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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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sein sollen, und auf dem Zusammenwirken der Staatsbehörden, der
Gemeinden und der Geistlichkeit. Nur in seiner Verwaltung ist es
von dem deutschen Volksschulwesen grundsätzlich darin verschieden, daß
die Schulpflicht nicht gesetzlich eingeführt ist, und daß das Verhältniß
der Gemeinde wesentlich anders aufgefaßt wird, sowie daß das Lehrer-
wesen ohne alle Selbständigkeit ist. Die Aehnlichkeit ist daher vielmehr
eine formale, als eine wesentliche. Die Grundverhältnisse dieses öffent-
lichen Rechts sind folgende.

1) Das oberste Princip der Volksschulverwaltung ist hier wie in allen
Theilen der Administration publique die unbedingte Unterordnung der
Volksschule unter die Behörde, welche durch eine strenge Organisation
der Oberleitung bis ins Einzelne verwirklicht wird. Daß das Ganze
unter dem Ministre de l'Instruction publique steht, ist selbstverständ-
lich. Das Behördensystem (Begriff der Behörde s. in der vollziehenden
Gewalt) dagegen enthält eine scharfe und streng durchgeführte Tren-
nung der Vollziehung in zwei Organen, den Recteurs de l'Academie
(s. oben) und den Prefets. Die Recteurs haben nämlich die aus-
schließliche
Leitung der Lehre und der Erziehung (tout ce qui con-
cerne le gouvernement intellectuel et moral de l'enseignement)
.
Die Prefets dagegen haben die ebenso ausschließliche Verwaltung aller
persönlichen, wirthschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten der Schule,
namentlich die Errichtung von Schulen und die Anstellung der Lehrer;
die Personalverhältnisse der Lehrer sind ihnen namentlich unter völliger
Ausschließung des Recteur durch die Verordnung vom 22. August 1854
speciell übertragen. Der Lehrer ist daher geistig vom Recteur und materiell
vom Prefet vollständig abhängig, und die Bildung eines Lehrerstandes,
dieses wahren Kernes aller Volksbildung, grundsätzlich unmöglich
gemacht. Recteur und Prefet üben ihre Rechte vorzugsweise aus durch
das Institut der Inspektoren. Dieses Institut, eingeführt und or-
ganisirt durch das Gesetz von 1850 auch für die Volksschule, hat alle
Keime der Selbständigkeit der letztern
durch Anschluß an die
Selbstverwaltung gründlich vernichtet. So lange dasselbe in seiner jetzigen
Form besteht, ist keine Hebung des Volksschulwesens in Frankreich mög-
lich, weil keine Selbständigkeit des Lehrerstandes möglich ist (s. unten).
Die Inspektoren nämlich sind theils Inspecteurs d'academie, Oberin-
spektoren für die ganze Unterrichtsprovinz, die also auch die höheren
Bildungsanstalten überwachen, theils die Inspecteurs d'arrondissement
(pour l'instruction primaire),
die eigentlichen Schulräthe für die Volks-
schule. Die letzteren haben Bericht und Referat an den ersteren, der
erstere an den Recteur und den Prefet, je nach ihrer Competenz. Die
praktische Folge ist die souveraine Herrschaft des Inspecteur d'arron-

ſein ſollen, und auf dem Zuſammenwirken der Staatsbehörden, der
Gemeinden und der Geiſtlichkeit. Nur in ſeiner Verwaltung iſt es
von dem deutſchen Volksſchulweſen grundſätzlich darin verſchieden, daß
die Schulpflicht nicht geſetzlich eingeführt iſt, und daß das Verhältniß
der Gemeinde weſentlich anders aufgefaßt wird, ſowie daß das Lehrer-
weſen ohne alle Selbſtändigkeit iſt. Die Aehnlichkeit iſt daher vielmehr
eine formale, als eine weſentliche. Die Grundverhältniſſe dieſes öffent-
lichen Rechts ſind folgende.

