Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn einerseits das Gute in der Aufstellung der Gendarmerie liegt,
daß sie die Waffenanwendung auf dieß bestimmte Organ beschränkt hat,
so ist andererseits die bedenkliche Folge nicht zu verkennen, daß der von
diesem militärischen Organe geforderte Gehorsam zugleich den Charakter
eines militärischen annimmt, da derselbe wenig geneigt ist und sein
kann, die Grundsätze des staatsbürgerlichen Gehorsams mit seinem Recht
auf passiven Widerstand anzuerkennen. Dieses Bedenken aber liegt so
tief in der Natur des Organs selber, daß es nicht möglich ist, es durch
seine innere Organisation zu ändern; denn diese muß vermöge der
Waffe eine militärische sein. Das einzige Gegengewicht dagegen, das
zugleich das an sich richtige Wesen derselben nicht ändert, ist die genaue
Competenzbestimmung zwischen ihr und der Polizei, und zweitens
die Verpflichtung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit vor dem bürger-
lichen, und nicht militärischen Gericht, für den wirklichen Gebrauch der
Waffe. Während der erste Theil meist trefflich organisirt ist, läßt der
zweite sehr viel zu wünschen übrig. Die erste Organisirung und Com-
petenzbestimmung ist schon im Code d'Instr. Crim. gegeben, (art. 32--46
und 48--49); genau ausgeführt im neuesten Decret vom 1. März 1854,
speziell Art. 238--268. Die leitenden Grundsätze sind: die Officiere der
Gendarmerie haben als Organe der gerichtlichen Polizei die Compe-
tenz zu allen Akten des procureur; in Betreff der Verwaltungspolizei
haben sie die Assistenz zu leisten, jedoch nur auf eine gesetzlich vorge-
schriebene formelle Aufforderung, Decret von 1854, Art. 91, 95. Die ver-
waltungs polizeilichen Berichte sind dem Prefet resp. Sousprefet (alle
5 Tage) abzustatten; die größern Störungen und Gefährdungen der öffent-
lichen Sicherheit sind dem Kriegsminister (!) zugleich mitzutheilen; in
Beziehung auf die Ueberwachung der öffentlichen Ordnung hat sie jedoch
wieder vom Minister des Innern ihre Instruktionen zu empfangen, speziell
in Beziehung auf Bettler, Vagabunden, entlassene Sträflinge u. s. w.
Sie haben die Verpflichtung, außerdem den procureurs alle Mitthei-
lungen zu machen, welche sich auf geschehene Verbrechen beziehen; aber
über das eigentliche Waffenrecht ist so wenig eine Bestimmung enthalten,
als über ihre strafrechtliche Haftbarkeit. Das preußische Recht steht
hier viel höher. Sie ward zuerst im Jahr 1812 eingeführt. Die neue
Organisation vom 20. December 1820 ist noch im Wesentlichen nicht
geändert. Dieselbe ist schon damals wesentlich als Hülfsorgan der
Polizei erklärt, obgleich sie ihre natürliche militärische Organisation
beibehalten hat. Ihre selbständigen Funktionen sind ungefähr dieselben,
wie in Frankreich; allein die einzelnen Gendarmen sind in ihren Dienst-
obliegenheiten, in der Anordnung und Ausführung derselben lediglich den
betreffenden Civilbehörden untergeordnet, während die Offiziere

Wenn einerſeits das Gute in der Aufſtellung der Gendarmerie liegt,
daß ſie die Waffenanwendung auf dieß beſtimmte Organ beſchränkt hat,
ſo iſt andererſeits die bedenkliche Folge nicht zu verkennen, daß der von
dieſem militäriſchen Organe geforderte Gehorſam zugleich den Charakter
eines militäriſchen annimmt, da derſelbe wenig geneigt iſt und ſein
