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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Das Bewußtsein von der hohen Bedeutung der Sache, gegenstands-
los im deutschen Staatsrecht, bricht sich dann Bahn in den Bearbei-
tungen der Territorialverwaltungslehren, und wird zu sehr vollstän-
digen Darstellungen, wie bei Rönne, Stubenrauch, Pözl, natürlich
aber auch ohne einen, dieselben verbindenden Standpunkt. Der tiefe
Mangel, der in dieser Richtung lag, verbunden mit der wachsenden
Erkenntniß von der entscheidenden Wichtigkeit des Bildungswesens, er-
zeugte daneben die zweite Richtung, welche das letztere nunmehr grund-
sätzlich in die systematische Verwaltungslehre aufnahm, wobei freilich
der traditionelle Name der Polizeiwissenschaft den Autoren eben so sehr
in der freien Behandlung, als ihrem Wirken im Publikum schadete.
Diese zweite Richtung wird eingeleitet durch eine Reihe ausgezeichneter
Monographien über die Erziehung des Volkes, vorwiegend noch im
ethischen und pädagogischen Sinne abgefaßt, von Zachariä, Wessenberg,
Niemeyer und Andern, die zwar keine Systeme sind oder sein wollen,
wohl aber das Bewußtsein festhalten, daß die Staatswissenschaft unter
allen Formen das Bildungswesen nicht mehr übergehen könne. Dasselbe
wird daher in die neue, organische und freie Gestalt derselben auf-
genommen. Bei einigen wird daraus ein förmliches Polizeisystem wie
bei Lotz (Ueber den Begriff der Polizei, S. 379 ff.), der den Gedanken
vertritt, daß der Staat das Recht und die Pflicht habe, die "Auf-
klärung" durch Zwangsmaßregeln durchzusetzen, wobei er nur die Ele-
mentarbildung von der allgemeinen Bildung nicht gehörig schied. Bei
andern dagegen bleibt die Theorie meistens auf einem etwas allgemeinen
und unklaren Standpunkt stehen, und berücksichtigt viel zu wenig das
positive Recht neben den allgemeinen Grundsätzen, die ohnehin niemanden
mehr zweifelhaft waren. So Jacob (Polizeiwissenschaft I, §. 146);
Pölitz (Staatswissenschaft. Erziehungspolizei II, 19), der in seiner
Staatswissenschaft II, 339 den Satz durchführt, daß der Zwang
falsch und der Staat nur verpflichtet sein solle, die Hindernisse der
Bildung aus dem Wege zu schaffen. Soden (Staats-Nationalbildung,
Bd. 8 der Nationalökonomie) war der erste, der eine systematische Dar-
stellung versucht; Aretin (Staatsrecht der constitutionellen Monarchie,
II. Bd. 1. Abth., S. 35 ff.), der zugleich an freien Grundsätzen und
gelehrter Kenntniß so reich ist, daß man seiner mit großem Unrecht
vergißt; zuletzt Mohl (Polizeiwissenschaft, Bd. I, Buch II, Kap. 2).
Daneben lag es in der dialektischen Natur der rein philosophisch ge-
wordenen Rechtsphilosophie, mit der Verwaltung auch das Bildungs-
wesen so gut als ganz zu übergehen. Während Kant, Fichte, Her-
bart, Kraus
sich mit demselben gar nicht beschäftigen, so wenig wie
in neuerer Zeit Rößler (Allgemeine Staatslehre) hat Hegel es nur

Das Bewußtſein von der hohen Bedeutung der Sache, gegenſtands-
los im deutſchen Staatsrecht, bricht ſich dann Bahn in den Bearbei-
tungen der Territorialverwaltungslehren, und wird zu ſehr vollſtän-
digen Darſtellungen, wie bei Rönne, Stubenrauch, Pözl, natürlich
aber auch ohne einen, dieſelben verbindenden Standpunkt. Der tiefe
Mangel, der in dieſer Richtung lag, verbunden mit der wachſenden
Erkenntniß von der entſcheidenden Wichtigkeit des Bildungsweſens, er-
zeugte daneben die zweite Richtung, welche das letztere nunmehr grund-
ſätzlich in die ſyſtematiſche Verwaltungslehre aufnahm, wobei freilich
der traditionelle Name der Polizeiwiſſenſchaft den Autoren eben ſo ſehr
in der freien Behandlung, als ihrem Wirken im Publikum ſchadete.
