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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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dagegen der Zweck die Zahlung der Polizeistrafe, so hört die Verhaftung
mit dieser Buße auf, wie sie durch das Angebot der Buße vermieden
werden kann. War endlich der Zweck einfach die Verhinderung der
öffentlichen Ruhestörung, so wird der Verhaftete, nachdem keine Be-
fürchtung mehr dafür da ist, entlassen (Trunkenheit etc.). Aber auch
hier muß festgehalten werden, daß eine solche Verhaftung nicht länger
als die kürzeste Verhaftungsfrist dauern darf, ohne das Polizei-
organ verantwortlich zu machen. Es ist Sache des einzelnen Falles,
die Verhaftung in eine andere Maßregel übergehen zu lassen, wenn
nach der polizeilichen Verhaftungsfrist noch keine Gewißheit gegeben ist,
daß die Ruhe nicht mehr gestört werde, wie wenn es sich zeigt, daß
der Verhaftete irrsinnig ist, oder aus Hungersnoth sich verhaften ließ u. s. w.


Uebersieht man nun von dem angegebenen Standpunkt die bestehenden
Gesetzgebungen Europa's, so ist es durchaus nicht zu verkennen, daß das
Bewußtsein von dieser doppelten Art der Verhaftung denselben eigent-
lich ganz deutlich vorschwebt, daß sie sogar ein doppeltes Recht dafür
bereits aufgestellt haben, und daß es im Grunde nur darauf noch an-
kommt, beide formell zu unterscheiden, um jene beiden Rechtssysteme,
die ja bereits gelten, durch ihre Trennung und besondere Behandlung
als gleichberechtigt neben einander zu stellen. Namentlich stehen Eng-
land und Frankreich in dieser Beziehung in ihren Gesetzen sehr klar da,
während Deutschland durch die noch immer herrschende Unsicherheit über
das Klagerecht selbst unsicher geworden ist.

Was zunächst England betrifft, so ist bekanntlich das Recht der
gerichtlichen Verhaftung nicht erst durch die Habeas-Corpus-Akte ein-
geführt, sondern die letztere hat vielmehr nur die Verletzung der in der-
selben enthaltenen Grundsätze gerichtlich klagbar gemacht. Die con-
tinentale Literatur hat dabei fast ausnahmslos übersehen, daß das
Wesen jenes berühmten Gesetzes eben in dieser Klagbarkeit lag, und
nicht in den Vorschriften, welche durch die Verpflichtung zur Stellung
vor Gericht aus der polizeilichen Verhaftung eine gerichtliche machen
sollen. Daher denn auch die allgemeine Vorstellung, daß man die
englische Habeas-Corpus-Akte einführe, wenn man einen Termin
für die Vorführung des Verhafteten vor Gericht aufstelle, während man
für die rein polizeiliche Verhaftung gar kein Recht gab, und die Ver-
folgung des Amtsmißbrauchs nicht dem Verletzten, sondern der Staats-
anwaltschaft übergab, was sie praktisch werthlos machte. Wären die
Juristen Englands so gut wie seine Gesetze, so hätten sie dieß Ver-
hältniß bald durchschaut; so aber haben sie es den Publicisten und

dagegen der Zweck die Zahlung der Polizeiſtrafe, ſo hört die Verhaftung
mit dieſer Buße auf, wie ſie durch das Angebot der Buße vermieden
werden kann. War endlich der Zweck einfach die Verhinderung der
öffentlichen Ruheſtörung, ſo wird der Verhaftete, nachdem keine Be-
fürchtung mehr dafür da iſt, entlaſſen (Trunkenheit ꝛc.). Aber auch
hier muß feſtgehalten werden, daß eine ſolche Verhaftung nicht länger
als die kürzeſte Verhaftungsfriſt dauern darf, ohne das Polizei-
organ verantwortlich zu machen. Es iſt Sache des einzelnen Falles,
die Verhaftung in eine andere Maßregel übergehen zu laſſen, wenn
nach der polizeilichen Verhaftungsfriſt noch keine Gewißheit gegeben iſt,
daß die Ruhe nicht mehr geſtört werde, wie wenn es ſich zeigt, daß
der Verhaftete irrſinnig iſt, oder aus Hungersnoth ſich verhaften ließ u. ſ. w.


Ueberſieht man nun von dem angegebenen Standpunkt die beſtehenden
Geſetzgebungen Europa’s, ſo iſt es durchaus nicht zu verkennen, daß das
Bewußtſein von dieſer doppelten Art der Verhaftung denſelben eigent-
lich ganz deutlich vorſchwebt, daß ſie ſogar ein doppeltes Recht dafür
bereits aufgeſtellt haben, und daß es im Grunde nur darauf noch an-
kommt, beide formell zu unterſcheiden, um jene beiden Rechtsſyſteme,
die ja bereits gelten, durch ihre Trennung und beſondere Behandlung
als gleichberechtigt neben einander zu ſtellen. Namentlich ſtehen Eng-
land und Frankreich in dieſer Beziehung in ihren Geſetzen ſehr klar da,
während Deutſchland durch die noch immer herrſchende Unſicherheit über
das Klagerecht ſelbſt unſicher geworden iſt.