kann, die Grundſätze des ſtaatsbürgerlichen Gehorſams mit ſeinem Recht
auf paſſiven Widerſtand anzuerkennen. Dieſes Bedenken aber liegt ſo
tief in der Natur des Organs ſelber, daß es nicht möglich iſt, es durch
ſeine innere Organiſation zu ändern; denn dieſe muß vermöge der
Waffe eine militäriſche ſein. Das einzige Gegengewicht dagegen, das
zugleich das an ſich richtige Weſen derſelben nicht ändert, iſt die genaue
Competenzbeſtimmung zwiſchen ihr und der Polizei, und zweitens
die Verpflichtung zur ſtrafrechtlichen Verantwortlichkeit vor dem bürger-
lichen, und nicht militäriſchen Gericht, für den wirklichen Gebrauch der
Waffe. Während der erſte Theil meiſt trefflich organiſirt iſt, läßt der
zweite ſehr viel zu wünſchen übrig. Die erſte Organiſirung und Com-
petenzbeſtimmung iſt ſchon im Code d’Instr. Crim. gegeben, (art. 32—46
und 48—49); genau ausgeführt im neueſten Decret vom 1. März 1854,
ſpeziell Art. 238—268. Die leitenden Grundſätze ſind: die Officiere der
Gendarmerie haben als Organe der gerichtlichen Polizei die Compe-
tenz zu allen Akten des procureur; in Betreff der Verwaltungspolizei
haben ſie die Aſſiſtenz zu leiſten, jedoch nur auf eine geſetzlich vorge-
ſchriebene formelle Aufforderung, Decret von 1854, Art. 91, 95. Die ver-
waltungs polizeilichen Berichte ſind dem Préfet resp. Souspréfet (alle
5 Tage) abzuſtatten; die größern Störungen und Gefährdungen der öffent-
lichen Sicherheit ſind dem Kriegsminiſter (!) zugleich mitzutheilen; in
Beziehung auf die Ueberwachung der öffentlichen Ordnung hat ſie jedoch
wieder vom Miniſter des Innern ihre Inſtruktionen zu empfangen, ſpeziell
in Beziehung auf Bettler, Vagabunden, entlaſſene Sträflinge u. ſ. w.
Sie haben die Verpflichtung, außerdem den procureurs alle Mitthei-
lungen zu machen, welche ſich auf geſchehene Verbrechen beziehen; aber
über das eigentliche Waffenrecht iſt ſo wenig eine Beſtimmung enthalten,
als über ihre ſtrafrechtliche Haftbarkeit. Das preußiſche Recht ſteht
hier viel höher. Sie ward zuerſt im Jahr 1812 eingeführt. Die neue
Organiſation vom 20. December 1820 iſt noch im Weſentlichen nicht
geändert. Dieſelbe iſt ſchon damals weſentlich als Hülfsorgan der
Polizei erklärt, obgleich ſie ihre natürliche militäriſche Organiſation
beibehalten hat. Ihre ſelbſtändigen Funktionen ſind ungefähr dieſelben,
wie in Frankreich; allein die einzelnen Gendarmen ſind in ihren Dienſt-
obliegenheiten, in der Anordnung und Ausführung derſelben lediglich den
betreffenden Civilbehörden untergeordnet, während die Offiziere

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0091" n="69"/>
Wenn einer&#x017F;eits das Gute in der Auf&#x017F;tellung der Gendarmerie liegt,<lb/>
daß &#x017F;ie die Waffenanwendung auf dieß be&#x017F;timmte Organ be&#x017F;chränkt hat,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t anderer&#x017F;eits die bedenkliche Folge nicht zu verkennen, daß der von<lb/>
die&#x017F;em militäri&#x017F;chen Organe geforderte Gehor&#x017F;am zugleich den Charakter<lb/>
eines militäri&#x017F;chen annimmt, da der&#x017F;elbe wenig geneigt i&#x017F;t und &#x017F;ein<lb/>
kann, die Grund&#x017F;ätze des &#x017F;taatsbürgerlichen Gehor&#x017F;ams mit &#x017F;einem Recht<lb/>
auf pa&#x017F;&#x017F;iven Wider&#x017F;tand anzuerkennen. Die&#x017F;es Bedenken aber liegt &#x017F;o<lb/>