Dieſe zweite Richtung wird eingeleitet durch eine Reihe ausgezeichneter
Monographien über die Erziehung des Volkes, vorwiegend noch im
ethiſchen und pädagogiſchen Sinne abgefaßt, von Zachariä, Weſſenberg,
Niemeyer und Andern, die zwar keine Syſteme ſind oder ſein wollen,
wohl aber das Bewußtſein feſthalten, daß die Staatswiſſenſchaft unter
allen Formen das Bildungsweſen nicht mehr übergehen könne. Daſſelbe
wird daher in die neue, organiſche und freie Geſtalt derſelben auf-
genommen. Bei einigen wird daraus ein förmliches Polizeiſyſtem wie
bei Lotz (Ueber den Begriff der Polizei, S. 379 ff.), der den Gedanken
vertritt, daß der Staat das Recht und die Pflicht habe, die „Auf-
klärung“ durch Zwangsmaßregeln durchzuſetzen, wobei er nur die Ele-
mentarbildung von der allgemeinen Bildung nicht gehörig ſchied. Bei
andern dagegen bleibt die Theorie meiſtens auf einem etwas allgemeinen
und unklaren Standpunkt ſtehen, und berückſichtigt viel zu wenig das
poſitive Recht neben den allgemeinen Grundſätzen, die ohnehin niemanden
mehr zweifelhaft waren. So Jacob (Polizeiwiſſenſchaft I, §. 146);
Pölitz (Staatswiſſenſchaft. Erziehungspolizei II, 19), der in ſeiner
Staatswiſſenſchaft II, 339 den Satz durchführt, daß der Zwang
falſch und der Staat nur verpflichtet ſein ſolle, die Hinderniſſe der
Bildung aus dem Wege zu ſchaffen. Soden (Staats-Nationalbildung,
Bd. 8 der Nationalökonomie) war der erſte, der eine ſyſtematiſche Dar-
ſtellung verſucht; Aretin (Staatsrecht der conſtitutionellen Monarchie,
II. Bd. 1. Abth., S. 35 ff.), der zugleich an freien Grundſätzen und
gelehrter Kenntniß ſo reich iſt, daß man ſeiner mit großem Unrecht
vergißt; zuletzt Mohl (Polizeiwiſſenſchaft, Bd. I, Buch II, Kap. 2).
Daneben lag es in der dialektiſchen Natur der rein philoſophiſch ge-
wordenen Rechtsphiloſophie, mit der Verwaltung auch das Bildungs-
weſen ſo gut als ganz zu übergehen. Während Kant, Fichte, Her-
bart, Kraus
ſich mit demſelben gar nicht beſchäftigen, ſo wenig wie
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[18/0046] Das Bewußtſein von der hohen Bedeutung der Sache, gegenſtands- los im deutſchen Staatsrecht, bricht ſich dann Bahn in den Bearbei- tungen der Territorialverwaltungslehren, und wird zu ſehr vollſtän- digen Darſtellungen, wie bei Rönne, Stubenrauch, Pözl, natürlich aber auch ohne einen, dieſelben verbindenden Standpunkt. Der tiefe Mangel, der in dieſer Richtung lag, verbunden mit der wachſenden Erkenntniß von der entſcheidenden Wichtigkeit des Bildungsweſens, er- zeugte daneben die zweite Richtung, welche das letztere nunmehr grund- ſätzlich in die ſyſtematiſche Verwaltungslehre aufnahm, wobei freilich der traditionelle Name der Polizeiwiſſenſchaft den Autoren eben ſo ſehr in der freien Behandlung, als ihrem Wirken im Publikum ſchadete. Dieſe zweite Richtung wird eingeleitet durch eine Reihe ausgezeichneter Monographien über die Erziehung des Volkes, vorwiegend noch im ethiſchen und pädagogiſchen Sinne abgefaßt, von Zachariä, Weſſenberg, Niemeyer und Andern, die zwar keine Syſteme ſind oder ſein wollen, wohl aber das Bewußtſein feſthalten, daß die Staatswiſſenſchaft unter allen Formen das Bildungsweſen nicht mehr übergehen könne. Daſſelbe wird daher in die neue, organiſche und freie Geſtalt derſelben auf- genommen. Bei einigen wird daraus ein förmliches Polizeiſyſtem wie bei Lotz (Ueber den Begriff der Polizei, S. 379 ff.), der den Gedanken vertritt, daß der Staat das Recht und die Pflicht habe, die „Auf- klärung“ durch Zwangsmaßregeln durchzuſetzen, wobei er nur die Ele- mentarbildung von der allgemeinen Bildung nicht gehörig ſchied. Bei andern dagegen bleibt die Theorie meiſtens auf einem etwas allgemeinen und unklaren Standpunkt ſtehen, und berückſichtigt viel zu wenig das poſitive Recht neben den allgemeinen Grundſätzen, die ohnehin niemanden mehr zweifelhaft waren. So Jacob (Polizeiwiſſenſchaft I, §. 146); Pölitz (Staatswiſſenſchaft. Erziehungspolizei II, 19), der in ſeiner Staatswiſſenſchaft II, 339 den Satz durchführt, daß der Zwang falſch und der Staat nur verpflichtet ſein ſolle, die Hinderniſſe der Bildung aus dem Wege zu ſchaffen. Soden (Staats-Nationalbildung, Bd. 8 der Nationalökonomie) war der erſte, der eine ſyſtematiſche Dar- ſtellung verſucht; Aretin (Staatsrecht der conſtitutionellen Monarchie, II. Bd. 1. Abth., S. 35 ff.), der zugleich an freien Grundſätzen und gelehrter Kenntniß ſo reich iſt, daß man ſeiner mit großem Unrecht vergißt; zuletzt Mohl (Polizeiwiſſenſchaft, Bd. I, Buch II, Kap. 2). Daneben lag es in der dialektiſchen Natur der rein philoſophiſch ge- wordenen Rechtsphiloſophie, mit der Verwaltung auch das Bildungs- weſen ſo gut als ganz zu übergehen. Während Kant, Fichte, Her- bart, Kraus ſich mit demſelben gar nicht beſchäftigen, ſo wenig wie in neuerer Zeit Rößler (Allgemeine Staatslehre) hat Hegel es nur

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/46>, abgerufen am 27.04.2024.