Die Stellung der neuen Verfassungen zum Volksschulwesen ist daher auch eine sehr abstrakte, ein unmittelbarer Einfluß derselben auf das letztere kommt nicht zur Erscheinung. Man sieht ihnen an, daß sie die Vollziehung ihrer Principien doch zuletzt allein von den Gemeinden und ihrer Verwaltung erwarten; ein Verständniß der entscheidenden Bedeutung der Lehrkörper findet sich auch nicht in den Verhand- lungen über die deutschen Grundrechte. Das Bezeichnendste der prak- tischen Unklarheit neben vollkommen richtigem Gefühl für die Haupt- sache ist es wohl, daß man die "Freiheit" des Lernens und Lehrens als die grundgesetzliche Hauptsache ansah und proclamirte, die gerade bei der Volksschule leicht mehr Uebel begründen als verhindern kann, wenn man sich darüber jede Aufhebung der Oberaufsicht denkt. Uebrigens dachte man wohl überhaupt bei der Lehr- und Lernfreiheit nur an die Wissenschaft und wenig an den Elementarunterricht. Die Auffassung des preußischen Rechts gut bei Rönne, Staatsrecht I. 199 und 200.
In Preußen nahm die Sache die bestimmteste Gestalt an, kam jedoch weder im Entwurf vom 20. Mai 1848 (§. 13), noch in der Verfassung vom 5. December 1848, noch in der Verfassung vom 31. Ja- nuar 1850 (Art. 20--26) über die allgemeine Anerkennung der "Lehr- und Lernfreiheit" hinaus, während das dort versprochene Unterrichts- Gesetz nicht erschienen ist. Doch hat Rönne (Staatsrecht §. 198) vollkommen Recht, wenn er sagt: "daß es als oberster Grundsatz für das Recht des Staates angesehen wird, von jedem seiner Mitglieder diejenige Geistes- und sittliche (?) Bildung zu fordern, durch welche dessen Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte bedingt wird, was schon das Allgemeine Landrecht II. 12 für den Elementarunterricht aussprach. Nur ist das nichts Neues für das Bildungsrecht. In der obigen Hauptfrage wird nichts berührt und geändert. Zöpfl hat in seiner zerfahrenen Weise dennoch das Meiste für die Geschichte des Volksschul- rechts innerhalb des Verfassungsrechts gethan. Schon vor 1848 war das Volksschulwesen in das Verfassungsrecht aufgenommen, und wenn auch nicht allgemein und nicht ganz gleichartig (württemberg. Ver- fassung von 1819 §. 84) als Verpflichtung des Staats ausgesprochen, während andere nur die Oberaufsicht desselben forderten (braun- schweig. Landesordnung 1832 §. 230; Kurhessen 1831 §. 137, Sachsen-Altenburg 1831 §. 25. 29). Nach 1848 wird die Auf- nahme in die Verfassungen allgemein, jedoch unklar, indem einige die Schulen für Gemeindeanstalten erklären, wie Oldenburg 1832 §. 83--89; Coburg 1852 §. 29; Reuß (Gesetz vom 10. Juni 1856); Luxemburg 1856 §. 23; andere für Staats anstalten (Sachsen-Altenburg §. 25. 29); Zöpfl §. 480. Dabei wird die Volksschule ausdrücklich unter
Die Stellung der neuen Verfaſſungen zum Volksſchulweſen iſt daher auch eine ſehr abſtrakte, ein unmittelbarer Einfluß derſelben auf das letztere kommt nicht zur Erſcheinung. Man ſieht ihnen an, daß ſie die Vollziehung ihrer Principien doch zuletzt allein von den Gemeinden und ihrer Verwaltung erwarten; ein Verſtändniß der entſcheidenden Bedeutung der Lehrkörper findet ſich auch nicht in den Verhand- lungen über die deutſchen Grundrechte. Das Bezeichnendſte der prak- tiſchen Unklarheit neben vollkommen richtigem Gefühl für die Haupt- ſache iſt es wohl, daß man die „Freiheit“ des Lernens und Lehrens als die grundgeſetzliche Hauptſache anſah und proclamirte, die gerade bei der Volksſchule leicht mehr Uebel begründen als verhindern kann, wenn man ſich darüber jede Aufhebung der Oberaufſicht denkt. Uebrigens dachte man wohl überhaupt bei der Lehr- und Lernfreiheit nur an die Wiſſenſchaft und wenig an den Elementarunterricht. Die Auffaſſung des preußiſchen Rechts gut bei Rönne, Staatsrecht I. 199 und 200.
