Erziehung zusammenfällt, so daß man das Princip der Schulpflicht für diese in einer anderen Weise als durch den Schulbesuch verwirk- lichen muß. Diese letztere besteht nun darin, daß der Besitz der Ele- mentarkenntnisse zur Bedingung für die Aufnahme in die unterste Klasse der Berufsbildung macht, und daß auf diese Weise die unterste Klasse der Berufsbildungsanstalten als Schulen den Charakter der Elementarbildungsanstalten annehmen, ohne doch Volksschulen zu sein. Dieß Verhältniß ist so naturgemäß, daß es in allen Ländern Europas zur Geltung kommt; und man muß mithin davon ausgehen, daß einer der Hauptunterschiede der besitzenden und nicht besitzenden Klasse in dem Kriterium besteht, ob die Familien in der Lage sind, für ihre Kinder den Elementarunterricht mit der häuslichen Erziehung zu verbinden oder nicht; indem für die erste Klasse somit die Elementar- berufsbildung in der That als reine Elementarbildung erscheint, was für die zweite nicht der Fall ist. Dieß Verhältniß macht das reine Volksschulwesen und selbst den Begriff und Umfang der Elementar- bildung leicht unklar und ist der Grund, weßhalb sich die Literatur über den Begriff der Volksschule so wenig einig ist. Jedoch stellt sich der letztere sofort her, wenn man einen Schritt weiter geht.
Soll nämlich, mit Zurückgehen auf den reinen Begriff der Ele- mentarbildung, dieselbe einerseits für alle Staatsangehörigen gelten und die Einleitung für alle Bildung bieten, so muß die Verwaltung dieselbe so einrichten, daß sie so weit möglich die erste Erziehung mit der Elementarbildung verbindet, und daß sie zweitens die Elementar- bildung selbst zur Vorbildung für den Lebensberuf erhebt. Erst da- durch kann und wird das höchste Ziel erreicht werden, das das Volks- bildungswesen unsrer Epoche charakterisirt -- die Unabhängigkeit des Erwerbes geistiger Güter vom Besitze, und die Möglichkeit, diesen Erwerb für alle Klassen gleich zu machen. Und auf diesem Punkte nun wird die eigentliche Bedeutung der beiden Kategorien des Schulen- systems und des Klassensystems klar; denn hier erst gewinnt das öffent- liche Volksbildungswesen seine wahre sociale Bedeutung.
II. Wenn nämlich die Verwaltung jene Aufgaben in ihrem ganzen Umfange erfüllen soll, so darf sie nicht mehr bei der einfachen Volks- schule, wie sie eben im vorigen Jahrhundert bestand, stehen bleiben. Sie muß alsdann vielmehr mit den für die Elementarbildung bestimm- ten Anstalten zugleich die Erziehungsverhältnisse der niederen Klassen umfassen und selbst ganz specielle Verhältnisse Einzelner mit in ihre Thätigkeit aufnehmen. Sie muß daher statt der einfachen Ele- mentarvolksschule ein System von Schulen, selbst im weitesten Sinne des Wortes genommen, aufstellen. Diese müssen selbst bei der ersten
Erziehung zuſammenfällt, ſo daß man das Princip der Schulpflicht für dieſe in einer anderen Weiſe als durch den Schulbeſuch verwirk- lichen muß. Dieſe letztere beſteht nun darin, daß der Beſitz der Ele- mentarkenntniſſe zur Bedingung für die Aufnahme in die unterſte Klaſſe der Berufsbildung macht, und daß auf dieſe Weiſe die unterſte Klaſſe der Berufsbildungsanſtalten als Schulen den Charakter der Elementarbildungsanſtalten annehmen, ohne doch Volksſchulen zu ſein. Dieß Verhältniß iſt ſo naturgemäß, daß es in allen Ländern Europas zur Geltung kommt; und man muß mithin davon ausgehen, daß einer der Hauptunterſchiede der beſitzenden und nicht beſitzenden Klaſſe in dem Kriterium beſteht, ob die Familien in der Lage ſind, für ihre Kinder den Elementarunterricht mit der häuslichen Erziehung zu verbinden oder nicht; indem für die erſte Klaſſe ſomit die Elementar- berufsbildung in der That als reine Elementarbildung erſcheint, was für die zweite nicht der Fall iſt. Dieß Verhältniß macht das reine Volksſchulweſen und ſelbſt den Begriff und Umfang der Elementar- bildung leicht unklar und iſt der Grund, weßhalb ſich die Literatur über den Begriff der Volksſchule ſo wenig einig iſt. Jedoch ſtellt ſich der letztere ſofort her, wenn man einen Schritt weiter geht.
