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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Einzelnen immer lebendig sein, um ihn über die oft so harte und nieder-
drückende Begränzung seines besseren Selbst auf den engen Kreis seiner
Lebensaufgabe zu trösten und zu erheben; sie ist daher unbrauchbar, wie
Left und Sonnenlicht, aber wie sie unschätzbar für alles, was in ihnen
gedeihen soll. Und darum soll jede Berufsbildung neben ihrer speciellen
Aufgabe zugleich die allgemeine der höchsten, freiesten Bildung, wenn
nicht geradezu enthalten, so doch als Keim in den Geist des Menschen
legen, damit er denselben in sich mit eigener Arbeit auf seinem Lebens-
wege weiter ausbilde.

Den formellen Ausdruck dieser beiden großen Elemente aller Be-
rufsbildung bieten nun zwei Worte, welche aber vermöge jenes innern
Zusammenhanges mit der Idee des Berufes selbst mehr ein Princip
als ein System ausdrücken. Das sind die Vorbildung und die Fach-
bildung
.

Die Vorbildung für den Beruf bedeutet zwei Dinge zugleich und
steht demgemäß um so höher, je mehr beide neben einander zum Bewußt-
sein gebracht und zur Geltung gelangt sind. Einerseits enthält die Vor-
bildung die formelle Vorübung in den Kenntnissen und Fähigkeiten,
welche die praktische Thätigkeit in der bestimmten Lebensaufgabe voraus-
setzt. Allein andererseits hat die Vorbildung jene andere, zwar nicht
unmittelbar praktische, aber dennoch höhere Funktion, auf die wir oben
hingewiesen haben. Sie ist es nämlich, welche der Bildung des Ein-
zelnen jene allgemeine Grundlage geben soll, die der geistigen, organischen
Einheit aller Berufe zum Grunde liegt. Sie soll den Blick über die
Sphäre des Einzelnen hinausheben und die ganze Welt des geistigen
Lebens zeigen, ehe der Mensch sich der einzelnen begränzten Aufgabe
hingibt. Sie soll das Band sein, welches innerlich jeden Beruf mit
allen andern verbindet, die große Linie, welche von jedem Punkte der
menschlichen Arbeit auf den Mittelpunkt aller lebendigen Anschauung
und That zurückführt. Sie kann das zwar nicht durch Vollendung dessen,
was eine solche Bildung fordert; allein sie kann und soll es, indem sie
dem Einzelnen das Bewußtsein davon wach erhält und es ihm als Be-
gleiter in seinem Leben mitgibt. Ist durch sie die Fähigkeit gewonnen,
den Blick auf das Ganze zu richten und zu erhalten, hat sie jenes Be-
wußtsein zur Reife gebracht an bestimmten einzelnen Gebieten des mensch-
lichen Wissens, so kann nun die Fachbildung eintreten, das System,
welches das große Princip der Theilung der Arbeit in der geistigen
Welt verwirklicht und welche in diesem Sinne die für die nunmehr
scharf begränzte individuelle Lebensaufgabe geforderten Kenntnisse und
Fähigkeiten darbietet.

Auf diese Weise ergibt sich der Grundsatz, der das ganze Bildungs-

Einzelnen immer lebendig ſein, um ihn über die oft ſo harte und nieder-
drückende Begränzung ſeines beſſeren Selbſt auf den engen Kreis ſeiner
Lebensaufgabe zu tröſten und zu erheben; ſie iſt daher unbrauchbar, wie
Left und Sonnenlicht, aber wie ſie unſchätzbar für alles, was in ihnen
gedeihen ſoll. Und darum ſoll jede Berufsbildung neben ihrer ſpeciellen
Aufgabe zugleich die allgemeine der höchſten, freieſten Bildung, wenn
nicht geradezu enthalten, ſo doch als Keim in den Geiſt des Menſchen
legen, damit er denſelben in ſich mit eigener Arbeit auf ſeinem Lebens-
wege weiter ausbilde.

Den formellen Ausdruck dieſer beiden großen Elemente aller Be-
rufsbildung bieten nun zwei Worte, welche aber vermöge jenes innern
Zuſammenhanges mit der Idee des Berufes ſelbſt mehr ein Princip
als ein Syſtem ausdrücken. Das ſind die Vorbildung und die Fach-
bildung
.

