Beginn einer weiteren Entwicklung, deren Schicksal auch für das übrige Bildungswesen von nicht geringem Interesse ist.
Als nämlich mit der Auflösung der ständischen Ordnung der Staat aus seinem fast privatrechtlich formulirten Gegensatze zu der Gesellschaft hinaustritt und zum Organismus der Gemeinschaft wird, verschwindet gleichsam von selbst der Gedanke, daß er als Privatsubjekt einen wirth- schaftlichen Beruf, Erwerb und Besitz haben und mithin Unterneh- mungen betreiben solle, wie ein Einzelner. Gerade das aber war die Grundlage der Cameralwissenschaft und Bildung gewesen. Sie ver- schwanden daher in ihrer alten Form; und an ihre Stelle trat nun ein wesentlich anderer Standpunkt mit einer anderen Aufgabe.
Während nämlich einerseits die Cameralien in die eigentliche Finanz- verwaltung übergehen, entwickelt sich der Gedanke der Verwaltung der Volkswirthschaft, die Idee der Volkswirthschaftspflege. Diese Idee fordert von dem Staate in seinem Verhältniß zur Volkswirthschaft ein Doppeltes. Einerseits soll derselbe die Einzelnen nun auch in der Volks- wirthschaft gegen wirthschaftliche und weiter gehende Gefahren schützen, die in gewissen Unternehmungen liegen, andererseits soll er das Seinige thun, um die Produktion zu fördern, und zwar beides in Beziehung auf bestimmte einzelne Arten von Unternehmungen. Die Verwaltung, noch im Anfange dieses Jahrhunderts nur zu sehr bereit, jeden Theil des öffentlichen Lebens unter ihre Vormundschaft im Sinne der eu- dämonistischen Theorien aufzunehmen, gab ihrerseits selbst Anlaß zu jener Forderung. Bis dahin hatten die alten ständischen Körperschaften eine gewisse Polizei, sowie eine gewisse Unterstützung der gewerblichen Pro- duktion übernommen. Jetzt hören sie auf; zum Theil wie in Frankreich vollständig, zum Theil dem Wesen nach wie in Deutschland. Dieselbe Gesetzgebung, welche auf diese Weise den Zünften und Innungen ihre Funktion der Volkswirthschaftspflege nahm, war damit auch berufen, sich an ihre Stelle zu setzen. Das Mittel dafür lag nahe. Sie mußte nunmehr eine öffentliche Fachbildung an die Stelle der zünftigen setzen, theils als Schutz, theils als Bedingung der Förderung der höheren volkswirthschaftlichen Interessen. So entstand die zweite Gestalt der Forderung nach einer öffentlichen wirthschaftlichen Fachbildung und der der Anstalten selbst. Es bilden sich allmählig, meist ganz unabhängig von einander, staatliche Lehranstalten, die eigens zum Zweck der wirthschaftlichen Fachbildung aufgestellt werden. Dieselben theilen sich nach Zweck und Entstehungsgrund in zwei Hauptarten. In der ersten Art zeugt das sicherheitspolizeiliche und zum Theil wirthschaftlich polizei- liche Element vor; in der zweiten dagegen die eigentliche Pflege der Volkswirthschaft. Es ist klar, daß erst hiemit die wirthschaftliche Fach-
Beginn einer weiteren Entwicklung, deren Schickſal auch für das übrige Bildungsweſen von nicht geringem Intereſſe iſt.
Als nämlich mit der Auflöſung der ſtändiſchen Ordnung der Staat aus ſeinem faſt privatrechtlich formulirten Gegenſatze zu der Geſellſchaft hinaustritt und zum Organismus der Gemeinſchaft wird, verſchwindet gleichſam von ſelbſt der Gedanke, daß er als Privatſubjekt einen wirth- ſchaftlichen Beruf, Erwerb und Beſitz haben und mithin Unterneh- mungen betreiben ſolle, wie ein Einzelner. Gerade das aber war die Grundlage der Cameralwiſſenſchaft und Bildung geweſen. Sie ver- ſchwanden daher in ihrer alten Form; und an ihre Stelle trat nun ein weſentlich anderer Standpunkt mit einer anderen Aufgabe.
