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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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unterrichts, den beiden Klassen der staatsbürgerlichen Gesellschaft, den
Besitzenden und Nichtbesitzenden entsprechend. Diese beiden Grundformen
sind die Ecoles publiques und die Ecoles libres mit ihren
Pensionnats. Jene bilden das Elementarschulsystem der Verwaltung
des Staats, diese dasjenige der freien Unterrichtsthätigkeit. Und dieß ist
zunächst das Grundverhältniß in dem Elementarunterrichtswesen Frank-
reichs; dem Inhalte nach ähnlich wie in England, wo auch die be-
sitzende ihren von der nichtbesitzenden geschiedenen Elementarunterricht hat.
Nur in Einem Punkte unterscheidet sich das französische System wesentlich
von dem englischen. Während in dem letztern die Public schools den
Charakter und das Recht von Armenschulen haben, sowohl im Lehr-
wesen als in der Schulpflicht, haben die Ecoles publiques in Frank-
reich diesen Charakter eben so wenig als in Deutschland. Sie sind hier
wie dort Verwaltungsanstalten, im Princip für alle Kinder einge-
richtet, während der Elementarunterricht außerhalb der Volksschule
grundsätzlich als Ausnahme gilt, faktisch aber die Hauptsache bildet. In
England ist gerade das Umgekehrte der Fall; die Benutzung der Public
schools
ist rechtlich Ausnahme, und die Privats teaching ist Regel.
Und daraus ergeben sich dann die weiteren Unterschiede im öffentlichen
Schulrecht, ganz abgesehen von der Lehrordnung selbst, auf die wir
hier keine Rücksicht zu nehmen haben.

Jene Stellung der Ecoles publiques als der eigentlichen Staats-
schulen für den Elementarunterricht des ganzen Volkes fordert näm-
lich zunächst, daß die Unterrichtsgesetzgebung nicht, wie England, bloß
für die Armenschulinstitute, sondern für das ganze Reich gleichmäßig
gelte und daß daher das System der Volksschule gleichförmig für alle
Theile des Ganzen durchgeführt werde. Es folgt aber zweitens daraus,
daß auch das System der freien Elementarbildungsanstalten der ein-
heitlichen Gesetzgebung und der einheitlichen Oberaufsicht unterworfen
werde. Und so enthält nun das Volksschulwesen, oder vielmehr das,
was man in Frankreich als die "Instruction primaire" innerhalb der
Universite zusammenfaßt, drei Momente, welche seinen Charakter und
Inhalt bilden; das öffentliche Recht der Ecoles publiques, das öffent-
liche Recht der Ecoles libres, und endlich das Verhältniß zwischen jenen
beiden Grundformen des französischen Elementarunterrichts. Ohne Schei-
dung und selbständige Behandlung dieser drei Elemente läßt sich kein
klares Bild vom französischen Volksschulwesen geben.

A) Das System des Verwaltungsrechts der öffentlichen Elemen-
tarschulen der Instruction primaire beruht, nach dem deutschen Muster,
das der französischen Gesetzgebung vorgeschwebt hat, auf dem obersten
Princip, daß die Elementarschulen öffentliche und Staatsanstalten

unterrichts, den beiden Klaſſen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, den
Beſitzenden und Nichtbeſitzenden entſprechend. Dieſe beiden Grundformen
ſind die Écoles publiques und die Écoles libres mit ihren
Pensionnats. Jene bilden das Elementarſchulſyſtem der Verwaltung
des Staats, dieſe dasjenige der freien Unterrichtsthätigkeit. Und dieß iſt
zunächſt das Grundverhältniß in dem Elementarunterrichtsweſen Frank-
reichs; dem Inhalte nach ähnlich wie in England, wo auch die be-
ſitzende ihren von der nichtbeſitzenden geſchiedenen Elementarunterricht hat.
Nur in Einem Punkte unterſcheidet ſich das franzöſiſche Syſtem weſentlich
von dem engliſchen. Während in dem letztern die Public schools den
Charakter und das Recht von Armenſchulen haben, ſowohl im Lehr-
weſen als in der Schulpflicht, haben die Écoles publiques in Frank-
reich dieſen Charakter eben ſo wenig als in Deutſchland. Sie ſind hier
wie dort Verwaltungsanſtalten, im Princip für alle Kinder einge-
richtet, während der Elementarunterricht außerhalb der Volksſchule
grundſätzlich als Ausnahme gilt, faktiſch aber die Hauptſache bildet. In
England iſt gerade das Umgekehrte der Fall; die Benutzung der Public
schools
iſt rechtlich Ausnahme, und die Privats teaching iſt Regel.
Und daraus ergeben ſich dann die weiteren Unterſchiede im öffentlichen
Schulrecht, ganz abgeſehen von der Lehrordnung ſelbſt, auf die wir
hier keine Rückſicht zu nehmen haben.

