Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

der persönlichen Freiheit durch die Organe und im Interesse der
Gemeinschaft überhaupt, also auch bei öffentlichen Gefährdungen noth-
wendig und berechtigt sein könne, hat der Begriff der Verwaltung
entwickelt, welchem sie als immanenter Theil angehört. Das Wesen
der freien Persönlichkeit fordert aber andererseits, daß diese polizeiliche
Beschränkung nicht in der Willkür der Polizeiorgane liege, sondern
selbst wieder eine feste, durch den allgemeinen Willen gesetzte Gränze
habe. Und die Gesammtheit von Grundsätzen, Regeln und geltenden
Bestimmungen, welche der polizeilichen Funktion überhaupt gegenüber
der persönlichen Freiheit eine solche Gränze geben, bilden das
Polizeirecht.

Dieser allgemeine Begriff des Polizeirechts umfaßt daher allerdings
die finanzielle und die gerichtliche sowohl als die Verwaltungspolizei.
Es ist eine der großen Voraussetzungen der staatsbürgerlichen Freiheit,
daß es gar keinen Akt der gesammten polizeilichen Thätigkeit gebe,
dem nicht das ihm entsprechende Polizeirecht zur Seite stehe. Wenn
die Polizei selbst die organische Bedingung der Gesammtentwicklung
dadurch ist, daß sie dem Einzelnen wie der Gesammtordnung das Ele-
ment der öffentlichen Sicherheit gibt, so ist das Polizeirecht das
Corollar derselben, indem es dem Einzelnen wie der Gesammtheit die
zweite große Bedingung aller Entwicklung, die Freiheit der indivi-
duellen Rechtssphäre, gewährleistet. Das ist die organische Stellung
und Bedeutung des Polizeirechts überhaupt neben der der Polizei.

II. Aus diesem Wesen des Polizeirechts hat sich nun zunächst der
Gang der Geschichte desselben und sein Verständniß in der Lehre des
öffentlichen Rechts ergeben. Die sehr große und zum Theil sehr ver-
worrene Bewegung, welche das Gebiet des Polizeirechts im Allgemeinen
umfaßt, namentlich ohne strenge Unterscheidung der gerichtlichen und
Verwaltungspolizei, läßt sich in folgende Hauptgruppen zusammenfassen.

Die Geschlechterordnung hat noch gar keine selbständige Polizei,
weil sie noch keine selbständige Verwaltung hat. Selbst die Verpflich-
tung gegen die Friedensbrecher, welche an die gerichtliche Polizei erin-
nert, ist doch im Grunde nur Nothwehr. Die ständische Gesellschafts-
ordnung dagegen entwickelt bereits die Polizei als Thatsache; aber zum
Begriffe eines öffentlichen Polizeirechts gelangt auch sie nicht, weil
die Grundherrlichkeiten und Körperschaften, die die Polizei ausüben,
zugleich die Funktion der Gesetzgebung, der Verordnung und des Ge-
richts mit der der Polizei in demselben Organ vereinigen, was den
Begriff des individuellen Rechts gegenüber diesem Organe so gut auf-
hebt, wie der Begriff des Gesetzes es in der staatsbürgerlichen Gesell-
schaft thut. Um den Begriff und Inhalt des Polizeirechts selbständig

der perſönlichen Freiheit durch die Organe und im Intereſſe der
Gemeinſchaft überhaupt, alſo auch bei öffentlichen Gefährdungen noth-
wendig und berechtigt ſein könne, hat der Begriff der Verwaltung
entwickelt, welchem ſie als immanenter Theil angehört. Das Weſen
der freien Perſönlichkeit fordert aber andererſeits, daß dieſe polizeiliche
Beſchränkung nicht in der Willkür der Polizeiorgane liege, ſondern
ſelbſt wieder eine feſte, durch den allgemeinen Willen geſetzte Gränze
habe. Und die Geſammtheit von Grundſätzen, Regeln und geltenden
Beſtimmungen, welche der polizeilichen Funktion überhaupt gegenüber
der perſönlichen Freiheit eine ſolche Gränze geben, bilden das
Polizeirecht.

Dieſer allgemeine Begriff des Polizeirechts umfaßt daher allerdings
die finanzielle und die gerichtliche ſowohl als die Verwaltungspolizei.
Es iſt eine der großen Vorausſetzungen der ſtaatsbürgerlichen Freiheit,
daß es gar keinen Akt der geſammten polizeilichen Thätigkeit gebe,
dem nicht das ihm entſprechende Polizeirecht zur Seite ſtehe. Wenn
die Polizei ſelbſt die organiſche Bedingung der Geſammtentwicklung
dadurch iſt, daß ſie dem Einzelnen wie der Geſammtordnung das Ele-
ment der öffentlichen Sicherheit gibt, ſo iſt das Polizeirecht das
Corollar derſelben, indem es dem Einzelnen wie der Geſammtheit die
zweite große Bedingung aller Entwicklung, die Freiheit der indivi-
duellen Rechtsſphäre, gewährleiſtet. Das iſt die organiſche Stellung
und Bedeutung des Polizeirechts überhaupt neben der der Polizei.