1) Das oberſte Princip der Volksſchulverwaltung iſt hier wie in allen
Theilen der Administration publique die unbedingte Unterordnung der
Volksſchule unter die Behörde, welche durch eine ſtrenge Organiſation
der Oberleitung bis ins Einzelne verwirklicht wird. Daß das Ganze
unter dem Ministre de l’Instruction publique ſteht, iſt ſelbſtverſtänd-
lich. Das Behördenſyſtem (Begriff der Behörde ſ. in der vollziehenden
Gewalt) dagegen enthält eine ſcharfe und ſtreng durchgeführte Tren-
nung der Vollziehung in zwei Organen, den Recteurs de l’Académie
(ſ. oben) und den Préfets. Die Recteurs haben nämlich die aus-
ſchließliche
Leitung der Lehre und der Erziehung (tout ce qui con-
cerne le gouvernement intellectuel et moral de l’enseignement)
.
Die Préfets dagegen haben die ebenſo ausſchließliche Verwaltung aller
perſönlichen, wirthſchaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten der Schule,
namentlich die Errichtung von Schulen und die Anſtellung der Lehrer;
die Perſonalverhältniſſe der Lehrer ſind ihnen namentlich unter völliger
Ausſchließung des Recteur durch die Verordnung vom 22. Auguſt 1854
ſpeciell übertragen. Der Lehrer iſt daher geiſtig vom Recteur und materiell
vom Préfet vollſtändig abhängig, und die Bildung eines Lehrerſtandes,
dieſes wahren Kernes aller Volksbildung, grundſätzlich unmöglich
gemacht. Recteur und Préfet üben ihre Rechte vorzugsweiſe aus durch
das Inſtitut der Inſpektoren. Dieſes Inſtitut, eingeführt und or-
ganiſirt durch das Geſetz von 1850 auch für die Volksſchule, hat alle
Keime der Selbſtändigkeit der letztern
durch Anſchluß an die
Selbſtverwaltung gründlich vernichtet. So lange daſſelbe in ſeiner jetzigen
Form beſteht, iſt keine Hebung des Volksſchulweſens in Frankreich mög-
lich, weil keine Selbſtändigkeit des Lehrerſtandes möglich iſt (ſ. unten).
Die Inſpektoren nämlich ſind theils Inspecteurs d’académie, Oberin-
ſpektoren für die ganze Unterrichtsprovinz, die alſo auch die höheren
Bildungsanſtalten überwachen, theils die Inspecteurs d’arrondissement
(pour l’instruction primaire),
die eigentlichen Schulräthe für die Volks-
ſchule. Die letzteren haben Bericht und Referat an den erſteren, der
erſtere an den Recteur und den Préfet, je nach ihrer Competenz. Die
praktiſche Folge iſt die ſouveraine Herrſchaft des Inspecteur d’arron-

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[102/0130] ſein ſollen, und auf dem Zuſammenwirken der Staatsbehörden, der Gemeinden und der Geiſtlichkeit. Nur in ſeiner Verwaltung iſt es von dem deutſchen Volksſchulweſen grundſätzlich darin verſchieden, daß die Schulpflicht nicht geſetzlich eingeführt iſt, und daß das Verhältniß der Gemeinde weſentlich anders aufgefaßt wird, ſowie daß das Lehrer- weſen ohne alle Selbſtändigkeit iſt. Die Aehnlichkeit iſt daher vielmehr eine formale, als eine weſentliche. Die Grundverhältniſſe dieſes öffent- lichen Rechts ſind folgende. 1) Das oberſte Princip der Volksſchulverwaltung iſt hier wie in allen Theilen der Administration publique die unbedingte Unterordnung der Volksſchule unter die Behörde, welche durch eine ſtrenge Organiſation der Oberleitung bis ins Einzelne verwirklicht wird. Daß das Ganze unter dem Ministre de l’Instruction publique ſteht, iſt ſelbſtverſtänd- lich. Das Behördenſyſtem (Begriff der Behörde ſ. in der vollziehenden Gewalt) dagegen enthält eine ſcharfe und ſtreng durchgeführte Tren- nung der Vollziehung in zwei Organen, den Recteurs de l’Académie (ſ. oben) und den Préfets. Die Recteurs haben nämlich die aus- ſchließliche Leitung der Lehre und der Erziehung (tout ce qui con- cerne le gouvernement intellectuel et moral de l’enseignement). Die Préfets dagegen haben die ebenſo ausſchließliche Verwaltung aller perſönlichen, wirthſchaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten der Schule, namentlich die Errichtung von Schulen und die Anſtellung der Lehrer; die Perſonalverhältniſſe der Lehrer ſind ihnen namentlich unter völliger Ausſchließung des Recteur durch die Verordnung vom 22. Auguſt 1854 ſpeciell übertragen. Der Lehrer iſt daher geiſtig vom Recteur und materiell vom Préfet vollſtändig abhängig, und die Bildung eines Lehrerſtandes, dieſes wahren Kernes aller Volksbildung, grundſätzlich unmöglich gemacht. Recteur und Préfet üben ihre Rechte vorzugsweiſe aus durch das Inſtitut der Inſpektoren. Dieſes Inſtitut, eingeführt und or- ganiſirt durch das Geſetz von 1850 auch für die Volksſchule, hat alle Keime der Selbſtändigkeit der letztern durch Anſchluß an die Selbſtverwaltung gründlich vernichtet. So lange daſſelbe in ſeiner jetzigen Form beſteht, iſt keine Hebung des Volksſchulweſens in Frankreich mög- lich, weil keine Selbſtändigkeit des Lehrerſtandes möglich iſt (ſ. unten). Die Inſpektoren nämlich ſind theils Inspecteurs d’académie, Oberin- ſpektoren für die ganze Unterrichtsprovinz, die alſo auch die höheren Bildungsanſtalten überwachen, theils die Inspecteurs d’arrondissement (pour l’instruction primaire), die eigentlichen Schulräthe für die Volks- ſchule. Die letzteren haben Bericht und Referat an den erſteren, der erſtere an den Recteur und den Préfet, je nach ihrer Competenz. Die praktiſche Folge iſt die ſouveraine Herrſchaft des Inspecteur d’arron-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/130>, abgerufen am 27.04.2024.