für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und auf diese Weise wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es die Sicherheit aller gewährt, andererseits als eine Gefährdung der öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erscheinen.
Es ist dieß der Punkt, auf welchem sich die mit dem vorigen Jahrhundert entstehende tiefe Abneigung gegen ein Institut und ein Recht erklärt, dessen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie- mandem bezweifelt ward. So wie die staatsbürgerliche Gesellschaft auf- tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi- duellen Rechtssphäre die erste Bedingung der staatsbürgerlichen Freiheit und Entwicklung, und daß daher in jener Gestalt des Polizeirechts der lebendige und demnach nie zu beseitigende Feind der freien Bewegung des Volks gegeben sei. Dieser Gegensatz charakterisirt nun das Ende des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und der Haupteindruck desselben besteht in der Thatsache, daß man über- haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des Rechts der Polizei kommt, sondern von vorn herein geneigt ist, alles, was "Polizei" bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs- willkür anzusehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward, daß man ohnehin keine Selbstverwaltung zuließ, und das Vereinswesen auf der niedersten Stufe stand. Das war im Allgemeinen der Stand- punkt dieser Zeit; derselbe ist aber kein europäischer, sondern ein spe- cifisch deutscher, indem Frankreich schon damals die Polizei mit ihrem Recht sehr klar anerkannte und behandelte, während England sie durch seine Gesetze mit vollem Bewußtsein auf ihr geringstes Maß zurück- führte. Auch in Deutschland wird dieß mit dem Siege der freien Auf- fassung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen- wärtig stehen.
So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieste Verfas- sung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher nicht in der Beseitigung der Polizei, sondern vielmehr in der Zurück- führung derselben auf ihr richtiges Maß die wahre Aufgabe der staatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entstand das Streben, diese Beschränkung derselben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher- heit auch wirklich zu formuliren, und so mit der Sicherung des Ein- zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be- wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus diesem Streben entsteht nun das, was wir das verfassungsmäßige Polizeirecht nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein wesentlich charak- teristisches Element des gesammten öffentlichen Rechts bildet.
für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und auf dieſe Weiſe wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es die Sicherheit aller gewährt, andererſeits als eine Gefährdung der öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erſcheinen.
Es iſt dieß der Punkt, auf welchem ſich die mit dem vorigen Jahrhundert entſtehende tiefe Abneigung gegen ein Inſtitut und ein Recht erklärt, deſſen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie- mandem bezweifelt ward. So wie die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft auf- tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi- duellen Rechtsſphäre die erſte Bedingung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit und Entwicklung, und daß daher in jener Geſtalt des Polizeirechts der lebendige und demnach nie zu beſeitigende Feind der freien Bewegung des Volks gegeben ſei. Dieſer Gegenſatz charakteriſirt nun das Ende des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und der Haupteindruck deſſelben beſteht in der Thatſache, daß man über- haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des Rechts der Polizei kommt, ſondern von vorn herein geneigt iſt, alles, was „Polizei“ bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs- willkür anzuſehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward, daß man ohnehin keine Selbſtverwaltung zuließ, und das Vereinsweſen auf der niederſten Stufe ſtand. Das war im Allgemeinen der Stand- punkt dieſer Zeit; derſelbe iſt aber kein europäiſcher, ſondern ein ſpe- cifiſch deutſcher, indem Frankreich ſchon damals die Polizei mit ihrem Recht ſehr klar anerkannte und behandelte, während England ſie durch ſeine Geſetze mit vollem Bewußtſein auf ihr geringſtes Maß zurück- führte. Auch in Deutſchland wird dieß mit dem Siege der freien Auf- faſſung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen- wärtig ſtehen.