II. Aus dieſem Weſen des Polizeirechts hat ſich nun zunächſt der
Gang der Geſchichte deſſelben und ſein Verſtändniß in der Lehre des
öffentlichen Rechts ergeben. Die ſehr große und zum Theil ſehr ver-
worrene Bewegung, welche das Gebiet des Polizeirechts im Allgemeinen
umfaßt, namentlich ohne ſtrenge Unterſcheidung der gerichtlichen und
Verwaltungspolizei, läßt ſich in folgende Hauptgruppen zuſammenfaſſen.

Die Geſchlechterordnung hat noch gar keine ſelbſtändige Polizei,
weil ſie noch keine ſelbſtändige Verwaltung hat. Selbſt die Verpflich-
tung gegen die Friedensbrecher, welche an die gerichtliche Polizei erin-
nert, iſt doch im Grunde nur Nothwehr. Die ſtändiſche Geſellſchafts-
ordnung dagegen entwickelt bereits die Polizei als Thatſache; aber zum
Begriffe eines öffentlichen Polizeirechts gelangt auch ſie nicht, weil
die Grundherrlichkeiten und Körperſchaften, die die Polizei ausüben,
zugleich die Funktion der Geſetzgebung, der Verordnung und des Ge-
richts mit der der Polizei in demſelben Organ vereinigen, was den
Begriff des individuellen Rechts gegenüber dieſem Organe ſo gut auf-
hebt, wie der Begriff des Geſetzes es in der ſtaatsbürgerlichen Geſell-
ſchaft thut. Um den Begriff und Inhalt des Polizeirechts ſelbſtändig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="7"/>
der per&#x017F;önlichen Freiheit durch die Organe und im Intere&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Gemein&#x017F;chaft überhaupt, al&#x017F;o auch bei öffentlichen Gefährdungen noth-<lb/>
wendig und berechtigt &#x017F;ein könne, hat der Begriff der Verwaltung<lb/>
entwickelt, welchem &#x017F;ie als immanenter Theil angehört. Das We&#x017F;en<lb/>
der freien Per&#x017F;önlichkeit fordert aber anderer&#x017F;eits, daß die&#x017F;e polizeiliche<lb/>
Be&#x017F;chränkung nicht in der Willkür der Polizeiorgane liege, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wieder eine fe&#x017F;te, durch den allgemeinen Willen ge&#x017F;etzte <hi rendition="#g">Gränze</hi><lb/>
habe. Und die Ge&#x017F;ammtheit von Grund&#x017F;ätzen, Regeln und geltenden<lb/>
Be&#x017F;timmungen, welche der polizeilichen Funktion überhaupt gegenüber<lb/>
der <hi rendition="#g">per&#x017F;önlichen Freiheit</hi> eine &#x017F;olche Gränze geben, bilden das<lb/><hi rendition="#g">Polizeirecht</hi>.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er allgemeine Begriff des Polizeirechts umfaßt daher allerdings<lb/>
die finanzielle und die gerichtliche &#x017F;owohl als die Verwaltungspolizei.<lb/>
Es i&#x017F;t eine der großen Voraus&#x017F;etzungen der &#x017F;taatsbürgerlichen Freiheit,<lb/>
daß es <hi rendition="#g">gar keinen</hi> Akt der ge&#x017F;ammten polizeilichen Thätigkeit gebe,<lb/>
dem nicht das ihm ent&#x017F;prechende Polizeirecht zur Seite &#x017F;tehe. Wenn<lb/>
die Polizei &#x017F;elb&#x017F;t die organi&#x017F;che Bedingung der Ge&#x017F;ammtentwicklung<lb/>
dadurch i&#x017F;t, daß &#x017F;ie dem Einzelnen wie der Ge&#x017F;ammtordnung das Ele-<lb/>
ment der öffentlichen Sicherheit gibt, &#x017F;o i&#x017F;t das Polize<hi rendition="#g">irecht</hi> das<lb/>
Corollar der&#x017F;elben, indem es dem Einzelnen wie der Ge&#x017F;ammtheit die<lb/>
zweite große Bedingung aller Entwicklung, die Freiheit der indivi-<lb/>
duellen Rechts&#x017F;phäre, gewährlei&#x017F;tet. Das i&#x017F;t die organi&#x017F;che Stellung<lb/>
und Bedeutung des Polizeirechts überhaupt neben der der Polizei.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">II.</hi> Aus die&#x017F;em We&#x017F;en des Polizeirechts hat &#x017F;ich nun zunäch&#x017F;t der<lb/>
Gang der Ge&#x017F;chichte de&#x017F;&#x017F;elben und &#x017F;ein Ver&#x017F;tändniß in der Lehre des<lb/>
öffentlichen Rechts ergeben. Die &#x017F;ehr große und zum Theil &#x017F;ehr ver-<lb/>
worrene Bewegung, welche das Gebiet des Polizeirechts im Allgemeinen<lb/>
umfaßt, namentlich ohne &#x017F;trenge Unter&#x017F;cheidung der gerichtlichen und<lb/>
Verwaltungspolizei, läßt &#x017F;ich in folgende Hauptgruppen zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;chlechterordnung hat noch gar keine &#x017F;elb&#x017F;tändige Polizei,<lb/>
