigen, welche er wirthſchaftlich für ſeine Cameralver-
hältniſſe beruht, Bergwerks- und andere Fachſchulen: endlich indem er
das ganze Bildungsweſen zuerſt als ein Ganzes auffaßt, und dafür
die noch freilich ſehr unvollkommenen Grundlagen eines höchſten ſtaat-
lichen Verwaltungsorganismus entwirft. So entſteht allmählig

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[30/0058] Staatsgewalt von der Geſellſchaft, und tritt derſelben zum Theil feind- lich entgegen. Auch hier liegt dieſem ſtaatlichen Proceß allerdings ein ſocialer zum Grunde. Es iſt ein Geſetz der Entwicklung, daß die Macht der ſelbſtändigen Staatsgewalt, bis zur Höhe der Diktatur, ſtets in dem Grade wächst, in welchem die geſellſchaftlichen Elemente mit einander im Kampfe ſind. Wo immer die Staatsgewalt mächtig iſt, bedeutet ſie eine große ſociale Bewegung. Die polizeiliche Epoche nun ihrerſeits bedeutet demgemäß die Zeit, wo die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ſich allgewaltig aus der ſtändiſchen und den Reſten der Geſchlechterordnung herausarbeitet, welche bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Europa ausſchließlich herrſchen. Die polizeiliche Epoche, ethiſch getragen durch den Begriff der Obrigkeit, rechtlich vertreten in den großen Prin- cipien des Römiſchen Rechts, faßt jedoch zunächſt den Staat als etwas ſelbſtändiges auf, das eigene Intereſſen, eigene Aufgaben, eigene Or- gane habe, und daher, um zu ſein und zu wirken, Macht haben müſſe. Ein weſentlicher Theil dieſer Macht iſt der Reichthum, eine der großen Bedingungen des Reichthums iſt die Bildung; der Staat fängt an die Bildung zu brauchen, wie er Geld braucht, Militär braucht, Straßen braucht, Handel und Gewerbe braucht, und anderes. Was er braucht, will, muß, darf und kann er ſich ſchaffen Er erfaßt daher jetzt das Bildungsweſen, das bis dahin in den Händen der Selbſtver- waltung gelegen, als ein ſelbſtändiges Objekt ſeiner Thätigkeit, als einen Gegenſtand ſeiner Verwaltung. Und damit beginnt eine neue Epoche. Man muß nun, um den Inhalt dieſer neuen Zeit klar zu machen, das formelle Element des neuen ſtaatlichen Bildungsweſens von dem geiſtigen ſcheiden, obwohl ſie in der Wirklichkeit enge zuſammengehen. IX. Der formelle, öffentlich rechtliche Charakter dieſer Epoche liegt darin, daß nunmehr, etwa ſeit dem Anfange des ſechzehnten Jahr- hunderts, der Staat, allmählig fortſchreitend, alle drei Grundformen des Bildungsweſens, die Elementar-, Berufs- und allgemeine Bildung zuerſt einer eigenen Geſetzgebung unterwirft, dann ſie in ihren Funktionen der eigenen Oberaufſicht unterſtellt, dann eigene eigentliche Staats- anſtalten für einzelne Zweige der Bildung errichtet, zuerſt meiſt die- jenigen, welche einen geiſtigen Ausdruck des Glanzes und der Macht des Staates geben, wie Sammlungen, Muſeen, Gallerien, Akademien, dann aber auch diejenigen, welche er wirthſchaftlich für ſeine Cameralver- hältniſſe beruht, Bergwerks- und andere Fachſchulen: endlich indem er das ganze Bildungsweſen zuerſt als ein Ganzes auffaßt, und dafür die noch freilich ſehr unvollkommenen Grundlagen eines höchſten ſtaat- lichen Verwaltungsorganismus entwirft. So entſteht allmählig

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/58>, abgerufen am 22.11.2024.