tief in der Natur des Organs &#x017F;elber, daß es nicht möglich i&#x017F;t, es durch<lb/>
&#x017F;eine innere Organi&#x017F;ation zu ändern; denn die&#x017F;e <hi rendition="#g">muß</hi> vermöge der<lb/>
Waffe eine militäri&#x017F;che &#x017F;ein. Das einzige Gegengewicht dagegen, das<lb/>
zugleich das an &#x017F;ich richtige We&#x017F;en der&#x017F;elben nicht ändert, i&#x017F;t die genaue<lb/><hi rendition="#g">Competenzbe&#x017F;timmung</hi> zwi&#x017F;chen ihr und der Polizei, und zweitens<lb/>
die Verpflichtung zur &#x017F;trafrechtlichen Verantwortlichkeit vor dem bürger-<lb/>
lichen, und nicht militäri&#x017F;chen Gericht, für den wirklichen Gebrauch der<lb/>
Waffe. Während der er&#x017F;te Theil mei&#x017F;t trefflich organi&#x017F;irt i&#x017F;t, läßt der<lb/>
zweite &#x017F;ehr viel zu wün&#x017F;chen übrig. Die <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> Organi&#x017F;irung und Com-<lb/>
petenzbe&#x017F;timmung i&#x017F;t &#x017F;chon im <hi rendition="#aq">Code d&#x2019;Instr. Crim.</hi> gegeben, (<hi rendition="#aq">art.</hi> 32&#x2014;46<lb/>
und 48&#x2014;49); genau ausgeführt im neue&#x017F;ten Decret vom 1. März 1854,<lb/>
&#x017F;peziell Art. 238&#x2014;268. Die leitenden Grund&#x017F;ätze &#x017F;ind: die Officiere der<lb/>
Gendarmerie haben als Organe der <hi rendition="#g">gerichtlichen</hi> Polizei die Compe-<lb/>
tenz zu allen Akten des <hi rendition="#aq">procureur;</hi> in Betreff der Verwaltungspolizei<lb/>
haben &#x017F;ie die <hi rendition="#g">A&#x017F;&#x017F;i&#x017F;tenz</hi> zu lei&#x017F;ten, jedoch nur auf eine ge&#x017F;etzlich vorge-<lb/>
&#x017F;chriebene formelle Aufforderung, Decret von 1854, Art. 91, 95. Die ver-<lb/>
waltungs polizeilichen <hi rendition="#g">Berichte</hi> &#x017F;ind dem <hi rendition="#aq">Préfet resp. Souspréfet</hi> (alle<lb/>
5 Tage) abzu&#x017F;tatten; die größern Störungen und Gefährdungen der öffent-<lb/>
lichen Sicherheit &#x017F;ind dem Kriegsmini&#x017F;ter (!) zugleich mitzutheilen; in<lb/>
Beziehung auf die Ueberwachung der öffentlichen Ordnung hat &#x017F;ie jedoch<lb/>
wieder vom Mini&#x017F;ter des Innern ihre In&#x017F;truktionen zu empfangen, &#x017F;peziell<lb/>
in Beziehung auf Bettler, Vagabunden, entla&#x017F;&#x017F;ene Sträflinge u. &#x017F;. w.<lb/>
Sie haben die Verpflichtung, außerdem den <hi rendition="#aq">procureurs</hi> alle Mitthei-<lb/>
lungen zu machen, welche &#x017F;ich auf ge&#x017F;chehene Verbrechen beziehen; aber<lb/>
über das eigentliche Waffenrecht i&#x017F;t &#x017F;o wenig eine Be&#x017F;timmung enthalten,<lb/>
als über ihre &#x017F;trafrechtliche Haftbarkeit. Das <hi rendition="#g">preußi&#x017F;che</hi> Recht &#x017F;teht<lb/>
hier viel höher. Sie ward zuer&#x017F;t im Jahr 1812 eingeführt. Die neue<lb/>
Organi&#x017F;ation vom 20. December 1820 i&#x017F;t noch im We&#x017F;entlichen nicht<lb/>
geändert. Die&#x017F;elbe i&#x017F;t &#x017F;chon damals we&#x017F;entlich als <hi rendition="#g">Hülfsorgan</hi> der<lb/>
Polizei erklärt, obgleich &#x017F;ie ihre natürliche militäri&#x017F;che Organi&#x017F;ation<lb/>
beibehalten hat. Ihre &#x017F;elb&#x017F;tändigen Funktionen &#x017F;ind ungefähr die&#x017F;elben,<lb/>
wie in Frankreich; allein die einzelnen Gendarmen &#x017F;ind in ihren Dien&#x017F;t-<lb/>