weil &#x017F;ie noch keine &#x017F;elb&#x017F;tändige Verwaltung hat. Selb&#x017F;t die Verpflich-<lb/>
tung gegen die Friedensbrecher, welche an die gerichtliche Polizei erin-<lb/>
nert, i&#x017F;t doch im Grunde nur Nothwehr. Die &#x017F;tändi&#x017F;che Ge&#x017F;ell&#x017F;chafts-<lb/>
ordnung dagegen entwickelt bereits die Polizei als That&#x017F;ache; aber zum<lb/>
Begriffe eines öffentlichen Polize<hi rendition="#g">irechts</hi> gelangt auch &#x017F;ie nicht, weil<lb/>
die Grundherrlichkeiten und Körper&#x017F;chaften, die die Polizei ausüben,<lb/>
zugleich die Funktion der Ge&#x017F;etzgebung, der Verordnung und des Ge-<lb/>
richts mit der der Polizei in <hi rendition="#g">dem&#x017F;elben</hi> Organ vereinigen, was den<lb/>
Begriff des individuellen Rechts gegenüber die&#x017F;em Organe &#x017F;o gut auf-<lb/>
hebt, wie der Begriff des Ge&#x017F;etzes es in der &#x017F;taatsbürgerlichen Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft thut. Um den Begriff und Inhalt des Polize<hi rendition="#g">irechts</hi> &#x017F;elb&#x017F;tändig<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0029] der perſönlichen Freiheit durch die Organe und im Intereſſe der Gemeinſchaft überhaupt, alſo auch bei öffentlichen Gefährdungen noth- wendig und berechtigt ſein könne, hat der Begriff der Verwaltung entwickelt, welchem ſie als immanenter Theil angehört. Das Weſen der freien Perſönlichkeit fordert aber andererſeits, daß dieſe polizeiliche Beſchränkung nicht in der Willkür der Polizeiorgane liege, ſondern ſelbſt wieder eine feſte, durch den allgemeinen Willen geſetzte Gränze habe. Und die Geſammtheit von Grundſätzen, Regeln und geltenden Beſtimmungen, welche der polizeilichen Funktion überhaupt gegenüber der perſönlichen Freiheit eine ſolche Gränze geben, bilden das Polizeirecht. Dieſer allgemeine Begriff des Polizeirechts umfaßt daher allerdings die finanzielle und die gerichtliche ſowohl als die Verwaltungspolizei. Es iſt eine der großen Vorausſetzungen der ſtaatsbürgerlichen Freiheit, daß es gar keinen Akt der geſammten polizeilichen Thätigkeit gebe, dem nicht das ihm entſprechende Polizeirecht zur Seite ſtehe. Wenn die Polizei ſelbſt die organiſche Bedingung der Geſammtentwicklung dadurch iſt, daß ſie dem Einzelnen wie der Geſammtordnung das Ele- ment der öffentlichen Sicherheit gibt, ſo iſt das Polizeirecht das Corollar derſelben, indem es dem Einzelnen wie der Geſammtheit die zweite große Bedingung aller Entwicklung, die Freiheit der indivi- duellen Rechtsſphäre, gewährleiſtet. Das iſt die organiſche Stellung und Bedeutung des Polizeirechts überhaupt neben der der Polizei. II. Aus dieſem Weſen des Polizeirechts hat ſich nun zunächſt der Gang der Geſchichte deſſelben und ſein Verſtändniß in der Lehre des öffentlichen Rechts ergeben. Die ſehr große und zum Theil ſehr ver- worrene Bewegung, welche das Gebiet des Polizeirechts im Allgemeinen umfaßt, namentlich ohne ſtrenge Unterſcheidung der gerichtlichen und Verwaltungspolizei, läßt ſich in folgende Hauptgruppen zuſammenfaſſen. Die Geſchlechterordnung hat noch gar keine ſelbſtändige Polizei, weil ſie noch keine ſelbſtändige Verwaltung hat. Selbſt die Verpflich- tung gegen die Friedensbrecher, welche an die gerichtliche Polizei erin- nert, iſt doch im Grunde nur Nothwehr. Die ſtändiſche Geſellſchafts- ordnung dagegen entwickelt bereits die Polizei als Thatſache; aber zum Begriffe eines öffentlichen Polizeirechts gelangt auch ſie nicht, weil die Grundherrlichkeiten und Körperſchaften, die die Polizei ausüben, zugleich die Funktion der Geſetzgebung, der Verordnung und des Ge- richts mit der der Polizei in demſelben Organ vereinigen, was den Begriff des individuellen Rechts gegenüber dieſem Organe ſo gut auf- hebt, wie der Begriff des Geſetzes es in der ſtaatsbürgerlichen Geſell- ſchaft thut. Um den Begriff und Inhalt des Polizeirechts ſelbſtändig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/29
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/29>, abgerufen am 22.11.2024.