Vorbildung zu besuchen und ohne alle Beschränkung Collegien zu hören oder nicht zu hören, wo der Betreffende nicht den Anspruch macht später in einen öffentlichen Beruf einzutreten. Die Verwaltung hat nur da die Pflicht und damit auch das Recht zur Aufstellung eines gesetzlichen Studienplanes und eines öffentlichen Prüfungssystems, wo große öffent- liche Interessen der Thätigkeit des Einzelnen vom Publikum übergeben werden müssen; das Recht zur gesetzlichen Anordnung eines Studien- planes aber beruht genau auf denselben Gründen, wie das der Prü- fungen, und der Kampf gegen den erstern, soweit er nicht gegen eine unverkennbare geistige Bevormundung in demselben geht, ist wesentlich als eine historische Thatsache zu erkennen.
Dagegen hat der eben bezeichnete Gang der Dinge, die strenge Organisirung der speziellen Fachbildung an den Universitäten, in neue- ster Zeit eine zweite Universitätsfrage nahe gelegt, die hier aber wegen ihrer innigen Beziehung zur Verwaltungslehre nicht übergangen werden kann. Dieselbe beruht auf der scharfen Trennung der Universitätsbil- dung vom praktischen Berufe, aus der zum Theil eine Mißachtung der ersteren hervorgegangen ist. Die innere Geschichte der Universitäten zeigt uns schon im vorigen Jahrhundert das Entstehen des Bewußt- seins, daß die tüchtige Ausübung des Berufes neben der theoretischen auch eine praktische Fachbildung fordere; die Entwicklung der Special- bildung an den Universitäten geht daher Hand in Hand mit dem Be- streben, solche praktische Fachbildungseinrichtungen an die theoretischen anzuschließen. Dieß nun ist bisher nur in einzelnen Fakultäten gelun- gen. In der medicinischen ist die Klinik sogar ein integrirender Theil der theoretischen Bildung geworden; in der philologischen sehen wir die philologischen, in der theologischen die theologischen Seminarien entstehen; nur in der juristischen ist die deutsche Universität bisher nicht fähig gewesen, etwas Aehnliches bei sich auszubilden. Die praktische Vorbildung ist hier von der Universität getrennt, und zwar sowohl für die Rechtsverwaltung als für die übrigen Staatsbeamten. Das zeigt sich namentlich in dem nicht bloß der Universität, sondern meist auch der Wissenschaft entfremdeten Dienstprüfungssystem, das dem Berufs- prüfungssystem selbständig folgt und sich meist auf reine Spezialia, ohne tiefere wissenschaftliche Beziehungen, beschränkt. Das ist ein großer Mangel. Aber er liegt nicht in der Praxis, sondern er liegt in der Theorie. Es fehlt geradezu an den Universitäten die praktische Rich- tung der Rechts- und noch mehr der Staatswissenschaften; namentlich ist eine solche bei den letzteren ohne eine systematische Special- bildung der Verwaltungslehre nicht zu denken. Die Universi- täten werden erst dann für das öffentliche Leben ihre wahre Stellung
Vorbildung zu beſuchen und ohne alle Beſchränkung Collegien zu hören oder nicht zu hören, wo der Betreffende nicht den Anſpruch macht ſpäter in einen öffentlichen Beruf einzutreten. Die Verwaltung hat nur da die Pflicht und damit auch das Recht zur Aufſtellung eines geſetzlichen Studienplanes und eines öffentlichen Prüfungsſyſtems, wo große öffent- liche Intereſſen der Thätigkeit des Einzelnen vom Publikum übergeben werden müſſen; das Recht zur geſetzlichen Anordnung eines Studien- planes aber beruht genau auf denſelben Gründen, wie das der Prü- fungen, und der Kampf gegen den erſtern, ſoweit er nicht gegen eine unverkennbare geiſtige Bevormundung in demſelben geht, iſt weſentlich als eine hiſtoriſche Thatſache zu erkennen.