Während nämlich einerſeits die Cameralien in die eigentliche Finanz- verwaltung übergehen, entwickelt ſich der Gedanke der Verwaltung der Volkswirthſchaft, die Idee der Volkswirthſchaftspflege. Dieſe Idee fordert von dem Staate in ſeinem Verhältniß zur Volkswirthſchaft ein Doppeltes. Einerſeits ſoll derſelbe die Einzelnen nun auch in der Volks- wirthſchaft gegen wirthſchaftliche und weiter gehende Gefahren ſchützen, die in gewiſſen Unternehmungen liegen, andererſeits ſoll er das Seinige thun, um die Produktion zu fördern, und zwar beides in Beziehung auf beſtimmte einzelne Arten von Unternehmungen. Die Verwaltung, noch im Anfange dieſes Jahrhunderts nur zu ſehr bereit, jeden Theil des öffentlichen Lebens unter ihre Vormundſchaft im Sinne der eu- dämoniſtiſchen Theorien aufzunehmen, gab ihrerſeits ſelbſt Anlaß zu jener Forderung. Bis dahin hatten die alten ſtändiſchen Körperſchaften eine gewiſſe Polizei, ſowie eine gewiſſe Unterſtützung der gewerblichen Pro- duktion übernommen. Jetzt hören ſie auf; zum Theil wie in Frankreich vollſtändig, zum Theil dem Weſen nach wie in Deutſchland. Dieſelbe Geſetzgebung, welche auf dieſe Weiſe den Zünften und Innungen ihre Funktion der Volkswirthſchaftspflege nahm, war damit auch berufen, ſich an ihre Stelle zu ſetzen. Das Mittel dafür lag nahe. Sie mußte nunmehr eine öffentliche Fachbildung an die Stelle der zünftigen ſetzen, theils als Schutz, theils als Bedingung der Förderung der höheren volkswirthſchaftlichen Intereſſen. So entſtand die zweite Geſtalt der Forderung nach einer öffentlichen wirthſchaftlichen Fachbildung und der der Anſtalten ſelbſt. Es bilden ſich allmählig, meiſt ganz unabhängig von einander, ſtaatliche Lehranſtalten, die eigens zum Zweck der wirthſchaftlichen Fachbildung aufgeſtellt werden. Dieſelben theilen ſich nach Zweck und Entſtehungsgrund in zwei Hauptarten. In der erſten Art zeugt das ſicherheitspolizeiliche und zum Theil wirthſchaftlich polizei- liche Element vor; in der zweiten dagegen die eigentliche Pflege der Volkswirthſchaft. Es iſt klar, daß erſt hiemit die wirthſchaftliche Fach-
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Beginn einer weiteren Entwicklung, deren Schickſal auch für das übrige
Bildungsweſen von nicht geringem Intereſſe iſt.
Als nämlich mit der Auflöſung der ſtändiſchen Ordnung der Staat
aus ſeinem faſt privatrechtlich formulirten Gegenſatze zu der Geſellſchaft
hinaustritt und zum Organismus der Gemeinſchaft wird, verſchwindet
gleichſam von ſelbſt der Gedanke, daß er als Privatſubjekt einen wirth-
ſchaftlichen Beruf, Erwerb und Beſitz haben und mithin Unterneh-
mungen betreiben ſolle, wie ein Einzelner. Gerade das aber war die
Grundlage der Cameralwiſſenſchaft und Bildung geweſen. Sie ver-
ſchwanden daher in ihrer alten Form; und an ihre Stelle trat nun
ein weſentlich anderer Standpunkt mit einer anderen Aufgabe.
Während nämlich einerſeits die Cameralien in die eigentliche Finanz-
verwaltung übergehen, entwickelt ſich der Gedanke der Verwaltung
der Volkswirthſchaft, die Idee der Volkswirthſchaftspflege. Dieſe Idee
fordert von dem Staate in ſeinem Verhältniß zur Volkswirthſchaft ein
Doppeltes. Einerſeits ſoll derſelbe die Einzelnen nun auch in der Volks-
wirthſchaft gegen wirthſchaftliche und weiter gehende Gefahren ſchützen,
die in gewiſſen Unternehmungen liegen, andererſeits ſoll er das Seinige
thun, um die Produktion zu fördern, und zwar beides in Beziehung
auf beſtimmte einzelne Arten von Unternehmungen. Die Verwaltung,
noch im Anfange dieſes Jahrhunderts nur zu ſehr bereit, jeden Theil
des öffentlichen Lebens unter ihre Vormundſchaft im Sinne der eu-
dämoniſtiſchen Theorien aufzunehmen, gab ihrerſeits ſelbſt Anlaß zu jener
Forderung. Bis dahin hatten die alten ſtändiſchen Körperſchaften eine
gewiſſe Polizei, ſowie eine gewiſſe Unterſtützung der gewerblichen Pro-
duktion übernommen. Jetzt hören ſie auf; zum Theil wie in Frankreich
vollſtändig, zum Theil dem Weſen nach wie in Deutſchland. Dieſelbe
Geſetzgebung, welche auf dieſe Weiſe den Zünften und Innungen ihre
Funktion der Volkswirthſchaftspflege nahm, war damit auch berufen,
ſich an ihre Stelle zu ſetzen. Das Mittel dafür lag nahe. Sie mußte
nunmehr eine öffentliche Fachbildung an die Stelle der zünftigen ſetzen,
theils als Schutz, theils als Bedingung der Förderung der höheren
volkswirthſchaftlichen Intereſſen. So entſtand die zweite Geſtalt der
Forderung nach einer öffentlichen wirthſchaftlichen Fachbildung und der
der Anſtalten ſelbſt. Es bilden ſich allmählig, meiſt ganz unabhängig
von einander, ſtaatliche Lehranſtalten, die eigens zum Zweck der
wirthſchaftlichen Fachbildung aufgeſtellt werden. Dieſelben theilen ſich
nach Zweck und Entſtehungsgrund in zwei Hauptarten. In der erſten
Art zeugt das ſicherheitspolizeiliche und zum Theil wirthſchaftlich polizei-
liche Element vor; in der zweiten dagegen die eigentliche Pflege der
Volkswirthſchaft. Es iſt klar, daß erſt hiemit die wirthſchaftliche Fach-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/292>, abgerufen am 27.07.2024.
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