So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieſte Verfaſ- ſung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher nicht in der Beſeitigung der Polizei, ſondern vielmehr in der Zurück- führung derſelben auf ihr richtiges Maß die wahre Aufgabe der ſtaatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entſtand das Streben, dieſe Beſchränkung derſelben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher- heit auch wirklich zu formuliren, und ſo mit der Sicherung des Ein- zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be- wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus dieſem Streben entſteht nun das, was wir das verfaſſungsmäßige Polizeirecht nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein weſentlich charak- teriſtiſches Element des geſammten öffentlichen Rechts bildet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0050"n="28"/>
für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und<lb/>
auf dieſe Weiſe wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es<lb/>
die Sicherheit aller gewährt, andererſeits als eine <hirendition="#g">Gefährdung der<lb/>
öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erſcheinen</hi>.</p><lb/><p>Es iſt dieß der Punkt, auf welchem ſich die mit dem vorigen<lb/>
Jahrhundert entſtehende tiefe Abneigung gegen ein Inſtitut und ein<lb/>
Recht erklärt, deſſen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie-<lb/>
mandem bezweifelt ward. So wie die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft auf-<lb/>
tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi-<lb/>
duellen Rechtsſphäre die erſte Bedingung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit<lb/>
und Entwicklung, und daß daher in jener Geſtalt des Polizeirechts<lb/>
der lebendige und demnach nie zu beſeitigende Feind der freien Bewegung<lb/>
des Volks gegeben ſei. Dieſer Gegenſatz charakteriſirt nun das Ende<lb/>
des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und<lb/>
der Haupteindruck deſſelben beſteht in der Thatſache, daß man über-<lb/>
haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des <hirendition="#g">Rechts</hi><lb/>
der Polizei kommt, ſondern von vorn herein geneigt iſt, alles, was<lb/>„Polizei“ bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs-<lb/>
willkür anzuſehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward,<lb/>
daß man ohnehin keine Selbſtverwaltung zuließ, und das Vereinsweſen<lb/>
auf der niederſten Stufe ſtand. Das war im Allgemeinen der Stand-<lb/>
punkt dieſer Zeit; derſelbe iſt aber kein europäiſcher, ſondern ein ſpe-<lb/>
cifiſch deutſcher, indem Frankreich ſchon damals die Polizei mit ihrem<lb/>
Recht ſehr klar anerkannte und behandelte, während England ſie durch<lb/>ſeine Geſetze mit vollem Bewußtſein auf ihr geringſtes Maß zurück-<lb/>
führte. Auch in Deutſchland wird dieß mit dem Siege der freien Auf-<lb/>
faſſung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen-<lb/>
wärtig ſtehen.</p><lb/><p>So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen<lb/>
Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieſte Verfaſ-<lb/>ſung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher<lb/>
nicht in der Beſeitigung der Polizei, ſondern vielmehr in der Zurück-<lb/>
führung derſelben auf ihr <hirendition="#g">richtiges Maß</hi> die wahre Aufgabe der<lb/>ſtaatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entſtand das Streben, dieſe<lb/>
Beſchränkung derſelben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher-<lb/>
heit auch wirklich zu formuliren, und ſo mit der Sicherung des Ein-<lb/>
zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be-<lb/>
wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus dieſem Streben<lb/>
entſteht nun das, was wir das <hirendition="#g">verfaſſungsmäßige Polizeirecht</hi><lb/>
nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein weſentlich charak-<lb/>
teriſtiſches Element des geſammten öffentlichen Rechts bildet.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[28/0050]
für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und
auf dieſe Weiſe wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es
die Sicherheit aller gewährt, andererſeits als eine Gefährdung der
öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erſcheinen.
Es iſt dieß der Punkt, auf welchem ſich die mit dem vorigen
Jahrhundert entſtehende tiefe Abneigung gegen ein Inſtitut und ein
Recht erklärt, deſſen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie-
mandem bezweifelt ward. So wie die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft auf-
tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi-
duellen Rechtsſphäre die erſte Bedingung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit
und Entwicklung, und daß daher in jener Geſtalt des Polizeirechts
der lebendige und demnach nie zu beſeitigende Feind der freien Bewegung
des Volks gegeben ſei. Dieſer Gegenſatz charakteriſirt nun das Ende
des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und
der Haupteindruck deſſelben beſteht in der Thatſache, daß man über-
haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des Rechts
der Polizei kommt, ſondern von vorn herein geneigt iſt, alles, was
„Polizei“ bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs-
willkür anzuſehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward,
daß man ohnehin keine Selbſtverwaltung zuließ, und das Vereinsweſen
auf der niederſten Stufe ſtand. Das war im Allgemeinen der Stand-
punkt dieſer Zeit; derſelbe iſt aber kein europäiſcher, ſondern ein ſpe-
cifiſch deutſcher, indem Frankreich ſchon damals die Polizei mit ihrem
Recht ſehr klar anerkannte und behandelte, während England ſie durch
ſeine Geſetze mit vollem Bewußtſein auf ihr geringſtes Maß zurück-
führte. Auch in Deutſchland wird dieß mit dem Siege der freien Auf-
faſſung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen-
wärtig ſtehen.
So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen
Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieſte Verfaſ-
ſung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher
nicht in der Beſeitigung der Polizei, ſondern vielmehr in der Zurück-
führung derſelben auf ihr richtiges Maß die wahre Aufgabe der
ſtaatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entſtand das Streben, dieſe
Beſchränkung derſelben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher-
heit auch wirklich zu formuliren, und ſo mit der Sicherung des Ein-
zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be-
wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus dieſem Streben
entſteht nun das, was wir das verfaſſungsmäßige Polizeirecht
nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein weſentlich charak-
teriſtiſches Element des geſammten öffentlichen Rechts bildet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/50>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.