Was zunächſt England betrifft, ſo iſt bekanntlich das Recht der
gerichtlichen Verhaftung nicht erſt durch die Habeas-Corpus-Akte ein-
geführt, ſondern die letztere hat vielmehr nur die Verletzung der in der-
ſelben enthaltenen Grundſätze gerichtlich klagbar gemacht. Die con-
tinentale Literatur hat dabei faſt ausnahmslos überſehen, daß das
Weſen jenes berühmten Geſetzes eben in dieſer Klagbarkeit lag, und
nicht in den Vorſchriften, welche durch die Verpflichtung zur Stellung
vor Gericht aus der polizeilichen Verhaftung eine gerichtliche machen
ſollen. Daher denn auch die allgemeine Vorſtellung, daß man die
engliſche Habeas-Corpus-Akte einführe, wenn man einen Termin
für die Vorführung des Verhafteten vor Gericht aufſtelle, während man
für die rein polizeiliche Verhaftung gar kein Recht gab, und die Ver-
folgung des Amtsmißbrauchs nicht dem Verletzten, ſondern der Staats-
anwaltſchaft übergab, was ſie praktiſch werthlos machte. Wären die
Juriſten Englands ſo gut wie ſeine Geſetze, ſo hätten ſie dieß Ver-
hältniß bald durchſchaut; ſo aber haben ſie es den Publiciſten und

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[143/0165] dagegen der Zweck die Zahlung der Polizeiſtrafe, ſo hört die Verhaftung mit dieſer Buße auf, wie ſie durch das Angebot der Buße vermieden werden kann. War endlich der Zweck einfach die Verhinderung der öffentlichen Ruheſtörung, ſo wird der Verhaftete, nachdem keine Be- fürchtung mehr dafür da iſt, entlaſſen (Trunkenheit ꝛc.). Aber auch hier muß feſtgehalten werden, daß eine ſolche Verhaftung nicht länger als die kürzeſte Verhaftungsfriſt dauern darf, ohne das Polizei- organ verantwortlich zu machen. Es iſt Sache des einzelnen Falles, die Verhaftung in eine andere Maßregel übergehen zu laſſen, wenn nach der polizeilichen Verhaftungsfriſt noch keine Gewißheit gegeben iſt, daß die Ruhe nicht mehr geſtört werde, wie wenn es ſich zeigt, daß der Verhaftete irrſinnig iſt, oder aus Hungersnoth ſich verhaften ließ u. ſ. w. Ueberſieht man nun von dem angegebenen Standpunkt die beſtehenden Geſetzgebungen Europa’s, ſo iſt es durchaus nicht zu verkennen, daß das Bewußtſein von dieſer doppelten Art der Verhaftung denſelben eigent- lich ganz deutlich vorſchwebt, daß ſie ſogar ein doppeltes Recht dafür bereits aufgeſtellt haben, und daß es im Grunde nur darauf noch an- kommt, beide formell zu unterſcheiden, um jene beiden Rechtsſyſteme, die ja bereits gelten, durch ihre Trennung und beſondere Behandlung als gleichberechtigt neben einander zu ſtellen. Namentlich ſtehen Eng- land und Frankreich in dieſer Beziehung in ihren Geſetzen ſehr klar da, während Deutſchland durch die noch immer herrſchende Unſicherheit über das Klagerecht ſelbſt unſicher geworden iſt. Was zunächſt England betrifft, ſo iſt bekanntlich das Recht der gerichtlichen Verhaftung nicht erſt durch die Habeas-Corpus-Akte ein- geführt, ſondern die letztere hat vielmehr nur die Verletzung der in der- ſelben enthaltenen Grundſätze gerichtlich klagbar gemacht. Die con- tinentale Literatur hat dabei faſt ausnahmslos überſehen, daß das Weſen jenes berühmten Geſetzes eben in dieſer Klagbarkeit lag, und nicht in den Vorſchriften, welche durch die Verpflichtung zur Stellung vor Gericht aus der polizeilichen Verhaftung eine gerichtliche machen ſollen. Daher denn auch die allgemeine Vorſtellung, daß man die engliſche Habeas-Corpus-Akte einführe, wenn man einen Termin für die Vorführung des Verhafteten vor Gericht aufſtelle, während man für die rein polizeiliche Verhaftung gar kein Recht gab, und die Ver- folgung des Amtsmißbrauchs nicht dem Verletzten, ſondern der Staats- anwaltſchaft übergab, was ſie praktiſch werthlos machte. Wären die Juriſten Englands ſo gut wie ſeine Geſetze, ſo hätten ſie dieß Ver- hältniß bald durchſchaut; ſo aber haben ſie es den Publiciſten und

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/165>, abgerufen am 23.11.2024.