In Preußen nahm die Sache die beſtimmteſte Geſtalt an, kam jedoch weder im Entwurf vom 20. Mai 1848 (§. 13), noch in der Verfaſſung vom 5. December 1848, noch in der Verfaſſung vom 31. Ja- nuar 1850 (Art. 20—26) über die allgemeine Anerkennung der „Lehr- und Lernfreiheit“ hinaus, während das dort verſprochene Unterrichts- Geſetz nicht erſchienen iſt. Doch hat Rönne (Staatsrecht §. 198) vollkommen Recht, wenn er ſagt: „daß es als oberſter Grundſatz für das Recht des Staates angeſehen wird, von jedem ſeiner Mitglieder diejenige Geiſtes- und ſittliche (?) Bildung zu fordern, durch welche deſſen Ausübung der ſtaatsbürgerlichen Rechte bedingt wird, was ſchon das Allgemeine Landrecht II. 12 für den Elementarunterricht ausſprach. Nur iſt das nichts Neues für das Bildungsrecht. In der obigen Hauptfrage wird nichts berührt und geändert. Zöpfl hat in ſeiner zerfahrenen Weiſe dennoch das Meiſte für die Geſchichte des Volksſchul- rechts innerhalb des Verfaſſungsrechts gethan. Schon vor 1848 war das Volksſchulweſen in das Verfaſſungsrecht aufgenommen, und wenn auch nicht allgemein und nicht ganz gleichartig (württemberg. Ver- faſſung von 1819 §. 84) als Verpflichtung des Staats ausgeſprochen, während andere nur die Oberaufſicht deſſelben forderten (braun- ſchweig. Landesordnung 1832 §. 230; Kurheſſen 1831 §. 137, Sachſen-Altenburg 1831 §. 25. 29). Nach 1848 wird die Auf- nahme in die Verfaſſungen allgemein, jedoch unklar, indem einige die Schulen für Gemeindeanſtalten erklären, wie Oldenburg 1832 §. 83—89; Coburg 1852 §. 29; Reuß (Geſetz vom 10. Juni 1856); Luxemburg 1856 §. 23; andere für Staats anſtalten (Sachſen-Altenburg §. 25. 29); Zöpfl §. 480. Dabei wird die Volksſchule ausdrücklich unter
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Die Stellung der neuen Verfaſſungen zum Volksſchulweſen iſt
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die Vollziehung ihrer Principien doch zuletzt allein von den Gemeinden
und ihrer Verwaltung erwarten; ein Verſtändniß der entſcheidenden
Bedeutung der Lehrkörper findet ſich auch nicht in den Verhand-
lungen über die deutſchen Grundrechte. Das Bezeichnendſte der prak-
tiſchen Unklarheit neben vollkommen richtigem Gefühl für die Haupt-
ſache iſt es wohl, daß man die „Freiheit“ des Lernens und Lehrens
als die grundgeſetzliche Hauptſache anſah und proclamirte, die gerade
bei der Volksſchule leicht mehr Uebel begründen als verhindern kann,
wenn man ſich darüber jede Aufhebung der Oberaufſicht denkt. Uebrigens
dachte man wohl überhaupt bei der Lehr- und Lernfreiheit nur an die
Wiſſenſchaft und wenig an den Elementarunterricht. Die Auffaſſung
des preußiſchen Rechts gut bei Rönne, Staatsrecht I. 199 und 200.
In Preußen nahm die Sache die beſtimmteſte Geſtalt an, kam
jedoch weder im Entwurf vom 20. Mai 1848 (§. 13), noch in der
Verfaſſung vom 5. December 1848, noch in der Verfaſſung vom 31. Ja-
nuar 1850 (Art. 20—26) über die allgemeine Anerkennung der „Lehr-
und Lernfreiheit“ hinaus, während das dort verſprochene Unterrichts-
Geſetz nicht erſchienen iſt. Doch hat Rönne (Staatsrecht §. 198)
vollkommen Recht, wenn er ſagt: „daß es als oberſter Grundſatz für
das Recht des Staates angeſehen wird, von jedem ſeiner Mitglieder
diejenige Geiſtes- und ſittliche (?) Bildung zu fordern, durch welche
deſſen Ausübung der ſtaatsbürgerlichen Rechte bedingt wird, was ſchon
das Allgemeine Landrecht II. 12 für den Elementarunterricht ausſprach.
Nur iſt das nichts Neues für das Bildungsrecht. In der obigen
Hauptfrage wird nichts berührt und geändert. Zöpfl hat in ſeiner
zerfahrenen Weiſe dennoch das Meiſte für die Geſchichte des Volksſchul-
rechts innerhalb des Verfaſſungsrechts gethan. Schon vor 1848 war
das Volksſchulweſen in das Verfaſſungsrecht aufgenommen, und wenn
auch nicht allgemein und nicht ganz gleichartig (württemberg. Ver-
faſſung von 1819 §. 84) als Verpflichtung des Staats ausgeſprochen,
während andere nur die Oberaufſicht deſſelben forderten (braun-
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Sachſen-Altenburg 1831 §. 25. 29). Nach 1848 wird die Auf-
nahme in die Verfaſſungen allgemein, jedoch unklar, indem einige die
Schulen für Gemeindeanſtalten erklären, wie Oldenburg 1832 §. 83—89;
Coburg 1852 §. 29; Reuß (Geſetz vom 10. Juni 1856); Luxemburg
1856 §. 23; andere für Staats anſtalten (Sachſen-Altenburg
§. 25. 29); Zöpfl §. 480. Dabei wird die Volksſchule ausdrücklich unter
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/118>, abgerufen am 16.07.2024.
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