obliegenheiten, in der Anordnung und Ausführung der&#x017F;elben lediglich den<lb/><hi rendition="#g">betreffenden Civilbehörden</hi> untergeordnet, während die Offiziere<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0091] Wenn einerſeits das Gute in der Aufſtellung der Gendarmerie liegt, daß ſie die Waffenanwendung auf dieß beſtimmte Organ beſchränkt hat, ſo iſt andererſeits die bedenkliche Folge nicht zu verkennen, daß der von dieſem militäriſchen Organe geforderte Gehorſam zugleich den Charakter eines militäriſchen annimmt, da derſelbe wenig geneigt iſt und ſein kann, die Grundſätze des ſtaatsbürgerlichen Gehorſams mit ſeinem Recht auf paſſiven Widerſtand anzuerkennen. Dieſes Bedenken aber liegt ſo tief in der Natur des Organs ſelber, daß es nicht möglich iſt, es durch ſeine innere Organiſation zu ändern; denn dieſe muß vermöge der Waffe eine militäriſche ſein. Das einzige Gegengewicht dagegen, das zugleich das an ſich richtige Weſen derſelben nicht ändert, iſt die genaue Competenzbeſtimmung zwiſchen ihr und der Polizei, und zweitens die Verpflichtung zur ſtrafrechtlichen Verantwortlichkeit vor dem bürger- lichen, und nicht militäriſchen Gericht, für den wirklichen Gebrauch der Waffe. Während der erſte Theil meiſt trefflich organiſirt iſt, läßt der zweite ſehr viel zu wünſchen übrig. Die erſte Organiſirung und Com- petenzbeſtimmung iſt ſchon im Code d’Instr. Crim. gegeben, (art. 32—46 und 48—49); genau ausgeführt im neueſten Decret vom 1. März 1854, ſpeziell Art. 238—268. Die leitenden Grundſätze ſind: die Officiere der Gendarmerie haben als Organe der gerichtlichen Polizei die Compe- tenz zu allen Akten des procureur; in Betreff der Verwaltungspolizei haben ſie die Aſſiſtenz zu leiſten, jedoch nur auf eine geſetzlich vorge- ſchriebene formelle Aufforderung, Decret von 1854, Art. 91, 95. Die ver- waltungs polizeilichen Berichte ſind dem Préfet resp. Souspréfet (alle 5 Tage) abzuſtatten; die größern Störungen und Gefährdungen der öffent- lichen Sicherheit ſind dem Kriegsminiſter (!) zugleich mitzutheilen; in Beziehung auf die Ueberwachung der öffentlichen Ordnung hat ſie jedoch wieder vom Miniſter des Innern ihre Inſtruktionen zu empfangen, ſpeziell in Beziehung auf Bettler, Vagabunden, entlaſſene Sträflinge u. ſ. w. Sie haben die Verpflichtung, außerdem den procureurs alle Mitthei- lungen zu machen, welche ſich auf geſchehene Verbrechen beziehen; aber über das eigentliche Waffenrecht iſt ſo wenig eine Beſtimmung enthalten, als über ihre ſtrafrechtliche Haftbarkeit. Das preußiſche Recht ſteht hier viel höher. Sie ward zuerſt im Jahr 1812 eingeführt. Die neue Organiſation vom 20. December 1820 iſt noch im Weſentlichen nicht geändert. Dieſelbe iſt ſchon damals weſentlich als Hülfsorgan der Polizei erklärt, obgleich ſie ihre natürliche militäriſche Organiſation beibehalten hat. Ihre ſelbſtändigen Funktionen ſind ungefähr dieſelben, wie in Frankreich; allein die einzelnen Gendarmen ſind in ihren Dienſt- obliegenheiten, in der Anordnung und Ausführung derſelben lediglich den betreffenden Civilbehörden untergeordnet, während die Offiziere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/91
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/91>, abgerufen am 02.05.2024.