Die Vorbildung für den Beruf bedeutet zwei Dinge zugleich und
ſteht demgemäß um ſo höher, je mehr beide neben einander zum Bewußt-
ſein gebracht und zur Geltung gelangt ſind. Einerſeits enthält die Vor-
bildung die formelle Vorübung in den Kenntniſſen und Fähigkeiten,
welche die praktiſche Thätigkeit in der beſtimmten Lebensaufgabe voraus-
ſetzt. Allein andererſeits hat die Vorbildung jene andere, zwar nicht
unmittelbar praktiſche, aber dennoch höhere Funktion, auf die wir oben
hingewieſen haben. Sie iſt es nämlich, welche der Bildung des Ein-
zelnen jene allgemeine Grundlage geben ſoll, die der geiſtigen, organiſchen
Einheit aller Berufe zum Grunde liegt. Sie ſoll den Blick über die
Sphäre des Einzelnen hinausheben und die ganze Welt des geiſtigen
Lebens zeigen, ehe der Menſch ſich der einzelnen begränzten Aufgabe
hingibt. Sie ſoll das Band ſein, welches innerlich jeden Beruf mit
allen andern verbindet, die große Linie, welche von jedem Punkte der
menſchlichen Arbeit auf den Mittelpunkt aller lebendigen Anſchauung
und That zurückführt. Sie kann das zwar nicht durch Vollendung deſſen,
was eine ſolche Bildung fordert; allein ſie kann und ſoll es, indem ſie
dem Einzelnen das Bewußtſein davon wach erhält und es ihm als Be-
gleiter in ſeinem Leben mitgibt. Iſt durch ſie die Fähigkeit gewonnen,
den Blick auf das Ganze zu richten und zu erhalten, hat ſie jenes Be-
wußtſein zur Reife gebracht an beſtimmten einzelnen Gebieten des menſch-
lichen Wiſſens, ſo kann nun die Fachbildung eintreten, das Syſtem,
welches das große Princip der Theilung der Arbeit in der geiſtigen
Welt verwirklicht und welche in dieſem Sinne die für die nunmehr
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Fähigkeiten darbietet.

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[151/0179] Einzelnen immer lebendig ſein, um ihn über die oft ſo harte und nieder- drückende Begränzung ſeines beſſeren Selbſt auf den engen Kreis ſeiner Lebensaufgabe zu tröſten und zu erheben; ſie iſt daher unbrauchbar, wie Left und Sonnenlicht, aber wie ſie unſchätzbar für alles, was in ihnen gedeihen ſoll. Und darum ſoll jede Berufsbildung neben ihrer ſpeciellen Aufgabe zugleich die allgemeine der höchſten, freieſten Bildung, wenn nicht geradezu enthalten, ſo doch als Keim in den Geiſt des Menſchen legen, damit er denſelben in ſich mit eigener Arbeit auf ſeinem Lebens- wege weiter ausbilde. Den formellen Ausdruck dieſer beiden großen Elemente aller Be- rufsbildung bieten nun zwei Worte, welche aber vermöge jenes innern Zuſammenhanges mit der Idee des Berufes ſelbſt mehr ein Princip als ein Syſtem ausdrücken. Das ſind die Vorbildung und die Fach- bildung. Die Vorbildung für den Beruf bedeutet zwei Dinge zugleich und ſteht demgemäß um ſo höher, je mehr beide neben einander zum Bewußt- ſein gebracht und zur Geltung gelangt ſind. Einerſeits enthält die Vor- bildung die formelle Vorübung in den Kenntniſſen und Fähigkeiten, welche die praktiſche Thätigkeit in der beſtimmten Lebensaufgabe voraus- ſetzt. Allein andererſeits hat die Vorbildung jene andere, zwar nicht unmittelbar praktiſche, aber dennoch höhere Funktion, auf die wir oben hingewieſen haben. Sie iſt es nämlich, welche der Bildung des Ein- zelnen jene allgemeine Grundlage geben ſoll, die der geiſtigen, organiſchen Einheit aller Berufe zum Grunde liegt. Sie ſoll den Blick über die Sphäre des Einzelnen hinausheben und die ganze Welt des geiſtigen Lebens zeigen, ehe der Menſch ſich der einzelnen begränzten Aufgabe hingibt. Sie ſoll das Band ſein, welches innerlich jeden Beruf mit allen andern verbindet, die große Linie, welche von jedem Punkte der menſchlichen Arbeit auf den Mittelpunkt aller lebendigen Anſchauung und That zurückführt. Sie kann das zwar nicht durch Vollendung deſſen, was eine ſolche Bildung fordert; allein ſie kann und ſoll es, indem ſie dem Einzelnen das Bewußtſein davon wach erhält und es ihm als Be- gleiter in ſeinem Leben mitgibt. Iſt durch ſie die Fähigkeit gewonnen, den Blick auf das Ganze zu richten und zu erhalten, hat ſie jenes Be- wußtſein zur Reife gebracht an beſtimmten einzelnen Gebieten des menſch- lichen Wiſſens, ſo kann nun die Fachbildung eintreten, das Syſtem, welches das große Princip der Theilung der Arbeit in der geiſtigen Welt verwirklicht und welche in dieſem Sinne die für die nunmehr ſcharf begränzte individuelle Lebensaufgabe geforderten Kenntniſſe und Fähigkeiten darbietet. Auf dieſe Weiſe ergibt ſich der Grundſatz, der das ganze Bildungs-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/179>, abgerufen am 24.11.2024.