Soll nämlich, mit Zurückgehen auf den reinen Begriff der Ele- mentarbildung, dieſelbe einerſeits für alle Staatsangehörigen gelten und die Einleitung für alle Bildung bieten, ſo muß die Verwaltung dieſelbe ſo einrichten, daß ſie ſo weit möglich die erſte Erziehung mit der Elementarbildung verbindet, und daß ſie zweitens die Elementar- bildung ſelbſt zur Vorbildung für den Lebensberuf erhebt. Erſt da- durch kann und wird das höchſte Ziel erreicht werden, das das Volks- bildungsweſen unſrer Epoche charakteriſirt — die Unabhängigkeit des Erwerbes geiſtiger Güter vom Beſitze, und die Möglichkeit, dieſen Erwerb für alle Klaſſen gleich zu machen. Und auf dieſem Punkte nun wird die eigentliche Bedeutung der beiden Kategorien des Schulen- ſyſtems und des Klaſſenſyſtems klar; denn hier erſt gewinnt das öffent- liche Volksbildungsweſen ſeine wahre ſociale Bedeutung.
II. Wenn nämlich die Verwaltung jene Aufgaben in ihrem ganzen Umfange erfüllen ſoll, ſo darf ſie nicht mehr bei der einfachen Volks- ſchule, wie ſie eben im vorigen Jahrhundert beſtand, ſtehen bleiben. Sie muß alsdann vielmehr mit den für die Elementarbildung beſtimm- ten Anſtalten zugleich die Erziehungsverhältniſſe der niederen Klaſſen umfaſſen und ſelbſt ganz ſpecielle Verhältniſſe Einzelner mit in ihre Thätigkeit aufnehmen. Sie muß daher ſtatt der einfachen Ele- mentarvolksſchule ein Syſtem von Schulen, ſelbſt im weiteſten Sinne des Wortes genommen, aufſtellen. Dieſe müſſen ſelbſt bei der erſten
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Erziehung zuſammenfällt, ſo daß man das Princip der Schulpflicht
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lichen muß. Dieſe letztere beſteht nun darin, daß der Beſitz der Ele-
mentarkenntniſſe zur Bedingung für die Aufnahme in die unterſte
Klaſſe der Berufsbildung macht, und daß auf dieſe Weiſe die
unterſte Klaſſe der Berufsbildungsanſtalten als Schulen den Charakter
der Elementarbildungsanſtalten annehmen, ohne doch Volksſchulen zu
ſein. Dieß Verhältniß iſt ſo naturgemäß, daß es in allen Ländern
Europas zur Geltung kommt; und man muß mithin davon ausgehen,
daß einer der Hauptunterſchiede der beſitzenden und nicht beſitzenden
Klaſſe in dem Kriterium beſteht, ob die Familien in der Lage ſind,
für ihre Kinder den Elementarunterricht mit der häuslichen Erziehung
zu verbinden oder nicht; indem für die erſte Klaſſe ſomit die Elementar-
berufsbildung in der That als reine Elementarbildung erſcheint, was
für die zweite nicht der Fall iſt. Dieß Verhältniß macht das reine
Volksſchulweſen und ſelbſt den Begriff und Umfang der Elementar-
bildung leicht unklar und iſt der Grund, weßhalb ſich die Literatur
über den Begriff der Volksſchule ſo wenig einig iſt. Jedoch ſtellt ſich
der letztere ſofort her, wenn man einen Schritt weiter geht.
Soll nämlich, mit Zurückgehen auf den reinen Begriff der Ele-
mentarbildung, dieſelbe einerſeits für alle Staatsangehörigen gelten
und die Einleitung für alle Bildung bieten, ſo muß die Verwaltung
dieſelbe ſo einrichten, daß ſie ſo weit möglich die erſte Erziehung mit
der Elementarbildung verbindet, und daß ſie zweitens die Elementar-
bildung ſelbſt zur Vorbildung für den Lebensberuf erhebt. Erſt da-
durch kann und wird das höchſte Ziel erreicht werden, das das Volks-
bildungsweſen unſrer Epoche charakteriſirt — die Unabhängigkeit des
Erwerbes geiſtiger Güter vom Beſitze, und die Möglichkeit, dieſen
Erwerb für alle Klaſſen gleich zu machen. Und auf dieſem Punkte
nun wird die eigentliche Bedeutung der beiden Kategorien des Schulen-
ſyſtems und des Klaſſenſyſtems klar; denn hier erſt gewinnt das öffent-
liche Volksbildungsweſen ſeine wahre ſociale Bedeutung.
II. Wenn nämlich die Verwaltung jene Aufgaben in ihrem ganzen
Umfange erfüllen ſoll, ſo darf ſie nicht mehr bei der einfachen Volks-
ſchule, wie ſie eben im vorigen Jahrhundert beſtand, ſtehen bleiben.
Sie muß alsdann vielmehr mit den für die Elementarbildung beſtimm-
ten Anſtalten zugleich die Erziehungsverhältniſſe der niederen
Klaſſen umfaſſen und ſelbſt ganz ſpecielle Verhältniſſe Einzelner mit
in ihre Thätigkeit aufnehmen. Sie muß daher ſtatt der einfachen Ele-
mentarvolksſchule ein Syſtem von Schulen, ſelbſt im weiteſten Sinne
des Wortes genommen, aufſtellen. Dieſe müſſen ſelbſt bei der erſten
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/165>, abgerufen am 16.02.2025.
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