Dagegen hat der eben bezeichnete Gang der Dinge, die ſtrenge Organiſirung der ſpeziellen Fachbildung an den Univerſitäten, in neue- ſter Zeit eine zweite Univerſitätsfrage nahe gelegt, die hier aber wegen ihrer innigen Beziehung zur Verwaltungslehre nicht übergangen werden kann. Dieſelbe beruht auf der ſcharfen Trennung der Univerſitätsbil- dung vom praktiſchen Berufe, aus der zum Theil eine Mißachtung der erſteren hervorgegangen iſt. Die innere Geſchichte der Univerſitäten zeigt uns ſchon im vorigen Jahrhundert das Entſtehen des Bewußt- ſeins, daß die tüchtige Ausübung des Berufes neben der theoretiſchen auch eine praktiſche Fachbildung fordere; die Entwicklung der Special- bildung an den Univerſitäten geht daher Hand in Hand mit dem Be- ſtreben, ſolche praktiſche Fachbildungseinrichtungen an die theoretiſchen anzuſchließen. Dieß nun iſt bisher nur in einzelnen Fakultäten gelun- gen. In der mediciniſchen iſt die Klinik ſogar ein integrirender Theil der theoretiſchen Bildung geworden; in der philologiſchen ſehen wir die philologiſchen, in der theologiſchen die theologiſchen Seminarien entſtehen; nur in der juriſtiſchen iſt die deutſche Univerſität bisher nicht fähig geweſen, etwas Aehnliches bei ſich auszubilden. Die praktiſche Vorbildung iſt hier von der Univerſität getrennt, und zwar ſowohl für die Rechtsverwaltung als für die übrigen Staatsbeamten. Das zeigt ſich namentlich in dem nicht bloß der Univerſität, ſondern meiſt auch der Wiſſenſchaft entfremdeten Dienſtprüfungsſyſtem, das dem Berufs- prüfungsſyſtem ſelbſtändig folgt und ſich meiſt auf reine Spezialia, ohne tiefere wiſſenſchaftliche Beziehungen, beſchränkt. Das iſt ein großer Mangel. Aber er liegt nicht in der Praxis, ſondern er liegt in der Theorie. Es fehlt geradezu an den Univerſitäten die praktiſche Rich- tung der Rechts- und noch mehr der Staatswiſſenſchaften; namentlich iſt eine ſolche bei den letzteren ohne eine ſyſtematiſche Special- bildung der Verwaltungslehre nicht zu denken. Die Univerſi- täten werden erſt dann für das öffentliche Leben ihre wahre Stellung
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Vorbildung zu beſuchen und ohne alle Beſchränkung Collegien zu hören
oder nicht zu hören, wo der Betreffende nicht den Anſpruch macht ſpäter
in einen öffentlichen Beruf einzutreten. Die Verwaltung hat nur da
die Pflicht und damit auch das Recht zur Aufſtellung eines geſetzlichen
Studienplanes und eines öffentlichen Prüfungsſyſtems, wo große öffent-
liche Intereſſen der Thätigkeit des Einzelnen vom Publikum übergeben
werden müſſen; das Recht zur geſetzlichen Anordnung eines Studien-
planes aber beruht genau auf denſelben Gründen, wie das der Prü-
fungen, und der Kampf gegen den erſtern, ſoweit er nicht gegen eine
unverkennbare geiſtige Bevormundung in demſelben geht, iſt weſentlich
als eine hiſtoriſche Thatſache zu erkennen.
Dagegen hat der eben bezeichnete Gang der Dinge, die ſtrenge
Organiſirung der ſpeziellen Fachbildung an den Univerſitäten, in neue-
ſter Zeit eine zweite Univerſitätsfrage nahe gelegt, die hier aber wegen
ihrer innigen Beziehung zur Verwaltungslehre nicht übergangen werden
kann. Dieſelbe beruht auf der ſcharfen Trennung der Univerſitätsbil-
dung vom praktiſchen Berufe, aus der zum Theil eine Mißachtung der
erſteren hervorgegangen iſt. Die innere Geſchichte der Univerſitäten
zeigt uns ſchon im vorigen Jahrhundert das Entſtehen des Bewußt-
ſeins, daß die tüchtige Ausübung des Berufes neben der theoretiſchen
auch eine praktiſche Fachbildung fordere; die Entwicklung der Special-
bildung an den Univerſitäten geht daher Hand in Hand mit dem Be-
ſtreben, ſolche praktiſche Fachbildungseinrichtungen an die theoretiſchen
anzuſchließen. Dieß nun iſt bisher nur in einzelnen Fakultäten gelun-
gen. In der mediciniſchen iſt die Klinik ſogar ein integrirender Theil
der theoretiſchen Bildung geworden; in der philologiſchen ſehen wir
die philologiſchen, in der theologiſchen die theologiſchen Seminarien
entſtehen; nur in der juriſtiſchen iſt die deutſche Univerſität bisher nicht
fähig geweſen, etwas Aehnliches bei ſich auszubilden. Die praktiſche
Vorbildung iſt hier von der Univerſität getrennt, und zwar ſowohl für
die Rechtsverwaltung als für die übrigen Staatsbeamten. Das zeigt
ſich namentlich in dem nicht bloß der Univerſität, ſondern meiſt auch
der Wiſſenſchaft entfremdeten Dienſtprüfungsſyſtem, das dem Berufs-
prüfungsſyſtem ſelbſtändig folgt und ſich meiſt auf reine Spezialia,
ohne tiefere wiſſenſchaftliche Beziehungen, beſchränkt. Das iſt ein großer
Mangel. Aber er liegt nicht in der Praxis, ſondern er liegt in der
Theorie. Es fehlt geradezu an den Univerſitäten die praktiſche Rich-
tung der Rechts- und noch mehr der Staatswiſſenſchaften; namentlich
iſt eine ſolche bei den letzteren ohne eine ſyſtematiſche Special-
bildung der Verwaltungslehre nicht zu denken. Die Univerſi-
täten werden erſt dann für das öffentliche Leben ihre wahre Stellung
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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