Jene Stellung der Écoles publiques als der eigentlichen Staats-
ſchulen für den Elementarunterricht des ganzen Volkes fordert näm-
lich zunächſt, daß die Unterrichtsgeſetzgebung nicht, wie England, bloß
für die Armenſchulinſtitute, ſondern für das ganze Reich gleichmäßig
gelte und daß daher das Syſtem der Volksſchule gleichförmig für alle
Theile des Ganzen durchgeführt werde. Es folgt aber zweitens daraus,
daß auch das Syſtem der freien Elementarbildungsanſtalten der ein-
heitlichen Geſetzgebung und der einheitlichen Oberaufſicht unterworfen
werde. Und ſo enthält nun das Volksſchulweſen, oder vielmehr das,
was man in Frankreich als die „Instruction primaire“ innerhalb der
Université zuſammenfaßt, drei Momente, welche ſeinen Charakter und
Inhalt bilden; das öffentliche Recht der Écoles publiques, das öffent-
liche Recht der Écoles libres, und endlich das Verhältniß zwiſchen jenen
beiden Grundformen des franzöſiſchen Elementarunterrichts. Ohne Schei-
dung und ſelbſtändige Behandlung dieſer drei Elemente läßt ſich kein
klares Bild vom franzöſiſchen Volksſchulweſen geben.

A) Das Syſtem des Verwaltungsrechts der öffentlichen Elemen-
tarſchulen der Instruction primaire beruht, nach dem deutſchen Muſter,
das der franzöſiſchen Geſetzgebung vorgeſchwebt hat, auf dem oberſten
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[101/0129] unterrichts, den beiden Klaſſen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, den Beſitzenden und Nichtbeſitzenden entſprechend. Dieſe beiden Grundformen ſind die Écoles publiques und die Écoles libres mit ihren Pensionnats. Jene bilden das Elementarſchulſyſtem der Verwaltung des Staats, dieſe dasjenige der freien Unterrichtsthätigkeit. Und dieß iſt zunächſt das Grundverhältniß in dem Elementarunterrichtsweſen Frank- reichs; dem Inhalte nach ähnlich wie in England, wo auch die be- ſitzende ihren von der nichtbeſitzenden geſchiedenen Elementarunterricht hat. Nur in Einem Punkte unterſcheidet ſich das franzöſiſche Syſtem weſentlich von dem engliſchen. Während in dem letztern die Public schools den Charakter und das Recht von Armenſchulen haben, ſowohl im Lehr- weſen als in der Schulpflicht, haben die Écoles publiques in Frank- reich dieſen Charakter eben ſo wenig als in Deutſchland. Sie ſind hier wie dort Verwaltungsanſtalten, im Princip für alle Kinder einge- richtet, während der Elementarunterricht außerhalb der Volksſchule grundſätzlich als Ausnahme gilt, faktiſch aber die Hauptſache bildet. In England iſt gerade das Umgekehrte der Fall; die Benutzung der Public schools iſt rechtlich Ausnahme, und die Privats teaching iſt Regel. Und daraus ergeben ſich dann die weiteren Unterſchiede im öffentlichen Schulrecht, ganz abgeſehen von der Lehrordnung ſelbſt, auf die wir hier keine Rückſicht zu nehmen haben. Jene Stellung der Écoles publiques als der eigentlichen Staats- ſchulen für den Elementarunterricht des ganzen Volkes fordert näm- lich zunächſt, daß die Unterrichtsgeſetzgebung nicht, wie England, bloß für die Armenſchulinſtitute, ſondern für das ganze Reich gleichmäßig gelte und daß daher das Syſtem der Volksſchule gleichförmig für alle Theile des Ganzen durchgeführt werde. Es folgt aber zweitens daraus, daß auch das Syſtem der freien Elementarbildungsanſtalten der ein- heitlichen Geſetzgebung und der einheitlichen Oberaufſicht unterworfen werde. Und ſo enthält nun das Volksſchulweſen, oder vielmehr das, was man in Frankreich als die „Instruction primaire“ innerhalb der Université zuſammenfaßt, drei Momente, welche ſeinen Charakter und Inhalt bilden; das öffentliche Recht der Écoles publiques, das öffent- liche Recht der Écoles libres, und endlich das Verhältniß zwiſchen jenen beiden Grundformen des franzöſiſchen Elementarunterrichts. Ohne Schei- dung und ſelbſtändige Behandlung dieſer drei Elemente läßt ſich kein klares Bild vom franzöſiſchen Volksſchulweſen geben. A) Das Syſtem des Verwaltungsrechts der öffentlichen Elemen- tarſchulen der Instruction primaire beruht, nach dem deutſchen Muſter, das der franzöſiſchen Geſetzgebung vorgeſchwebt hat, auf dem oberſten Princip, daß die Elementarſchulen öffentliche und Staatsanſtalten

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/129>, abgerufen am 28.04.2024.